Hildegard v. B. lässt grüßen

Gut gemeint, aber voll daneben – dieser volkstümliche Ausspruch passt auf einige Verordnungen, die sich die Brüsseler Bürokraten in ihrer Regelungswut ausgedacht haben. Schon legendär ist die EU-Gurkenverordnung, die regelt, wie Salatgurken in der EU beschaffen sein müssen: 10 Millimeter Krümmung auf 10 Zentimeter maximal, damit sie gut handelbar sind. Und Karotten sind in der EU kein Gemüse, sondern Obst, weil manche Länder Marmelade mit Karottenstückchen produzieren. Nett ist auch die EU-Seilbahnrichtlinie, wonach sogar Schleswig-Holstein ein Seilbahngesetz verabschieden musste, obwohl es dort gar keine Seilbahn gibt.

Weniger lustig, aber ähnlich grotesk übers Ziel hinaus schießt die Health-Claims-Verordnung, die bereits seit 1. Juli des letzten Jahres gilt. Diese Verordnung regelt die nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben in der Werbung und bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln (NEM). Im Prinzip gut gemeint, denn der Formulierungswildwuchs und die Lyrik, mit denen Hersteller ihre Produkte schmückten, war zum Teil abenteuerlich. Hier schreibt die EU nun für alle, die ihre Produkte mit gesundheitsbezogenen Angaben versehen wollen, eindeutige Formulierungen vor, die Health Claims. Zurzeit werden solche Claim-Listen erstellt und diskutiert. Der unlängst veröffentlichte Entwurf einer Liste, in der die vorgesehenen Gesundheitsansprüche für pflanzliche Lebens- und Nahrungsergänzungsmittel aufgeführt werden, stößt in der Fachwelt allerdings mit Recht auf Ablehnung (siehe das Statement der DPhG in DAZ 29). Qualitäts- und Sicherheitsaspekte würden damit über die Hintertür ausgehebelt. Diese Liste schreibt den Lebensmitteln "Wirkungen" zu, für die die wissenschaftlichen Belege fehlen. In den Augen der Verbraucher könnten so Lebensmittel und NEMs fast zu Wundermitteln werden. Nach diesen Vorschlägen unterstützt Weihrauch die Lungengesundheit und die männliche Sexualgesundheit, Zimt hilft, das Blut zu reinigen, und unterstützt die Hautgesundheit, und Gelbwurz (Curcuma) unterstützt das Immunsystem, die Qualität des Blutes, und hilft, die Gesundheit der Leber aufrecht zu erhalten. Hildegard von Bingen lässt grüßen. Wer in aller Welt kann solche Claims für Lebensmittel und NEMs zulassen wollen? Hier wird der Verbraucher systematisch in die Irre geführt. Patienten könnten Lebensmittel mit solchen Therapieansprüchen den Arzneimitteln vorziehen und ihre Therapie gefährden. Das muss verhindert werden.

Peter Ditzel

Das könnte Sie auch interessieren

Viele Gesundheitsmittel sehen aus wie Arzneimittel, sind aber keine

Verwirrspiel mit Absicht?

Nahrungsergänzungsmittel mit pflanzlichen Inhaltsstoffen drängen in den Markt

Phytoarzneimittel unter Druck

Potenter, schlanker und glücklicher mit Arginin? Gericht untersagt Werbesprüche

NEM versprechen mehr, als sie dürfen

foodwatch rügt Lebensmittelindustrie

Unilever & Co. instrumentalisieren Ärzte

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.