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Arzneimittel und Therapie
Nilotinib zur Behandlung der Leukämie
Die Diagnose chronisch myeloische Leukämie (CML) ist für die meisten Patienten ein Schock. Etwa die Hälfte der Betroffenen hat nichts davon geahnt, wenn die lebensbedrohliche Erkrankung bei einer routinemäßigen Blutuntersuchung festgestellt wird, denn die Erkrankung beginnt oft schleichend und ohne spezifische Symptome. Jährlich erkranken in Deutschland etwa 1500 Menschen, vorwiegend Erwachsene. Unbehandelt sterben sie nach etwa sechs Jahren.
Tödliche Bedrohung
Die Erkrankung verläuft in drei Phasen. Die chronische Phase dauert fünf bis sechs Jahre und geht mit geringen Beschwerden wie Müdigkeit und verminderter Leistungsfähigkeit einher. In der Übergangsphase, der beschleunigten oder akzelerierten Phase, die sechs bis neun Monate dauert, kommt es vermehrt zu Blutungen, und das Allgemeinbefinden verschlechtert sich. Die schnelle, oft tödliche Form ist die Blastenkrise, die etwa drei bis sechs Monate dauert und bei der sehr viele unreife Blutzellen (Blasten) aus dem Knochenmark ins Blut ausgeschwemmt werden. Da jetzt funktionsfähige Leukozyten fehlen, sind die Patienten besonders infektanfällig, vor allem für Virus- und Pilzinfektionen, und sterben häufig an atypischen Infektionen.
Verlust der Steuerungskontrolle
Ursache für die Erkrankung ist eine erworbene Mutation, eine reziproke Translation zwischen Chromosom 9 und 22. Dadurch entsteht ein verändertes Chromosom, das als Philadelphia-Chromosom bezeichnet wird und für die CML typisch ist. Auf dem Philadelphia-Chromosom sind die Gene abl von Chromosom 9 und bcr von Chromosom 22 miteinander verschmolzen. Das Gen abl kodiert für eine Tyrosinkinase, deren Aktivität durch die Verschmelzung mit dem bcr-Gen deutlich gesteigert wird. Das abnorme Fusionsgen bcr-abl kodiert das Fusionsprotein Bcr-Abl, eine Tyrosinkinase mit erhöhter und dauerhafter Aktivität, die nicht mehr auf hemmende Signale anspricht. Das überaktive Gen bcr-abl führt so zu einer unkontrollierten Proliferation von weißen Blutzellen. Der Verlust der Steuerungskontrolle durch Bcr-Abl ist die Ursache für die CML und die treibende Kraft bei der Krankheitsprogression.
Das Philadelphia-Chromosom lässt sich nachweisen, wenn nach einer Knochenmarkspunktion die blutbildenden Zellen zytogenetisch analysiert werden.
Tyrosinkinase-Inhibitoren hemmen die Aktivität
In einigen Fällen kann eine Stammzelltransplantation die CML in der chronischen Phase heilen. Allerdings ist aus verschiedenen Gründen eine solche Transplantation nur bei etwa 20% der Patienten möglich, und die Methode ist sehr risikoreich
Durch Behandlung mit Zytostatika und Interferon alfa konnte bis Ende der 90-iger Jahre die Krankheitsprogression lediglich um einige wenige Jahre aufgehalten werden.
Heute werden Tyrosinkinase-Inhibitoren eingesetzt, um die Aktivität des abnormen Proteins Bcr-Abl-Kinase und dadurch die Bildung von Krebszellen zu hemmen. Dazu gehören seit 2002 Imatinib, das Ende 2006 eingeführte Dasatinib und jetzt das neue Nilotinib. Diese Substanzen binden in der Tasche der Tyrosinkinase, in der normalerweise das ATP-Molekül gebunden wird, und verhindert damit den zentralen Schritt in der von Bcr-Abl katalysierten Reaktion, nämlich die Übertragung eines Phosphatrests auf andere Proteine. Dadurch wird die Phosphorylierung von Bcr-Abl selbst, aber auch einer ganzen Reihe von Substraten dieser Kinase gehemmt. Alle sind an Signaltransduktionswegen beteiligt, die für Überleben und Proliferation dieser Zellen essenziell sind. Tyrosinkinase-Inhibitoren hemmen die Signalübertragung.
Verbesserte Überlebenschancen
Imatinib hat die Überlebenschancen von CML-Patienten deutlich verbessert. Nach sechs Jahren sind unter einer Primärtherapie mit Imatinib noch 88% der Patienten am Leben, und weniger als 5% sind an CML verstorben.
Jedoch können die bisher eingesetzten Substanzen ihre Wirkung verlieren, wenn Punktmutationen in der Bcr-Abl-Kinasedomäne ihre Bindung verhindern. Dadurch wird das Ansprechen verringert, und Bcr-Abl wird wieder aktiv.
Nilotinib zur Zweit-Linien-Therapie
Das neue Nilotinib (Tasigna®) ist zur Zweit-Linien-Therapie für die Behandlung von Patienten mit Philadelphia-Chromosom-positiver chronisch-myeloischer Leukämie indiziert, wenn diese Imatinib (Glivec®) nicht vertragen oder dagegen resistent sind.
Die Zulassung wurde auf Basis von Phase-II-Studiendaten erteilt. In einer klinischen Studie konnte bei 92% der Patienten, die gegen Imatinib resistent waren oder dieses nicht vertrugen, durch Nilotinib fünf Monate nach der Behandlung die Leukozytenzahl normalisiert werden. In klinischen Tests reduzierte oder eliminierte Nilotinib das abnorme Chromosom bei 42% der gegen Imatinib resistenten Patienten im chronischen Zustand ihrer Erkrankung, bei 31% hatte es auch im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit eine positive Wirkung. Unter der Behandlung mit Nilotinib erreichten gegen Imatinib resistente CML-Patienten zu 52% eine gute und zu 33% eine komplette zytogenetische Remission.
Die empfohlene Dosierung von Nilotinib beträgt 400 mg zweimal täglich. Nilotinib darf nicht zusammen mit Nahrungsmitteln eingenommen werden, da dies seine Aufnahme beschleunigt und die Plasmaspiegel erhöht. Nilotinib wird vorwiegend in der Leber metabolisiert, weshalb zahlreiche Wechselwirkungen mit Substanzen zu beachten sind, die auf CYP3A4 wirken. Nilotinib kann die QT-Zeit verlängern, weshalb bei Patienten mit bestehender oder potenzieller QTc-Verlängerung Vorsicht und regelmäßige Untersuchungen erforderlich sind.
Die Anwendung von Nilotinib wird durch seine Hämatotoxizität begrenzt. Die häufigsten nicht-hämatologischen Nebenwirkungen waren Exanthem, Pruritus, Übelkeit, Abgeschlagenheit und Kopfschmerzen.
Quelle
Prof. Dr. Andreas Hochhaus, Mannheim; Priv.-Doz. Dr. Oliver Ottmann, Frankfurt. Expertendialog "Tasigna – der neue Meilenstein in der Zweit-LinienTherapie der CML", Frankfurt, 17. Dezember 2007, veranstaltet von der Novartis Pharma GmbH, Nürnberg.
Kantarjian H, et al.: Nilotinib in imatinib-resistant CML and Philadelphia chromosome-positive ALL. N Eng J Med 2006;354:2542-51.
hel
Steckbrief: NilotinibHandelsname: Tasigna Hersteller: Novartis Pharma GmbH, Nürnberg Einführungsdatum: 15. Dezember 2007 Zusammensetzung: Eine Hartkapsel enthält 200 mg Nilotinib (als Hydrochlorid 1 H2O). Sonstige Bestandteile: Inhalt der Kapsel: Lactose-Monohydrat, Crospovidon, Poloxamer 188, hochdisperses Siliciumdioxid, Magnesiumstearat. Kapselhülle: Gelatine, Titandioxid (E 171), Eisen(III)-hydroxid-oxid x H2O (E 172). Druckfarbe: Schellack, Eisen(III)-oxid (E 172), entölte Phospholipide aus Sojabohnen (E 322). Packungsgrößen, Preise und PZN: 112 Kapseln, 5131,20 Euro, PZN 0920048. Stoffklasse: Zytostatika; Tyrosinkinase-Inhibitor. ATC-Code: L01XE08. Indikation: Für die Behandlung von Erwachsenen mit Philadelphia-Chromosom-positiver chronischer myeloischer Leukämie (CML) in der chronischen und akzelerierten Phase mit Resistenz oder Unverträglichkeit gegenüber einer Vorbehandlung einschließlich Imatinib. Wirksamkeitsdaten zu Patienten mit CML in der Blastenkrise liegen nicht vor. Dosierung: 400 mg zweimal täglich, zwei Stunden nach einer Mahlzeit. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile. Nebenwirkungen: Thrombozytopenie, Neutropenie, Anämie; Exanthem, Pruritus, Übelkeit, Diarrhö, Müdigkeit, Kopfschmerzen. Wechselwirkungen: Nilotinib wird vorwiegend in der Leber metabolisiert; die gleichzeitige Gabe von starken CYP3A4-Hemmern ist zu vermeiden, Induktoren der CYP3A4-Aktivität können die Metabolisierung von Nilotinib fördern; bei Patienten, bei denen CYP3A4-Induktoren indiziert sind, sind andere Therapeutika mit geringerem Potenzial zur Enzyminduktion auszuwählen. Die Resorption von Nilotinib kann durch Substanzen, die die Sekretion von Magensäure hemmen, vermindert sein, die gleichzeitige Anwendung von Antazida, H2-Blockern oder Protonenpumpenhemmern zusammen mit Nilotinib wird nicht empfohlen. Nilotinib ist ein relativ starker Inhibitor einiger Cytochrom-P450-Enzyme. Bei der gleichzeitigen Anwendung von Nilotinib und Arzneimitteln mit einem engen therapeutischen Index ist Vorsicht angeraten. Bei Patienten, bei denen eine Verlängerung der QT-Zeit bereits vorliegt oder auftreten könnte, ist Nilotinib nur unter besonderer Vorsicht anzuwenden. Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Die Behandlung mit Nilotinib ist mit Thrombozytopenie, Neutropenie und Anämie assoziiert, ein komplettes Blutbild ist in den ersten beiden Monaten alle zwei Wochen durchzuführen, danach monatlich oder wie klinisch indiziert. Nilotinib verlängert die kardiale ventrikuläre Repolarisation gemessen als QT-Intervall auf der EKG-Oberfläche in konzentrationsabhängiger Weise; eine engmaschige Überwachung wird angeraten, und vor einem Behandlungsbeginn mit Nilotinib wird ein Basis-EKG empfohlen. Bei Patienten mit eingeschränkter Leberfunktion kann es zu einer erhöhten Exposition von Nilotinib kommen. |
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