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Europa kommt – wohin geht die Apotheke?

HALLE (ks). Die deutschen Apotheken können vor Europa bekanntlich nicht die Augen verschließen. Derzeit wartet man gespannt auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zum deutschen Fremd- und Mehrbesitzverbot. Doch bis dieses vorliegt, kann noch ein gutes Jahr vergehen – und wie es ausfallen wird, ist nicht abzusehen. Vor diesem Hintergrund stellte der Landesapothekerverband Sachsen-Anhalt seine Wirtschaftstage am 5. und 6. Oktober in Halle unter das Motto "Europa kommt – wohin geht die Apotheke?". Unter anderem berichteten Apothekervertreter aus Finnland, Österreich und Holland über die Situation in ihren Ländern.

Die europäische Apothekenlandschaft ist denkbar vielfältig: Die Frage des Arzneimittelversandes, des Fremd- und Mehrbesitzes, der Niederlassungsfreiheit oder der Abgabemöglichkeiten von OTC hat jedes Land individuell gelöst. Wer behauptet, Deutschland sei ein Land mit besonders verkrusteten Strukturen, sollte einen Blick über die Grenzen riskieren. Dabei zeigt sich, dass etwa der Versandhandel mit Arzneimitteln in keinem anderen europäischen Land so umfassend erlaubt ist wie in Deutschland. Auch Fremd- und Mehrbesitzverbote sind eher die Regel als die Ausnahme. Doch die Apothekensysteme geraten zunehmend ins Visier der europäischen Institutionen. Welche Konsequenzen dies mittel- und langfristig haben wird, ist offen.

Einen Einblick in die finnische Apothekenlandschaft gab Sirkka Weckström, Vizepräsidentin des finnischen Apothekerverbandes: In dem großen, aber dünn besiedelten Land ist die flächendeckende Arzneimittelversorgung eine besondere Herausforderung. Daher sind die 802 finnischen Apotheken, die im Durchschnitt jeweils 6300 Einwohner versorgen, vielen Regulierungen ausgesetzt. Jede Apotheke muss von einem persönlich verantwortlichen Apotheker – in 69 Prozent der Fälle ist dies eine Frau – betrieben werden und den vollen Service bieten. Es besteht eine Art staatliches Franchise-System: Ein Apotheker übernimmt eine Apotheke vom Staat und muss lediglich das Arzneimittellager kaufen; mit 68 Jahren muss er die Lizenz zurückgeben. Neben den Apotheken gibt es rund 150 Arzneimittelverkaufsstellen, etwa in Post- oder Bankfilialen. Hier ist ein begrenztes OTC-Sortiment erhältlich – auf pharmazeutisches Personal wird dabei verzichtet.

Der Pharmazie verschrieben

In Finnland besteht ein Fremdbesitz- und ein eingeschränktes Mehrbesitzverbot: Der Betreiber einer Hauptapotheke kann bis zu drei Filialen unterhalten. Der Versandhandel mit Arzneimitteln ist tabu. Die Arzneimittelpreise – die überall gleich sind – werden in einem transparenten Verfahren festgelegt: Die Industrie schlägt sie vor, ein Preiskomitee legt sie fest. Der Gewinn des Apothekers errechnet sich prozentual. Eine "Dienstgebühr", ähnlich wie wir sie in Deutschland haben, sei allerdings im Gespräch, so Weckström. Die Beratung wird in Finnland ohnehin groß geschrieben. Dies macht sich auch optisch bemerkbar: Sitzberatungsplätze sind in dem nordischen Land üblich. Dass nicht das Kaufmännische im Vordergrund steht, zeigt eine weitere finnische Besonderheit, die "Apothekengebühr": Während kleinere Apotheken mit geringem Umsatz von dieser Steuer befreit sind, müssen solche mit höherem Gewinn bis zu elf Prozent ihres Umsatzes an den Staat abführen. Auf diese Weise soll der "finanzielle Gewinn ausbalanciert" werden, erläuterte Weckström. An diese progressiv erhobene Steuer ist man in Finnland offenbar gewöhnt und stößt sich nicht daran. Kritisch sieht man allerdings, dass die sogenannten Universitätsapotheken im Land von der Apothekengebühr befreit und auch sonst steuerlich begünstigt sind: Angefangen hatte es mit einer Apotheke an der Universität von Helsinki – mittlerweile sind 16 Filialen über das Land verstreut, auch in Städten ohne Universität.

Österreich: Kein Versand, Fremdbesitz in Maßen

Wie das Apothekensystem in Österreich funktioniert, berichtete Leopold Schmudermaier, Vizepräsident der Österreichischen Apothekerkammer. Auch hier gilt: Nur ein Apotheker kann die Konzession für eine Apotheke erhalten. Die Betriebserlaubnis knüpft neben persönlichen auch an sachliche Voraussetzungen; eine vollständige Niederlassungsfreiheit gibt es nicht – zum Schutz der Patienten, wie Schmudermaier betonte. Dennoch sei es nicht so, dass das ganze Land schon aufgeteilt ist: Immerhin 171 neue Apotheken seien in den vergangenen zehn Jahren neu in Österreich entstanden. Auch Ketten sind in unserem Nachbarland verboten. Unter den 1200 Apotheken gibt es 17 Filialen – hierbei handelt es sich aber, anders als bei uns, um schlichte Arzneimittelabgabestellen in schwach besiedelten Gebieten. Fremdbesitz ist in Österreich in Maßen erlaubt: Solange der allein vertretungsberechtigte Konzessionsinhaber eine Mehrheit von über 50 Prozent an der Apotheke hält, können die übrigen Anteile auch von Nicht-Apothekern, sogar von Kapitalgesellschaften, gehalten werden. Eine Besonderheit des Alpenlandes sind die fast 1000 ärztlichen Hausapotheken: Ärzten hat man ein Dispensierrecht eingeräumt, damit auch in dünn besiedelten Regionen die Arzneimittelversorgung funktioniert. Schmudermaier hat für diese Intention Verständnis – dieses hört allerdings auf, wenn er sieht, dass sich die ärztlichen Hausapotheken immer mehr ausbreiten – auch in Gegenden, in denen es versorgungstechnisch nicht nötig wäre. Über den Versandhandel dürfen Arzneimittel nicht bezogen werden – und daran wollen sowohl die österreichischen Apotheker als auch die Politiker nichts ändern.

20 Prozent Mehrwertsteuer

Die Apothekenvergütung bemisst sich in Österreich rein prozentual. Für eine Beratungsgebühr nach deutschem Vorbild gebe es keine Mehrheit, erklärte Schmudermaier – und auch das Interesse an einer solchen ist gering. In den Apothekenverkaufspreis wird neben den Höchstaufschlägen des Großhandels und der Apotheken auf den "Fabrikabgabepreis" eine 20-prozentige Mehrwertsteuer eingerechnet. Die Kostenübernahme für Arzneimittel durch die Krankenkassen erfolgt in Österreich nach einem recht komplizierten Positivlisten-System mit drei Boxen: Die grüne Box steht für frei verschreibbare Arzneien, die gelbe für unter bestimmten ärztlichen Auflagen verordnungs- und erstattungsfähige und die rote für solche, die nur dann erstattet werden, wenn zuvor eine Bewilligung eingeholt wurde.

Holland setzt auf Deregulierung

Ganz anders gestaltet sich das Apothekerleben in den Niederlanden, wie Jos van Dalen, Vorstandssekretär des Königlichen Apothekerverbandes Holland (KNMP) erläuterte. Hier verzichtet man seit einigen Jahren auf nahezu jegliche staatliche Regulierung und überlässt das System den Versicherern und Leistungsanbietern. Jeder kann wo immer er will eine Apotheke eröffnen – weder muss er Apotheker sein, noch muss er bestimmte räumliche Voraussetzungen erfüllen. Es existieren lediglich Sollvorschriften des KNMP, die im Ernstfall im Nachhinein Beanstandungen zur Folge haben können. "Anfangen kann eine Apotheke auch ohne ein Dach", brachte es van Dalen auf den Punkt. Wer eine Apotheke eröffnen will braucht lediglich das nötige Kapital – und das ist nicht wenig. Für eine holländische Apotheke muss man das 1- bis 1,5-Fache des Jahresumsatzes kalkulieren, hinzu kommen Kosten für das Gebäude und das Lager. Die meisten der 1825 Apotheken werden von einzelnen Apothekern betrieben – doch auch Ketten gehören zum üblichen Bild. Der Versandhandel ist zwar erlaubt, spielt im Binnenmarkt aber keine Rolle. Üblich ist es in den Niederlanden zudem, dass ein ärztliches Rezept direkt elektronisch in die Apotheke geschickt wird. Die freie Apothekenwahl ist zwar seit einiger Zeit grundsätzlich gegeben, doch viele Patienten haben diesen Wandel verpasst und es sieht sich offenbar niemand veranlasst, ihnen dies mitzuteilen. Wie bei deutschen Hausapothekenverträgen, ist es der Holländer gewohnt, "seine Apotheke" zu haben. Apotheken können überdies Wiederholungsmedikationen veranlassen. Dazu muss der Patient nur in der Apotheke anrufen, diese kann das elektronische Rezept anfertigen, das dann noch vom Arzt unterschrieben wird. Dass Apotheker dabei in die gesamte Diagnose des Patienten einblicken können, ist offenbar kein Problem. Allein das Schweigen des Patienten wird in Holland als Einwilligung in den Einblick in die persönlichen Daten gewertet.

Rabatte werden abgeschöpft

Allen Freiheiten zum Trotz: Mit der Regierung liegen die holländischen Apotheken regelmäßig im Clinch. Auch in unserem Nachbarland meint die Politik, dass Apotheken zu viel verdienen und mehr abgeben müssen, wenn einmal wieder Geld im System nötig ist, erklärte van Dalen. In Holland dürfen Apotheken sowohl mit Großhändlern als auch mit Herstellern Rabatte vereinbaren – und diese Rabatte, die bei bis zu 20 Prozent liegen können, wecken Begehrlichkeiten, zumal den Krankenversicherungen diese Verhandlungsmacht nicht zusteht. Nach langwierigen Verhandlungen hat der KNMP nun ein neues Abkommen mitausgehandelt. Ab 2008 werden nicht nur die Hersteller zu erneuten Preissenkungen verpflichtet – auch die Apotheken werden einen Sparbeitrag von 50 Mio. Euro leisten. Ursprünglich hatten die Versicherer 340 Mio. Euro gefordert.

EU-Gesundheitspolitik: Klare Linie Fehlanzeige

So wie die Apotheken in Europa verschieden sind, sind auch die gesamten Gesundheitssysteme höchst unterschiedlich. Wenngleich die Europäische Union im Gesundheitsschutz durchaus Handlungsbefugnisse hat – gerade in der Gesundheitspolitik ist der Subsidiaritätsgrundsatz von großer Bedeutung. Der CDU-Europa-Abgeordnete für Sachsen-Anhalt, Horst Schnellhardt, brachte es auf den Punkt: "In der EU-Gesundheitspolitik gibt es zwar eine Richtung, aber keine klare Linie. Wer hier Harmonisierung anstrebt, ist zum Scheitern verurteilt."

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