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Wann schwerbehinderte Apothekenmitarbeiter einen Sonderkündigungsschutz haben
Grundsätzlich bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes (§ 85 SGB IX). Hiervon gibt es jedoch Ausnahmen, die in § 90 SGB IX aufgeführt sind. Für Apothekenmitarbeiter sind die in § 90 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2a SGB IX geregelten Ausnahmen von Bedeutung. Danach ist die Zustimmung des Integrationsamtes nicht erforderlich, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ohne Unterbrechung noch nicht länger als sechs Monate besteht (§ 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX), der Arbeitnehmer also auch noch keinen allgemeinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz genießt (§ 1 Abs. 1 KSchG). Auf die sechsmonatige Wartezeit sind Zeiten eines früheren Arbeitsverhältnisses mit demselben Arbeitgeber anzurechnen, wenn das neue Arbeitsverhältnis in einem engen sachlichen Zusammenhang mit dem früheren Arbeitsverhältnis steht, wobei es insbesondere auf Anlass und Dauer der Unterbrechung sowie auf die Art der Weiterbeschäftigung ankommt (BAG 19. 6. 2007 – 2 AZR 94/06 – EzA § 90 SGB IX Nr. 2). Bei nur kurzfristigen rechtlichen Unterbrechungen von wenigen Tagen ist im Allgemeinen ein enger sachlicher Zusammenhang zu bejahen.
Ferner ist die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung nicht erforderlich, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte (§ 90 Abs. 2a SGB IX). Die Vorschrift ist sprachlich missglückt und aus sich heraus nicht verständlich. Die Schwerbehinderteneigenschaft wird nachgewiesen durch einen entsprechenden Bescheid des Versorgungsamtes oder durch die Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der auf ihr beruhenden Erwerbsminderung (mindestens 50 Grad) in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder durch eine vorläufige Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen (§ 69 SGB IX). Nachgewiesen ist die Schwerbehinderteneigenschaft auch, wenn sie offenkundig ist, z.B. bei Verlust von Armen oder Beinen oder Blindheit. Eine Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen wird nachgewiesen durch einen entsprechenden Bescheid der Bundesagentur für Arbeit (vgl. § 68 Abs. 2 SGB IX).
Wenn der Antrag schon gestellt ist …
Ist die Schwerbehinderteneigenschaft im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nicht nachgewiesen, hat der Arbeitnehmer jedoch die Feststellung seiner Schwerbehinderung beantragt, entfällt der Sonderkündigungsschutz nur dann, wenn das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte. Das Versorgungsamt hat normalerweise und regelmäßig – ohne Gutachterbeteiligung – innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang über den Antrag zu entscheiden (§ 69 Abs. 1 Satz 2 i.V. mit § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX). Daraus hat das Bundesarbeitsgericht abgeleitet, dass ein schwerbehinderter Mensch den Sonderkündigungsschutz dann in Anspruch nehmen kann, wenn er den Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter längstens drei Wochen vor Zugang der Kündigung mit den erforderlichen Angaben gestellt hat (BAG 29. 11. 2007 – 2 AZR 613/06). Nur derjenige Mitarbeiter, der den Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter erst in den letzten 20 Tagen vor Zugang der Kündigung gestellt hat oder in seinem Antrag die erforderlichen Angaben nicht gemacht hat, genießt keinen Sonderkündigungsschutz, auch wenn die Schwerbehinderung später festgestellt wird.
Hat ein Mitarbeiter mindestens drei Wochen vor der Kündigung seine Anerkennung als Schwerbehinderter mit den erforderlichen Angaben beim Versorgungsamt beantragt, ist die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung auch dann nicht entbehrlich, wenn im Zeitpunkt der Kündigung der Antrag auf Anerkennung zwar zunächst abschlägig beschieden war, der Bescheid aber noch nicht rechtskräftig ist und die Anerkennung später auf dem Rechtsweg erfolgt (BAG 6. 9. 2007 – 2 AZR 324/06). Liegt im Zeitpunkt der beabsichtigten Kündigung ein solcher abschlägiger, aber noch nicht rechtskräftiger Bescheid vor, sollte die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung in jedem Fall eingeholt werden, auch wenn die Rechtsmittel des Arbeitnehmers letztlich erfolglos bleiben und sich damit nachträglich herausstellt, dass die Zustimmung des Integrationsamtes nicht erforderlich war. Denn das Risiko des Arbeitgebers ist zu groß, nach oft jahrelangen Prozessen bei nachträglicher Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft mit hohen Annahmeverzugsansprüchen des Arbeitnehmers konfrontiert zu werden.
Integrationsamt muss zustimmen
Der Sonderkündigungsschutz steht einem Arbeitnehmer auch dann zu, wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderung oder Antragstellung beim Versorgungsamt nichts weiß. Allerdings muss der Arbeitnehmer dann nach Zugang der Kündigung innerhalb einer angemessenen Frist gegenüber dem Arbeitgeber seine bereits festgestellte oder beantragte Schwerbehinderteneigenschaft geltend machen; andernfalls kann er sich auf den Sonderkündigungsschutz nicht mehr berufen. Im Hinblick darauf, dass die Unwirksamkeit einer jeden Kündigung innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung geltend gemacht werden muss (§ 4 Satz 1 KSchG), hat das Bundesarbeitsgericht angekündigt, es werde die Frist zur Geltendmachung der Schwerbehinderung auch auf drei Wochen nach Zugang der Kündigung festsetzen (BAG 12. 1. 2006 – 2 AZR 539/05 – EzA § 85 SGB IX Nr. 5). Auf die bisherige Regelfrist von einem Monat nach Zugang der Kündigung kann sich daher kein Arbeitnehmer mehr berufen.
Kündigt der Arbeitgeber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer in Kenntnis von dessen Schwerbehinderteneigenschaft, ohne zuvor die erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung einzuholen, läuft die dreiwöchige Klagefrist zur Geltendmachung der Unwirksamkeit der Kündigung (§ 4 Satz 1 KSchG) nicht. Denn nach § 4 Satz 4 KSchG läuft die Klagefrist in den Fällen, in denen die Kündigung der Zustimmung einer Behörde (hier: des Integrationsamtes) bedarf, erst von der Bekanntgabe der Entscheidung an den Arbeitnehmer. Wird das Integrationsamt nicht eingeschaltet, fehlt es an einer solchen Entscheidung, so dass die Klagefrist nicht läuft. Der Arbeitnehmer kann in diesen Fällen die Unwirksamkeit der Kündigung bis zur Grenze der Verwirkung gerichtlich geltend machen (BAG 13. 2. 2008 – 2 AZR 864/06). Das Klagerecht ist verwirkt, wenn der Arbeitnehmer mit der Klage längere Zeit wartet und darüber hinaus Umstände vorliegen, aus denen sich für den Arbeitgeber ein Vertrauenstatbestand ergibt, dass er mit einer Klage nicht mehr zu rechnen braucht. Der Arbeitgeber darf erwarten, dass der Arbeitnehmer, der eine Kündigung als unwirksam angreifen will, dies alsbald tut, mag er auch an eine Klagefrist nicht gebunden sein..
Dr. Gerhard Etzel, Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht i. R.
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