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Arzneiversandhandel
Experiment Versandhandel
Lehrstuhlinhaber Professor Dr. Harald Schweim wollte mit diesem Symposium die Diskussion über das Für und Wider des Versandhandels fortführen und beleben. Referenten aus den Bereichen Jura, Verbraucherschutz, Industrie, Bundeskriminalamt, Versandapotheke, Apothekenlabor und Behörde stellten ihre Sicht zu diesem Thema dar. Fazit: Versandhandel von deutschen Apotheken in Deutschland ist nicht das Problem, aber die Zulassung verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Versand und der Versand aus dem Ausland bergen Gefahren und können Einfallstore für Fälschungen sein.
Gründe, Hintergründe, Abgründe
Als einen besonders interessanten Fall stellte Schweim das Präparat Rimonabant heraus, das bereits vor seiner offiziellen Markteinführung als Fälschung im Internet gehandelt wurde. Am häufigsten treten bisher Arzneimittelfälschungen in Europa in der Gruppe der Lifestylepräparate auf – ein Markt mit hohen Gewinnmargen. Die Verführung der Verbraucher ist groß. E-Mail-Nutzer erhalten täglich zahlreiche Spams, die zu vierzig Prozent Arzneimittel und medizinische Themen bewerben. Die Internetseiten der entsprechenden Anbieter sind so gestaltet, dass es für den Laien relativ schwierig ist, die Seriosität zu überprüfen (siehe hierzu auch den Beitrag von Schweim "Arzneimittel im Internet-Versandhandel – sicher?" in DAZ Nr. 27, S. 52). Allerdings dürften sich nach Einschätzung Schweims zahlreiche Verbraucher darüber bewusst sein, dass der Erwerb verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Internet ohne Rezept illegal ist. Inzwischen hat die EU den Handlungsbedarf erkannt. Im vergangenen Monat wurde ein Arbeitskreis zum Thema Arzneimittelfälschungen und Internet eingerichtet. Von Seiten der Apotheker und Teilen der nordrhein-westfälischen Landesregierung wird ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln als Lösung des Problems angesehen, ein Weg, dem sich Schweim uneingeschränkt anschließt. Rund 50 Prozent der Anbieter im Internet hätten, so Schweim, ein kriminelles Interesse. Da hilft auch kein Qualitätssiegel, wie es unlängst durch den Bundesverband der Deutschen Versandapotheken (BVDVA) eingeführt worden ist. Dieses lässt sich mit wenigen Handgriffen ebenso leicht auf eine mit krimineller Energie erstellte Internetseite kopieren wie beispielsweise Genehmigungsurkunden. Der Verbraucher wird so in einer nicht real existierenden Scheinsicherheit gewogen. Schweim betonte, dass von den bundesdeutschen Versandapotheken, die aufgrund der gesetzlichen Regelungen der gleichen strengen Aufsicht wie öffentliche Apotheken unterlägen, keine Gefahren ausgingen. Auch vergleichbare europäische Anbieter böten hinreichende Sicherheit. Das Problem stellten die Anbieter des Nicht-EU-Auslandes dar. Das ist auch entsprechenden Stellen im Ministerium bekannt. Schweim erhielt auf Anfragen zu tschechischen oder anderen Versandapotheken Antworten, die das belegen. Allerdings werden keine Versuche zur Strafverfolgung unternommen. Dies zeigt deutlich, dass die Arzneimittelkriminalität konsequent ignoriert wird. Eine weitere Möglichkeit, Endverbraucher von einer nicht bestehenden Seriosität abzulenken, ist Gästebücher auf Seiten von politischen Parteien oder öffentlichen Einrichtungen zu nutzen, um dort eine Arzneimittelwerbung zu platzieren. cs
Ein gescheitertes Experiment
Arzneimittel sind Waren besonderer Art, sie sind per se keine sicheren Produkte, sondern Risikoprodukte und damit auch "Anti-Konsumgüter", wie es Dettling bezeichnete. Denn erst, wenn sie am richtigen Patienten, bei der richtigen Indikation, am rechten Ort, zur rechten Zeit, in der richtigen Dosierung angewendet werden, entfalten sie ihre gewünschte Wirksamkeit. Daher hat der Gesetzgeber auch nur den Apotheken als besondere Organisationen die Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung übertragen. Mit der Zulassung des Versandhandels im Jahr 2004 senkte der deutsche Gesetzgeber als einer der ersten Mitgliedstaaten der EU das bis dahin bestehende Gesundheitsschutzniveau.
Dettling schickte voraus, dass ein Unternehmen, das in Deutschland Arzneimittel vertreibt und dessen Verhalten sich dadurch auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland auswirkt, sich an das zwingende Recht der Bundesrepublik Deutschland halten muss, auch wenn es seinen Sitz im Ausland hat – daran ändert für den Bereich des Arzneimittelvertriebs auch das Gemeinschaftsrecht nichts. Daraus lässt sich ableiten, dass der Arzneimittelversand an Endverbraucher im Geltungsbereich durch Apotheken eines Mitgliedstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum "entsprechend den deutschen Vorschriften zum Versandhandel oder zum elektronischen Handel" erfolgen muss.
Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Arzneimittel nur dann in einem anderen Mitgliedstaat in Verkehr gebracht werden dürfen, wenn für sie durch die Behörde oder aufgrund von Gemeinschaftsregelungen eine Genehmigung erteilt worden ist. Die Arzneimittel müssen dabei jeweils in der Sprache des Mitgliedstaates, in dem es in Verkehr gebracht werden soll, gekennzeichnet sein. Eine konkrete Arzneimittelpackung ist daher jeweils nur in einem Mitgliedstaat verkehrsfähig. Dies bedeutet, dass die nationalen Arzneimittelmärkte durch die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben separiert sind.
Letztlich können sich durch den Handel über das Ausland keinerlei Angebots- oder Produktkostenvorteile und bei Einhaltung der rechtlichen Bestimmungen auch keine Preisvorteile ergeben. Vorteile könnten sich nur aus der erleichterten Nichteinhaltung des deutschen Rechts ergeben, wie Dettling resümierte. Dies zeigten auch die bisherigen Erfahrungen.
Die Illegalität des Arzneimittelversandhandels aus dem Ausland zeigt sich in drei Formen:
• als illegale Versandaktivität legaler ausländischer Versandapotheken durch den illegalen Versand nicht zugelassener Arzneimittel oder verschreibungspflichtiger Arzneimittel, ohne Versandhandelserlaubnis, mit Verstößen gegen deutsches Werberecht, mit illegaler Preisgestaltung
• als illegale Versandaktivität illegaler ausländischer Versand-apotheken,
• als illegale Arzneimittelabgabe legaler ausländischer Versand-apotheken über illegale inländische Betriebsstätten.
Ein Beispiel für illegale Versandaktivitäten legaler ausländischer Versandapotheken ist der Versand von in Deutschland nicht zugelassenen, aber zulassungspflichtigen Arzneimitteln an Patienten in Deutschland, wie es die 0800 DocMorris N.V. ab dem 8. Juni 2000 von den Niederlanden aus an Patienten in Deutschland machte. Damit haben sich die Verantwortlichen von DocMorris strafbar gemacht, sie wurden allerdings durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden bis heute nicht zur Verantwortung gezogen. Der strafbare Versand wurde weder durch die niederländischen noch durch die deutschen Überwachungsbehörden unterbunden.
Genauso strafbar machte sich dieses Unternehmen vor der Legalisierung im Jahr 2004, weil es verschreibungspflichtige Arzneimittel an Patienten in Deutschland versandte. Für diese Ordnungswidrigkeit wurden sie von den deutschen Behörden nie zur Verantwortung gezogen. Nach der Liberalisierung des Versandhandels zum 1. Januar 2004 setzte DocMorris den Versand verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Patienten nach Deutschland fort, ohne die erforderliche Erlaubnis hierfür zu haben. Auch diese Ordnungswidrigkeit wurde weder von deutschen noch von niederländischen Behörden geahndet oder unterbunden. Selbst nach der "Länderliste" (Übersicht der EU-Mitgliedstaaten, in denen für den Arzneiversandhandel dem deutschen Recht vergleichbare Sicherheitsstandards bestehen) entsprechen die niederländischen Vorschriften über den Versandhandel (sofern sie überhaupt existieren) nur bedingt dem deutschen Recht. Wie Dettling hierzu ausführte, fehlt es der Länderliste mangels förmlicher Verbindlichkeit an Rechtsqualität. Die mit ihr befassten Gerichte konnten bislang nicht die Länderliste als Rechtsakt qualifizieren.
Hinzukommt, dass ausländische Versandapotheken in vielen Fällen gegen deutsches Werberecht verstoßen. Auch solche Verstöße, beispielsweise von DocMorris, haben die deutschen Behörden bisher nicht verfolgt. Erinnert sei an den aggressiven Slogan "Geldverdienen mit Rezept" von DocMorris zur Anlockung von Patienten.
Festzustellen sind des Weiteren illegale Preisgestaltungen ausländischer Versandapotheken. Das GMG behielt die Preisbindung für den Versandhandel bei, auch für den Versandhandel aus dem Ausland. Im Klartext heißt dies, dass sich auch ausländische Versandapotheken beim Versand nach Deutschland an die deutschen Vorschriften zum Versandhandel halten müssen, auch an die Vorschriften der Arzneimittelpreisverordnung.
DocMorris gibt dagegen offen zu, dass die Nichteinhaltung des Arzneimittelpreisrechts in Deutschland bei gleichzeitiger Rechtstreue der deutschen Apotheken der Hauptgrund für den Erfolg von DocMorris ist.
Trotz eindeutiger Gesetzeslage haben jedoch das Landgericht Münster und das Oberlandesgericht Hamm – im Gegensatz zu anderen Gerichten – die Ansicht vertreten, dass ausländische Versandapotheken nicht an die Arzneimittelpreisverordnung gebunden seien.
Eine weitere Variante stellt der illegale Arzneimittelversand durch illegale ausländische Versandapotheken dar. Verfahren deutscher Behörden oder Gerichte gegen illegale ausländische Versandapotheken gibt es derzeit, soweit ersichtlich, nicht. Untersuchungen des Zentrallabors deutscher Apotheken und des Markenschutz-Unternehmens MarkMonitor zeigen, dass über diesen Weg in vielen Fällen Arzneimittelfälschungen nach Deutschland gelangen und ein überwiegender Teil der Online-Apotheken von Kriminellen betrieben wird. Laut Zollstatistik der EU-Kommission ist ein deutlicher Anstieg des Versands gefälschter Arzneimittel zu verzeichnen.
Rechtliche Bewertung
Durch den Arzneiversand illegaler ausländischer Apotheken nach Deutschland werden vor allem die deutschen Bestimmungen über die Zulassungspflicht, die Verschreibungspflicht, das Fälschungsverbot und das Versandverbot verletzt. Verbraucher, die bei illegalen Versandapotheken verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne Vorlage einer ärztlichen Verschreibung beziehen, können sich wegen Anstiftung oder Beihilfe zur strafbaren Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne Verschreibung außerhalb von Apotheken schuldig machen.
Kooperation von inländischen mit ausländischen Unternehmen
Die Abgabe von Arzneimitteln durch legale ausländische Versandapotheken über illegale inländische Apotheken stellt eine weitere Fallgruppe dar. Ein Beispiel hierfür ist die Kooperation der VfG Versandhaus für Gesundheit GmbH, Leipzig, mit der Centrum Apotheke im Tschechischen Decin. Über eine gemeinsame Website betreiben beide einen Versandhandel mit tschechischen Arzneimitteln für Deutschland.
Ein weiteres Beispiel sind die Aktivitäten des schweizerischen Gesundheitskonzerns der Zur Rose AG und ihrer Tochtergesellschaft Zur Rose Pharma GmbH, Halle. Im Dezember 2006 übernahm die Zur Rose Gruppe auch die VfG-Versandapotheke. In Geschäftsberichten stellt der Zur Rose-Konzern den deutschen Arzneimittelversandhandel als eigene Tätigkeit dar. Wie Dettling darlegte, bestehen erhebliche Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit des von der Zur Rose-Gruppe in Deutschland organisierten Versandhandels mit Arzneimitteln. Zahlreiche Anhaltspunkte sprechen dafür, dass wesentliche Betriebsvorgänge der Apotheke Zur Rose außerhalb des organisatorischen Rahmens des Apothekenunternehmens und außerhalb der von der Betriebserlaubnis umfassten Räume stattfinden – ein strafbares Betreiben einer Apotheke ohne die erforderliche Erlaubnis.
Ähnliches dürfte für die VfG-Versandapotheke gelten. Sie wird von der VfG Cosmian in Ceska Lipa, Tschechien, betrieben und hat einen Verwaltungssitz "VfG Versandapotheke" in Halle unter der gleichen Adresse wie das Logistikzentrum der Zur Rose Pharma GmbH. Die Homepage der Zur Rose AG weist aus, dass die VfG Versandapotheke ihren Sitz in Tschechien hat und ihre "operative Tätigkeit in Deutschland".
Bei der Kooperation der Europa Apotheek Venlo und der dm-Drogeriemärkte werden Drogeriemärkte durch die Lagerung und Aushändigung von Arzneimitteln zu Apotheken, ohne Betriebserlaubnis. Gleichwohl hat das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden, dass dies eine zulässige Form des "Versandhandels" darstelle.
Ähnlich illegal nach der von Dettling vertretenen Auffassung stellt sich der Betrieb einer Apotheke durch DocMorris in Saarbrücken dar, wofür das Justizministerium Saarbrücken die Erlaubnis erteilte. In dem Rechtsstreit, bei dem es letztlich um die Frage des Fremdbesitzverbots bei Apotheken geht, liegt die Klärung nach mehreren widersprüchlichen Entscheidungen nunmehr beim Europäischen Gerichtshof.
Negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis
Fasst man diese Fälle zusammen, lässt sich erkennen, so Dettling, dass das rechtliche Charakteristikum des Versandhandels mit Arzneimitteln aus dem Ausland an Patienten in Deutschland in der Missachtung des deutschen Rechts besteht.
Die deutschen Behörden und Gerichte sind überwiegend nicht in der Lage oder bereit, den Rechtsbruch durch ausländische Versandhändler zu verfolgen und zu unterbinden. Dettling wörtlich: "Indem der Gesetzgeber den Arzneimittelversandhandel generell zugelassen hat, hat er auch den Internethandel mit Arzneimitteln salonfähig gemacht, Arzneimittel bagatellisiert und den atmosphärischen Boden für den Handel mit nicht zugelassenen oder gefälschten Arzneimitteln im überwachungsfreien Raum bereitet."
Nichts Positives lässt sich auch zum Arzneiversand aus dem Ausland sagen: er hat nicht zu Einsparungen beigetragen, das Nutzen-Risiko-Verhältnis ist negativ. diz
Alles unter Kontrolle
Rund 1800 Apotheken, knapp 9 Prozent aller deutschen Apotheken, haben eine Versandhandelserlaubnis. Allerdings betreiben nur etwa 15 bis 20 einen Versandhandel im großen Stil. Der Marktanteil am Arzneimittelumsatz beläuft sich derzeit auf etwa 2 Prozent. Nach Auffassung von Mönter werden in Zukunft nur diese Big Player eine Chance im Versandgeschäft haben. Denn um rentabel zu arbeiten, sind mindestens 1000 Versandaufträge pro Tag notwendig. Das kann nur mit einem Logistikzentrum, mit einem starken EDV-System und optimalen Prozessabläufen sowie qualifizierten Mitarbeitern bewältigt werden. Zu den großen Versandapotheken in Deutschland zählen Berg-Apotheke, Apotal (Diabetes-Fachversand), Fortuna-Apotheke (Gesundheitsartikel), die Zur Rose und Mönters Sanicare-Apotheke (Arzneimittelversand, Klinikversorgung, Diabetes-Fachversand).
Von Interesse ist die Bestellung bei einer Versandapotheke für chronisch Kranke mit planbarem Medikamentenbedarf und für Kostenbewusste, die telefonisch oder übers Internet bestellen möchten. So gewährt die Sanicare-Apotheke beispielsweise mindestens 10 Prozent Rabatt im OTC-Bereich, bei bestimmten Präparaten auch bis zu 50 Prozent. Der Kunde ist unabhängig von Ladenöffnungszeiten, die Diskretion ist gewährleistet. Verträge mit Krankenkassen habe er gekündigt, so Mönter, da die Krankenkassen nur Rabatte abschöpfen, aber nichts dafür tun wollten.
Die Sicherheit bei deutschen Versandapotheken ist gewährleistet. So gibt es beispielsweise eine Beratungshotline, Interaktionschecks, einen Arzneimittelpass, Reminder-Funktionen und mehrfache pharmazeutische Kontrollen, hinzukommen die Sendungsverfolgung, der Versand von gekühlter Ware durch Speziallogistiker, die Beachtung von Risikomeldungen und eine detailliertes Kundenmanagement.
Als Orientierungshilfe hat der BVDVA seit Mai 2007 ein Gütesiegel eingeführt als Schutz vor Arzneimittelfälschungen. Mönter räumte allerdings ein, dass dies keinen generellen Schutz vor dubiosen Angeboten aus dem Ausland darstelle, letztlich könne alles gefälscht werden, auch Gütesiegel.
Der Europarat hat in einer Veröffentlichung die Anforderungen an eine deutsche Versandapotheke als vorbildlich hingestellt. Dazu gehören die Art und Weise der Auslieferung, die Verantwortlichkeit eines Apothekers, die Beratung und Information, Hinweise und Checks, die Auslieferung von verschreibungspflichtigen Arzneimittel nur gegen Vorlage des Rezepts und der Ausschluss von Arzneimitteln, die sich für den Versand nicht eignen.
Mönter prognostizierte, dass sich mittelfristig nur wenige (etwa 20) deutsche Versandapotheken auf dem Markt behaupten werden. Der Versandhandel dürfte zukünftig etwa 8 bis 10 Prozent des gesamten Arzneimittelbedarfs abdecken.
Auch das Pro und Contra Versandhandel wird anhalten. Während ihn Gesetzgeber und Kunden befürworten, ist die ABDA nach wie vor dagegen. diz
Mehr Aufklärung gewünscht
Versandhandel mit Arzneimitteln ja, wenn es über eine zugelassene deutsche Apotheke läuft. Denn aus Verbrauchersicht kann es für bestimmte Personengruppen sinnvoll sein, Arzneimittel bei einer Versandapotheke zu bestellen: für chronisch Kranke, für ältere Patienten, für Berufstätige oder für Patienten mit weiten Wegen zur nächsten Apotheke. Vogel erinnerte daran, dass viele Präsenzapotheken heute einen Home-Service anbieten.
Preisvorteile lassen sich nur bei nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln realisieren, allerdings sind die Versandkosten zu berücksichtigen.
Vogel räumte ein, dass die Möglichkeiten zur Beratung bei Versandapotheken eingeschränkt sind. Er verwies auf die Untersuchung der Stiftung Warentest, wonach die Beratungsqualität bei den getesteten Apotheken sehr unterschied-lich ausgefallen und bei vielen noch verbesserungswürdig ist.
Für bestimmte Arzneimittel können europäische Internetapotheken eine Alternative darstellen. Eine Kostenersparnis ist hier auch bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln möglich, da ausländische Apotheken die Arzneimittelpreisverordnung nicht anwenden. Mitunter werben die europäischen Apotheken mit rechtlich umstrittenen Angeboten – eine einheitliche Regelung wäre hier notwendig.
Absolute Vorsicht ist für die Verbraucher bei Versandapotheken aus Übersee oder Fernost geboten, so Vogel. Mangelnde Seriosität der Anbieter zeigt sich durch eine aggressive Werbung vor allem für Lifestyle-Arzneimittel oder durch die Rezeptausstellung von "Cyber-Docs".
Für Verbraucher wird der Apothekenmarkt zunehmend intransparent, weshalb diese Vertriebswege besser überwacht werden müssten.
Der Frage, ob ein Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel ein Lösungsansatz wäre, stand Vogel kritisch gegenüber. Denn bei unseriösen Anbietern würde weiterhin bestellt werden, da die Vertriebswege nicht vollständig kon-trollierbar sind. Für ihn liegt ein Ausweg darin, die Verbraucher noch stärker als bisher über unseriöse Anbieter und die Gefahren bei Arzneibestellungen aus dem Ausland aufzuklären. Die Verbraucher sollten auch wissen, dass sich der Arzneimittelversand nicht für die Akutversorgung eignet, die Preisvorteile sollten nicht überschätzt werden. diz
Hier werden Strukturen zerstört
Arzneimittel sind im Bewusstsein des Verbrauchers derzeit noch keine Konsumgüter, wobei diese Einschätzung für OTC-Präparate langsam zu schwinden droht – eine Folge der geänderten Distributionsmöglichkeiten für Arzneimittel. Bislang hielt sich der Gesetzgeber an die Bindung der Verfassung, wonach er die Bevölkerung vor Risiken zu schützen hat. Deshalb gab es keine freie Gestaltung des Arzneimittelmarktes. Vielmehr zielten alle Bestimmungen darauf ab, Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten, und regelten deshalb die Qualität der Arzneimittel, die Qualifikation des Apothekers und des Gesamtrahmens. Damit sollte einem Arzneimittelfehl- und missbrauch vorgebeugt werden. Die seit 2003 bestehende gesetzliche Gleichstellung des Versandhandels mit der Abgabe der Arzneimittel aus der öffentlichen Apotheke widerspricht jedoch der Intension einer ordnungsgemäßen und bedarfsgerechten Versorgung mit Arzneimitteln. Wenn die persönliche Beratung durch den Apotheker – wie beim Versandhandel – nicht notwendig ist, kann es für den Verbraucher ebenso wenig zwingend sein, die Arzneimittel in einer Apotheke zu erwerben. Dies ist dann ohne Betreten von Apothekenräumlichkeiten denkbar und ermöglicht so die Abgabe der Arzneimittel über Postboten, Drogeriemärkten oder Tankstellen und kann, das zeigen bereits zahlreiche Gerichtsurteile, nicht mehr beanstandet werden. Damit werden Regelungen wie die Apothekenbetriebsordnung ad absurdum geführt, denn die national vorgeschriebene Bindung der Versand- an eine Präsenzapotheke allein erfüllt nicht das bislang verfolgte Gebot der Arzneimittelsicherheit. Im Gegenteil, der Gesetzgeber fördert so die weitere Trivialisierung des Arzneimittels, da durch diese Entwicklung das Verhältnis des Verbrauchers zum Arzneimittel massiv verändert wird. Die Abgabe in einer Tankstelle lässt den Verbraucher darüber hinweg sehen, dass es sich hierbei um das Ende einer streng geregelten Distributionskette handelt. Auf diese Weise verlernt er die Wahrnehmung, dass es sich um eine besondere mit Risiken behaftete Ware handelt, und er wird den Arzneimittelkonsum anderem Konsum gleichstellen. Eine Präsenzapotheke hat also in den Augen des Kunden keine Bedeutung mehr.
Gegen Gleichbehandlung von Versand- und Präsenzapotheke
Ein weiterer Aspekt ist, dass durch die Einführung des Versandhandels auch die Bedeutung des pharmazeutischen Personals in den Hintergrund gedrängt wird, denn es ist dann lediglich noch der Apotheker telefonisch im Hintergrund notwendig. Gleichzeitig wird die Arbeit in der Apotheke gewinnorientiert und rein betriebswirtschaftlich ausgerichtet und die Erfüllung der Aufgaben der Apotheke für das Gemeinwohl wie Vorratshaltung, Nachtdienst, Rezeptur, Dokumentation und Kontrolle von Grundstoffen und der Arzneimittelqualität werden vernachlässigt, gehen gar verloren. Dies alles sind Pflichten, die der Apotheker derzeit noch hat, die er aber betriebswirtschaftlich nicht kostendeckend finanziert bekommt. Die zukünftig denkbaren Arzneimittelabgabestellen werden diese Gemeinwohlpflichten wohl kaum wahrnehmen wollen. Deshalb werden Arzneimittelfälschungen, Liberalisierung des Arzneimittelwesens oder Überlegungen zur Freigabe des OTC-Handels im Augenblick von unterschiedlichen Gruppierungen thematisiert.
Tisch hält es für dringend notwendig, die Gleichbehandlung des Versandhandels mit der Präsenzapotheke wieder zurückzunehmen. Der Versandhandel muss wieder zur Ausnahmeversorgung erklärt werden, um ihn nicht juristisch als – minimale – Regelversorgung auf neue oder weitere Vertriebswege übertragen zu können. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat nun einen Anlauf unternommen, die gesetzlichen Vorgaben zum Versandhandel zumindest für die apothekenpflichtigen Arzneimittel neu zu regeln. Geschieht dies nicht, wird sich nach Meinung Tischs der Apothekenmarkt in den kommenden drei Jahren massiv verändern. Die Distribution von Arzneimitteln über Abgabestellen wird zu einer Gewinnmaximierung der Versandapotheken führen, was sich in den Verhandlungen mit den Kostenträgern niederschlagen wird, zugleich die Arzneimittelpreisverordnung gefährdet und das Ende der derzeitigen Apotheken bedeutet. Aus der heute gelebten Arzneimittelversorgung werde so binnen kürzester Zeit eine reine Arzneimitteldistribution. cs
Gegen ein Aufweichen der bisherigen Distribution
Die Zulassung des Versandhandels in Deutschland hat bereits zu einem Aufweichen des bisherigen Arzneimittelmittelvertriebs durch die Apotheke geführt. Als Beispiele nannte Schmitz den Versandhandel aus dem EG-Ausland, die DocMorris-Präsenz-apotheke in Saarbrücken, die DocMorris-Franchiseapotheken, den dm-Bestell- und Abholdienst und die Überlegungen von Rossmann, Schlecker und Rewe, ins Arzneimittelgeschäft einzusteigen.
Gerade der Versand aus dem Ausland stellt ein Einfallstor für Arzneimittelfälschungen dar. Gefahrenpotenziale ergeben sich bei der Lagerung und der Aushändigung von Arzneimitteln im Drogeriemarkt.
Bundesministerium und Europarat haben diese Gefahren sichtlich erkannt. So verabschiedete der Europarat erst am 5. September 2007 eine Resolution (siehe S. 77), in der er sich dafür ausspricht, den Arzneiversand sicherer zu machen. Die Resolution enthält Vorgaben u. a. zu
- Art und Weise der Auslieferung (Verpackung, Lieferung an richtigen Empfänger, Rückverfolgung),
- Verantwortlichkeit eines Apothekers für die Auslieferung,
- Sicherstellung angemessener Beratung und Information der Patienten,
- verpflichtende Hinweise auf Risiken,
- Ausschluss bestimmter Arzneimittel (BtM),
- notwendige Angaben bei der Werbung.
Das Bundesministerium griff diese Resolution in einer Pressemitteilung auf und warnte vor unseriösen Arzneimittelangeboten im Internet: "Alle, die über das Internet Arzneimittel bestellen wollen, sind gut beraten sicherzustellen, dass mindestens folgende Daten in der jeweiligen Internetseite aufgeführt sind:
- Name des Apothekenleiters,
- Adresse und Telefonnummer der Apotheke,
- E-Mail-Adresse."
Schmitz machte in ihrem Fazit deutlich: Der Arzneimittelversand in Deutschland hat zwar einen hohen Sicherheitsstandard, aber auf EU-Ebene gibt es keine einheitlichen Qualitäts- und Sicherheitsstandards. Der Versand ist ein Einfallstor für illegale Geschäftspraktiken (Arzneimittelfälschungen) und bisherige Distributionsgrundsätze werden aufgeweicht. Der BAH steht zum gegenwärtigen Distributionssystem, das Apothekenmonopol ist gemeinschaftsrechtskonform und unabhängig von Fremd- und Mehrbesitz. Außerdem setzt sich der BAH für die Beibehaltung der Apothekenpflicht (auch für OTC) und der Apothekenbetriebsordnung ein. Er warnt davor, OTC-Arzneimittel zu stigmatisieren oder zu bagatellisieren. diz
Nachbesserungsbedarf
Der globale Internethandel mit Arzneimitteln ist ein Faktum. Mit einzelstaatlichen Maßnahmen darauf einzuwirken, wird nach Ansicht von Dammann auch in Zukunft so gut wie unmöglich sein. Der illegale Internethandel hat sich zunehmend als Einfallstor für Arzneimittelfälschungen erwiesen: "So etwas braucht und will kein Mensch", so Dammann. Mehr Aufklärung der Menschen ist notwendig, eine stärkere Sensibilität der Menschen für dieses Thema und stärkere Einfuhrkontrollen, auch wenn dies äußerst schwierig ist.
Zum Arzneiversandhandel in Deutschland: Der Versuch der damaligen Koalition, die Freigabe des Versandhandels zu begründen, wirkte nicht sehr überzeugend. Die politische Botschaft war, dass das Interesse der Versicherten am Versandhandel im Vordergrund stehe, nicht eventuelle Einsparziele für die GKV. "Daran gemessen hat die Politik ihr Ziel verfehlt", so Dammann, denn der Versandhandel hat an den GKV-Arzneimittelausgaben bisher nur einen Anteil von 0,8%. Das Interesse der Kassen an wirtschaftlichen Kooperationen mit Versandapotheken dagegen ist größer.
Der VFA hat stets drei Kernforderungen an den Arzneiversandhandel gestellt:
- Die Arzneimittelsicherheit muss gewährleistet sein.
- Wettbewerbserzerrungen sind zu vermeiden.
- Die Versorgungssicherheit muss gegeben sein.
Außerdem müssen Präsenz- und Versandapotheken im Wettbewerb die gleichen Bedingungen vorfinden und es darf zu keiner Inländerdiskriminierung kommen. Und, wichtig auch aus VFA-Sicht: Der EU-weite Versandhandel darf das Problem des Parallelhandels nicht noch weiter verschärfen, indem nationale Preisvorschriften anderer EU-Staaten nach Deutschland importiert werden.
Dammann geht davon aus, dass der Versandhandel auch mittelfristig eher eine kleine Nische der Arzneiversorgung besetzen wird – der persönliche Kontakt des Patienten zum Apotheker scheint zu wichtig zu sein.
Problematisch bleibt der Versand von Arzneimitteln aus dem europäischen Ausland. Der Verbraucher weiß nicht, ob ausländische Apotheken die apothekenrechtlichen Vorschriften einhalten, widersprüchliche Gerichtsurteile verwirren zusätzlich. Auch der Punkt der Inländerdiskriminierung ist nicht zufriedenstellend gelöst. Dammanns Fazit: Beim Versandhandel, insbesondere aus dem Ausland, gibt es erheblichen Nachbesserungsbedarf. diz
Die Hälfte ist gefälscht
Dabei bestätigten sich die WHO-Zahlen zu Arzneimittelfälschungen, wonach in Europa, USA und Japan nur etwa ein Prozent, in Afrika, Asien, Lateinamerika und den ehemaligen GUS-Staaten zwischen zehn und dreißig Prozent und im Internet über die Hälfte aller gehandelten Präparate gefälscht sind. Die Bestellung im Internet, die mit einer über Kreditkarte abzuwickelnden Bezahlung einherging, wurde nicht in allen Fällen durch den Anbieter erfüllt. Die gelieferten Produkte – Kaunzinger präsentierte schwerpunktmäßig die Ergebnisse zu Viagra® und Propecia® – wurden lose in Plastiktüten, in Schraubdeckelgläsern, Blistern, mit und ohne Sekundärpackmittel, mit und ohne Chargenbezeichnung oder Haltbarkeitsdatum und nur teilweise mit einem Beipackzettel ausgeliefert. Die Verpackung der Waren ließ ebenfalls an Variantenreichtum keine Wünsche übrig: Zeitungspapier, dunkle Folien zum Schutz vor Durchleuchtung und anderes mehr. Aber auch die Produkte selbst boten ein breites "Qualitätsspektrum" sowohl in Hinblick auf Größe als auch auf Dosierung des deklarierten Wirkstoffes oder in der Freisetzung desselben. Alles in allem bestätigten die Ergebnisse des ZL zu den in Deutschland am häufigsten übers Internet angeforderten Präparate die WHO-Zahlen: Rund fünfzig Prozent der bestellten Produkte entsprachen nicht dem Originalpräparat. cs
Tendenziell eine Zunahme
Ziel der Studie war es, den Istzustand, zu erwartende Entwicklungen, mögliche Bedrohungspotenziale, die aktuelle Lage der Bekämpfung und die Zusammenarbeit der verschiedenen polizeilichen und zolldienstlichen Dienststellen und die Überprüfung der bestehenden gesetzlichen Regelungen zu beurteilen. Dafür wurden mittels Fragebögen an Kriminalämter, Pharmaindustrie und Verbände sowie Behörden Daten erhoben, durch Expertenbefragungen ergänzt und in einem Workshop bewertet. Insbesondere für den Dopingbereich konnte der notwendige Handlungsbedarf deutlich herausgestellt werden, so dass es zu einer aktuellen Gesetzesänderung kommt, die sowohl den Handlungsspielraum der ermittelnden Behörden als auch der Ahndung entsprechender Straftaten erweitert.
Bislang wurden alle Delikte bezüglich des Arzneimittelgesetzes statistisch nicht weiter aufgeschlüsselt. Dies soll nun differenzierter erfolgen. Dabei soll zukünftig verstärkt auch der Internetmarkt sowohl für Anabolika, unlautere Nahrungsergänzungsmittel und Arzneimittelfälschungen in die Ermittlungen einbezogen werden. Das reale Bedrohungspotenzial lasse sich aufgrund der hohen Dunkelziffern nur abschätzen, wobei tendenziell alle Experten eine Zunahme der illegalen Herstellung und des illegalen Vertriebs beobachteten. Deshalb erscheint die Einrichtung von Fachdienststellen, Fachstaatsanwaltschaften, Expertendatenbanken sowie speziellen Fortbildungen für die allgemeine Polizeiarbeit und die Entwicklung zielgruppenorientierter Handlungsanweisungen notwendig. Die bereits bestehende Vernetzung der Dienststellen und vorhandenen Strukturen wurde jedoch als ausreichend beurteilt. cs
Behörde: Neuer Regelungsbedarf
Da inzwischen eine Gefährdung der Arzneimittelsicherheit durch Fälschungen besteht und bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in den Reihen der Politiker ein erhöhter Bedarf an Beratung gesehen wird, sind das unter fachlichen Gesichtspunkten ausreichende Gründe, eine solche Gesetzesinitiative zu starten. Stollmann führte aus, dass eine sichere Arzneimittelversorgung einer Kontrolle der Abgabe, Indikation, Kontraindikation, Dosierung und Wechselwirkungen einer ergänzenden Beratung durch Arzt und Apotheker bedarf ebenso wie die Arzneimittelanwendung während Schwangerschaft und Stillzeit Dafür erscheint es sinnvoll, dass Arzt und Apotheker sich kennen, was im Falle einer Versorgung über den Versandhandel nicht gewährleistet ist. Dies alles ist aber durch die gesetzlichen Regelungen im Sinne des Verbraucherschutzes sinnvoll. Da ausländische Anbieter, wie Versandapotheken aus den Niederlanden, nicht an die Regelungen des SGB V und die Arzneimittelpreisverordnung gebunden sind, erfahren die deutschen Apotheken-Versandhändler darüber hinaus eine Inländerdiskriminierung, was ebenfalls nicht im Sinne der Politik ist, vor allem weil die Arzneimittelpreisverordnung ein Element der sozialen Gerechtigkeit in der Versorgung darstellt. cs
Europarat verabschiedet Entschließung
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