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Arzneitherapie von Kindern soll sicherer werden

Die Arzneimittelversorgung der Kinder in Europa steht vor einem Umbruch: Mit Inkrafttreten der neuen EU-Verordnung am 26. Januar 2007 zur Zulassung von Medikamenten für den pädiatrischen Gebrauch werden Fertigarzneimittel Einzug in die Offizin halten, die extra für den Gebrauch für Kinder gekennzeichnet sind. Speziell für Kinder zugelassene Präparate werden so auf den ersten Blick erkennbar sein und eine nie dagewesene Beachtung erfahren [1,2].

Diese Entwicklung ist lange überfällig, denn ein Mangel an für die Pädiatrie entwickelten Arzneimitteln lässt Kinder nur eingeschränkt an den Fortschritten in der Erwachsenentherapie teilhaben und macht sie so zu "therapeutischen Waisen". Die Besonderheiten der kindlichen Physiologie begründen letztendlich die Weichenstellungen in der Gesetzgebung. Ein wichtiges Thema in der kindlichen Arzneimitteltherapie ist der nicht bestimmungsgemäße Gebrauch von Arzneimitteln, der Off-label-Gebrauch. Dieser weist aktuell auf Anwendungsgebiete hin, die vordringlich nach den Vorstellungen der European Agency for the Evaluation of Medicinal Products (EMEA) in der EU bearbeitet werden sollen.

Die Pharmakotherapie von Kindern ist nicht so modern, gut untersucht, vielfältig und sicher wie die von Erwachsenen; es mangelt an Arzneimitteln, die explizit für die Therapie von Minderjährigen erprobt und zugelassen wurden. Das folgende Fallbeispiel eines herzkranken Kindes, das seine Medikamente in der öffentlichen Apotheke erhält, soll veranschaulichen, in welcher Form diese Problematik dem Offizinapotheker unter Umständen begegnet. Und auch wenn Arzneimittel für Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht zu den am häufigsten eingesetzten Arzneimitteln in der Pädiatrie zählen, haben sie doch eine besondere Bedeutung für den nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch von Arzneimitteln bei Kindern, wie in den späteren Abschnitten dieses Artikels erkennbar werden wird.

... bis zu neun Einzeldosen

Ein siebenjähriger Junge hat infolge eines angeborenen Herzfehlers eine Herzinsuffizienz entwickelt und wird nach Einstellung in der Klinik nun ambulant versorgt. Die leitlinienkonforme Therapie [3] umfasst vier Medikamente: einen ACE-Hemmer, einen Betarezeptorenblocker, ein Diuretikum sowie ein Herzglykosid. Im Grunde entspricht dies der gleichen Medikation, die auch ein herzinsuffizienter Erwachsener üblicherweise erhält; doch ergeben sich, wie Tabelle 1 zeigt, bei der praktischen Umsetzung wesentliche Unterschiede. Denn während ein Erwachsener die geforderte Vierermedikation meist mit der Einnahme von nur vier Tabletten oder Kapseln erreicht, muss ein Kind wie in diesem Fallbeispiel bis zu neun Einzeldosen einnehmen. Für das Kind und seine Eltern ergibt sich damit ein Zwang zur Einhaltung eines regelrechten Stundenplans von Einnahmen, den man älteren Patienten nach Möglichkeit nicht zumutet. Die Folgen sind eine Verminderung sowohl der Compliance als auch der Lebensqualität.

Kein kindgerechter Betablocker

Für die beschriebenen Unterschiede in der Einnahme gibt es verschiedene Ursachen. So wird Metoprolol bei Erwachsenen meist retardiert gegeben, wodurch nur eine Gabe pro Tag nötig ist. Dies ist bei Kindern nicht möglich, denn es gibt keine Retardtabletten in geeigneter Dosierung [9]. Da kein einziger Betarezeptorenblocker eine offizielle Zulassung für Minderjährige besitzt, ist auch keine kindgerechte Arzneiform verfügbar.

ACE-Hemmer: Nur Captopril hat Zulassung

Bei Ramipril handelt es sich um einen Arzneistoff, der aufgrund seiner langen Halbwertszeit nur einmal täglich eingenommen wird. Im Gegensatz dazu wird Captopril schneller eliminiert und daher zwei- bis dreimal täglich gegeben [5]. Trotzdem findet Captopril Einsatz in der Pädiatrie, da es als einziger ACE-Hemmer eine Zulassung für minderjährige Patienten besitzt. Kindern steht somit keine zugelassene Alternative zu Captopril zur Verfügung. Für die Therapiegestaltung von Erwachsenen dagegen finden sich in der Roten Liste® dreizehn verschiedene ACE-Inhibitoren, die sich bei identischem Wirkungsmechanismus nur durch ihre kinetischen Eigenschaften unterscheiden, sowie eine noch größere Zahl an Kombinationspräparaten. Aus der Stoffklasse der AT1 -Antagonisten, die bei Unverträglichkeit der ACE-Hemmer alternativ eingesetzt werden, ist kein einziges Präparat für Patienten unter 18 Jahren zugelassen [9].

Diuretika: Hydrochlorothiazid nicht zugelassen

Ähnlich verhält es sich bei den Diuretika: Während Hydrochlorothiazid, das nicht für Kinder zugelassen ist, wegen seiner langen Halbwertszeit und noch längeren Wirkdauer nur einmal am Tag eingenommen werden muss, sind bei dem sehr kurz wirksamen Furosemid, das eine solche Zulassung besitzt, zwei Gaben nötig [7]. Die Dosierung von Digoxin schließlich wird mit Hilfe von Plasmaspiegelbestimmungen individuell eingestellt.

Bedarf an Kinderzulassungen ...

Aufgrund des Fehlens geeigneter Arzneimittel müssen damit bei drei von vier Medikamenten, die das Kind in diesem Fallbeispiel erhält, Kompromisse eingegangen werden. Dieser Mangel an adäquaten Therapiemöglichkeiten bildet dabei nicht etwa eine Ausnahme, die nur bei im Kindesalter seltenen Erkrankungen eine Rolle spielt, sondern zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche Therapiegebiete.

... sogar bei Infektionskrankheiten

Bemerkenswerterweise betrifft er sogar die Behandlung von Infektionskrankheiten – das klassische Gebiet der Kindertherapie schlechthin. Hier ergeben sich Probleme unter anderem dadurch, dass selbst Arzneimittel, die seit langem auf dem Markt sind, nicht für die unteren Altersstufen eingesetzt werden können. So sind die Antibiotika Clarithromycin, Roxithromycin und Loracarbef auch etwa zehn Jahre nach ihrer Einführung noch immer nicht für das erste Lebenshalbjahr zugelassen [10]. Hieraus folgt eine wesentliche Einschränkung des Therapiespektrums für Kinder unter sechs Monaten. Das Oralcephalosporin Loracarbef gilt laut offizieller Empfehlung der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie als eines der Mittel erster Wahl zur Behandlung von akuter Otitis media und Sinusitis in der Pädiatrie [10]. Makrolid-Antibiotika wirken gegen die wichtigsten Erreger von Atemwegsinfektionen, die zu den häufigsten Infektionen bei Kindern zählen, und sind daher ein wichtiger Bestandteil des Repertoires. Trotzdem ist die Möglichkeit einer optimalen Auswahl zwischen mehreren verschiedenen Makroliden nur für ältere Patienten selbstverständlicher Bestandteil der Therapie.

Sind bei Fällen wie dem eingangs geschilderten Beispiel "nur" eine geringere Compliance und möglicherweise eine schlechtere Verträglichkeit die Folge der eingeschränkten Medikamentenauswahl, spielt bei den Antiinfektiva zusätzlich die Problematik der Resistenzbildung eine Rolle. Die Situation verschlechtert sich hier kontinuierlich und überregional; so stieg beispielsweise die Resistenzrate von E.coli-Bakterien gegenüber Ampicillin von rund 40% im Jahr 1998 auf rund 50% in 2001 [11]. Da im Falle einer Infektion mit multiresistenten Erregern jede zusätzliche Therapieoption von lebensrettender Bedeutung sein kann, stellt das Fehlen einer Zulassung für oben genannte Arzneistoffe eine ethisch bedenkliche Gefährdung dar.

Ursachen der Unterversorgung

Die Gründe für die beschriebene Unterversorgung von Kindern mit Arzneimitteln liegen sowohl in ökonomischen als auch in ethischen Überlegungen: Zum einen ist das potenzielle Patientenkollektiv der Kinder deutlich kleiner als das der Erwachsenen. Im Jahr 2003 waren gerade einmal 15% aller Bundesbürger jünger als 15 Jahre; der Anteil der Verschreibungen, die von Kinderärzten ausgestellt wurden, betrug nur etwa 5% [12] (Abb. 1). Auch ist meist eine Unterteilung der nicht volljährigen Patienten in mehrere Altersklassen notwendig, für die jeweils getrennte Untersuchungen durchgeführt werden müssen. Zudem ist die Prävalenz von Erkrankungen, bei denen Medikamente wie die im Beispiel genannten Herz-Kreislauf-Medikamente indiziert sind, in älteren Patientengruppen ungleich höher. Speziell für Kinder zugelassene Arzneimittel versprechen damit deutlich weniger Gewinn als solche für Erwachsene. Zum anderen erschweren ein ausgeprägtes Risikobewusstsein und strikte Reglementierungen die Durchführung von Studien an pädiatrischen Patienten. Sie sind insbesondere Konsequenzen aus der Beobachtung schwerer Missbildungsfälle, die im Zusammenhang mit dem Medikament Thalidomid (Contergan®) aufgetreten waren. Bedingt durch die Einnahme des Schlafmittels während der Schwangerschaft wurden von 1958 bis 1961 etwa 10.000 Kinder mit schweren Fehlbildungen an Armen und Beinen zur Welt gebracht. Das daraus gewonnene Wissen um die unabschätzbaren Risiken scheinbar harmloser Medikamente macht verständlich, dass klinische Studien bevorzugt an gesunden, meist männlichen Patienten mittleren Alters, nicht jedoch an Schwangeren und Kindern durchgeführt werden. Auf diese Weise erfährt der sich entwickelnde kindliche Organismus primär besonderen Schutz, wird aber gleichzeitig von der wissenschaftlichen Erfassung und Untersuchung ausgeschlossen. Im zweiten Schritt führt die Sorge um die besonders Schutzbedürftigen zu deren systematischer Gefährdung.

Fatale Dosisfindung mit Rechenmodellen: Das Beispiel Chloramphenicol

Lange Zeit ist versucht worden, allein über lineare Extrapolationen aus für Erwachsene verwendeten Schemata die für Kinder korrekten Dosierungen zu bestimmen. Ein schon als historisch zu bezeichnendes Beispiel für die Unzulänglichkeit dieser Methoden ist das durch das Antibiotikum Chloramphenicol – dies gehört heute nicht mehr zur Standardtherapie – verursachte Grau-Syndrom, das im Jahr 1959 bei Neugeborenen beobachtet wurde [13,14]. Dieses vielfach tödlich verlaufende Krankheitsbild ist durch bleiche ("graue") Hautfarbe, aufgetriebenen Leib und Herz-Kreislauf-Kollaps charakterisiert. Die betroffenen Säuglinge hatten eine Chloramphenicoldosis erhalten, die körpergewichtsadaptiert aus der Erwachsenentherapie auf den kindlichen Körper extrapoliert worden war. Der resultierende Plasmaspiegel entsprach dem Sechsfachen der für Neugeborene toxischen Konzentration. In späteren Untersuchungen [15] konnte gezeigt werden, dass die Säuglinge aufgrund physiologischer Unreife nicht in der Lage gewesen waren, die verabreichten Chloramphenicoldosen in ausreichendem Maße zu metabolisieren. Durch ungenügende Glukuronidierung hatte der Großteil des Antibiotikums nicht ausgeschieden werden können; dies hatte zur Akkumulation geführt.

Dieser extreme Fall einer mehrfachen Überdosierung macht deutlich, welche fatalen Folgen die pädiatrische Dosisberechnung ausschließlich von Daten der Erwachsenentherapie ausgehend haben kann. Zahlreiche weitere Beispiele zeigen, dass eine Berechnung allein auf der Grundlage von Körpergewicht und Körperoberfläche risikobehaftet ist [16]. Wachstum ist kein linearer Prozess, und die Mechanismen der am Stoffwechsel und an der Arzneimittelwirkung beteiligten Organ- und Enzymsysteme sind hochkomplex. Die Effekte altersabhängiger physiologischer Besonderheiten des kindlichen Organismus sind somit nicht einfach aus Erwachsenendaten extrapolierbar (Abb. 2). Obwohl sich hieraus tiefgreifende Konsequenzen sowohl für die Pharmakokinetik als auch für die Pharmakodynamik ergeben, werden sich die folgenden Darstellungen, um den Rahmen nicht zu sprengen, auf pharmakokinetische Zusammenhänge beschränken. Hier soll auf die wichtigsten Besonderheiten in der Absorption, der Verteilung, dem Abbau und der Elimination von Arzneistoffen bei Kindern eingegangen werden.

Absorptionsveränderungen mit Auswirkungen auf die Bioverfügbarkeit

Die Bioverfügbarkeit von bei Kindern applizierten Arzneistoffen weist einige Besonderheiten auf, die sich vor allem auf entwicklungsabhängige spezielle Eigenschaften der Hauptabsorptionsoberflächen Gastrointestinaltrakt, Haut und Lunge zurückführen lassen. Mit Werten über vier liegt der pH-Wert im Magen von Neugeborenen, bedingt durch eine geringere Magensäureproduktion auf der einen und eine ebenfalls verringerte Gesamtsekretion auf der anderen Seite, deutlich über dem von Erwachsenen [16]. Durch Beeinflussung der Ionisation oder der Stabilität von Substanzen kann dadurch die zur Absorption bereitstehende Arzneistoffmenge verändert werden.

So haben säureinstabile Substanzen wie Penicillin G bei Neugeborenen eine höhere Bioverfügbarkeit als bei älteren Säuglingen; schwache Säuren wie Phenobarbital dagegen erfordern unter Umständen höhere Dosierungen, damit therapeutische Plasmaspiegel erreicht werden (Abb. 3). Obwohl bekannt ist, dass sich die Magenpassagezeiten in der ersten Lebenswoche verkürzen und sich die Darmmotilität im frühen Säuglingsalter steigert, sind die Konsequenzen für die Absorption bisher kaum systematisch untersucht worden. Eine relativ zu älteren Kindern verlängerte Zeit bis zum Erreichen des maximalen Plasmaspiegels ist bei Neugeborenen jedenfalls beobachtet worden; weiterhin gibt es Hinweise darauf, dass die aktiven und passiven Transportmechanismen erst mit vier Monaten ausgereift sind [16].

Wie an Untersuchungen der Harnsekretion von Digoxin-Metaboliten gezeigt werden konnte [16], durchläuft auch die Darmflora im Säuglingsalter eine Entwicklung. Herzwirksame Glykoside gehören, wie eingangs beschrieben, nach wie vor zur Standardtherapie bei Herzinsuffizienz [3] und werden auf Kinder- und Frühgeborenenstationen häufig eingesetzt. Da diese Pharmaka einem enterohepatischen Kreislauf unterliegen und ihre therapeutische Breite bekanntermaßen sehr gering ist, haben Veränderungen der Mikroflora Relevanz für die Sicherheit der Therapie.

Bei der Gabe topisch applizierter Substanzen wie zum Beispiel Corticosteroiden, Antihistaminika oder Antiseptika muss beachtet werden, dass die Aufnahme von Stoffen über die Haut bei Kindern generell erhöht ist, also grundsätzlich die Gefahr von Überdosierungen besteht [16]. So ist während der gesamten Kindheit die perkutane Absorption relativ zu Erwachsenen höher, was sich auf eine Verstärkung einerseits der kutanen Perfusion, andererseits der Hydratation der Epidermis zurückführen lässt. Bei Frühgeborenen ist die Absorption noch mehr gesteigert, Grund ist hier vermutlich das extrem dünne Stratum Corneum. Dazu kommt, dass die relative systemische Exposition gegenüber topischen Arzneiformen insgesamt höher liegt, da das Verhältnis von Körperoberfläche zu Körpermasse bei Säuglingen und Kleinkindern deutlich größer ist als bei Erwachsenen [16].

Entwicklungsabhängige Besonderheiten in der Lungenarchitektur und der ventilatorischen Kapazität verändern die Deposition und damit die systemische Absorption inhalativ verabreichter Arzneistoffe [16]. Dessen ungeachtet konzentrieren sich die meisten aktuellen Studien auf technologische Aspekte der Arzneiformen statt auf das altersabhängige Ausmaß der pulmonalen Absorption. Die Therapieverbesserung, die sich aus der kontinuierlichen Neuentwicklung und Optimierung von Inhalatoren ergibt, bleibt dabei meist Erwachsenen oder zumindest älteren Kindern vorbehalten.

Verteilung wird durch Grad der Hydrophilie bestimmt

Die Verteilung von Arzneistoffen wird bei Neugeborenen und jüngeren Säuglingen durch eine insgesamt erhöhte Hydrophilie des Körpers charakterisiert: Sowohl das Volumen an Extrazellulärwasser als auch das an Gesamtkörperwasser sind im Vergleich mit Erwachsenen erhöht, gleiches gilt für den Wasseranteil der Fettspeicher. Bei einer körpergewichtsbasierten Arzneistoffdosierung führt dies zu erniedrigten Plasmaspiegeln hydrophiler Substanzen [16].

Der Grad der Hydrophilie eines Stoffes bestimmt neben der Verteilung in den verschiedenen Kompartimenten des Körpers auch die Wechselwirkung mit Plasmaproteinen. So enthält das Blut Neugeborener und junger Säuglinge weniger Albumin; dies führt zu erhöhten Konzentrationen von Substanzen mit hoher Eiweißbindung. Fetales Albumin zeigt eine reduzierte Bindungsaffinität für schwache Säuren. Hierdurch, sowie durch eine erhöhte Konzentration an endogenen Substanzen wie beispielsweise Bilirubin oder freien Fettsäuren, die mit Arzneistoffen um Bindungsstellen an Plasmaeiweißen konkurrieren können, wird die Plasmakonzentration dieser Pharmaka weiter erhöht [16].

Metabolisierungsrate ändert sich mit dem Reifungsprozess der Leber

Mit dem Reifegrad der Leber verändert sich auch die Aktivität der Leberenzyme und über diese die Metabolisierung und Ausscheidung vieler Arzneistoffe. Diese Entwicklungen können von den einzelnen Enzymen zeitlich stark versetzt durchlaufen werden, was zu einer großen Komplexität der Reifungsvorgänge führt [16]. Besonders deutlich wird diese Vielfalt des Stoffwechsels an der entwicklungsabhängigen Aktivität der arzneistoffabbauenden Cytochrom P450-Enzyme (CYP 450). Das Isoenzym Cytochrom P450 3A7 (CYP3A7) kommt vorwiegend in der Leber des Fötus vor, doch fällt seine Aktivität kurz nach der Geburt steil ab und erreicht binnen weniger Tage Werte unterhalb der Nachweisgrenze. Im Gegensatz dazu werden die Isoenzyme CYP 2E1, 2D6, 2C9 und 2C19 innerhalb der ersten Stunden nach der Geburt aktiviert. Bei CYP 1A2 dauert es bis zu drei Monate, bis die volle Aktivität erreicht ist (Abb. 4).

Diese Entwicklung der Enzyme spiegelt sich unmittelbar in der Ausscheidungsgeschwindigkeit von Arzneistoffen wider. Die Clearance, also das Plasmavolumen, das pro Zeiteinheit von der betreffenden Substanz befreit wird, stellt damit einen stark entwicklungsabhängigen Parameter dar. So ist die Plasmaclearance von intravenös appliziertem Midazolam, einem kurzwirksamen Benzodiazepin, das im Rahmen der Prämedikation von Operationen eingesetzt wird, primär eine Funktion der hepatischen CYP 3A4- und CYP 3A5-Aktivität. Sie erhöht sich während der ersten drei Lebensmonate von 1,2 auf 9 ml pro Minute pro kg Körpergewicht.

Ein weiteres Beispiel bilden die Enzyme CYP 2C9 und CYP 2C19, die für die Biotransformation des Antiepileptikums Phenytoin verantwortlich sind. Die Halbwertzeit von Phenytoin ist bei Frühgeborenen um den Faktor zehn höher als bei Neugeborenen. Beträgt sie beim Frühgeborenen noch etwa 75 Stunden, vermindert sie sich auf etwa 20 Stunden im reifen Neugeborenen und sinkt dann während der ersten Lebenswoche auf etwa acht Stunden ab. Die maximale Geschwindigkeit der die CYP 2C9-Aktivität widerspiegelnden Phenytoinmetabolisierung vermindert sich von durchschnittlich 14 mg pro Tag pro kg Körpergewicht bei Säuglingen auf bis zu 8 mg pro Tag bei jungen Erwachsenen. Diese bedeutsamen Unterschiede müssen sich für eine erfolgreiche Therapie in den täglichen Dosierungsregimen widerspiegeln [16].

Auch Carvedilol, ein Betarezeptorenblocker mit vasodilatierenden Eigenschaften, wird über verschiedene CYP-Enzyme verstoffwechselt [17]. Er wird bei Kindern zur Behandlung von Herzinsuffizienz eingesetzt, wie sie infolge angeborener Herzfehler auftreten kann (s. einführendes Fallbeispiel). Das Wissen um eine bei Säuglingen gegenüber Erwachsenen höhere Clearance hat dabei große praktische Relevanz für die Therapie, da hier nur Erfolge erzielt werden können, wenn eine ausreichend hohe Dosierung gewählt wird [18].

Elimination über die Nieren – Entwicklung bestimmt Filtrationsrate

Die Nierenfunktion übt einen wesentlichen Einfluss auf Arzneistoffe mit vorwiegend renaler Ausscheidung aus. Deshalb ist es von großer Bedeutung, dass es sich bei der Reifung der Nieren um einen dynamischen Prozess handelt, der mit der Geburt nicht abgeschlossen ist, sondern von da an noch mehrere Monate andauert. Die Nephrogenese selbst erstreckt sich von der neunten bis zur 36. Gestationswoche; nach der Geburt verändert sich insbesondere der renale Blutfluss. Die Filtrationsrate erhöht sich in den ersten zwei Wochen sehr schnell und steigt bis zum Lebensalter von acht bis zwölf Monaten stetig an. In ähnlicher Weise ist auch die tubuläre Sekretion unmittelbar nach der Geburt noch unreif und entwickelt sich innerhalb des ersten Lebensjahres vollständig. Auch diese entwicklungsabhängigen Parameter nehmen zwangsläufig großen Einfluss auf die Clearance eines Arzneistoffes.

Die Auswirkungen der Korrelation von renaler Filtrationsrate und Clearance zeigt sich in dem besonderen Dosierungsschema des Aminoglykosids Tobramycin für Frühgeburten: Während das Antibiotikum bei Neugeborenen täglich appliziert wird, darf die Gabe bei Frühgeborenen nur alle zwei Tage erfolgen, da es ansonsten durch die altersbedingt beschränkte renale Elimination zu Überdosierungen kommt. Durch die geringe therapeutische Breite und die vergleichsweise hohe Toxizität der Aminoglykosidantibiotika besteht die Gefahr irreversibler Nierenschäden und Hörverluste.

Ein weiteres Beispiel stellt Sotalol dar, der als Betarezeptorenblocker und Klasse-III-Antiarrhythmikum zur Therapie supraventrikulärer Herzrhythmusstörungen bei Kindern eingesetzt wird [19]. Bei Säuglingen gilt die Pharmakotherapie als Therapie erster Wahl, da hier Katheterablationen aufgrund der kleinen anatomischen Strukturen nicht sicher durchführbar sind. Auch Sotalol wird vorwiegend über die Nieren ausgeschieden, und zwar von Neugeborenen aufgrund der unreifen Nierenleistung langsamer als von Erwachsenen. Bei körpergewichtsbezogener Dosierung linear zur der von Erwachsenen entstehen bei Säuglingen etwa dreifach höhere Plasmakonzentrationen [20]. Wird die Dosierung bei Neugeborenen daher nicht entsprechend niedriger gewählt, kann als unerwünschte Wirkung eine übermäßige Verlängerung der QT-Zeit im Oberflächen-Elektrokardiogramm auftreten und es besteht ein erhöhtes Risiko für lebensbedrohliche Torsade-de-pointes-Arrhythmien [19, 21].

Fünf Altersklassen: Kinder sind ein gemischtes Patientenkollektiv

Die hier dargestellten Besonderheiten der Aufnahme, Verteilung, Verstoffwechslung und Ausscheidung von Arzneistoffen bei Kindern zeigen, wie wichtig es ist, klinische Studien nicht nur für Erwachsene durchzuführen. Dabei ist eine Zweiteilung des Patientenkollektives in Volljährige und Nichtvolljährige bei Weitem nicht ausreichend; so werden gemäß der Einteilung der International Conference on Harmonisation (ICH) fünf verschiedene Altersklassen unterschieden, um den verschiedenen Entwicklungsstadien gerecht zu werden (Tab. 2). Denn Prozesse wie die oben genannten Metabolisierungen verlaufen weder linear noch korrelieren sie untereinander; zusätzlich unterliegen sie starken interindividuellen Schwankungen. Bei jüngeren Kindern überlagern sich diese Effekte am stärksten. Mit anderen Worten: Je kleiner das Kind, desto schlechter die Datenlage und desto schwieriger und risikoreicher die Therapie.

Off-label-use ist die Regel und nicht die Ausnahme …

So sind selbst solche Arzneimittel, die eine Zulassung "für Kinder" besitzen, bei näherem Hinsehen oft nur für Patienten ab dem Kleinkind- oder gar Grundschulalter geeignet. Für Säuglinge, noch stärker für Neugeborene und in besonderem Ausmaß für Frühgeborene bleibt meist nur der sogenannte Off-label-use, das heißt der Einsatz ohne Zulassung. Während er bei von Kinderärzten ambulant verschriebenen Arzneimitteln rund 13% ausmacht [22], liegt der Anteil im stationären Bereich bei zwei Dritteln [23]. Auf Neugeborenen-Intensivstationen erhalten etwa 90% der Babys eine für ihre Therapie nicht zugelassene Medikation [24] (Tab. 3).

… zum Beispiel bei akuter Mittelohrentzündung

Aber auch wenn der Off-label-use im ambulanten Bereich mit 13% sehr gering erscheint, behindert und verunsichert er bei einfachen und alltäglichen Erkrankungen die schnelle und effektive Therapie. Ein Beispiel dafür stellt die oben schon einmal erwähnte akute Mittelohrentzündung dar. Die Paul-Ehrlich-Gesellschaft empfiehlt: Die akute Mittelohrentzündung besitzt zwar eine hohe Selbstheilungsrate. Dennoch sollten Kinder in den ersten zwei Jahren immer antibiotisch behandelt werden [10]. Empfohlene Mittel der Wahl sind entweder Aminopenicilline kombiniert mit Betalaktamaseinhibitoren, oder Cefuroximaxetil, Loracarbef oder auch Cefpodoximproxetil. Soll ein Neugeborenes nun wegen einer Mittelohrentzündung therapiert werden, ist nur die Aminopenicillinkombination für diese Altersgruppe zugelassen und nur für diese Substanzgruppe liegt eine Dosierungsempfehlung im Neugeborenenalter vor. Cefuroximaxetil soll ab drei Monaten, Loracarbef ab sechs Monaten und Cefpodoximproxetil gar erst ab zwölf Jahren eingesetzt werden. Dieses Beispiel illustriert das eingeschränkte Therapieangebot für Kinder. Bei Penicillinunverträglichkeit oder Resistenz wird der Arzt in den Off-label-Gebrauch hineingedrängt. Es obliegt ihm dann, meist auf Grundlage mehr oder weniger spärlicher Erfahrungswerte das richtige Dosierungsschema für die anderen nicht für diese Altersgruppe zugelassenen Antibiotika zu finden. Dies bedeutet eine dramatische Erhöhung zum einen der Gefahr von Intoxikationen durch Überdosierung, zum anderen der Gefahr von wirkungslos verlaufenden Behandlungen im subtherapeutischen Bereich, durch welche unter Umständen kostbare Therapiezeit verloren geht, oder, wie im oben genannten Beispiel der Antibiotika, auch das Risiko der Resistenzentwicklung erhöht wird.

Die Erfahrungen, die der therapierende Arzt im Off-label-use sammelt, verbleiben meist bei ihm oder der entsprechenden Krankenhausstation und können somit weder zentral gesammelt noch systematisch ausgewertet werden. Auf diese Weise können vorhandene Wissensbruchstücke nicht zusammengefügt und zum Nutzen anderer Patienten veröffentlicht werden. Es kommt dazu, dass an verschiedenen Orten die gleichen Ansätze immer wieder "neu ausprobiert" werden – mit allen genannten potenziellen Gefahren.

Die neuen gesetzlichen Bedingungen

Die Sensibilität für diese Problematik hat in den letzten Jahren in Fachkreisen und Öffentlichkeit stark zugenommen. Dem haben die beiden führenden Arzneimittelzulassungsbehörden, zuerst die Food and Drug Administration (FDA) der USA und dann die European Agency for the Evaluation of Medicinal Products (EMEA) Rechnung getragen, indem sie einen Richtungswechsel in der Gesetzgebung eingeschlagen haben. Dieser führt die Arzneimitteltherapie für Kinder aus der oben skizzierten Grauzone des Off-label-use, indem Anreize geschaffen werden, Arzneimittelstudien im Kindesalter im Rahmen der Gesetzgebung durchzuführen. So können durch die Neuerungen seit Inkrafttreten der 12. Novelle des Arzneimittelgesetzes Studien an pädiatrischen Patienten erstmals auch dann durchgeführt werden, wenn kein direkter Nutzen für den individuellen Patienten, wohl aber für das Patientenkollektiv erwartet wird [26].

Keine Zulassung ohne pädiatrische Studien

Die eingangs vorgestellte Verordnung der Europäischen Kommission ist seit dem 26. Januar 2007 in Kraft. Übergeordnetes Ziel ist es, die Gesundheit der Kinder in Europa zu verbessern, indem Erforschung, Entwicklung und Zulassung von Arzneimitteln zur Verwendung bei Kindern intensiviert werden. Sie macht die Vorlage von Daten aus pädiatrischen Studien zur Zulassungsvoraussetzung [1].

Besondere finanzielle Anreize

Die wichtigsten Eckpunkte der neuen europäischen Verordnung sind nachfolgend benannt. Bei Präparaten, die aufgrund ihrer langen Entwicklungszeit eine Verlängerung des Patentschutzes erhalten haben, kann dieses Schutzzertifikat als Ausgleich für den Mehraufwand der pädiatrischen Untersuchungen um weitere sechs Monate verlängert werden. Der besondere finanzielle Reiz besteht darin, dass eine solche Verlängerung nicht nur für die neue, sondern für alle Indikationen des betreffenden Arzneimittels gilt und auch gewährt wird, falls die Zulassungserweiterung aufgrund negativer Studienergebnisse nicht zustande kommt. Im Fall der Generika fällt die Erteilung einer neuen Kinderzulassung unter die Regelung der Genehmigung für den pädiatrischen Gebrauch. Hier verhindert ein zehnjähriger "Unterlagenschutz", dass Mitbewerber die Studienergebnisse verwenden und eine identische Zulassung beantragen können. Bei Wirkstoffen gegen extrem seltene Erkrankungen, sogenannten "Orphan drugs", ist sogar eine Marktexklusivität von zwölf Jahren möglich [1,2].

Ausnahmen vorgesehen

Da nicht alle für Erwachsene entwickelten Arzneimittel für Kinder geeignet sind, sollen Firmen davon freigestellt werden können, unnötige Kinderstudien durchzuführen. Ein Pädiatrieausschuss wird die Beurteilung und Billigung von pädiatrischen Prüfkonzepten und Anträgen für Freistellungen und Zurückstellungen vornehmen. Sponsoren, die Kinderarzneimittel entwickeln, können durch die europäische Arzneimittelzulassungsbehörde EMEA eine gebührenfreie wissenschaftliche Beratung erhalten. Weiterhin soll zur Finanzierung von qualitativ hochwertiger und ethisch vertretbarer Forschung von Arzneimitteltherapie bei Kindern ein pädiatrisches Studienprogramm aufgelegt werden.

Vorbild USA – sprunghafter Anstieg von Kinderstudien

Wie erfolgversprechend dieses Konzept tatsächlich ist, zeigen Erfahrungen aus den USA. Mit dem Food and Drug Administration Modernization Act wurde dort 1997 ein Gesetz verabschiedet, das gemeinsam mit dem Best Pharmaceuticals for Children Act aus dem Jahr 2002 ein Belohnungssystem für die Durchführung spezieller pädiatrischer Untersuchungen festlegt. Die Folge war ein sprunghafter Anstieg der Zahl an Kinderstudien: Während in den sieben Jahren vor der Gesetzesänderung nur elf solcher Studien durchgeführt worden waren, erhöhte sich die Zahl in den darauffolgenden Jahren auf über 250. Interessanterweise führten die Untersuchungen in etwa 40% der Fälle zu einer Verweigerung der Zulassung [25]. Lag dies in einem Teil der Fälle an einem Mangel an aussagekräftigen Daten, so zeigte der Teil, der mit ausreichenden Daten unterfüttert war, dass die Unterschiede der Arzneimittelwirkungen zwischen Kindern und Erwachsenen noch um einiges größer waren als erwartet. So konnte für einige Präparate, obwohl sie zum Teil seit langer Zeit "off-label" eingesetzt wurden, die Wirksamkeit für bestimmte Altersgruppen nicht nachgewiesen werden, oder es überwog der Anteil unerwünschter Arzneimittelwirkungen. Für andere Präparate wurde belegt, dass je nach Alter unter Umständen enorme Abweichungen von der körpergewichtsadaptierten Dosierung nötig sind [25].

Ein Beispiel, in dem die Durchführung einer solchen Studie in den USA zur Rücknahme einer bestehenden Zulassung führte, bildet Betamethason. Es wurden mehrere Formulierungen zur topischen Anwendung für unterschiedliche Indikationen untersucht. Je nach Präparat entwickelten 23 bis 73% aller pädiatrischen Patienten eine Nebennierenrindenatrophie, weshalb die Zulassung für Kinder unter zwölf Jahren nicht erteilt bzw. sogar eine bestehende Zulassung eingeschränkt wurde und nun nur noch die Anwendung bei Erwachsenen umfasst [25]. Wie oben beschrieben, ist die perkutane Absorption während der Kindheit relativ erhöht, so dass ein besonderes Risiko unerwünschter Wirkungen durch unerwartet hohe Exposition besteht.

Aktuelle Anwendungsgebiete und Arzneistoffgruppen im Off-label-use

Eine Übersicht über aktuelle Anwendungsgebiete von Arzneistoffgruppen im Off-label-use kann man sich verschaffen, wenn man Arzneiverordnungsanalysen in der Zielpopulation durchführt. Dies verschafft dann gleichzeitig auch eine Übersicht, inwiefern für bestimmte Arzneistoffgruppen ein dringender Handlungsbedarf vor Ort besteht. Kürzlich führten wir daher eine Arzneiverordnungsanalyse in der Kinderklinik der Universität Düsseldorf durch. Wir wählten eine Kinderstation mit einem breiten Indikations- und Arzneimittelspektrum und dokumentierten und analysierten über einen Zeitraum von sechs Monaten täglich alle Patienten hinsichtlich ihrer Indikation und ihrer Arzneimittelverordnungen. Nicht bestimmungsgemäß war der Gebrauch, wenn ein Arzneistoff nicht entsprechend den Spezifikationen der Fachinformation eingesetzt worden war. Das Patientenkollektiv setzte sich aus 353 Patienten mit einem Anteil von 10% Neugeborenen, 34% Säuglingen, 33% Kindern, 17% Jugendlichen und 6% Erwachsenen zusammen. Das Verordnungsspektrum umfasste 191 verschiedene Arzneistoffe, die nach dem Anatomisch-therapeutisch-chemischen Klassifikationssystem (ATC-System) eingeteilt wurden. Die Indikationen wurden nach der International Classification of Diseases (ICD-10), ein von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenes Manual aller anerkannter Krankheiten und Diagnosen, klassifiziert.

Die wichtigsten Krankheitsbilder des Patientenkollektivs sind in Abbildung 5 aufgeführt. Am häufigsten waren Infektionskrankheiten mit 46% gefolgt von Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems mit 15%. Dieser Häufigkeitsverteilung entsprechen auch die verordneten Arzneistoffe. An Position 1 befinden sich die Antiinfektiva mit 26% gefolgt von kardiovaskulären und antithrombotischen Arzneimitteln mit 12% (Abb. 6). Ebenfalls ist in Abbildung 6 auch der prozentuale Anteil der Off-label-Verordnungen der jeweiligen Arzneistoffklassen aufgeführt. Hierbei ergibt sich allerdings eine andere Reihenfolge: Obwohl nur 12% der Verordnungen auf kardiovaskulär-antithrombotische Arzneimittel entfallen, sind 56% der Verordnungen außerhalb ihres bestimmungsgemäßen Einsatzes. Antiinfektiva nehmen hinsichtlich des Off-label-Gebrauchs Position zwei ein. Die Beobachtung, dass insbesondere der Off-label-Anteil von kardiovaskulären Pharmaka im Verhältnis zu ihrer Verordnungshäufigkeit in der Pädiatrie sehr hoch ist, machten auch schon Bücheler et al. [28]. Bei ihnen betrug der Off-label-Anteil 55,2% der Arzneimittel für das kardiovaskuläre System.

Dringlichkeitsliste der EMEA

Die EMEA hat kürzlich eine Prioritätenliste herausgegeben [29, Auszüge in Tab. 4], in der, sortiert nach Anwendungsgebieten und basierend auf festgestellten häufigen Off-label-Anwendungen, notwendige Forschungsschwerpunkte im pädiatrischen Bereich genannt werden, für die qualitativ hochwertige und ethisch vertretbare pädiatrische Studien durchgeführt werden sollen. Denkbar ist, dass basierend auf dieser Liste entsprechende Ausschreibungen in zukünftigen europäischen Finanzierungsmodellen wie auch in den Forschungsrahmenprogrammen gemacht werden. Die Vorstellung ist sicherlich, dadurch kinderpharmakologische Untersuchungszentren zu unterstützen, die durch einen professionell gestalteten Aufbau hinsichtlich ihrer personellen Ausstattung und Logistik die Voraussetzungen besitzen, klinische Studien bei Kindern auch entsprechend den internationalen Ethik- und Rechtsrichtlinien und Gesetze durchführen zu können. Insbesondere im Bereich der Generika-Untersuchungen sollen pharmakologische Untersuchungen bei Kindern unterstützt oder gar spezifische Zulassungen für Kinder unterschiedlicher Altersgruppen in die Wege geleitet werden.

Großer Nachholbedarf in der pädiatrischen Kardiologie

In dieser Liste fallen ebenfalls die aus der Erwachsenentherapie gut bekannten Standardindikationsgebiete und Arzneistoffgruppen im kardiovaskulären Bereich auf, die in der Pädiatrie Off-label eingesetzt werden. Dazu gehören Arzneistoffgruppen wie Betarezeptorenblocker, ACE-Inhibitoren und Diuretika. Das bedeutet, dass insbesondere in der pädiatrischen Kardiologie ein großer Nachholbedarf für eine evidenzbasierte Pharmakotherapie besteht.

Parallel zu dieser Entwicklung im Bereich der gesetzlichen Neuerungen sind in den letzten Jahren in den klinisch-pharmakologischen Forschungsgebieten neue Techniken wie pharmakokinetisch-pharmakodynamisches Modelling, Populationspharmakokinetik und klinische Studiensimulation entwickelt worden. Diese Techniken eröffnen die Möglichkeit, den Informationsgewinn einer klinischen Studie zu steigern. Sie tragen, neben den traditionellen Konzepten der Arzneimittelentwicklung, dazu bei, schneller effektivere und sicherere Arzneimitteltherapien zu entwickeln.

Ausblick

Vor diesem Hintergrund der modernen Studienkonzepte und der veränderten Gesetzeslage wird es zukünftig verstärkte Bemühungen um Zulassungen für Kinder geben. Der dazu nötige Bewusstseinswandel auf diesem Gebiet hat bereits stattgefunden, und mit Hilfe der finanziellen Anreize, die die neue EU-Verordnung festlegt, wird es in absehbarer Zeit eine deutliche Verbesserung der bis jetzt rückständigen Arzneimittelversorgung von Kindern geben. Klinische Studien in der Pädiatrie werden dabei auf dem Weg zu dem Ziel, die moderne Pharmakotherapie auch für Kinder verfügbar zu machen, weiter an Bedeutung gewinnen.

Literatur

Zusammengestellt und ergänzt nach Vorträgen für die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft sowie einem früher publizierten Artikel zum Thema: Frobel A.K., Läer S.: Besonderheiten der Pharmakotherapie bei Kindern. Apothekenmagazin 24, 168-175 (2006).

[1] Europäische Kommission, "Original Proposal COM(2004) 599", http://europa.eu.int/eur-lex/lex/LexUriServ/site/de/com/2004/com2004_0599de01.pdf.

[2] Europäische Kommission, "Modified Proposal COM(2005) 577”, http://europa.eu.int/eur-lex/lex/LexUriServ/site/de/com/2005/com2005_0577de01.pdf.

[3] Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie: "Chronische Herzinsuffizienz im Kindesalter", AWMF-Leitlinien-Register 023/006 (2005).

[4] Hoppe, U. C., Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, "Leitlinien zur Therapie der chronischen Herzinsuffizienz" (2004).

[5] Fachinformation Captopril STADA, Dezember 2004.

[6] Buchhorn R., Hulpke-Wette M., Hilgers R., Bartmus D., Wessel A. und Bursch J., "Propranolol treatment of congestive heart failure in infants with congenital heart disease: The CHF-PRO-INFANT Trial. Congestive heart failure in infants treated with propanol.”, International Journal of Cardiology 79 (2001), 167-173.

[7] Fachinformation Lasix® Liquidum, März 2005.

[8] Fachinformation Lenoxin® Liquidum, September 2005.

[9] Rote Liste ®, Editio Cantor Verlag für Medizin und Naturwissenschaften GmbH (2005), Aulendorf.

[10] Scholz H. und Vogel F., "Rationaler Einsatz oraler Antibiotika bei Kindern und Jugendlichen, Empfehlungen einer Expertenkommission der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e.V.", Chemotherapie Journal 11 (2002), 59-70.

[11] Scholz H., "Parenterale Antibiotika bei Kindern und Jugendlichen, Empfehlungen einer Expertenkommission der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e.V.", Chemotherapie Journal 13 (2004), 115-133.

[12] Bundesministerium für Gesundheit, "Statistisches Taschenbuch, Gesundheit 2005", Referat Öffentlichkeitsarbeit, 11055 Berlin (2005), 20, 85.

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[26] Bundesgesetzblatt I, "12. Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 30. Juli 2004", BGBl I, 2031.

[27] Hsien L. "Untersuchungen über die Arzneimittelverordnung von Kindern im Krankenhaus." Masterarbeit, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Düsseldorf 2006.

[28] Bücheler R., Meisner C., Kalchthaler B., Mohr H., Schroder H., Morike K., Schwoerer P., Schwab M., Gleiter CH. "Off-label prescribing of drugs in the ambulatory care of children and adolescents." Deutsche Medizinische Wochenschrift 2002; 127: 2551-2557.

[29] Prioritätenliste der EMEA für Off-label angewandte Arzneistoffe in der EU (12/ 2006) http://www.emea.europa.eu/htms/human/peg/pegoffpatentprioritylist.htm

Korrespondenz

Prof. Dr. med. Stephanie Läer

Klinische Pharmazie und Pharmakotherapie

Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Universitätsstraße 1

40225 Düsseldorf

Tel. 0211 81 13664

Fax 0211 81 10741

E-Mail: stephanie.laeer@uni-duesseldorf.de

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