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- AZ 11/2008
- Wozu Ketten
Wozu Ketten?
Ärzte dürfen Praxisfilialen eröffnen und zum Teil Werbung für sich und ihre Praxen betreiben. Rechtsanwälte dürfen Honorare aushandeln und neuerdings auch Rechtsberatung im Internet versteigern. Das Bundesverfassungsgericht sieht Rechtsberatung als Dienstleistung an wie andere Dienstleistungen auch. Eine Zeitung titelte sogar: "Anwälte sind auch nur Verkäufer." Handwerksbetriebe dürfen auch von Leuten betrieben werden, die keinen Meisterbrief in der Tasche haben, das alte Zunftdenken soll abgebaut werden, europäischen Handwerkern soll die Berufsausübung somit leichter in allen europäischen Ländern offen stehen. Optikerläden dürfen auch im Besitz von Fachfremden sein (Optikerurteil des EuGH von 2005 über griechische Optiker). Dieses Urteil könnte Auswirkungen auf das Fremd- und Mehrbesitzverbot im deutschen Apothekenwesen haben. O.k., Europa, wir haben verstanden. Alles soll anders, soll freier werden. Europa räumt mit alten Gewohnheiten auf – für die heilige Kuh Wettbewerb wird in Europa vieles geopfert, was bisher Verlässlichkeit schenkte. In Kürze steht unser Apothekensystem zur Disposition. Nieder mit dem Fremd- und Mehrbesitzverbot – das wünschen sich die europäischen Wettbewerbsfetischisten. Nur ein freies System, in dem auch Apothekenketten möglich sind, bringt dem europäischen Verbraucher Vorteile.
Der Vorsitzende des Sachverständigenrats im Gesundheitswesen, Bert Rürup, forderte unlängst dazu auf, das Experiment des Wettbewerbs als Suchprozess zu wagen. Da man nicht wisse, was die beste Distributionsform für Arzneimittel sei, solle man dieses Experiment, diesen Suchprozess wagen. Allerdings unter der Voraussetzung der "gleich langen Spieße" für alle Marktbeteiligten. Dieser Auffassung kann man sein.
Man könnte allerdings auch ganz anders darüber denken. Denn wir wissen heute:
- die bestehende Form der Arzneimitteldistribution funktioniert hervorragend.
- "gleich lange Spieße" für alle Beteiligten hört sich gut an, wird es aber nie geben.
- Vorteile von Apotheken in Fremd- und Mehrbesitz, sprich Apothekenketten, lassen sich nicht ausmachen. Jedenfalls finde ich keine Vorteile, die nicht auch schon heute eine Individualapotheke dem Patienten, dem Verbraucher unter den heute geltenden gesetzlichen Bestimmungen bieten könnte. Im Gegenteil. Die Individualapotheke schützt vor einer Vertikalisierung, vor einer Einschränkung der Angebotsvielfalt, vor einem Abverkaufsdruck. Sie begünstigt die individuelle und objektive Beratung. Wozu also Ketten?
Peter Ditzel
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