Kommentar
Versandhandel:
Die Büchse der Pandora – und was jetzt zu tun ist
Noch gefährlicher als der Versandhandel selbst sind die Schleusen, die er öffnet. Spätestens seit dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen zum Vertriebskonzept der dm
-Drogeriekette ist offensichtlich, dass mit der Legalisierung des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Humanarzneimitteln (für Tierarzneimittel ist der Versand aus der Apotheke weiterhin verboten!) die Büchse der Pandora geöffnet wurde. In ihrer Entscheidung hatten die Münsteraner Richter den von dm
praktizierten Be-stell- und Abholservice als erlaubte Form eines In-Verkehr-Bringens im Wege des Versandes eingeordnet und sich dabei expressis verbis immer wieder auf die apotheken- und arzneimittelrechtlichen Bestimmungen bezogen, die seit 1. Januar 2004 den Versandhandel mit Arzneimitteln regeln und ausgestalten. Nach der (gewagten) These des Gerichts umfasst der arzneimittelrechtliche Versandbegriff nämlich nicht nur den Versandhandel "in herkömmlichem Sinne", sondern "aufgrund geänderter gesellschaftlicher Verhältnisse" und unabhängig vom Willen des Gesetzgebers bei Einführung des Versandhandels auch die Etablierung von Abholpunkten, die irgendwo zwischen Versandapotheke und Empfänger angesiedelt sein können. Zahl (und Ort) der "Stationen", so das Gericht, seien dabei nicht beschränkt. Die Entscheidung ist – auch in der juristischen Literatur – auf scharfe Kritik gestoßen, zumal ein Jahr zuvor derselbe Senat (!) in einer Eilentscheidung das dm
-Konzept noch für rechtswidrig erklärt hatte. Professor Christian Starck bezeichnete in Düsseldorf die dm
-Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts denn auch als "wirklich schlimmes Urteil". Wann sich das Bundesverwaltungsgericht mit der von der Stadt Düsseldorf eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde befassen wird (die Beschwerde wurde notwendig, weil die Münsteraner Richter nicht einmal die Revision gegen ihren Überraschungscoup zugelassen hatten), steht noch in den Sternen. Inzwischen versucht dm
Fakten zu schaffen, indem der Konzern in Nordrhein-Westfalen flächendeckend – und ohne Rücksicht auf die Vorgaben der Apothekenbetriebsordnung – "Medikamenten-PickPoints" in seinen Drogeriefilialen etabliert.
Aus Gründen der Arzneimittelsicherheit besteht für den Gesetzgeber also akuter Handlungsbedarf. Konsequent wäre es, die – auch unter dem Eindruck der dm
-Rechtsprechung – in Gang gesetzte Initiative des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministers Karl-Josef Laumann zur Wiedereinführung des Versandhandelsverbots bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln voran zu treiben. Ob dies im Zuge einer Änderung des Arzneimittelgesetzes oder der Apothekenbetriebsordnung geschieht, ist zweitrangig. Immerhin ermächtigt das Apothekengesetz das Bundesministerium für Gesundheit mit Zustimmung des Bundesrats, in der Apothekenbetriebsordnung Arzneimittelgruppen aus Gründen der Arzneimittelsicherheit und des Verbraucherschutzes vom Versandhandel auszuschließen. Auch gemeinschaftsrechtlich bestehen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gegen ein Versandhandelsverbot bei verschreibungspflichtigen
Arzneimitteln keine Bedenken. Mit der Umsetzung der Laumann-Initiative würden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Zum einen würden die mit dem Versandhandel als solchem
bestehenden strukturellen Sicherheits- und Versorgungsdefizite bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln beseitigt; zum anderen würden jedoch auch ordnungspolitische Verwerfungen beseitigt, wie sie – zumindest nach einem Teil der Rechtsprechung – in Folge der Einführung des Versandhandels rechtlich unangreifbar entstanden sind (Lagerung von abholbereiten Arzneimitteln in Drogerien, Tankstellen oder Dönerbuden) oder weiter entstehen könnten. Damit wäre, zumindest hinsichtlich der Aushändigung verschreibungspflichtiger Arzneimittel, das dm
-Vertriebskonzept vom Tisch.
Unabhängig hiervon ist der Gesetzgeber jedoch auch aufgerufen, den – in den Worten des Oberverwaltungsgerichts – offenen Versandhandelsbegriff arzneimittelrechtlich einzugrenzen. Dies ist schon deshalb notwendig, weil dem Vertriebskonzept à la Versandapotheke/dm
auch bei nicht verschreibungspflichtigen, jedoch apothekenpflichtigen Arzneimitteln ein Riegel vorgeschoben werden muss (bei diesen Arzneimitteln wäre ein absolutes Versendungsverbot europarechtswidrig). In der Tat sollten die Begriffe "Arzneimittelversand" und "Versandhandel" im Arzneimittelgesetz restriktiv definiert werden. Um die Umgehung verbraucherschützender Vorgaben des Arzneimittel- und Apothekengesetzes zu verhindern, müssen Versand(handels)formen ausgeschlossen werden, die gewerblich auf dem Prinzip
der Abholung der besonderen Ware Arzneimittel beruhen. Arzneimittel sind im Zuge des Transports vielmehr vom Ausgangsort Apotheke unmittelbar und ohne vermeidbare Unterbrechung in die Sphäre des Bestellers zu verbringen.
Mag sein, dass es in diesem Zusammenhang erforderlich wird, noch einmal die bestehenden Regelungen im Apothekengesetz, die den Versandhandel ausgestalten, kritisch unter die Lupe zu nehmen. Ist es etwa – und diese Frage stellt auch das Oberverwaltungsgericht – wirklich vertretbar, dass Arzneimittel, deren Zustellversuche, z. B. wegen der Abwesenheit des Bestellers, gescheitert sind, unkontrolliert und auch längere Zeit zur Abholung in Postfilialen oder Gewerbebetrieben zwischengelagert werden dürfen? Völlig zu Recht hat der Normgeber in den letzten Jahren in benachbarten Rechtsgebieten, wie z. B. in der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung oder beim Großhandel mit Arzneimitteln, die dortigen Lagerungs- und Transportvorschriften neu geregelt (und verschärft). An diesen Vorgaben müssen sich auch die Regelungen über den Versandhandel mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln messen lassen und orientieren. Deshalb sind "Abholverfahren", bei denen (Versand-)Apotheken fremde Betriebsräume zur Aushändigung von Arzneimitteln planmäßig nutzen, mit dem arzneimittelrechtlichen Versandbegriff nicht zu vereinbaren. Sie müssen aus Gründen der Arzneimittelsicherheit und des Verbraucherschutzes so schnell wie möglich unterbunden werden. Viel Zeit bleibt nicht. Der Gesetzgeber ist gefordert.
Christian Rotta
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