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DAZ aktuell
"Bis zum Sommer muss klar sein, wohin die Reise geht …"
DAZ: Frau Ministerin, das Bundesverwaltungsgericht hat im dm-Verfahren höchstrichterlich entschieden, dass Versandapotheken für das Sammeln von Rezepten und die Aushändigung der bestellten Arzneimittel an Patienten auch die Dienste von Drogeriemärkten und wohl auch anderen Gewerbebetrieben in Anspruch nehmen dürfen. Sie haben sich als Ministerin kritisch zu der nunmehr bestehenden Rechtslage geäußert. Welche Gefahren sehen Sie?
Orosz: Die erste kritische Äußerung zum dm-Urteil kam von meinem Kollegen Otmar Bernhard aus München. Unsere Pressemitteilung ging einen Tag später an die Agenturen. Vom Inhalt her sind beide Mitteilungen aber sehr ähnlich, und dies, ohne dass wir uns dazu vorher abgesprochen hätten.
Für mich bedeutet das dm-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts faktisch eine Ausweitung des Versandhandels mit Arzneimitteln, deren Umfang gegenwärtig überhaupt noch nicht absehbar ist. Welche Orte sollen noch zum "Umschlagplatz" für Arzneimittel werden: Videotheken, Tankstellen, Copyshops?
Solche Entwicklungen stellen aus meiner Sicht den bestehenden ordnungspolitischen Rahmen für eine sichere, flächendeckende und umfassende Arzneimittelversorgung rund um die Uhr generell in Frage. Wollen wir als Länder, die für eine ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung in der Pflicht stehen, diesen Prozess passiv zur Kenntnis nehmen oder unserer Verantwortung für einen möglichst gefahrlosen Arzneimittelverkehr gerecht werden? Ich bevorzuge die zweite Alternative.
Meine politische und fachliche Verpflichtung sehe ich also darin, eine Banalisierung der besonderen Ware Arzneimittel zu verhindern.
Damit das aber auch ganz klar ist: Ich sage das nicht aus einem vielleicht falsch verstandenen Lobbyismus gegenüber den Apothekenbesitzerinnen und -besitzern heraus. Meine Überlegungen haben mit den zurzeit vor dem Europäischen Gerichtshof laufenden Verfahren gegen das in Deutschland geltende Fremd- und Mehrbesitzverbot bei Apotheken nichts zu tun.
DAZ: Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Rechtmäßigkeit des Kooperationsmodells zwischen Europa Apotheek und dm-Drogeriemärkten eine Folge der Entscheidung des Gesetzgebers im Jahre 2004, den Versandhandel auch mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zuzulassen. In Ihrer Pressemitteilung zum Urteil bemerken Sie dazu, dass der Versandhandel mit Arzneimitteln "zunehmend aus wirtschaftlichem Blickwinkel und nicht so sehr aus Patientenschutz wahrgenommen wird". Sie kündigten an zu prüfen, ob der erlaubte Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nun noch aufrechterhalten werden könne. Wie ist der Stand Ihrer Überlegungen? Welche Konsequenzen sollte die Politik Ihrer Ansicht nach aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ziehen?
Orosz: Die schriftliche Urteilsbegründung ist die entscheidende Grundlage für unsere fachlichen sowie juristischen Prüfungen und somit für etwaige weitere Aktivitäten des Freistaates Sachsen zu Rechtsänderungen.
Unabhängig davon: Den Verweis des Bundesverwaltungsgerichts auf das Jahr 2004 (Zulassung des Versandhandels mit allen Arzneimitteln in Deutschland durch das GMG) kann man zunächst nicht entkräften. Hier liegt auch für mich die eigentliche Ursache unserer Probleme: Wir haben damals ohne fachliche Not und trotz eines klaren Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom Dezember 2003, das ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ermöglicht hätte, den Versandhandel mit Arzneimitteln generell zugelassen.
Die Erfahrungen seither ergeben ein komplexes Bild: Sicherlich hat es eindeutig belegbare Patientenschädigungen durch die neue Vertriebsform in Deutschland nicht gegeben. Dazu kommt, dass die meisten Apotheken mit einer Versandhandelserlaubnis ihrer fachlichen Verantwortung durchaus qualifiziert nachkommen. Auf der anderen Seite hat der Versandhandel mit Arzneimitteln dazu geführt, dass auch in Deutschland die Gefahr von gefälschten Arzneimitteln zugenommen hat. Das haben aktuelle Studien der Europäischen Kommission sowie des Bundeskriminalamts klar belegt. Diese bedenklichen Arzneimittel kommen zwar aus illegalen Quellen, aber der durchschnittlich informierte Patient ist eben nicht in der Lage, im Internet ein legales von einem illegalen Arzneimittelangebot zu unterscheiden. Die Frage, wie sich eine zugelassene Versandapotheke eindeutig und fälschungssicher ausweisen soll, konnte bis heute nicht zufriedenstellend beantwortet werden.
Und nun droht mit dem dm-Urteil die Entwicklung des klassischen Versandhandels (direkte Bestellung, direkte Belieferung) hin zu schwer überschaubaren Varianten mit von Dritten betriebenen Diensten. Hier möchte ich als Gesundheitsministerin nicht warten, bis etwas Schlimmes passiert, sondern schon vorher handeln.
Bei dieser Gelegenheit: Eine von der Politik 2003/2004 immer wieder beschworene Voraussetzung für den Versandhandel mit Arzneimitteln, nämlich die Waffengleichheit zwischen öffentlichen und Versandapotheken gilt, wenn überhaupt, allenfalls im Binnenland. Solange es rechtlich nicht möglich ist, auch ausländische Versandapotheken zur Beachtung des deutschen Apothekengesetzes sowie der Arzneimittelpreisverordnung anzuhalten, bleibt für mich das gesamte System fraglich.
Wenn man nun konstatieren muss, dass all diese "milden Mittel" nicht erfolgreich waren oder rechtlich nicht möglich sind, kommt man logischerweise früher oder später zu der Handlungsoption, den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wieder zu verbieten. Dies würde dem EuGH-Urteil vom Dezember 2003 entsprechen und wäre zumindest im Sinne der Rechtssicherheit sowie des Patientenschutzes eine klare und eindeutige Regelung.
Vielleicht kann ich an dieser Stelle noch ein paar Worte zu den Konsequenzen eines Verbots des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln für die bestehenden Versandapotheken sagen. Zunächst liegt nach meinen Informationen der Arzneimittelanteil der Gesetzlichen Krankenversicherung für den Arzneimittelbezug über legale Versandapotheken unter 1 Prozent. Dazu kommt, dass in Deutschland der Versandhandel mit Arzneimitteln nur aus einer bestehenden Präsenzapotheke heraus betrieben werden darf. Die Verluste für Versandapotheken durch ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sehe ich deshalb fachlich und juristisch als verhältnismäßig sowie aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses als gerechtfertigt an.
Egal, wie man das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aber auch einschätzt, in einem müssten sich die Länder einig sein: Das Urteil erfordert eine schnelle Reaktion im Sinne einer rechtlichen Klarstellung, und diese Klarstellung muss noch vor der parlamentarischen Sommerpause auf den Weg gebracht werden.
DAZ: Trägt Ihr Koalitionspartner, die SPD, die Initiative mit?
Orosz: Für den Fall, dass eine solche Initiative aus meinem Haus zustande käme, gilt in Sachsen zunächst das Ressortprinzip, und das Sächsische Gesundheitsministerium wird nicht von der SPD geleitet. Das heißt, wir sind bei einer Abstimmung im Gesundheitsausschuss des Bundesrates an keine Vorgaben aus unserer Koalition gebunden.
Findet ein solcher Vorstoß im Gesundheitsausschuss des Bundesrates eine Mehrheit, müssen wir uns natürlich vor der Entscheidung im Bundesratsplenum mit unserem Koalitionspartner abstimmen. Hier würde ich mich dafür einsetzen, unseren Regierungspartner mit guten fachlichen Argumenten zu überzeugen. Dabei ist hilfreich, dass es auch aus den Reihen der SPD-Bundestagsfraktion klare Zeichen gegen die durch das dm-Urteil möglich gewordene Entkopplung der Arzneimittelabgabe und -beratung gibt.
DAZ: Haben Sie den Eindruck, mit Ihrem Ansinnen auch in anderen Bundesländern Verbündete zu finden? Wie steht es mit der nordrhein-westfälischen Laumann-Initiative, die ja insbesondere wegen der Verweigerungshaltung der dortigen FDP, ins Stocken geraten ist?
Orosz: Wenn es um die Gewährleistung einer sicheren Arzneimittelversorgung sowie des Patientenschutzes geht, muss eine sächsische Initiative in vielen anderen Ländergesundheitsministerien Unterstützung finden.
Zur Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen für ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln liegt mir kein aktueller Stand vor. Ich habe seinerzeit den Plan meines Kollegen Laumann unterstützt, möchte jetzt aber nicht warten, bis über diese Initiative in Düsseldorf endgültig entschieden ist.
DAZ: Auf welche Länder setzen Sie noch?
Orosz: Ich kann mir gut vorstellen, dass eine etwaige Initiative z. B. durch den Freistaat Bayern unterstützt und mitgetragen wird.
DAZ: Unabhängig von einem Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, besteht ja auch noch die Möglichkeit, den Versandhandelsbegriff für Arzneimittel im Arzneimittelgesetz so zu definieren, dass Ausfransungen bei der Sammlung von Rezepten und der gewerblichen Aushändigung bzw. der Abholung von Arzneimitteln außerhalb der Apothekenbetriebsräume verhindert werden. Eine solche Restriktion hätte den Vorteil, dass es auch für OTC-Arzneimittel den üblichen Sicherheitsstandard wiederherstellen würde. Wie stehen Sie zu diesem Vorschlag?
Orosz: Ich sagte bereits, dass ich mich zum weiteren Weg nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Detail erst nach einer gründlichen Analyse der schriftlichen Urteilsgründe äußern kann. Trotzdem stehe ich dem von Ihnen erwähnten Vorschlag zunächst offen gegenüber. Er wird in der pharmazeutischen Fachpresse der letzten Woche ja immer als die "kleine Lösung" nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bezeichnet. Ein Nachteil dieser Lösung könnte sein, dass wir die ausländischen Versandapotheken wieder nicht erreichen ...
DAZ: Aber man könnte das Sammeln der Rezepte, das ja in Deutschland stattfindet, wohl mithilfe des Wettbewerbsrechts unterbinden …
Orosz: Mein Ziel ist eine schnelle rechtliche Untersetzung des dm-Urteils vom 13. März 2008, um einen sicheren und rechtsklaren Versandhandel mit Arzneimitteln zu gewährleisten. So eine Initiative braucht Mehrheiten. Ob mit dieser "kleinen Lösung" eine fachlich sinnvolle und rechtsklare Regelung möglich ist, die darüber hinaus auch eine politische Mehrheit findet, sollte man zu gegebener Zeit entscheiden.
DAZ: Wie sehen die nächsten Schritte des Landes Sachsen in der Angelegenheit aus? Welchen Zeitrahmen halten Sie für realistisch?
Orosz: Eine weitere rechtliche Untersetzung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes muss unbedingt und schnellstmöglich erfolgen. Bis zum Sommer 2008 muss klar sein, wohin die Reise geht und in welche Richtung sich die Angelegenheit entwickelt.
Ich werde mich dafür einsetzen, dass dieser Prozess im Interesse der Patientinnen und Patienten und damit im Sinne eines sicheren und klar geregelten Arzneimittelverkehrs abläuft.
DAZ: Frau Ministerin, vielen Dank für das Gespräch.
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