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Hospizarbeit
Pharmazie in der Palliativmedizin
Im Jahre 1967 gründete Cicely Saunders in London das St. Christopher’s Hospice, das heute als Geburtsstätte der modernen Hospiz- und Palliativbewegung gilt (in Großbritannien wird keine Trennung zwischen Palliativstation und Hospiz vorgenommen). Die Palliativmedizin verbreitete sich zunächst in den angelsächsischen Ländern und ist heute weltweit etabliert. Aus der medizinischen Betreuung in Hospizen entwickelte sich die Palliativmedizin, die in England seit 1987 eine anerkannte Fachrichtung ist. In Deutschland wurde 1983 die erste Palliativstation, 1986 das erste Hospiz gegründet. Ein wirklicher Ausbau der Palliativmedizin in Deutschland begann jedoch erst in den 1990er Jahren [3,4].
In wenigen medizinischen Fachdisziplinen ist eine so erfreuliche Aufbruchstimmung zu verzeichnen wie in der Palliativmedizin und der Hospizarbeit. Gerade in der jüngsten Zeit ist in Deutschland eine rasante Entwicklung zu verzeichnen, der Umfang der Versorgungsstrukturen nimmt weiter zu [5] (Abb. 1). Die Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen steigt stetig und dokumentiert die zunehmende Forschungsarbeit in diesem Bereich [6]. Seit 2002 ist das Fach Palliativmedizin in der ärztlichen Approbationsordnung erwähnt, seit 2004 können Ärzte bundesweit die Zusatzbezeichnung "Palliativmedizin", erwerben [7,8]. Vor allem das Engagement vieler ehrenamtlicher Mitarbeiter in den Hospizdiensten hat zum Aufbau von über 1000 ambulanten Hospizdiensten geführt und die Hospizbewegung auch in Deutschland weiter gestärkt [9]. Innerhalb der üblichen Versorgungsstrukturen versterben noch viele Patienten in stationären Einrichtungen, durch den Einsatz palliativmedizinischer und -pflegerischer Konzepte ist es jedoch möglich, dem Wunsch nach einem Sterben zu Hause zu entsprechen [10]. So ist es verwunderlich, dass der Gesetzgeber erst im Entwurf des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz den Anspruch der Versicherten auf eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung festgestellt hat [11]. Während die dazu notwendigen neuen Versorgungsstrukturen noch durch Anschubfinanzierungen aufgebaut werden müssen, bestehen schon einige Verträge zur Integrierten Versorgung in unterschiedlicher Ausprägung [12]. Ob diese sich letztlich selbst tragen können, darf aber noch bezweifelt werden. Es wird deutlich, dass die Ressourcen bei weitem noch nicht ausreichen, um allen Patienten die Hilfe in der letzten Lebensphase zukommen zu lassen, die benötigt wird. Während palliativmedizinische Versorgungsstrukturen 2002 noch mit 150 Mio. Euro pro Jahr über die GKV finanziert wurden, sind aber nach Hochrechnung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin mindestens 630 Mio. Euro erforderlich, um eine ausreichende Anzahl an Palliativstationen, stationären Hospizen, ambulanten Palliativdiensten und Palliativärzten sowie ambulanten Netzwerken zur Erfüllung des Versorgungsauftrages zur Verfügung zu haben. Zudem sind die Finanzierungssysteme sowohl im klinischen als auch im ambulanten Bereich noch nicht praxisnah gestaltet [13].
Der Apotheker in der Palliativmedizin
Die Zusammenarbeit im multiprofessionellen Team ist ein wesentlicher Bestandteil und Voraussetzung für eine gute Betreuung des Patienten und der Angehörigen. Neben Ärzten und Pflegenden zählen Seelsorger, Psychologen, Physiotherapeuten, Hospizkräfte und Sozialarbeiter fest zu diesen Palliative-Care-Teams, in England sind darüber hinaus Apotheker schon integriert. Auch in Deutschland ist zunehmend pharmazeutischer Sachverstand gefragt, sowohl in Kliniken als auch in ambulanten Versorgungsstrukturen. Für die Arbeit im Bereich Palliativmedizin sollten Apotheker Kenntnisse über die Therapieprinzipien dieser Symptome besitzen. In der Praxis kann durch die Interaktion mit Patienten, Ärzten und Pflegekräften das Wissen rasch ausgebaut und auf andere Bereiche übertragen werden.
Die Problematik der Arzneimitteltherapie in der Palliativmedizin besteht darin, dass zur Behandlung der Symptome über 25% der Arzneimittel off label, also außerhalb der zugelassenen Indikation oder Applikationswege, angewendet werden müssen[15]. Die Datenlage ist oft sehr dürftig und beschränkt sich vielfach auf Fallberichte und Erfahrungswerte. Arzneimittelneben- und -wechselwirkungen können teilweise nur schwer von Krankheitssymptomen abgegrenzt werden, auf eine geänderte Pharmakokinetik muss geachtet werden (terminale Niereninsuffizienz, Leberversagen etc.). Die unterstützende Beratung durch einen Apotheker kann hier wertvolle Informationen liefern und die Kontrolle von Symptomen wie Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Atemnot erleichtern.
Eine besondere Herausforderung stellt die parenterale Gabe von Arzneimitteln dar, die immer dann zum Tragen kommt, wenn keine orale Gabe mehr möglich ist (z. B. Bewusstlosigkeit, Schluckstörung, Passagestörungen, Stomatitis). Auffallend häufig erfolgt die Applikation von Arzneimitteln über den subkutanen Applikationsweg, vor allem dann, wenn kein peripher- oder zentralvenöser Zugang mehr besteht und eine ambulante Versorgung durch Pflegedienste und Angehörige durchgeführt werden soll (Abb. 2). Von Vorteil ist beim subkutanen Zugang, dass die Nadel fast schmerzfrei gelegt werden kann, ein Nadelwechsel auch durch Pflegepersonal oder Angehörige möglich ist und die Patienten kaum in ihrer Mobilität und Unabhängigkeit eingeschränkt werden, da die Pumpensysteme sehr leicht sind und eine kontinuierliche Arzneimittelapplikation möglich ist. Bei vorhandenem implantierten zentralvenösen Katheter (z.B. PORT oder Broviac) können auch darüber die Arzneimittel verabreicht werden. Bei parenteralen Arzneimittelregimen ist der Apotheker gefordert, die Kompatibilität, Stabilität und gegebenenfalls auch die Eignung zur subkutanen Gabe der Arzneimittelkombinationen zu bewerten. Nicht immer gibt es bereits entsprechende Daten in der Fachliteratur [16].
Die Anfertigung patientenindividueller Rezepturen, beispielsweise Morphingele [17] oder Dronabinol-Lösungen [18], kann eine wichtige Rolle spielen. Hier besteht die Aufgabe des Apothekers sicherlich auch darin, zu beurteilen, wann spezielle Rezepturen notwendig und sinnvoll sind.
Neben diesen pharmazeutischen Grundlagen kommen spezialisierte Apotheker zum Einsatz, wenn parenterale Arzneimittelregime pumpengesteuert verabreicht werden. Vor allem bei der Versorgung im häuslichen Bereich sichern diese in Netzwerken sowohl die Pumpentechnik als auch Arzneimittelversorgung mit individuellen sterilen Lösungen rund um die Uhr. Klassischerweise betrifft dies den Einsatz von Pumpen zur patientengesteuerten Schmerztherapie (PCA). Auch die Flüssigkeitsgabe, parenterale Ernährung oder die Applikation anderer Arzneimittel kann pumpengesteuert erfolgen. Die Pharmakoökonomie spielt ebenfalls eine große Rolle, zudem benötigt die spezialisierte Apotheke bei der Akutversorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten bis ans Krankenbett eine gut funktionierende Logistik mit ständiger Erreichbarkeit.
Ambulante Netzwerke
Im ambulanten Bereich werden zunehmend multiprofessionelle Netzwerke zur häuslichen Versorgung aufgebaut, in denen erfreulicherweise immer mehr spezialisierte Apotheker integriert werden [19-22] (Abb.3). In diesen Teams haben die Netzwerkteilnehmer engen Kontakt untereinander, zudem sind häufig Qualitätszirkel eingerichtet, in denen interdisziplinär Fallbesprechungen durchgeführt werden. Im "Rahmenprogramm zur Palliativmedizin... NRW" haben die Kassenärztlichen Vereinigungen, Ärztekammern, zahlreiche Krankenkassenverbände und die Landesarbeitsgemeinschaft Hospiz die Vernetzung der relevanten Berufsgruppen und Institutionen dargestellt [23]. Erfreulich ist, dass hier auch die Rolle der Apotheken umrissen wird. Hier wird ausgeführt, dass für Palliativpatienten auch eine intensivierte pharmazeutische Betreuung erforderlich werden kann. Diese umfasst u. a. die 24 Stunden Sicherstellung der gesamten ambulanten Infusionstherapie, künstliche Ernährung und/oder invasiven Schmerztherapie inklusive der dazu benötigten Medizintechnik. Alle benötigten Arzneimittel und Infusionsregimes werden aufeinander abgestimmt und auf Wechselwirkungen und Kompatibilität überprüft. Die beteiligten Apotheken versorgen die Patienten dabei auch im häuslichen Umfeld.
Palliativmedizin im Krankenhaus
Im Krankenhaus sind die Anforderungen an einen Apotheker je nach Einsatzort sehr unterschiedlich: Auf Palliativstationen kann der Apotheker in der Regel mehr über die Therapie der häufigsten Symptome wie Schmerz, Übelkeit/Erbrechen und Atemnot lernen, als dass er darüber informiert. Sein Einsatzgebiet hier liegt eher darin, geeignete alternative Applikationswege und -formen zu überprüfen, Daten zu ungewöhnlichen Indikationen zu sammeln oder auch bezüglich der Arzneimitteltherapie in nicht palliativmedizinischen Indikationen zu informieren.
Auf anderen Stationen oder in Krankenhäusern, die weder über eine Palliativstation noch über einen Konsiliardienst verfügen, sehen die pharmazeutischen Intervention meist ganz anders aus, da hier oftmals bereits das grundlegende Wissen aber auch das Bewusstsein für den palliativmedizinischen Gedanken fehlt. Die Aufgabe des Apothekers besteht hier oftmals in "Basisempfehlungen" zur Symptomkontrolle (s. Kasten Kasuistik Herr M.).
Da das Arzneimittelregime eines Palliativpatienten häufiger Besonderheiten aufweist – ausgefallene Rezepturen, ungewöhnliche Applikationswege oder Einsatz außerhalb der zugelassenen Indikation – ist es bei einigen Patienten hilfreich und sinnvoll, wenn vor der Entlassung mit der Heimatapotheke und gegebenenfalls mit dem Hausarzt Kontakt aufgenommen wird, um über den Medikationsplan aufzuklären.
Fortbildung und Schulungen
Fortbildung und Schulungen von Ärzten, Patienten und Angehörigen sind ebenfalls ein Aufgabenfeld der Apotheker, die sich in diesem Bereich engagieren. Praktische Hinweise zu den Arzneimitteltherapien werden von den Betroffenen nachgefragt, so beispielsweise Vorträge im Rahmen von Qualitätszirkeln zu verschiedenen pharmakologischen Fragestellungen.
Arbeitskreis ApothekerInnen in der DGP
Innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP e.V.) wurde 2005 der "Arbeitskreis ApothekerInnen" gegründet. Die DGP bietet die Möglichkeit, Erfahrungen mit Ärzten, Pflege- und anderen Berufsgruppen auszutauschen. Aufgabe und Ziel der Apotheker in der DGP ist es zu pharmazeutisch relevanten Themen in der Palliativmedizin Stellung zu nehmen, sich im Bereich Fort- und Weiterbildung zu engagieren und weitere ApothekerInnen zur Mitarbeit in Hospizarbeit und Palliativmedizin zu motivieren.
Zusammenfassung
Apotheker können in der Palliativmedizin nicht nur einen wertvollen Beitrag durch das Einbringen des pharmazeutischen Fachwissens leisten, in vielen Fällen können sie mithelfen, dass Patienten die letzten Stunden im Kreis der Familie verbringen können. Für das Team in Klinikapotheke und Offizin bedeutet dies häufig einen sehr intensiven und engen Patientenkontakt, der viel zwischenmenschliche Kompetenz erfordert, aber auch sehr befriedigend sein kann. Zudem dokumentiert der Berufsstand damit, wie wichtig eine persönliche und ortsnahe Versorgung ist und dass Logistik nicht alles im Gesundheitssystem sein kann.
Anschrift der Verfasser:Apothekerin Constanze Rémi Apotheke des Klinikums der Universität MünchenMarchioninistrasse 1581377 München Klaus RubergFachapotheker für Offizinpharmazie und PflegeversorgungSprecher AK ApothekerInnen in der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin DGP e.V.Kronen-Apotheke Marxen Marxen-Ruberg OHGKronenweg 8250389 WesselingWeiterführende Literatur:Rémi, Constanze: Die Rolle des Apothekers in der Palliativmedizin. PZ Prisma 13, 169 (2006).
Bausewein, C.; Rémi, C.; Twycross, R.; Wilcock, A.: Arzneimitteltherapie in der Palliativmedizin, 1. Auflage 2005 Elsevier GmbH, München
Bausewein, C.; Roller, S.; Voltz, R.: Leitfaden Palliativmedizin, 2. Auflage 2004, Elsevier GmbH, München.
www.dgpalliativmedizin.deWeitere Literatur bei den Verfassern- Reduktion der Flüssigkeitszufuhr auf 500 ml/Tag.
- In den folgenden Tagen muss Herr M. nur noch 2- bis 4mal täglich abgesaugt werden und wirkt viel entspannter.
- Butylscopolaminbromid 40 mg s.c./Tag [24].
- Die Rasselatmung nimmt deutlich ab.
Abb. 3: Beispiel für ein Palliativmedizinisches Netzwerk
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