Aus Kammern und Verbänden

DPhG-Symposium

Arzneimittelinteraktionen mit Phytopharmaka

Interaktionen zwischen pflanzlichen und anderen Arzneimitteln haben in den letzten Jahren in der Fachöffentlichkeit für viel Diskussionsstoff gesorgt. Im Nachgang zur Jahrestagung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft in Erlangen veranstaltete daher die DPhG-Fachgruppe "Pharmazeutische Biologie" in Kooperation mit der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung e.V. (GA) am 12. Oktober 2007 ein Symposium zu Arzneimittelwechselwirkungen mit Phytopharmaka. Es ging um die Relevanz, Bewertung und Testung der Interaktionen sowie um die entsprechenden Regularien.

Eine Einführung in die Thematik lieferte der Moderator der Veranstaltung, Prof. Dr. Volker Schulz, Berlin. Die Diskussion über die Relevanz von Wechselwirkungen mit pflanzlichen Arzneimitteln wurde auf eine breitere Basis gestellt, als das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte am 16. Januar 2004 einen Entwurf zur "Bewertung möglicher pharmakokinetischer Arzneimittel-Interaktionen mit Phytopharmaka" vorlegte. Für die Durchführung von In-vitro-Untersuchungen schlägt das BfArM in dem Dokument folgende Methoden vor:

  • Zur Substratidentifikation und zur Inhibition des P-Glykoproteins (Pgp): Untersuchungen an Caco-2-Zellen (Zellen eines humanen Kolonadenokarzinoms) oder MDR1 (multidrug resistance)-transfizierten Zelllinien.
  • Zur Inhibition des CYP-450-Systems: Untersuchungen an humanen Lebermikrosomen. Bei positivem Befund sollen die betreffenden CYP-450-Isoenzyme identifiziert werden.
  • Zur Induktion des CYP-450-Systems: Untersuchungen an primären humanen Hepatozyten, in denen alle zellulären Stoffwechselwege zur Verfügung stehen, ferner an den Tumorzelllinien HepG2 (humane Hepatokarzinomzellen) und LS180 (humane Kolonadenokarzinomzellen).

In jedem Fall sollen Untersuchungen zur Induktion und zur Inhibition vorgelegt werden.

25% Wirkspiegel-Streuung keine Gefahr

Schulz stellte nicht nur die Relevanz der Ergebnisse aus solchen In-vitro-Untersuchungen in Frage, sondern betonte auch, dass die Aktivität des menschlichen Eliminations- und Steuerungssystems für Fremdstoffe im täglichen Leben ständigen Variationen unterliegt. Er hält Streuungen der Wirkspiegel um etwa 25% bei "alltagstauglichen" Arzneistoffen noch nicht für eine Gefahr für deren Wirksamkeit und Sicherheit. Auch hinsichtlich einer Deklaration auf den betreffenden Produkten, vor allem auch auf den involvierten Lebensmitteln, plädiert Schulz für einen zurückhaltenden Ansatz. Aus seiner Sicht sollten nur die eigentlichen Risikoträger gegebenenfalls einen Hinweis auf eine Wechselwirkung tragen, das heißt, Arzneimittel mit einer geringen therapeutischen Breite.

Induktion und Inhibition von Transportproteinen

Die Transportproteine für Arzneimittel und deren Bedeutung für Arzneimittelinteraktionen beleuchtete Prof. Dr. Martin Fromm, Universität Erlangen. Aufnahme- und Efflux-Transporter gibt es in allen Organen, die für die Verfügbarkeit von Arzneimitteln von Bedeutung sind. Ein wichtiger Efflux-Transporter ist das P-Glykoprotein (Pgp). Es begrenzt die Aufnahme von Stoffen aus dem Blut in die Hirn- und Plazentazellen und vom Dünndarm in die Enterozyten und steigert die Elimination von Arzneistoffen aus den Hepatozyten, renalen Tubuli und intestinalen Zellen in die angrenzenden Blutgefäße bzw. in das Darmlumen. Das Pgp hat eine breite Substratspezifität, viele Arzneistoffe sind Pgp-Substrate. Pgp-Induktoren senken die Bioverfügbarkeit von Pgp-Substraten, während Pgp-Inhibitoren die Bioverfügbarkeit von Pgp-Substraten erhöhen. So vermindert der Pgp-Inhibitor Chinidin die biliäre und renale Elimination von Digoxin.

Neben den Efflux-Transportern interagieren auch Aufnahme-Transporter wie OATPs (organic anion transporting polypeptides), die zum Beispiel in der luminalen Membran von Enterozyten und in der basolateralen Membran von Hepatozyten vorkommen, mit Arzneistoffen. Polymorphismen in den Genen, die die Aufnahme- und Efflux-Transporter kodieren, tragen wesentlich zur interindividuellen Variabilität der Pharmakokinetik und Wirkung von Arzneistoffen am Menschen bei.

Flavonoide: Interaktionen mit Bedacht beurteilen

Auf potenzielle Interaktionen einer der wichtigsten Gruppen pflanzlicher Sekundärstoffe, der Flavonoide, mit Arzneimitteln ging Prof. Dr. Rainer Cermak vom Veterinärphysiologisches Institut der Universität Leipzig ein. Eine Reihe von In-vitro-Studien hat bereits Auswirkungen verschiedener Flavonoide auf Monooxygenasen und andere Enzyme des Cytochrom-P450-Systems gezeigt, das für die Phase-I-Metabolisierung verantwortlich ist. Ähnliches gilt für Konjugations-Enzyme des Phase-II-Metabolismus und für Transportproteine. Trotz der vorhandenen Datenfülle warnte Cermak vor einer frühzeitigen Fehlinterpretation von Einzelbefunden. Zudem gab er zu bedenken, dass in den Studien vielfach die Aglyka eingesetzt wurden und nicht die Metaboliten. Er hält daher in vielen Fällen einen Rückschluss auf die In-vivo-Verhältnisse für nicht möglich.

Aussagekraft von In-vitro-Daten sehr begrenzt

Dr. Matthias Unger, Pharmazeutische Chemie der Universität Würzburg, der im Auftrag des BfArM vergleichende Untersuchungen zur Validität von In-vitro-Methoden zur Untersuchung des Interaktionspotenzials von Phytopharmaka durchgeführt hat, bewertete einige etablierte Methoden in diesem Bereich. Fluoreszenzassays sind nach seinen Erfahrungen grundsätzlich gut geeignet für High Throughput Screenings, allerdings liefern die intrinsische Fluoreszenz und das Quenching von Testsubstanzen auch falsch negative und falsch positive Ergebnisse. Neben der Validität der erhaltenen Ergebnisse interessiert darüber hinaus vor allem ihre Übertragbarkeit auf die In-vivo-Verhältnisse. Für Unger sind In-vitro-Daten nur dann interpretierbar, wenn der Extrakt tatsächlich der Inhibitor ist, wenn100%ige Bioverfügbarkeit gegeben ist und keine Proteinbindung sowie ein geringes Verteilungsvolumen vorliegen. Die Dosis und inhibitorische Aktivität der Extrakte allein sind seiner Meinung nach keine ausreichenden Kriterien für eine klinisch relevante Beeinflussung des Arzneistoffmetabolismus.

UAW-Berichte oft schlecht dokumentiert

Die Interaktionen von Phytopharmaka mit chemisch definierten Arzneimitteln im Spiegel der Pharmakovigilanz bewertete Dr. Hartwig Sievers, Vestenbergsgreuth. Er berichtete von den Ergebnissen einer weitreichenden Literatur-Recherche im Zeitraum 1998 bis 2007 für 80 Pflanzen hinsichtlich Verdachtsfälle auf Interaktionen und entsprechende Studien. Die "Ausbeute" in Bezug auf Humanstudien war nicht groß: Für Hypericum 42, Ginkgo 9, Mariendistel 5, Knoblauch 4, Cimicifuga 3, Menthol 2 Studien und für eine Reihe von Drogen je 1 Studie.

Hinsichtlich der publizierten Verdachtsfälle auf Interaktionen ergab sich die größte Anzahl für Hypericum (19 Fälle in der Literatur und 29 in der BfArM-UAW-Datenbank), gefolgt von Ginkgo (4 Fälle in der Literatur und 15 in der BfArM-UAW-Datenbank). Ansonsten wurden lediglich vereinzelt Meldungen gefunden.

In vielen Fällen sind laut Sievers Zweifel an der Aussagekraft der Berichte anzumelden. Zum einen sind die betroffenen pflanzlichen Produkte oft nicht ausreichend charakterisiert. (Herausgeber und Redakteure von Medien, die entsprechende Studien und Fallberichte publizieren, sollten wissen, dass nur solche Berichte als valide anzusehen sind, in denen die eingesetzten Zubereitungen ausreichend charakterisiert sind.) Zum anderen sind viele Produkte keine Arzneimittel und daher zum Teil mit Qualitätsmängeln behaftet, die für die Interaktionen verantwortlich sein können.

BfArM: Kein verstärkter Handlungsbedarf

Wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in seiner regulatorischen Praxis mit der Bewertung von Wechselwirkungen bei pflanzlichen Arzneimitteln umgeht, legte der zuständige Abteilungsleiter im BfArM, Priv.-Doz. Dr. Werner Knöss, dar.

Die grundsätzlichen Anforderungen resümierte er wie folgt: Für neue Arzneimittel sind zur Zulassung zumindest In-vitro-Untersuchungen zu Interaktionen vorzulegen. Falls sich hieraus ein Verdacht ergibt, sind klinische Studien notwendig. Untersuchungen sind auch für bekannte pflanzliche Zubereitungen erforderlich, wenn sich aus Fallberichten oder Literaturdaten Anhaltspunkte für pharmakokinetische Interaktionen ergeben. Wie die Industrie kämpft auch das BfArM neben der Datenflut mit der schlechten Qualität der Berichte über Arzneimittelrisiken bei Phytopharmaka. So hat die Behörde seit 2004 für insgesamt 180 Pflanzenspezies lediglich zwölf möglicherweise relevante Interaktionsfälle herausgefiltert. Folgende Arzneidrogen kommen nach dem derzeitigen Stand der Beurteilung aus ihrer Sicht für ein Interaktionspotenzial in Frage: Pfefferminze, Eukalyptus, Artischocke, Mariendistel, Süßholz, Brennnessel, Curcuma, Johanniskraut, Ginkgo, Knoblauch, Kamille und Colchicum. Verstärkten Handlungsbedarf sieht Knöss allerdings nicht. Er kündigte an, die Zusammenarbeit mit der Universität Würzburg auf dem Gebiet der Interaktionsforschung fortsetzen zu wollen. Außerdem hat das BfArM seinem Bekunden nach vor, eine modellhafte In-vivo-Studie durchzuführen, wobei Kamille als Test-Droge ins Auge gefasst wird.

Dr. Helga Blasius, Remagen
Das Wichtigste in Kürze
  • Der Kenntnisstand zu Wechselwirkungen, die durch pflanzliche Arzneimittel ausgelöst werden, ist immer noch sehr limitiert.
  • Vorhersagen auf der Grundlage von In-vitro-Daten sind aufgrund der Vielzahl der Einflussfaktoren schwierig.
  • In-vitro-Methoden ergeben möglicherweise falsch positive oder falsch negative Ergebnisse für pflanzliche Zubereitungen.
  • Die Frage nach der klinischen Relevanz von Befunden sollte für jeden Einzelfall gesondert beantwortet werden.
  • Akutversuche sind nicht unbedingt extrapolierbar auf die langfristige Anwendung eines Arzneimittels.
  • Die Qualität der Berichte über Arzneimittelrisiken (inklusive Interaktionen) mit Phytopharmaka muss erheblich verbessert werden.
Prof. Dr. Martin Fromm
Foto: Blasius
Priv.-Doz. Dr. Werner Knöss
Foto: Blasius
Prof. Dr. Volker Schulz
Foto: Blasius
Dr. Hartwig Sievers
Foto: Blasius
Dr. Matthias Unger
Foto: Blasius

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