Kommentar
Gemäß einem Antrag sollte die Hauptversammlung des Deutschen Apothekertages beschließen, dass sich die Apotheker verstärkt in die "evidenzbasierte (Kosten-)Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln" einbringen. Ein klares Votum der Hauptversammlung zu diesem wichtigen Thema wäre erfreulich gewesen, aber der Antrag wurde in einen Ausschuss verwiesen. So bleibt zu hoffen, dass er dort zumindest in einem Punkt verändert wird. Denn er ist zwar knapp formuliert und enthält wohl doch ein Wort zu viel. Ohne das Wort "evidenzbasierte" wäre er ein Votum für ein fachlich und politisch sinnvolles Engagement der Apotheker – und ist vermutlich auch so gemeint. Die Fachleute für alle Aspekte des Arzneimittels sollten sich stärker als bisher zum Nutzen und zu den ökonomischen Folgen der Anwendung äußern. Andere Professionen tummeln sich schon lange auf diesem weiten Feld.
Doch mit dem Wort "evidenzbasierte" wird aus der Selbstverständlichkeit ein Politikum: Welche Evidenz ist gemeint? Die externe Evidenz ist für sozialwissenschaftliche Untersuchungen eine selbstverständliche Forderung und damit nicht erwähnenswert. Die interne Evidenz, wie sie im Vordergrund der sogenannten Evidenzbasierten Medizin steht, ist dagegen ein Problemfall der Nutzen-Bewertung und erst recht der Kosten-Nutzen-Bewertung. Denn Nutzen als patientenbezogenes subjektives Ergebnis entzieht sich weitgehend der Analyse in randomisierten kontrollierten Doppelblindstudien, die in der Evidenzbasierten Medizin als Goldstandard gelten. Im Unterschied zu den meisten Institutionen für die Nutzenbewertung im Ausland fordert das deutsche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) aber gerade diese Methoden als Voraussetzung für die Berücksichtigung von Studien in seinen Bewertungen. Daher bezieht das IQWiG häufig nur sehr wenige Studien in seine Bewertungen ein und lässt Arbeiten mit anderen Methoden unberücksichtigt, was vom internationalen Konsens abweicht und von der Pharmaindustrie immer wieder kritisiert wird.
Wollen die Apotheker mit dem Attribut "evidenzbasierte" nun ausdrücken, dass sie der IQWiG-Sicht folgen und andere Bewertungen ausschließen? So würde ein deutscher Sonderweg unterstützt, die zeitgemäße Lebensqualitätsforschung für weitgehend überflüssig erklärt und die internationale Pharmaindustrie am Standort Deutschland auch von den Apothekern verprellt. Oder ist das alles so nicht gemeint? Dann besteht jetzt noch die Chance, ein Wort zu streichen und damit neutral alle Bewertungen einzubeziehen. Etwas mehr Worte wären dagegen hilfreich, um den Antrag zu konkretisieren. Denn von gelegentlichen Stellungnahmen bis zu einem eigenen Institut der Apotheker erlaubt der Antrag viele Interpretationen. Wir dürfen auf das Ergebnis gespannt sein.
Thomas Müller-Bohn
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.