DAZ aktuell

Gericht fordert transparentes Auswahlverfahren

STUTTGART (hst). Zum Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 27. Februar 2008, den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOKs) auf Basis der Ausschreibungsergebnisse den Abschluss von neuen bundeseinheitlichen Rabattverträgen für 61 Wirkstoffe zu untersagen, liegt nunmehr die schriftliche Begründung vor. Als Fazit lässt sich festhalten, dass zwar kein förmliches Vergabeverfahren durchzuführen ist, die Kriterien des Vergaberechts aber dennoch auf die Vergabe von Rabattverträgen Anwendung finden.

In dem 71-seitigen Dokument finden sich weitgehend die bereits aus der mündlichen Entscheidungsbegründung bekannten Argumente wieder. Zu der Frage, ob die AOKs eine marktbeherrschende Stellung haben, äußert sich das LSG Baden-Württemberg nicht. Zunächst begründet das Gericht seine Auffassung, warum bei Auseinandersetzungen über Arzneimittelrabattverträge die Zuständigkeit der Sozialgerichte gegeben ist. Diese Ausführungen sind zwar von Bedeutung, um die Zulässigkeit der Entscheidung zu untermauern, doch wird sich mit dieser speziellen Frage in den nächsten Monaten der gemeinsame Senat der obersten Bundesgerichte befassen und eine abschließende Entscheidung zur Rechtswegfrage zu treffen haben.

Anspruch auf Gleichbehandlung

Nach Auffassung des Senats findet das Vergaberecht nach den §§ 97 ff. des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) keine Anwendung. Allerdings habe das Bundesverfassungsgericht bereits am 13. Juni 2006 entschieden, dass jedenfalls der aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Anspruch auf Gleichbehandlung bei Vergabeentscheidungen ein gegen den Staat gerichtetes subjektives Recht begründe. Der staatlichen Vergabestelle sei es verwehrt, das Verfahren oder die Kriterien der Vergabe willkürlich zu bestimmen. Jeder Bieter habe einen Anspruch auf Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung. Weiterhin folge aus allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen ein Anspruch auf ein faires und transparentes Verfahren. Zwar müsse kein förmliches Vergabeverfahren stattfinden, in allen Fällen müsse aber ein transparentes, diskriminierungsfreies, verhältnismäßiges und nachprüfbares Auswahlverfahren durchgeführt werden. Die Grundsätze des materiellen Vergaberechts der §§ 97 bis 101 GWB könnten entsprechend herangezogen werden.

Ob die bundesweite Ausschreibung der AOK-Rabattverträge eine zu große Nachfragemacht der AOKs begründe und damit gemäß § 19 Abs. 1 GWB als missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung zu werten sei, könne dahinstehen, da das Vergabeverfahren aus anderen Gründen rechtswidrig sei. Aus Art. 3 GG und den in der VOL/A definierten vergaberechtlichen Mindeststandards folge, dass die Leistung eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben sei, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und die Angebote miteinander verglichen werden könnten.

Verordnungsdaten vorlegen

Die AOKs hätten aber den Bietern keine eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung zur Kalkulation ihrer Angebote zur Verfügung gestellt. Insbesondere hätten die AOKs die Verordnungsdaten 2006 vorlegen müssen, die den Bietern zumindest eine Orientierungsgröße für das zu erwartende Jahresvolumen des jeweiligen Wirkstoffs in den anzubietenden Packungsgrößen und Darreichungsformen biete. Den Bietern hätten bezüglich jeden Wirkstoffes Angaben über das in der Vergangenheit erfolgte Verschreibungsvolumen, aufgeschlüsselt nach Darreichungsform und Packungsgröße, gegeben werden müssen. Die Vorlage der Verordnungsdaten würde weder gegen den Datenschutz noch gegen § 305a SGB V verstoßen.

Auch genüge das Wertungskriterium Produktbreite (die sog. 75-Prozent-Klausel) nicht den Anforderungen an Transparenz und Klarheit. Es erscheine zweifelhaft, ob die 75%-Klausel von einem verständigen Bieter so verstanden werden könnte, wie sie von den AOKs gemeint sei.

Hohe Anforderungen an Ausschreibungen

Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass bei der vorzunehmenden Folgenabwägung das Interesse der AOKs, über Arzneimittelrabattverträge Arzneimittelkosten zu senken, zurückzutreten habe gegenüber den Interessen insbesondere kleiner und mittelständischer Unternehmer, die bei einer Nichtberücksichtigung und Fortsetzung des Verfahrens in ihrer wirtschaftlichen Existenz einschließlich der betroffenen Arbeitsplätze gefährdet seien.

Wie mehrfach berichtet, handelt es sich um eine Entscheidung in einem Verfahren zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, das die AOKs angestrengt hatten, um das Zuschlagsverbot der Vergabekammern auszusetzen. Das Gericht mag im Hauptsacheverfahren, vermutlich erst in einigen Jahren, zu einem anderen Ergebnis kommen, dies dürfte jedoch für die aktuelle Diskussion keine Bedeutung mehr haben. Mit dieser Entscheidung stellt das LSG hohe Anforderungen an eine Ausschreibung von Arzneimittelrabattverträgen. Es bleibt abzuwarten, wie die einzelnen Krankenkassen mit diesen Vorgaben umgehen oder ob der Gesetzgeber die Anforderungen aus seiner Sicht konkretisiert, wie dies im Nachgang zu dem Urteil gefordert wurde.

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