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Onkologie
Innovationen in der Krebstherapie
Krebserkrankungen bei Kindern unterscheiden sich in mehrerer Hinsicht grundlegend von Tumoren im Erwachsenenalter: Sie sind selten, schreiten unbehandelt sehr schnell fort und sprechen gut auf Chemotherapien an. Ein weiterer Unterschied besteht in der Art der Tumoren. Wie Prof. Dr. Dr. Günter Henze, Berlin, erläuterte, überwiegen im Kindesalter Leukämien und maligne Lymphome, gefolgt von ZNS-Tumoren und Sarkomen des Bindegewebes und Knochens, wohingegen Karzinome außerordentlich selten sind. Die häufigste Krebserkrankung ist die akute lymphoblastische Leukämie (ALL), an der überwiegend Kinder im Alter von einem bis sechs Jahren erkranken. Bei älteren Kindern treten vermehrt Lymphome und Knochentumoren auf.
Therapieprinzipien
Über 90% aller krebskranken Kinder werden im Rahmen von Therapieoptimierungsstudien nach einheitlichen Vorgaben behandelt, um interdisziplinäre, multimodale Therapieansätze weiterzuentwickeln. Aufgrund der Seltenheit der Erkrankungen haben sich kinderonkologische Teams auf einzelne Tumorentitäten spezialisiert. Die Therapie besteht meist aus einer intensiven Polychemotherapie und bei Bedarf aus chirurgischen und strahlentherapeutischen Interventionen. Durch neoadjuvante Chemotherapien kann der Tumor soweit verkleinert werden, dass eine schonende Operation ohne Amputation möglich ist. Fast alle malignen Tumoren und hämatologischen Systemerkrankungen im Kindesalter sprechen auf eine zytostatische Therapie an.
Hohe Heilungsraten, Spätfolgen unbekannt
Heute werden etwa drei von vier krebskranken Kindern geheilt, was auf intensive Chemotherapien, verbesserte Supportivmaßnahmen und erweiterte diagnostische Möglichkeiten zurückzuführen ist. Die Überlebenschancen für Kinder mit einer ALL betragen rund 85%, bei malignen Lymphomen 90% und bei soliden Tumoren 60 bis 70%. In Deutschland leben heute über 25.000 Jugendliche oder Erwachsene, die im Kindesalter von einer Krebserkrankung geheilt wurden. Die Spätfolgen der intensiven Therapien sind noch nicht vollständig bekannt. Vor allem nach Strahlen- und Stammzelltherapien besteht das Risiko einer Sekundärneoplasie, das bei 5 bis 10% liegt. Weitere mögliche Spätfolgen sind Wachstumsstörungen, Infertilität, hormonelle Störungen und Leistungsschwäche.
Behandlung des Lungenkarzinoms
Im Gegensatz zu anderen häufigen Tumoren im Erwachsenenalter hat das Lungenkarzinom nach wie vor eine äußerst schlechte Prognose. Könnten maligne Veränderungen an der Lunge frühzeitig erkannt werden, wäre mit ähnlichen Überlebensraten wie beim nicht metastasierenden Mammakarzinom oder Darmkrebs zu rechnen, so Prof. Dr. Martin Wolf, Kassel. Allerdings fehlt im Gegensatz zu anderen Tumoren eine gute Frühdiagnostik. Mögliche Verfahren (Röntgen oder besser CT) müssten verfeinert werden, da sie sonst zu einer hohen Überdiagnose führen. Das heißt, es werden sehr viele Auffälligkeiten gefunden, die sich im späteren Verlauf als harmlos erweisen, aber dennoch diagnostisch abgeklärt werden müssen, was wiederum mit großem Aufwand und hohen Kosten verbunden ist.
Stadienadaptierte Therapie
Tumoren in einem frühen Stadium (Stadium I oder II) werden chirurgisch entfernt und eventuell verbleibende Krebszellen mithilfe einer adjuvanten Chemotherapie zerstört. Ist der Tumor sehr klein, genügt unter Umständen seine chirurgische Entfernung. Im Stadium II ist die adjuvante Chemotherapie mit Cisplatin Standard. Dabei ist Folgendes zu beachten: Wenn eine hohe Expression des ERCC1-Gens besteht, können die Krebszellen die durch Cisplatin ausgelösten zytotoxischen Effekte reparieren, und für den Patienten überwiegen die unerwünschten Wirkungen des Zytostatikums. Bei fehlender Expression von ERCC1 ist der Nutzen einer Cisplatin-haltigen Therapie für den Patienten relativ groß.
Wird der Tumor im Stadium IIIa entdeckt und sind bereits Lymphknoten befallen, kommen chirurgische, neoadjuvante, adjuvante und radiotherapeutische Maßnahmen in Betracht. Welchem Vorgehen der Vorzug gegeben wird, hängt von individuellen Parametern ab, normalerweise wird mit zunehmender Zahl befallener Lymphknoten die Chemotherapie bevorzugt eingesetzt.
Lungenkrebs in einem weit fortgeschrittenen Stadium (Stadium IIIb/IV) wird chemotherapeutisch behandelt. Die Standardsubstanz ist Cisplatin, das auch durch das etwas besser verträgliche, aber geringfügig schwächer wirksame Carboplatin ersetzt werden kann. Auch hier richtet sich die Auswahl der zytotoxischen Substanzen nach dem Allgemeinzustand des Patienten.
Neue Medikamente
Neu in der Therapie des Lungenkarzinoms sind Biologicals. Die Tyrosinkinase-Inhibitoren Erlotinib (Tarceva®) und Gefitinib (Iressa®) werden in der Second-line-Therapie eingesetzt (siehe unten: "Targeted Therapy"). Erste, euphorische Erwartungen haben sich nicht erfüllt, allerdings zeigen Subgruppen-Analysen, dass bestimmte Individuen von einer Therapie profitieren. So hat Erlotinib bei Nichtrauchern einen erheblichen Benefit, bei Rauchern hingegen nicht. Ein weiteres Biological, das bei einer bestimmten Subpopulation bevorzugt wirkt, ist der Angiogenesehemmer Bevacizumab (Avastin®). Von einer Therapie profitieren vor allem Männer. Mit einer Zulassung von Bevacizumab zur Therapie des Bronchialkarzinoms ist noch in diesem Jahr zu rechnen.
Weißer Hautkrebs: Prognose günstig
Die Inzidenz des weißen und schwarzen Hautkrebses ist in den vergangenen Dekaden deutlich angestiegen, was unter anderem auf ein geändertes Freizeitverhalten und eine vermehrte Sonnenexposition zurückzuführen ist, so PD Dr. Barbara Hermes, Berlin.
Der Begriff weißer Hautkrebs fasst Tumoren zusammen, die sich aus Epidermiszellen entwickeln, zu ihnen gehören Basaliome und Plattenepithelkarzinome. Basaliome wachsen langsam und metastasieren nicht in innere Organe, sie können aber unbehandelt zu Ulzerationen und Destruktionen der Haut führen. Bei der aktinischen Keratose handelt es sich um ein Carcinoma in situ, das sich in 10% aller Fälle zu einem Plattenepithelkarzinom weiterentwickelt. Letzteres wird auch als Spinaliom bezeichnet und tritt meist im höheren Alter auf. Betroffen sind lichtexponierte Stellen im Gesicht, vor allem die Glatze. Das Entstehen eines weißen Hautkrebses wird durch genetische Faktoren, UV-Licht, Röntgenstrahlen, Immunsuppression, chronische Wunden und chemische Noxen wie etwa Teer oder Arsen begünstigt. Die Therapie richtet sich nach Lage und Größe des Tumors und umfasst seine chirurgische Entfernung, Bestrahlungen, Vereisung, photodynamische Therapien und die topische Anwendung von Immunmodulatoren. In 90% der Fälle wird eine Heilung erreicht.
Keine Therapiefortschritte beim Melanom
Pro Jahr erkranken in Deutschland 15.000 bis 20.000 Menschen an einem malignen Melanom (schwarzer Hautkrebs), bei 20% von ihnen verläuft die Erkrankung tödlich. Bei einer Metastasierung des Melanoms beträgt die mittlere Überlebenszeit nur noch acht bis zehn Monate, nach fünf Jahren leben nur noch 2% der Erkrankten. Auch bei der Entstehung des Melanoms spielt UV-Licht eine Rolle, vor allem erhöhen Sonnenbrände in der Kindheit das Krebsrisiko. Weitere Risikofaktoren sind zahlreiche Pigmentnaevi.
Der Tumor wird nach Möglichkeit chirurgisch entfernt. Zur adjuvanten Therapie wird Interferon eingesetzt. Ist der Tumor bereits metastasiert, kann eine palliative Chemotherapie durchgeführt werden. Die Ansprechraten liegen bei 10 bis 13%. Trotz unterschiedlicher Therapieansätze ist in den letzten 25 Jahren kein wesentlicher Fortschritt erzielt worden, und die Chancen auf einen Therapiedurchbruch sind derzeit gering. Umso wichtiger ist eine sinnvolle Prävention, das heißt, ein Vermeiden intensiver und langer Sonnenexposition. Letzteres gilt vor allem für Kinder. Erwachsene sollten zudem regelmäßig die Haut auf Veränderungen überprüfen.
Strahlentherapie beim Mammakarzinom
Nach einer brusterhaltenden Operation muss in jedem Fall bestrahlt werden. Die Gesamtdosis beträgt 50 Gy, aufgeteilt auf Einzeldosen von 1,8 bis 2,0 Gy über einen Zeitraum von fünf bis sechs Wochen ohne Unterbrechung. So kann die lokale Rezidivrate von 30 bis 40% auf unter 10% gesenkt und die Gesamtüberlebensrate erhöht werden. Laut Prof. Dr. Wolfgang Wagner, Osnabrück, muss der Zeitpunkt der Bestrahlung diskutiert werden, denn die weit verbreitete Meinung, die Bestrahlung erst sechs Monate nach der Operation durchzuführen, ist nicht wissenschaftlich untermauert. Jüngste Untersuchungen zeigen, dass eine Radiotherapie innerhalb von acht Wochen nach dem chirurgischen Eingriff wirksamer ist als eine Radiotherapie nach acht Wochen. Ebenfalls nicht zutreffend ist die Ansicht, ältere Frauen müssten nicht bestrahlt werden, denn auch sie profitieren von einer Radiotherapie. Auch beim DCIS (s. Kasten) ist nach brusterhaltender Behandlung eine Strahlentherapie durchzuführen, die die Rate der Rezidive, auch von invasiven Karzinomen, um mindestens 50% senkt.
Bestrahlungen führen zu Hautveränderungen, die sich allerdings nach acht Wochen bis spätestens drei Monaten zurückbilden. Lymphödeme treten in weniger als 7%, Entzündungen der Lunge in weniger als 5% der Fälle auf. Die Rate der Zweitmalignome wird nach zehn Jahren mit 0,2% angegeben.
Bestrahlte Haut darf, sofern sie nicht geschädigt ist, mit einem milden Reinigungsmittel gewaschen werden, sofern die Markierungen dadurch nicht entfernt werden.
Neues bei der Radiotherapie
Die intensitätsmodulierte Radiotherapie (IMRT) schont Herz und Lunge; sie wird allerdings bislang nur an wenigen Kliniken durchgeführt. Vielversprechend sind intraoperative Radiotherapien (IORT), die mittels schneller Elektronen, konventioneller Röntgenstrahlen oder durch eine Brachytherapie durchgeführt werden können. Letztere ist eine verkürzte Radiotherapie kurz nach der Operation. Für alle diese Verfahren außer der IMRT liegen noch zu wenige Daten vor, um sie abschließend beurteilen zu können.
Hyperthermie – eine obsolete Methode
Die Hyperthermie spielt zur Behandlung von Tumorerkrankungen nur deshalb noch eine Rolle, weil die Patienten sie nachfragen, so die Einschätzung von Prof. Dr. Günther Wiedemann, Ravensburg. Für die Anwendung der Methode gebe es keine überzeugenden Argumente.
Durch Körpererwärmung allein kann das Tumorwachstum nicht begrenzt werden. Im Gegenteil, die maximale tolerierbare Erwärmung auf 41,8 °C kann das Tumorwachstum sogar anregen und ist daher zu unterlassen. In Tierexperimenten konnte zwar die Wirksamkeit von Cyclophosphamid durch Körpererwärmung gesteigert und eine Temperatur-Wirksamkeits-Beziehung hergeleitet werden. Die daraufhin seit 1979 (teilweise auch von Wiedemann) durchgeführten Untersuchungen an Menschen, verliefen jedoch überwiegend negativ, weshalb ihre Publikation in vielen Fällen abgelehnt wurde.
Bei den verschiedensten Anwendungen der Hyperthermie zusammen mit vielen verschiedenen Zytostatika wurden keine Heilungen und bestenfalls geringe Verlangsamungen des Tumorwachstums festgestellt. Zudem wird diese Methode durch die verminderte Herzleistung der meist älteren Patienten begrenzt. Außerdem treten bei Diabetikern regelmäßig Verbrennungen der Haut auf. Absolut kontraindiziert sei die Hyperthermie bei ZNS-Tumoren und (wegen der Hautschädigung) nach einer Radiotherapie. Angesichts moderner zielgerichteter Therapieverfahren sei die Zeit der Hyperthermiebehandlung vorbei. Sie gehört auch nicht zum Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung.
Targeted Therapy mit Tyrosinkinasehemmern
Mit zunehmendem Verständnis der Tumorbiologie wächst auch die Zahl potenzieller Targets und neuer Therapeutika. Diese greifen hemmend oder stimulierend in einen bestimmten Zellprozess ein, um dadurch das unkontrollierte Zellwachstum zu unterbinden. Zu diesen zielgerichteten Therapeutika gehören (höhermolekulare) monoklonale Antikörper und niedermolekulare Verbindungen (small molecules). Jürgen Barth, Essen, erläuterte in einem Workshop Wirkprinzip und Einsatzmöglichkeiten einiger niedermolekularer Tyrosinkinase-Inhibitoren ("Tinibe").
Rezeptor-Tyrosinkinasen sind an die Zellmembran gebundene Rezeptoren. Sie bestehen aus einem extrazellulären Teil, der z. B. durch Wachstumsfaktoren aktiviert werden kann, und aus einem intrazellulären Teil, der eigentlichen Tyrosinkinase. Kinasen sind Enzyme, die Phosphatgruppen reversibel übertragen. Diese Phosphorylierung setzt zelluläre Prozesse in Gang. Eine unphysiologische Daueraktivierung der Kinasen schlägt sich unter anderem in einem unkontrollierten Zellwachstum nieder. Außerdem verhindert die Überaktivitat der Kinasen die Apoptose der Tumorzellen. Man unterscheidet zwei Gruppen von Rezeptor-Tyrosinkinasen:
- Tyrosinkinasen (humaner) epidermaler Wachstumsfaktor-Rezeptoren (EGF-R = ErbB-1 und HER2 = Neu = ErbB2),
- Tyrosinkinasen anderer Rezeptoren: VEGF-R (vascular endothelial growth factor receptor), PDGF-R (platelet-derived growth factor receptor), FGF-R (fibroblast growth factor receptor), FLT-3 (fetal liver tyrosine kinase-3), SCF (stem cell factor)- oder c-Kit-Rezeptor.
Verschiedene Blockademöglichkeiten
Die Aktivität einer Tyrosinkinase kann auf mehreren Wegen gehemmt werden:
- extrazellulär durch ein Abfangen stimulierender Substanzen oder das Besetzen des Rezeptors sowie
- intrazellulär durch eine Blockade der Kinase.
Dabei kann ein Wirkstoff spezifisch nur eine bestimmte Kinase oder unspezifisch mehrere Kinasen hemmen.
EGF-R-Tyrosinkinasen werden intrazellulär durch Gefitinib (Iressa®), Erlotinib (Tarceva®) und Lapatinib (Tykerb®) blockiert. Gefitinib ist in den USA und Japan zur Therapie des nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinoms (NSCLC) zugelassen, Erlotinib ist in Deutschland zur Zweit- und Drittlinien-Therapie des NSCLC zugelassen. Neu ist der duale Inhibitor der ErbB1- und ErbB2-Tyrosinkinase Lapatinib, der im Rahmen von Studien beim inflammatorischen und Trastuzumab-resistenten Mammakarzinom eingesetzt wird.
Außer den EGF-R-Tyrosinkinasen können beispielsweise die Tyrosinkinasen von VEGF-R, PDGF-R, FLT-3 und c-Kit-Rezeptor intrazellulär gehemmt werden. Sunitinib (Sutent®) hemmt diese vier Tyrosinkinasen gleichzeitig; es wird beim metastasierenden Nierenzellkarzinom eingesetzt. Imatinib hemmt unter anderem die Tyrosinkinasen von PDGF-R und c-Kit-Rezeptor sowie die Bcr-Abl-Tyrosinkinase, die nicht in der Zellmembran, sondern an den Aktinfilamenten im Zytosol lokalisiert ist. Imatinib wird seit einigen Jahren bei gastrointestinalen Stromatumoren (GIST) und der chronisch myeloischen Leukämie (CML) eingesetzt. Das im Dezember 2006 zur Behandlung der CML eingeführte Dasatinib (Sprycel®) ist ein spezifischer Bcr-Abl-Tyrosinkinasehemmer (siehe DAZ Nr. 2 Seite 34). Lestaurtinib (CEP-701) blockiert spezifisch FLT-3 und besitzt den Orphan-Drug-Status zur Behandlung der akuten myeloischen Leukämie.
Bessere Prognose mit besseren Markern
Der individuelle Verlauf von Tumorerkrankungen kann mangels geeigneter Marker nicht vorhergesagt werden, was viele Therapieentscheidungen stark erschwert. Am Beispiel des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) machte Prof. Dr. Dorothee Dartsch, Hamburg, die große interindividuelle Variabilität bei der Entwicklung von Tumorerkrankungen deutlich. Während beim NSCLC im Stadium I und II unklar ist, wer von einer Chemotherapie profitiert, fällt bei den weiter fortgeschrittenen Stadien die große Schwankungsbreite der Überlebensdauer auf; dafür sind insbesondere die vielfältigen Mutationen und Polymorphismen der in die Apoptose involvierten Gene wie p53 und Bcl2 verantwortlich. Angesichts der Komplexität von Krebserkrankungen erscheinen Genexpressionsanalysen, die eine Vielzahl von Genen umfassen, aussichtsreicher für die Suche nach Markern als die Betrachtung einzelner Größen. Andererseits wird gefordert, Marker anhand ihrer relevanten Funktion für den Krankheitsverlauf auszuwählen. Diese beiden Konzepte sollten hoffentlich zu verbinden sein.
Eine weitere bedeutende Ursache für interindividuelle Unterschiede und zugleich eine Quelle für potenzielle Marker bilden die unterschiedlichen Reaktionen der DNA-Reparaturmechanismen auf Schädigungen durch Zytostatika, wobei verschiedene Marker jeweils für einzelne Schritte der DNA-Reparatur stehen. Nach der eigentlichen DNA-Reparatur sollten die nicht erfolgreich wiederhergestellten Zellen durch Apoptose zerstört werden, doch kann auch dieser Mechanismus gestört sein. Damit kann sowohl die DNA-Reparatur als auch die fehlgeschlagene Apoptose bewirken, dass Tumorzellen trotz der Schädigung durch Zytostatika weiterleben. Einige Enzyme der DNA-Reparatur können bereits als prädiktive Marker dienen oder sogar praktische Hilfestellungen für die Therapiewahl geben. So ist bei hoher Expression von BRCA1 die Überlebenszeit unter Gemcitabin und Cisplatin geringer, und auch eine hohe Expression von ERCC1 verschlechtert die Erfolge einiger Zytostatikaregime. Für die Mehrzahl der Patienten ist eine Therapieoptimierung anhand aussagekräftiger Marker bisher aber nur Wunschdenken.
Systemische Mykosen
Bei Patienten mit hämatologischen Erkrankungen und nach Stammzelltransplantationen treten zunehmend invasive systemische Mykosen auf, die oft tödlich verlaufen. Die zur Verfügung stehenden therapeutischen Möglichkeiten sind unbefriedigend, und Veränderungen im Erregerspektrum und Resistenzentwicklungen stellen Diagnose und Behandlung vor neue Herausforderungen, so Prof. Dr. Helmut Ostermann, München.
Da Pilzinfektionen infolge einer Steroid- und Immuntherapie häufig spät erkannt werden und zudem die zugrunde liegenden Erreger nicht innerhalb kurzer Zeit zu identifizieren sind, werden Antimykotika oft empirisch oder präemptiv (klinische Zeichen plus Bildgebung oder Antigennachweis) eingesetzt. Eine andere Möglichkeit besteht in der präventiven Gabe von Antimykotika. Ostermann stellte hierzu zwei neue Studien vor.
Prophylaxe mit Posconazol
Zwei im Januar dieses Jahres veröffentlichte Studien mit jeweils rund 600 Patienten gehen der Frage nach, ob immungeschwächte onkologische Patienten vor einer Aspergillus -Infektion geschützt werden können (s. Kasten). In der einen Studie erhielten Leukämiepatienten mit einer Neutropenie Posaconazol (Noxafil®) oder Fluconazol (Diflucan®) bzw. Itraconazol (Sempera®). In der anderen Studie wurden Posaconazol und Fluconazol bei Patienten nach einer allogenen Knochenmarktransplantation mit Graft versus Host Disease (Abstoßungsreaktion, deshalb massive Unterdrückung des Immunsystems) miteinander verglichen. In beiden Studien zeigte sich ein deutlicher Benefit für Posaconazol. Angesichts hoher Mortalitätsraten von immungeschwächten Patienten mit systemischen Mykosen dürfte eine effiziente Prävention in Zukunft eine wichtige Rolle spielen.
Ist Haarfärben gefährlich?
Auch Produkte des täglichen Lebens können bei sachgemäßer Anwendung das Risiko für Krebserkrankungen erhöhen. PD Dr. Thomas Schulz, Berlin, führte als Beispiel hierfür Haarfärbemittel auf, die seit der Publikation einer US-Studie im Verdacht stehen, das Krebsrisiko zu erhöhen. In der 2001 publizierten Fall-Kontroll-Studie wurde eine Korrelation zwischen der langjährigen Anwendung permanenter Haarfarben und einem erhöhten Risiko für Blasenkrebs festgestellt. Frauen, die in den vergangenen zehn Jahren ihre Haare einmal monatlich färbten, wiesen ein um den Faktor 2,1 erhöhtes Risiko auf, an einem Blasentumor zu erkranken, bei einer 15 Jahre langen Anwendung stieg das Risiko um den Faktor 3,3.
Vor dem Hintergrund einer europaweiten Kosmetikrichtlinie, die verbietet, krebserzeugende Substanzen in Kosmetika einzusetzen, werden derzeit auf EU-Ebene alle Haarfärbemittel überprüft. Die Hersteller müssen Unterlagen über Hautresorption, Genotoxizität, systemische und subchronische Toxizität sowie zur Dermatotoxizität ihrer Produkte vorlegen. Kann die Unbedenklichkeit eines Haarfärbemittels nicht nachgewiesen werden, muss es vom Markt genommen werden. Einige Färbemittel wurden bereits verboten, weitere werden bei der Überprüfung der Unterlagen folgen. Schulze rechnet mit einer drastischen Marktbereinigung in den kommenden Jahren.
Wie wird Sicherheit bewertet?
Sicherheit umfasst immer mehrere Ebenen, die man als reale und gefühlte Sicherheit definieren kann. Um dies zu veranschaulichen, erläuterte Prof. Dr. Franz Porzsolt, Ulm, das "Schwimmwesten-Paradoxon": Eine Schwimmweste hat noch keinem Menschen bei einem Flugzeugunglück das Leben gerettet, dennoch vermittelt die Schwimmweste unter dem Sitzplatz ein Gefühl der Sicherheit. Der reale, tatsächliche Wert einer Schwimmweste liegt bei Null, der gefühlte, emotionale Wert ist hoch. Bei der Bewertung einer Sicherheit – unabhängig davon, ob es sich um gesellschaftliche, ökonomische oder wissenschaftliche Dinge handelt – müssen folglich immer zwei Aspekte, nämlich der objektive und der emotionale Wert berücksichtigt werden. Diese zwei Aspekte unterliegen wiederum der Fremd- und Selbstbewertung sowie kulturellen Einflüssen. Das heißt also, die objektive Sicherheit wird durch externe Faktoren (Umgebungsfaktoren) und interne Faktoren (Persönlichkeitsmerkmale) bestimmt. Die gefühlte Sicherheit wird ebenfalls durch externe Faktoren (eigene Erfahrungen) und interne Faktoren (Persönlichkeitsfaktoren) geprägt.
Emotionales Sicherheitsgefühl ist entscheidend
Die Entscheidungen des täglichen Lebens hängen von der gefühlten Sicherheit ab, sind also "Bauchentscheidungen". Porzsolt führte als Beispiel hierzu das Mammographie-Screening auf. Einem Rechenmodell zufolge ist der tatsächliche, lebensrettende Nutzen einer Mammographie nicht sehr groß, dennoch bestehen viele Frauen auf dieser Untersuchung. Der Wert der Mammographie liegt hierbei nicht auf dem seltenen Entdecken eines pathologischen Befundes (33 von 1000 Fällen), sondern auf dem viel häufigeren Befund, dass nichts Unauffälliges entdeckt wurde (967 von 1000 Fällen). Die Erfahrung, dass bei der Mammographie nicht alle Tumoren erkannt werden, schmälert den Gewinn an emotionaler, gefühlter Sicherheit nicht.
Die Tatsache, dass Entscheidungen von der gefühlten Sicherheit beeinflusst werden, hat Konsequenzen in wissenschaftlichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Bereichen. So bestimmt etwa die gefühlte Sicherheit die Auswahl einer Seniorenresidenz oder den Kauf eines Produktes (Flugticket einer renommierten Fluggesellschaft oder eines Billiganbieters? Nahrungsmittel aus biologischer Erzeugung oder Fast-food?), die reale Sicherheit spielt dabei eine untergeordnete Rolle.
Auch in medizinisch-pharmazeutischen Bereichen sollte das Bedürfnis nach gefühlter Sicherheit berücksichtigt werden. Porzsolt führte hierzu ein alltägliches Beispiel auf: 30% aller Patienten werden beim Lesen eines Beipackzettels derart verunsichert, dass sie das Medikament nicht einnehmen, was möglicherweise einen objektiven Schaden nach sich zieht. In einem Projekt soll nun festgestellt werden, wie die gefühlte Sicherheit beim Lesen eines Beipackzettels erhöht werden kann.
- Ersatz von Blutbestandteilen
- Infektionsprophylaxe
- Kurzfristige intensive Sepsistherapie bei Verdacht oder Vorliegen einer Infektion
- Parenterale Ernährung
- Psychosoziale Betreuung
- Antiemese
- Schmerztherapie
- Nach brusterhaltender Operation
- Nach einer Mastektomie ab einer bestimmten Tumorgröße (>T3)
- Bei Befall vieler Lymphknoten (>3)
- Beim duktalen Carcinoma in situ (DCIS)
- Als Boost (zusätzliche Strahleneinheit einer höheren Dosis am Ende der Behandlungszeit) für alle Patientinnen
- Niedermolekulare Substanzen, die eine (Rezeptor-) Tyrosinkinase hemmen, enden auf "tinib" (daher: Tinibe).
- Niedermolekulare Substanzen, die eine in die Angiogenese involvierte (VEGF-R) Tyrosinkinase hemmen, enden auf "anib".
- Monoklonale Antikörper, die extrazellulär gegen Rezeptor-Tyrosinkinasen gerichtet sind, enden auf "mab".
- Derzeit nicht kategorisiert sind Substanzen wie SoRAFenib (richtet sich gegen RAF-Kinasen).
- Posaconazol vs. Fluconazol vs. Itraconazol bei 602 neutropenischen Leukämiepatienten. Unter Posaconazol konnten mehr Candida - und Aspergillus -Infektionen verhindert werden als unter den Vergleichssubstanzen. Die Gesamtmortalität nach 100 Tagen war in der Posaconazol-Gruppe geringer als in den beiden anderen Gruppen: Der Erfolg trat bei jedem 14. bzw. bei jedem 17. Patienten ein (NNT). – Cornely O., et al: Posaconazole versus Fluoconazole or Itraconazole Prophylaxis in High-Risk Patients with Neutropenia. N Engl J Med 356 (2007).
- Posaconazol vs. Fluconazol bei 600 Patienten nach einer allogenen Knochenmarktransplantation mit Graft versus Host Disease. Auch hier war Posaconazol in einigen Studienendpunkten Fluconazol überlegen. Allerdings war kein Unterschied in der Gesamtmortalität feststellbar. Das Sicherheitsprofil beider Substanzen war vergleichbar. – Ullmann A., et al: Posaconazole or Fluconazole for Prophylaxis in Severe Graft-versus-Host Disease. N Engl J Med 356 (2007).
- Oxidative oder permanente Farben. Sie machen rund 80% aller Haarfärbemittel aus. Es sind häufig aromatische Amine, die mit Wasserstoffperoxid gekoppelt sind. Da viele aromatische Amine ein krebserzeugendes Potenzial aufweisen, ist der Einsatz dieser Substanzen nicht unproblematisch.
- Direkte Farben: Azo- oder Anthrachinonverbindungen
- Bleiacetat. Es ist in wenigen Färbemitteln in geringer Konzentration enthalten und spielt mengenmäßig eine untergeordnete Rolle. Bei ergrautem Haar bildet es nach und nach ein Melanin-ähnliches Pigment und bringt so die natürliche Haarfarbe zurück.
- Naturfarben. Der bekannteste Vertreter ist Henna, dessen mögliche Toxizität kontrovers diskutiert wird. Der Anteil an Haarfärbemitteln aus Naturprodukten ist stark ansteigend.
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