Schreibt die Hälfte aller Apotheken schon rote Zahlen?

Selbst notorische Pessimisten finden in der derzeitigen Lage ihren Meister. Wer hätte schon gedacht, dass der weltgrößte Versicherer AIG über Nacht ins Straucheln gerät? Dass sich die "blühende Landschaft" der amerikanischen Investmentbanken binnen weniger Wochen wie nach einem Orkan lichtet und heute eher als eine schillernde Halbwelt aus vergangenen Tagen dasteht? Dass ein amerikanischer Finanzminister sogar wagt zu sagen, die Sparergelder waren (sind noch?) in Gefahr? Dass letztlich niemand den wirklichen Überblick zu haben scheint, stattdessen jede Regierung wie in einem Minenfeld lauert, wo die nächste Granate detoniert? Und was hat dies alles mit dem deutschen Apothekenmarkt zu tun? Lesen Sie unsere Analyse.
Lehren aus der Finanzkrise – Teil 1

Bei näherer Betrachtung ist es nicht minder überraschend, dass bereits Rückgänge der Häuserpreise in den USA von "nur" 20% bis 25% solche gravierenden Verwerfungen anstoßen können. Bedeuten diese Rückgänge doch nur die Korrektur der Steigerungsraten von etwa drei Jahren, mit anderen Worten, die Häuser sind im Schnitt immer noch so viel wert wie etwa 2004 oder 2005 (wo sie schon im Vergleich zu den Jahren davor sehr deutlich an Wert gewonnen hatten). Wenn man natürlich ein Eigenheim zu 100% fremdfinanzieren kann und ausschließlich die entsprechende Immobilie als Sicherheit zu hinterlegen braucht (in den USA ist genau dies möglich, was übrigens sozialpolitisch motiviert vom Staat initiiert wurde), so werden die Probleme verständlich, falls der Fahrstuhl nach oben plötzlich einmal stockt und Zahlungsausfälle sich häufen. Dass Kredite über kaum zu überschauende Konstruktionen ähnlich dem Spiel der "Reise nach Jerusalem" weiterveräußert und die Risiken in ihrer Wirkung letztlich multipliziert wurden, gießt nur weiteres Öl ins Feuer.

An diesem Punkt sollten auch hierzulande die Augen aufgehen. Gut, unsere Immobilien werden nur zu 60% oder 70% beliehen. Die Kreditnehmer haften umfassend. Insoweit stehen wir in Deutschland weit solider da, zumal die Immobilienpreise hier über viele Jahre in etwa gleich geblieben sind, jedenfalls nicht abgehoben haben. Die jetzt hierher schwappenden Probleme (wie bei der Hypo Real Estate) sind vor allem den internationalen Verflechtungen geschuldet, nicht einer Spekulationsblase in heimischen Landen. In anderen europäischen Ländern wie z. B. Großbritannien oder Spanien haben wir aber ebenfalls mit massiven Übertreibungen am Immobilienmarkt zu tun.

Und wie sieht es in unserer Gesundheitsbranche aus? Einer Branche, in der angeblich stets Milch und Honig fließen, der vermeintlich größten Wachstumsbranche, einem Sektor, in dem von der Lebensmittelkette über die Großhändler bis hin zum Schlachter an der Ecke alle bereit stehen, wenigstens ein kleines Stück von diesem so leckeren Kuchen abzubekommen? Vieles riecht hier ebenfalls verdächtig nach spekulativer Übertreibung.

Selbst heute noch werden Apotheken zu 100% fremdfinanziert, mit der Einrichtung und der Rezeptabrechnung sicherungsübereignet. Beides ist im Pleitefall nicht viel wert. Die meist zusätzlich angedienten Fondssparpläne und Lebensversicherungen greifen als nennenswert verwertbare Sicherheit dagegen erst nach mehrjähriger Anspardauer.

Tatsächlich schreiben jedoch rund 40% bis 50% der Apotheken streng kaufmännisch betrachtet chronisch rote Zahlen. Sie sind im Grunde unverkäuflich und dürften eigentlich überhaupt nicht mehr finanziert werden, von wem auch immer. Neugründungen müssen sich heute durchwegs in einem Verdrängungswettbewerb behaupten, ohne signifikant bessere Standort- und Unternehmerqualitäten des Betreibers ist das ein sehr zähes Geschäft geworden. Weitere 20% bis 30% der Apotheken rutschen spätestens dann in die roten Zahlen, falls sich die Randbedingungen signifikant verschlechtern sollten oder der Großhandel nur die Rabatte weitgehend streicht. Bleiben vielleicht 20% der Betriebe, die noch wirklich grundsolide und krisenfest dastehen und somit halbwegs sicher finanziert werden können. In letzter Konsequenz ist daher ernsthaft darüber nachzudenken, wesentlich mehr Eigenkapital zur Voraussetzung für jedwede Finanzierung in der eben nicht mehr so sicheren Apothekenbranche zu machen. Zudem ist die recht häufige Rolle der Großhandlungen als "Ersatz-Bank" zu hinterfragen. Schlussendlich ist es gar nicht so weit hergeholt, die kontinuierliche Prüfung der finanziellen Solidität, neben den pharmazeutischen Auflagen, zu einer strikten Voraussetzung für die Betriebserlaubnis zu machen. Die Folge wäre, dass langfristig nur wirklich solide Objekte im Markt bestehen bleiben könnten. Die weitere Konsequenz wäre natürlich ebenfalls, dass sich etliche Selbstständigenträume und Expansionsbestrebungen in Luft auflösen würden – der erste Schritt zum "Downsizing", einem Prozess, auf den wir an anderer Stelle noch eingehen werden. Doch lieber jetzt zurückstecken als später eine Bruchlandung. Oder aber wir sind ehrlich und lassen hoch verzinste Risikokapitalfinanzierungen und "Business Angels" zu, wie sie z. B. bei High-Tech- oder Bio-Tech-Firmen schon lange üblich sind, mit allerdings sehr unterschiedlichem Erfolg.

Kommt die Krise auf dem Apothekenmarkt?

In der jetzigen Situation könnte dem Apothekenmarkt nämlich im Grundsatz eine ähnliche Krise drohen wie dem amerikanischen Häusermarkt. Es werden immer noch viel zu viele Werte finanziert, die möglicherweise morgen nicht mehr da sind. Letztlich ist es die Politik mit ihren regulatorischen Vorgaben gerade im Apothekenbereich, die hier die maßgeblichen Hebel in der Hand hält. Das sollte man eher bedauern und als Risikofaktor fürchten. Manch einer hingegen mag das gar als gewisse Beruhigung sehen: Es wird schon nicht so weit kommen. Verkannt wird dabei, dass gerade die Branchen und Sektoren, in denen sich der Staat stark einmischt, besonders krisenanfällig sind. Schlichtes Unvermögen (siehe IKB und KfW-Bank) trifft auf fiskalische Zwänge, garniert mit einem guten Schuss Ideologie, oft abgekoppelt von jedweden, marktwirtschaftlichen Erwägungen. Das ist nicht unbedingt ein Rezept für Stabilität. Selbst wenn der Staat in der jetzigen Finanzkrise als Feuerwehr einspringt – in vielen Fällen war er vorher einer der Brandstifter, wenn auch sicher nicht der einzige …

Zwar leidet die Finanzierung des hiesigen Gesundheitssektors nicht unter hochspekulativen Risikoveräußerungen und allerlei Derivaten. Zudem mag man einwenden, dass das Thema Insolvenz und Kreditausfall hier noch eine verschwindend kleine Rolle spielt. Dennoch ist die Grundproblematik dieselbe, die Parallelen zum lange Zeit boomenden Häusermarkt sind unübersehbar: Viel zu viel wird auf Wachstum, eine rosige Zukunft gesetzt, speziell im Gesundheitsmarkt unterstützt von abgegriffenen Argumenten wie der demografischen Entwicklung, was man schon langsam nicht mehr hören mag. All dies kann sehr rasch von der Realität überholt werden. Eine Gesellschaft kann nicht immer mehr industriell erodieren und gleichzeitig Sozial-, Gesundheits- und Dienstleistungsausgaben immer weiter aufpumpen. Wie rasch Dinge sich wandeln können, das erleben wir gerade an den Finanzmärkten.

Im Übrigen: Wer den hiesigen Gesundheitsmarkt feindlich entern wollte, müsste nur die Finanzierungsströme ins Wanken bringen. Und da sind wir beim nächsten Risiko-Punkt. Wesentliche Teile dieser Finanzierungsströme bündeln sich bei einem einzigen, allgemein bekannten Institut. Was andere Banken nicht einmal mehr prüfen, wird hier durchaus noch finanziert – ohne Zweifel ein "Klumpen-Risiko". Freilich ist diese Bank durch ihre Eigentümerstruktur sehr gut geschützt und bislang sehr solide aufgestellt. Aber das dachten wir von maßgeblichen "Top-Finanzfirmen" dieser Welt bis vor Kurzem auch noch .

Anschrift des Verfassers:

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, Philosophenweg 81, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
Teil 2: Die Lehren aus der Krise: Downsizing!
Teil 3: Die Lehren aus der Krise: Die Politik als Retter?

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