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Dreistigkeit siegt (vorerst?)

Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes hat DocMorris grünes Licht gegeben, seine erste Fremdbesitz-Apotheke in Saarbrücken wieder zu eröffnen. Gesundheits- und Justizminister Hecken kann die Sektkorken knallen lassen und sich bestätigt sehen. Auf seine Vor-Ort-Oberverwaltungsrichter ist Verlass. Mit ihrer Entscheidung segnen die drei saarländischen Juristen die windigen Praktiken des Falls Hecken/DocMorris rechtlich ab. Dass dies mit beträchtlichem Aufwand und noch mehr rechtlicher Kreativität geschieht, zeigt bereits der Umfang der Entscheidung: Nicht weniger als 62 Seiten benötigen die Richter in ihrer summarischen Entscheidung des einstweiligen (!) Rechtsschutzes hierfür.

Dabei lassen sie apothekenrechtlich keinen Stein auf dem anderen. Ihre Thesen: Erstens: Apotheker können froh sein, wenn sie sich gegen das Hecken-Ministerium überhaupt rechtlich wehren dürfen. Die "Drittanfechtungsbefugnis" gegen die apothekenrechtswidrige Erteilung der Betriebserlaubnis an DocMorris ist nämlich ziemlich "problematisch". Zweitens: Jede Behörde, unabhängig davon, wo sie angesiedelt ist, ist verpflichtet, deutsches Recht "nicht zur Anwendung zu bringen", wenn sie es für europarechtswidrig hält. Dies gilt auch für "komplexe gesetzliche Systeme". Drittens: Das Optiker-Urteil, in dem der Europäische Gerichtshof das griechische Fremd- und Mehrbesitzverbot bei Optikerfachgeschäften für gemeinschaftswidrig erklärt hatte, ist 1:1 auf deutsche Apotheken zu übertragen. Das unterschiedliche Gefährdungspotenzial von Sehhilfen und Arzneimitteln ist rechtlich irrelevant, da beide Bereiche die "gleiche Problemstruktur" aufweisen ("Pille = Brille"). Und schließlich viertens: Weder eine "vollständige Kommerzialisierung" des Arzneimittelhandels noch der "Schutz der öffentlichen Gesundheit" ist als Rechtfertigungsgrund anzuerkennen, einer ausländischen Kapitalgesellschaft die Eröffnung von Apotheken in Deutschland zu verbieten.

Das alles ist ziemlich krude und überzeugt weder rechtlich noch in der Sache. Hätte das Judikat argumentativen Bestand, müsste das Recht der freien Berufe in Europa – weit über den Apothekenbereich hinaus – in wesentlichen Bereichen neu buchstabiert werden. Insgesamt liest sich der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts wie eine Anleitung zur Demontage des deutschen Apothekenrechts. Hecken lässt grüßen. Eine Auseinandersetzung mit Rechtsmeinungen und Rechtsgutachten, auch von Europarechtlern, oder mit Gerichtsentscheiden, die das deutsche Fremd- und Vielbesitzverbot für gemeinschaftskonform halten, meiden die Richter konsequent. Stattdessen räumen sie dem Plädoyer des Generalanwalts (!) im Optiker-Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof seitenlang Raum ein (Dies ist ungefähr so, als ob man ein Strafurteil mithilfe der Anklage des Staatsanwalts auslegen würde). Ohne Distanz verleiht der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts dem zwischen Hecken und DocMorris abgekarteten Spiel seine rechtlichen Weihen. Weniger perfide wird das ganze Genehmigungsprocedere dadurch freilich nicht. Nach wie vor weigert sich Hecken, bekannt zu geben, welche aktiven (Verwaltungs?-)Richter im Februar letzten Jahres in seinem Ministerium u. a. zusammen mit Staatssekretär Schild und DocMorris-Rechtsanwalt Diekmann (er war auch vor dem Oberverwaltungsgericht mit dabei) ausgekungelt haben, auf welche Art und Weise der niederländischen Kapitalgesellschaft eine Betriebserlaubnis für ihre Vor-Ort-Apotheke erteilt werden könne (vgl. DAZ 2006, S. 3453). Die Forderung des letztjährigen Apothekertags, die Karten offen zu legen, sitzt Hecken bislang erfolgreich aus.

Brechen jetzt alle Dämme? Viel hängt davon ab, wie Politik und (Aufsichts-)Behörden in den nächsten Wochen und Monaten reagieren werden. Lassen sie sich das Gesetz (!) des Handelns unter Hinweis auf vermeintliche europarechtliche Vorgaben aus der Hand nehmen und öffnen sie in vorauseilendem Gehorsam Kapitalgesellschaften den deutschen Apothekenmarkt? Tolerieren sie, dass Hecken den deutschen Gesetzgeber in Brüssel weiterhin anschwärzt, um ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die apothekenrechtlichen Vorschriften in Deutschland in Gang zu setzen? Man darf gespannt sein.

Etwas Gutes hat der dreiste Dreiklang von DocMorris, Justiz und Hecken-Ministerium im Saarland allemal. Er spitzt einige sehr grundsätzliche Fragen zu: Ist der nationale Gesetzgeber in Deutschland und anderswo noch (politisch) willens und (rechtlich) in der Lage, im Bereich des Gesundheitswesens eigenverantwortlich zu handeln? Und: In welche Richtung soll sich unser System der Arzneimittelversorgung entwickeln? Am 28. September 2006 haben sich Union, SPD, Linke und FDP in einer beeindruckenden Debatte des Deutschen Bundestags unisono für die Beibehaltung des Approbationsgebots von Apothekeneigentümern ausgesprochen (DAZ 2006, S. 4305). Ist das jetzt alles Schall und Rauch?

Wie es aussieht, wird in Sachen Fremd- und Vielbesitzverbot alsbald der Europäische Gerichtshof das letzte Wort sprechen. Er hat schon einmal sensibler auf die Gefährdungen einer ungehemmten Arzneimitteldistribution reagiert als viele erwartet hatten (und nationale Versandhandelsverbote bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln für gemeinschaftskonform erklärt). In diesem Sinne sind auch in Sachen Fremd- und Mehrbesitz die Würfel noch längst nicht gefallen. Nur wer jetzt die Flinte ins Korn wirft, hat schon verloren.

Christian Rotta

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