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Wissenswert
Chemienobelpreis 2007
Licht ins Dunkel der Katalyse
Für "Studien zu chemischen Verfahren auf festen Oberflächen" wurde Gerhard Ertl mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Der Preisträger hat in 40 Jahren die Grundlagen für ein eigenständiges Forschungsgebiet – die Oberflächenchemie – gelegt und die Prozesse heterogener Katalysen verständlich gemacht.
Chemisch aktive Oberflächen sind ein schwieriges Forschungsfeld. Ein der Luft ausgesetztes Metallblech reagiert mit Molekülen mehrerer Gase gleichzeitig; Edukte, Produkte und alle Zwischenstufen existieren nebeneinander. Ertl selbst schrieb im Jahr 1976, dass "zur vollständigen Beschreibung von Oberflächenprozessen" unter anderem folgende Informationen notwendig sind: "die qualitative und quantitative chemische Zusammensetzung der Grenzschicht (einschließlich der molekularen Art adsorbierter Spezies), die geometrische Struktur, die Energie der Bindung zwischen Adsorbent und Adsorbat, Wechselwirkungsenergien zwischen adsorbierten Teilchen, Dipolelemente von Adsorptionskomplexen, die Energieverteilung elektronischer Zustände, Schwingungen, Oberflächendiffusion sowie Kinetik von Ad- und Desorption von Oberflächenreaktionen."
Für die Oberflächenchemie typische Forschungsthemen sind z. B. das Rosten des Eisens, die Herstellung von Mineraldünger, die Konstruktion eines Katalysators oder der Abbau des Ozons an den Eiskristallen der Stratosphäre. Homogene Katalysen laufen in Lösungen ab. Um die hier gewürdigte heterogene Katalyse an festen Oberflächen zu analysieren, bedarf es aber keines Reagenzglases und keines Lösemittels. Dazu braucht man komplizierte Versuchsanordnungen mit Vakuumkammern, Elektronenmikroskopen und Spektroskopen.
Extreme Versuchsanordnung
Trifft ein Gasmolekül auf eine feste Fläche, hat es zwei Möglichkeiten. Es prallt ab, oder es wird adsorbiert. Um die Adsorption geht es in der Oberflächenchemie. Die Wechselwirkungen von Oberfläche und Molekül können so energiereich sein, dass das Molekül in kleinere Teile zerfällt. Es ist aber ebenso möglich, dass das Gasmolekül mit der Oberfläche reagiert und dessen Eigenschaften verändert. Die exakte Beobachtung solcher Prozesse steckte in den 60er-Jahren, als die wissenschaftliche Laufbahn des Gerhard Ertl begann, in den Kinderschuhen.
Anstelle der vorhandenen Katalysatoren mit unbekannter molekularer Oberfläche nutzte Ertl damals Einkristalle des Kupfers. Hier bestand die Gewähr, dass keinerlei Fremdatome vorlagen und eine genau definierte Oberfläche bzw. Atomkonfiguration als Reaktionsort gegeben war. Der apparative Aufwand war enorm. Die Analyse erforderte tiefe Temperaturen, um die Molekülbewegung zu minimieren, und musste im Ultrahochvakuum mit einem Druck von höchstens 10–8 Torr (ca. 1,3 × 10–8 mbar) durchgeführt werden, um Fremdatome zu vermeiden.
Zur Beobachtung nutzte Ertl in den 70er-Jahren ein Elektronenmikroskop, dessen erste Serienfertigung Ernst Ruska (Nobelpreis 1986) und Bodo von Borries schon 1939 in Berlin gelang, das aber noch lange nicht überall Eingang in die Forschung gefunden hatte.
Ertl gelang es, chemisorbierte Atome an metallischen Oberflächen und die durch die Adsorption ausgelöste Umordnung des Kristalls nachzuweisen. Die Chemisorption ist – nach Langmuir – im Gegensatz zur durch schwache Van-der-Waals-Kräfte hervorgerufene Physisorption, die Adsorption, die einer chemischen Bindung nahe kommt. Dabei kann es zum Zerfall der adsorbierten Moleküle kommen, deren Atome sehr reaktionsfreudig sind. Die durch Chemisorption frei werdende Wärme ist derjenigen einer chemischen Reaktion ähnlich.
Als Ertl in der 90er-Jahren ein Rastertunnelmikroskop (Gerhard Binning und Heinrich Rohrer, Nobelpreis 1986), das mehrere Bilder pro Sekunde liefern konnte, einzusetzen begann, konnte er die Adsorption des Sauerstoffs an Platin und den Zerfall von O2 in O-Atome verfolgen. Als er diesem Prozess Kohlenmonoxid (CO) zusetzte, reagierten dessen chemisorbierte Moleküle mit den O-Atomen. Es bildete sich physisorbiertes CO2 , das sich sofort vom Platin löste. Dieser Prozess läuft auch an den Platin-beschichteten Katalysatoren jedes Automobils ab.
Hydrierung von Stickstoff
Paul Sabatier war 1912 für die Hydrierung organischer Moleküle an Metallen ausgezeichnet worden, eine, wie erst viel später erkannt wurde, heterogene Katalyse. Wenige Jahre vorher hatten Fritz Haber und Carl Bosch das weltbekannte Haber-Bosch-Verfahren der Ammoniaksynthese durch Hydrierung von Stickstoff entwickelt. Der Prozess läuft unter hohem Druck bei hohen Temperaturen ab, und als Katalysatoren wurden gewöhnlich fein verteilte Eisenpartikel genutzt, denen Kaliumhydroxyd und ein wenig Aluminium und Silicium zugesetzt war. Trotz jahrzehntelanger Praxis blieb unklar, ob dabei molekularer oder atomarer Stickstoff hydriert wird.
Erst Ertl gelang in den 80er-Jahren der Nachweis, dass die Spaltung des Stickstoffmoleküls N2 an Eisenoberflächen in einzelne Stickstoffatome der entscheidende Schritt dieses Prozesses ist. Zur Aufklärung nutzte er reines Eisen in einer Vakuumkammer, in die er etwas Stickstoff pumpte. Trifft N2 auf Eisen, haftet es mit beiden Atomen daran. Die dreiwertige Bindung ist zwar sehr stark, doch hier bricht sie nach einiger Zeit auf. Die Konzentration der N-Atome auf der Eisenoberfläche maß Ertl mit Hilfe der Photoelektronenspektroskopie. Nachdem er etwas Wasserstoff in das Vakuum gepumpt hatte, nahm die Konzentration der N-Atome auf dem Eisen ab. Die Erklärung lautete, dass sie mit den H-Atomen reagiert hatten. Hätten die H-Atome mit dem molekularen Stickstoff in der Vakuumkammer reagiert, hätte sich die Konzentration der N-Atome nicht geändert.
Eine weitere Frage war, wie das Kalium als eine Art Starter und Beschleuniger der Reaktion wirkt? Ertl fand, dass die Stickstoffmoleküle in Anwesenheit von Kalium besser an die Eisenoberfläche adsorbieren und die Adsorptionsenergie deutlich ansteigt. Das geschieht, weil das Kalium Elektronen an das Eisen abgibt.
Die heutigen Katalysatoren des Haber-Bosch-Verfahrens benötigen immer noch Drücke von 300 bar und Temperaturen über 450 °C. Es ist zu hoffen, dass die Ergebnisse von Ertls Forschung eines Tages zu weniger energieintensiven Katalysatoren führen werden.
Dr. Uwe Schulte Händelstraße 10, 71640 Ludwigsburg schulte.uwe@t-online.deTab. 1: Nobelpreise für Oberflächenchemiker und Katalyseforscher | ||
Jahr |
Name, Geburtsort, Forschungsland |
Gewürdigte Leistungen |
1912 |
Paul Sabatier, Carcassonne, F |
Katalytische Hydrierung; gesättigte Kohlenwasserstoffe durch Wasserstoffaddition |
1918 |
Fritz Haber, Breslau, D |
Ammoniaksynthese, großtechnische Umsetzung zusammen mit Carl Bosch in Ludwigshafen-Oppau, 1913 |
1932 |
Irvin Langmuir, Brooklyn, USA |
Untersuchung der Adsorption (Physisorption und Chemisorption); Langmuirs Adsorptionsisotherme |
1956 |
Cyril Hinshelwood, London, GB
Nikolaj Semjonow, Saratow, Sowjetunion
|
Erforschung der Mechanismen chemischer Reaktionen; Beschreibung und Typologisierung verzweigter Kettenreaktionen; thermische Explosionen |
1986 |
Dudley Herschbach, San Jose, USA
Yuan Lee, Hsinchu (Taiwan), USA
John Polanyi, Berlin, USA
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Erforschung der Dynamik chemischer Elementarprozesse; Entwicklung der Molekularstrahltechnik zur Erzeugung bis dahin unbekannter Moleküle (z. B. HIF); theoretische Grundlage für chemische Laser |
2001 |
Karl Sharpless, Philadelphia, USA
William Knowles, Taunton, USA
Ryoji Noyori, Kobe, Japan
|
Homogene Katalyse; Stereoselektive Oxidation; chiral katalysierende Hydrierungsreaktionen; selektive Chiralität; Sharpless-Epoxidierung |
2005 |
Yves Chauvin, Menen (Flandern), F
Robert Grupps, Kentucky, USA
Richard Schrock, Berne, USA
|
Homogene Katalyse, Olefinmetathese; Entwicklung neuer Katalysatoren mit hoher Aktivität, Stabilität und Toleranz gegenüber polaren funktionellen Gruppen |
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