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Aus Kammern und Verbänden
Gefahr durch Arzneimittelfälschungen
Wer in Mexiko 20 Tabletten Aspirin für einen Dollar kauft, macht nur selten ein Schnäppchen. Denn nach Schätzungen der WHO sind 30 Prozent der in Lateinamerika oder Südostasien gekauften Arzneimittel gefälscht. In Afrika sind es im Schnitt sogar 50 Prozent, in einigen Ländern wie Nigeria noch deutlich mehr. Schätzungsweise 200.000 Menschen sterben jährlich allein in China nach der Einnahme gefälschter Arzneimittel. Im Zeitalter von Fernreisen und Internet tauchen Arzneimittelfälschungen vermehrt in Europa und den USA auf. Die Fälschungsraten liegen bei fünf bis sieben Prozent; Tendenz steigend. Die Gefahr, ein gefälschtes Medikament zu kaufen, ist in den osteuropäischen Ländern höher als im Westen; Spitzenreiter sind die Länder der ehemaligen Sowjetunion mit Fälschungsraten über 20 Prozent.
Bekannte Beispiele von Arzneimittelfälschungen sind die Tryptophanaffäre in den 1980er-Jahren, die Probleme mit Gentamicin zu Beginn dieses Jahrzehnts und ganz aktuell die Vorfälle mit "allergischem" Heparin aus China, das in den USA mehrere Todesfälle verursacht hat.
Vier Kategorien von Fälschungen lassen sich unterscheiden:
1. Arzneimittel von meist guter Qualität, die in gefälschten Verpackungen und mit gefälschten Beipackzetteln des Originalanbieters verkauft werden. Es drohen keine gesundheitlichen Risiken für die Patienten, aber hohe wirtschaftliche Schäden für die Hersteller.
2. Gefälschte Arzneimittel mit geringerer Wirkstoffmenge als auf der Packung deklariert. Es kann zu gefährlichen Unterdosierungen kommen, bei Antibiotika ist mit Resistenzbildung zu rechnen.
3. Gefälschte Arzneimittel mit einem anderen Wirkstoff als auf der Packung deklariert. Diese Medikamente sind wirkungslos, wenn nicht sogar gefährlich.
4. Gefälschte Arzneimittel ohne Wirkstoff und damit ohne therapeutischen Effekt. Nach Untersuchungen des German Pharma Health Fund enthalten 60 Prozent der Fälschungen keinen Wirkstoff.
Der wirtschaftliche Schaden durch Arzneimittelfälschungen wird weltweit auf etwa 25 Milliarden Euro geschätzt.
Antibiotika machen laut Berichten der WHO (1999-2002) weltweit mit 28 Prozent den größten Anteil an Fälschungen aus. Es folgen Hormone (18%), Asthmamittel und Antiallergika (8%), Antimalariamittel (7%) und Schmerzmittel (6%). Der Rest verteilt sich auf viele andere Indikationen.
Immer wenn Arzneimittel knapp werden, haben Fälscher Hochkonjunktur. Die Verknappung kann künstlich durch den Großhandel oder andere Mitspieler in der Handelskette erzeugt werden. Oder die Verknappung resultiert aus Katastrophen und Pandemien. Beispiele dafür sind die Verbreitung von Milzbrand in den USA nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 sowie die drohende Gefahr einer weltweiten Influenza-Pandemie im letzten Jahr. Als Folge dieser Ereignisse tauchten gehäuft Ciprobay-Fälschungen in den USA sowie Tamiflu-Fälschungen in Deutschland und den Niederlanden auf.
Etwa 80 Prozent der Arzneistoffe und 40 Prozent der Fertigprodukte, die in Europa und den USA auf den Markt kommen, werden in China und Indien produziert. In diesen Ländern gibt es zwar hochwertige Produktionsanlagen, aber auch viele "schwarze Schafe". Dazu kommt, dass die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA eigenen Angaben zufolge wegen Personalmangels die Produktionsanlagen in China und Indien nicht alle zwei Jahre wie in den USA vorgeschrieben, sondern nur alle zehn Jahre überprüfen kann. Trotz dieser mangelhaften Kontrolle durch die FDA kommt in der Regel einwandfreie Ware zum Pharmagroßhändler, in die Krankenhäuser oder über das Internet oder Supermärkte zum Kunden. Dafür sorgen die strengen Kontrollen der Arzneimittelhersteller, welche die Qualität der Arzneistoffe vor der Verarbeitung nach den Vorschriften des Europäischen Arzneibuchs (Ph. Eur.) oder des Amerikanischen Arzneibuchs (USP) prüfen.
Lifestyle-Arzneimittel sind heute der größte Markt für Fälschungen. Der Handel spielt sich dabei vor allem im Internet ab. Denn wer als Bodybuilder von seinem Arzt kein Rezept für Hormone oder Erythropoetin erhält oder sich schämt, Viagra in "seiner" Apotheke vor Ort zu kaufen, wird im Internet schnell fündig. Dort werden Lifestyle-Arzneimittel meist ohne die Vorlage einer Verordnung geliefert. Entsprechend hoch sind die Risiken. Niemand kann zum Beispiel die Zahl der Toten beziffern, die auf die unsachgemäße Verwendung von Viagra zurückzuführen ist. Gefälschte Arzneimittel gelangen durch die Post oder die Reisenden selbst nach Deutschland. Der Zoll hat kürzlich am Münchner Flughafen 4000 gefälschte Viagra-Tabletten sichergestellt. Da aber nicht jeder Reisende auf Medikamente kontrolliert wird, dürfte die Dunkelziffer hoch sein. Das Fälschen ist offenbar gar nicht so schwer, denn beim Internetauktionshaus Ebay werden die Originalverpackungen von Pfizer offen angeboten. Erschwerend kommt hinzu, dass chinesische Potenzpillen aus dem Internet zwar gerne als harmlose pflanzliche Produkte unter Namen wie "Herb Vigor", "Herba-gra" oder "Natural Vigor" vertrieben werden, aber bei Überprüfung meist Sildenafil oder eines seiner Analoga enthalten.
Die Distributionskette Hersteller–Großhandel–Apotheke–Patient wird von den Behörden am besten reguliert und überwacht. Daher weichen Fälscher bevorzugt auf das Internet aus. Viele Internetapotheken sind zwar sicher, doch für den Patienten ist das oft nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Mit den technischen Möglichkeiten ist es heute ein leichtes, die Internetseiten von seriösen Apotheken zu kopieren. Dazu kommt, dass es bei vielen Patienten wenig Bewusstsein für das Problem von Arzneimittelfälschungen gibt und Laien oft auch nicht wissen, welche Wirkstoffe bereits als Generika erhältlich sind und welche nicht. So bestellen Patienten oft blauäugig bei Anbietern, die kein Rezept für verschreibungspflichtige Arzneimittel verlangen oder mit sensationell billigen Preisen werben, und ahnen nicht, eine Fälschung zu kaufen. Laut WHO sind zehn Prozent aller versendeten Arzneimittel gefälscht, im "illegalen Internet" sogar 50 Prozent. Aus diesem Grund warnen sowohl die deutsche Arzneimittelzulassungsbehörde BfArM als auch die amerikanische FDA regelmäßig vor dem Kauf von Arzneimitteln im Internet. Unverständlich ist es vor diesem Hintergrund, dass einige Krankenkassen ihren Versicherten den Kauf von Arzneimitteln im Internet ausdrücklich empfehlen.
Im Juni: neue DPhG-Arbeitsgemeinschaft
Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft wird sich künftig noch intensiver als bisher mit dem Thema Arzneimittelfälschungen auseinandersetzen. Die DPhG wird die heutige Situation wissenschaftlich analysieren, Fachleute aus Behörden mit Sachverstand beraten sowie die breite Öffentlichkeit ausführlich informieren. Diese Aktivitäten werden in einer neuen Arbeitsgemeinschaft "Arzneimittelfälschungen /Arzneimittelsicherheit" koordiniert, die auf der nächsten DPhG-Präsidiumssitzung im Juni dieses Jahres offiziell gegründet wird. Mitglieder der DPhG und die Fachöffentlichkeit werden rechtzeitig über die Möglichkeiten informiert, in dieser wichtigen DPhG-Arbeitsgemeinschaft mitzuwirken.
Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe
Altpräsidentin der DPhG
Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz
Präsident der DPhG
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