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- AZ 33/2008
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Alarm am Arbeitsplatz
Ein tiefer Seufzer, und ich lege die Zuschrift kopfschüttelnd beiseite. Wieder hat eine Apothekenangestellte mit einer absurd anmutenden Geschichte an die Redaktion geschrieben, um uns um Rat und Hilfe zu bitten. Seit Jahren erhalten wir regelmäßig Post an die Kolumnen der PTAheute und der PKAaktiv, aber auch viele Zuschriften mit dem Hinweis "bitte nicht veröffentlichen". Das sind die schlimmsten Briefe und Mails. Wir beantworten jede.
Der mehrseitige handschriftliche Brief einer Apothekenangestellten reiht ein bizarres Ereignis ans andere. Wie die Apothekenleitung nach und nach ins Esoterische abgleitet, zunächst "nur" privat, dann immer drängender auch gegenüber ihren Angestellten. Geisterhafte Reinigungszeremonien, atmosphärische Regenerationszyklen, und schließlich: Kündigung der betroffenen Angestellten, weil ihre ungünstige Aura nicht in die Apotheke passe. Na denn! Bei allem Wohlwollen gegenüber "alternativen" Heilmethoden (auch die Briefschreiberin gesteht ihrer Chefin zu, über die Pharmazie hinaus für sich noch andere Wege zu beschreiten): hier übertritt die Arbeitgeberin gesetzliche Grenzen. Die "unpassende Aura" als Kündigungsgrund gälte nicht einmal in einem sogenannten Tendenzbetrieb, in dem z. B. eine katholische Einrichtung die Einhaltung christlicher Gebote von ihren Angestellten erwarten darf. Die Briefschreiberin hat die Kündigung akzeptiert, weil sie in dieser Apotheke keine gedeihliche Zusammenarbeit mehr erwartet hat, Aura hin oder her.
Vor die Hunde gegangen
Lebensgefährlich wurde es in der Apotheke, deren Inhaber seine schlecht erzogenen Hunde in der Offizin laufen ließ – nicht nur gelegentlich, sondern offenbar als regelmäßigem Aufenthaltsort. Angestellte wurden mehrmals "gezwickt" und schließlich gebissen; auch auf Kunden ging eines der Tiere los, und solange die Dienst habende PTA den Köter festhielt, kläffte dieser wie verrückt. Fragwürdig ist, wie hierbei noch eine vernünftige Arbeit möglich war; erstaunlich, wie lange manche Kunden trotzdem noch wieder kamen!
Beschwerden über Inhaber-Hunde haben uns mehrmals erreicht. Da die Schreiberinnen offenbar schon versucht hatten, mit ihren Vorgesetzten über die Missstände zu sprechen, und dabei keinen Erfolg erzielt hatten, konnten wir ihnen nur raten zu kündigen, wenn sie ihre eigene Gesundheit bedroht sahen.
Schikane und Belästigung
Der Vorhang am Toilettenfenster war kaputt, die Schiene abgerissen. Vom Hof war das WC gut einsehbar. In der Erwartung, dass der Inhaber den Schaden demnächst in Stand setzen würde, nahm das Team diese Beeinträchtigung der Intimsphäre eine Zeit lang hin. Als nichts geschah, bot eine Mitarbeiterin an, den Vorhang zu erneuern. Zum Erstaunen aller Angestellten verbat sich der Chef, der auch sonst für seine cholerischen Anfälle bekannt und gefürchtet war, jede "bauliche Veränderung". Außerdem würden die Damen sowieso viel zu häufig auf die Toilette gehen, einmal am Tag würde ja wohl reichen. Diese Eskalationsstufe löste den Brief an uns aus.
Misstrauisch geworden, begannen sich die Angestellten untereinander offener auch über andere Grenzüberschreitungen auszusprechen. Wie sich herausstellte, hatte der Chef verschiedentlich schon versucht, sich der einen oder anderen Frau weiter zu nähern als ihr lieb war.
Der Brief an uns war ein Hilferuf, welche Rechte Angestellte denn wohl hätten, und ob es wirklich eine Beschränkung der Toilettennutzung gebe. In solchen Situationen frage ich mich, was diese Apotheke noch von einem Schwellenland mit kolonialen Ausbeutern unterscheidet? Dem Team habe ich empfohlen, den zuständigen Pharmazierat zu kontaktieren und um diplomatische Unterstützung wegen des Vorhangs zu bitten. Vielleicht hat der "kleine Dienstweg" dafür ja ausgereicht. Gegen alle anderen Übergriffe sollen die Angestellten vor allem weiterhin so offen Kontakt zueinander halten und sich derartige Annäherungen des Chefs deutlich verbitten.
Betrunken im HV
Die Inhaberin würde ihre Betriebserlaubnis verlieren, wenn die Mitarbeiterin ihre Beobachtungen öffentlich gemacht hätte: Ab mittags war die Chefin dienstunfähig; entweder sie war so alkoholisiert, dass sie nicht mehr arbeiten konnte, oder sie war durch den Alkoholgenuss am Vortag bzw. mangelnden Alkoholspiegel so ungnädig und unausstehlich, dass das Personal von sich aus versuchte, die Chefin möglichst von den Kunden fern zu halten. In diesem Zustand konnte sie ihrer Aufsichtspflicht keinesfalls genügen, geschweige denn eine vernünftige Kundenberatung durchführen.
Dazu kamen die regelmäßigen Wutausbrüche, z. B. wenn eine Angestellte sich ausnahmsweise einmal krank meldete. Das kam selten genug vor, denn das Team war zu einer Leidensgemeinschaft zusammengeschweißt worden, in der niemand die anderen mit der Chefin alleine lassen wollte.
Der verzweifelte Brief erreichte uns, nachdem eine Angestellte sich trotz hohen Fiebers in die Apotheke geschleppt hatte und dort während der Arbeit zusammengebrochen war. Die Chefin war nicht in der Lage, die Situation angemessen zu beurteilen, und krakeelte etwas von "dummen Hühnern"…
Schimmelkulturen und andere Anbrüche
Selbst nach ihrer Kündigung und als sie ihren neuen Arbeitsplatz längst angetreten hatte, war die Angestellte noch so entsetzt über die Zustände bei ihrem alten Arbeitgeber, dass sie – in treuer Sorge um das Wohlergehen ihrer früheren Kunden – bei uns nachfragte, ob die Geheimhaltungsklausel in ihrem alten Arbeitsvertrag auch in diesem Falle gelte: Vergammelte Nahrungsmittel und angebrochene Salbengrundlagen türmten sich in ekliger Eintracht in den Regalen. Die Angestellte war nicht täglich in der Apotheke, um kontinuierlich dagegen anzuarbeiten. Aber so oft sie konnte, räumte sie dem offenbar krankhaft unsauberen Chef hinterher, um die schlimmsten Verunreinigungen in den apothekeneigenen Rezepturen zu verhindern. Wir haben ausnahmsweise die zuständige Kammer kontaktiert; dort riet man uns, dem zuständigen Pharmazierat einen gezielten Hinweis zu geben.
Wer darf was putzen?
Vor eine juristisch spannende Frage stellten uns die Zuschriften, in welchem Umfang die Apothekenleitung ihre Angestellten, also Apothekerinnen und Apotheker, PTAs und PKAs bzw. Auszubildende oder Praktikantinnen, für Putztätigkeiten heranziehen darf. In einem Fall hatte der Inhaber der Putzhilfe gekündigt und alle diesbezüglichen Tätigkeiten ins Team delegiert. Manche Angestellten fügten sich mehr oder weniger murrend, bis ein Teammitglied sich an uns wandte mit der Frage, wie man wohl eine faire Regelung im Team finden könne – eine ihrer Kolleginnen weigere sich standhaft, die Personaltoilette zu putzen.
Am meisten betroffen war ich von der daraus ersichtlichen Erwartung der Briefautorin, dass sie diese Pflicht zum Putzen durchaus für rechtlich möglich hielt, und dass sie eher versuchte, die Last im Team gleichmäßig zu verteilen. Nach Rücksprache mit dem Anwalt konnten wir klarstellen: Putztätigkeiten in besonderen Bedarfssituationen, z. B. bei extremen Wetterverhältnissen den Boden kurz durchzuwischen, dürfen durchaus vom (pharmazeutischen) Personal verlangt werden; nicht aber die regelmäßige Reinigung nicht-arbeitsplatzbezogener Örtlichkeiten – es sei denn, die Angestellten stimmen dem ausdrücklich zu.
Wehret den Anfängen!
Die genannten Beispiele sind sicherlich Extremfälle. Sie sind auch keineswegs typisch für Apotheken; die geschilderten Zustände sind leider auch in großen Produktionsbetrieben, Schlachtereien oder Behörden anzutreffen. Die unabhängige, inhabergeführte Apotheke hat jenen gegenüber aber einen großen Vorteil: Die Missstände wären schnell abzustellen, denn die Reichweite der verantwortlichen Führungskraft in der Apotheke ist optimal.
Aus der Entfernung können wir nicht beurteilen, wie übertrieben oder einseitig eine Beschreibung möglicherweise geraten ist; aus dem Ton der meisten Briefe können wir jedoch ersehen, dass die Autorinnen oft lange mit sich gerungen haben, sich überhaupt jemandem anzuvertrauen. Als Inhaberinnen und Inhaber ordentlich geführter Apotheken können Sie durch Ihr eigenes, positives Beispiel darauf aufmerksam machen, wie ablehnend Sie solchen Verfehlungen gegenüber stehen, z. B. indem Sie das Thema bei Praktikanten und Auszubildenden ausdrücklich ansprechen. Nutzen Sie Ihren kollegialen Einfluss, wenn Sie z. B. als Standesvertreter oder in einer offiziellen Funktion solche Missstände erkennen oder erahnen; geben Sie sich nicht damit zufrieden, das sei eine Ausnahmesituation. Lassen Sie nicht zu, dass durch das grobe Fehlverhalten einzelner Mitglieder Ihres Standes die ganze Branche und viele betroffene Angestellte in Mitleidenschaft gezogen werden, und stärken Sie diesen den Rücken, wenn Sie von ähnlichen Geschichten erfahren..
Vera Naumann, Kommunikation & Organisation. www.vera-naumann.de
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