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DAZ aktuell
VDPP ./. Die Grünen: Ein Briefwechsel
Sehr geehrter Herr Bütikofer,
Mit freundlichen Grüßen Dr. Thomas Schulz (VDPP)
der Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VDPP) repräsentiert fortschrittliche und linke Apothekerinnen und Apotheker, die in vielen Tätigkeitsfeldern – Apotheke, Krankenkasse, Industrie, Verwaltung, Lehre; selbständig, angestellt oder verbeamtet – ihre Profession ausüben. Einige Vereinsmitglieder sind auch Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen.
Unser Verein ist irritiert über die Kampagne gegen das Fremd- und Mehrbesitzverbot von Apotheken, die bislang im Antrag an den Bundestag (Drs. 16/025) ihren Höhepunkt fand. Nach Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes sind danach aus grüner Sicht Einsparungspotenziale von bis zu 2 Milliarden Euro gegeben. Wir sehen dieses Einsparungspotenzial nicht und bitten Sie, uns Auskunft darüber zu geben, auf welcher Grundlage diese Berechnungen erfolgten.
Aus der Begründung des Antrages lässt sich die Erwartung der Grünen herauslesen, dass Aktiengesellschaften und in der Folge multinationale Konzerne für eine vergleichbare Arzneimittelsicherheit sorgen werden, wie die bisherige Apothekenstruktur. Aus unserer Sicht ist der bisherige Stand der Arzneimittelsicherheit nicht zufrieden stellend. Wir sind uns der noch vorhandenen qualitativen Mängel in der Beratung durchaus bewusst. Wir sehen hier Verbesserungsbedarf, der allerdings nicht durch das Wirken von Kapitalgesellschaften und multinationalen Konzernen zu decken ist. Es verwundert uns, dass ausgerechnet Bündnis 90/Die Grünen in diesem Weg eine Lösung sehen.
In der Debatte zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen vertrat Birgitt Bender ein für uns nicht akzeptables Arzneimittelverständnis: Danach wäre die Arzneimittelabgabe etwa so unproblematisch wie der Verkauf von Brötchen. Die Behauptung von Bender, dass "für die Qualität der Beratung (...) die Besitzverhältnisse keine Bedeutung (haben)", ist aus der Sicht des Apothekenalltags naiv. Aus unserer Berufserfahrung heraus haben wir die Forderung nach einer von ökonomischen Zwängen befreiten Beratungstätigkeit erhoben. Ein erster Schritt in diese Richtung war die Einführung des Fixbetrages von 8,10 € für die Vergütung an die Apotheker.
Es geht eben nicht darum, dass ein angestellter Apotheker ebenso gut oder schlecht beraten kann wie ein Selbständiger. Es geht um die (ökonomische) Macht im Hintergrund.
Wir sehen in der Gleichstellung von nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln mit Brötchen und Wurst einen gefährlichen Irrweg für den Verbraucherschutz. Als Arzneimittelfachleute wissen wir, dass der jahrelange Gebrauch und Missbrauch von bestimmten freiverkäuflichen Arzneimitteln zu Gesundheitsschäden führen kann. Sollen diese Arzneimittel von nun an über Sonderangebote und aggressives Marketing verstärkt unter die Verbraucher gebracht werden?
Unser Verein würde gern diese grundsätzlichen Fragen zur Arzneimitteldistribution mit den gesundheitspolitischen Experten der Partei und Ihnen, Herr Bütikofer, diskutieren.
Sehr geehrter Herr Dr. Schulz,
Mit freundlichen Grüßen Reinhard Bütikofer
In Ihrem Schreiben kritisieren Sie unsere Aufforderung an die Bundesregierung, das Fremd- und Mehrbesitzverbot bei Apotheken aufzuheben. Ich will Ihnen erläutern, weshalb wir diese Forderung aufstellen: Wir Grünen halten mehr Wettbewerb innerhalb des Gesundheitswesens für dringend erforderlich. Und dies nicht als Selbstzweck, sondern um so die zusätzlichen Belastungen, die auf unser Gesundheitswesen und die in ihm Versicherten zukommen, überhaupt bewältigen zu können. Wettbewerb ist aus unserer Sicht der geeignete Hebel, um wichtige Wirtschaftlichkeitsreserven erschließen zu können. Und er ist das "Entdeckungsverfahren", um die Innovationen zu ermöglichen, die unser Gesundheitswesen braucht, um auch qualitativ in einer sich schnell ändernden Gesellschaft leistungsfähig zu bleiben. Die einzige Alternative dazu ist aus unserer Sicht das enge Korsett der staatlichen und verbandlichen Regulierungen, das wir doch alle bis zum Überdruss kennen.
Vor diesem Hintergrund halten wir die Strukturen des Arzneimittelhandels in Deutschland für dringend reformbedürftig. Das Mehrbesitzverbot ist auch mit der Gesundheitsreform 2004 nur in Ansätzen gelockert worden. Die Regelung, dass ein Apotheker oder eine Apothekerin neben einer Hauptapotheke bis zu drei Filialapotheken besitzen darf, hatte mehr symbolische als praktische Bedeutung. Diese kleinteiligen Strukturen auf unserem Apothekenmarkt führen aber zu erheblichen Kosten. Einkauf, Organisation und EDV sind erfahrungsgemäß in größeren Einheiten wesentlich preisgünstiger. Vor allem aber sind die gegenwärtigen Strukturen auch völlig ungeeignet, um zu einem lebhaften Wettbewerb unter den Apotheken zu kommen. Die Einzugsbereiche der einzelnen Apotheken sind viel zu klein, um untereinander in den Wettbewerb zu treten.
Für ähnlich überholt halten wir das Fremdbesitzverbot. Wir sehen keinen guten Grund dafür, dass der Betrieb einer Apotheke nur einem Apotheker erlaubt ist. Selbstverständlich muss beim Verkauf von Arzneimitteln die Qualität der Beratung gewährleistet sein. Dafür reicht es aber völlig aus, wenn in jeder Apotheke ein qualifizierter Apotheker oder eine Apothekerin beschäftigt werden muss. Für die Qualität der Beratung haben die Besitzverhältnisse keine Bedeutung.
Fachleute rechnen mit erheblichen Einsparungen durch die Aufhebung von Fremd- und Mehrbesitzverbot. So kommen Prof. Dr. Gerd Glaeske und das Wissenschaftliche Institut der AOK in einem 2003 im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums entstandenen Gutachten ("Stärkung des Wettbewerbs in der Arzneimittelversorgung") auf ein Einsparvolumen von bis zu 2 Milliarden Euro. Grundlage ihrer Berechnung ist dabei der Vergleich der Handelsspanne in Deutschland mit den Handelsspannen in den Ländern, in denen entsprechende Regulierungen nicht existieren.
Gegen die Aufhebung des Mehr- und Fremdbesitzes wird häufig eingewendet, dass Apothekenketten entstehen würden. Die könnten dann überhöhte Preise verlangen. Dieses Argument halten wir nicht für überzeugend. Beispiele aus dem Nahrungs- und Genussmittelsektor zeigen, dass die Bildung von Angebotsketten keineswegs zu steigenden Preisen führen muss. Ganz im Gegenteil. Gerade in diesen Bereichen ist in Deutschland ein sehr intensiver Preiswettbewerb zu beobachten, der sich nicht negativ auf das Angebot auswirkt. Im Übrigen muss – um die Ausnutzung von Marktmacht zu verhindern – selbstverständlich auch für diesen Bereich das Wettbewerbsrecht und die Aufsicht durch das Bundeskartellamt gelten. Das ist bisher nicht der Fall, müsste aber parallel zu einer Aufhebung von Mehrbesitz- und Fremdbesitzverbot unbedingt geschehen.
Außerdem wird vielfach behauptet, dass eine Aufhebung des Mehrbesitzverbots die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln gefährdet. Die entstehenden Apothekenketten würden sich nur die Rosinen heraussuchen. In strukturschwachen und ländlichen Regionen gebe es dann gar keine Apotheken mehr. Aber auch das ist kein gutes Argument. Auch heute sind bei der Gründung einer Apotheke wirtschaftliche Gesichtspunkte wichtig. Ein Apotheker schätzt selbstverständlich ab, was für Umsätze er an einem Standort erzielen kann, bevor er eine Apotheke aufmacht. Das ist auch der Grund, weshalb die Apothekendichte in Deutschland zwischen Stadt und Land und zwischen wohlhabenden und ärmeren Regionen sehr unterschiedlich ist. An diesem Kalkül würde sich auch auf einem freieren Apothekenmarkt nichts ändern. Aber auch weiterhin würden sich selbstverständlich Apothekerinnen außerhalb der Ballungsräume niederlassen. Denn dort wäre die Wettbewerbsintensität geringer.
Fazit: Angesichts der Anforderungen, vor denen die gesetzliche Krankenversicherung steht, halten wir es für erforderlich, dass unser Gesundheitswesen so effizient und so effektiv wie nur irgend möglich arbeitet. Wir glauben, dass hierfür seiner wettbewerblichen Weiterentwicklung hohe Bedeutung zukommt. Dieser Anspruch muss aus unserer Sicht auch für den Arzneimittelhandel gelten.
Für ein persönliches Gespräch steht Ihnen Biggi Bender, MdB, gerne zur Verfügung.
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