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Punktsieg für Lutz Tisch
Wenn es nach der Resonanz der rund 100 Rechtsanwälte, Justitiare, Verbandsjuristen und Richter geht, die sich zu ihrem alljährlichen Stelldichein in Wiesbaden trafen, dann steht es um das in den meisten EU-Staaten geltende Fremd- und Mehrbesitzverbot bei Apotheken auch gemeinschaftsrechtlich nicht schlecht: Der Schlagabtausch zwischen Lutz Tisch und Christian Koenig ging eindeutig zugunsten des ABDA-Geschäftsführers aus.
In seinen Ausführungen stellte Tisch die EuGH-Verfahren in Zusammenhang mit weiteren rechtlichen und politischen Angriffen gegen den freien Heilberuf des Apothekers und verwies dabei – Stichwort: Versandhandel – auf bereits beträchtlich fortgeschrittene Erosionen bei der Abgabe von Arzneimitteln. Eine flächendeckende und ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung in Deutschland verortete Tisch dabei als verfassungsrechtlich vorgegebene öffentliche Aufgabe zum Schutze von Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 1 GG), bei deren Erfüllung sich der Staat privater Institutionen, nämlich öffentlicher Apotheken, bedient: "Der Heilberuf des Apothekers ist ein freier Beruf mit Vorbehaltsaufgaben."
Gefährliches Zusammenspiel
Für Tisch sind insbesondere folgende aktuelle Problemkreise in ihrem möglichen Zusammenspiel geeignet, massive strukturelle Auswirkungen im System der Arzneimittelversorgung hervorzurufen:
• Die Einführung des Versandhandels mit Arzneimitteln "als Teil der Regelversorgung",
• der Fremd- und Mehrbesitz an Apotheken in Verbindung mit der Niederlassungsfreiheit und
• die Anforderungen der Apothekenbetriebsordnung an die Ausstattung einer öffentlichen Apotheke.
Tisch sieht insbesondere in der Zulassung des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln den arzneimittelpolitischen Casus belli. Durch die "regelhafte Gleichstellung" des Arzneimittelversandhandels mit der Arzneimittelabgabe in der Apotheke vor Ort seien nämlich viele "systemtragende Regelungen" ordnungsrechtlich in Frage gestellt worden: "Die auftretenden Wertungswidersprüche innerhalb des Apotheken- und Arzneimittelrechts führen dazu, dass bewährte Strukturen verfassungsrechtlich angreifbar werden. Was im Rahmen des grundsätzlich gleichgestellten Versandhandels unter dem Gesichtspunkt der Arzneimittelsicherheit für verzichtbar gehalten wird, kann auch für die stationäre Versorgung nicht verpflichtend vorgeschrieben werden." Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zeige dies, zuletzt im dm-Urteil, sehr deutlich. Aus diesem Grund besteht für Tisch ein akuter politischer Handlungsbedarf, um das bestehende präventiv verbraucherschützende System der Arzneimittelabgabe in der Apotheke zu erhalten: "Die Lösung besteht in einer Reduktion des Versandhandels von der Regelversorgung hin zu einer Ausnahme gegenüber der Abgabe in der Apotheke. Dies würde durch eine Beschränkung des zulässigen Versandhandelssortiments auf nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel erreicht." Handlungsalternativen, um z. B. die "dm-Problematik" in den Griff zu bekommen, sieht Tisch nicht.
Das Beispiel Norwegen warnt
Rechtlich und in der Sache überzeugend verteidigte Tisch in Wiesbaden auch das in Deutschland bestehende Fremd- und Mehrbesitzverbot bei Apotheken. Es dient der Sicherung einer eigenverantwortlichen, von ausschließlich gewinnorientierter Einflussnahme Dritter unabhängigen und heilberuflichen Tätigkeit des Apothekenleiters und seiner Beschäftigten. Der Fall des Verbots würde in Deutschland unter dem Regime der bestehenden Niederlassungsfreiheit aller Voraussicht nach binnen kurzer Zeit zu Gesundheitskonzernen führen, die alle Ebenen der Arzneimittelversorgung integrieren: Arzneimittelhersteller, pharmazeutische Großhändler, Apotheker und Ärzte/Kliniken/Medizinische Versorgungszentren. In diesem Zusammenhang wies der Referent auf das Beispiel Norwegen hin: Nach Zeitungsberichten stammten dort 45 Prozent der im Jahr 2005 von der norwegischen Apothekenkette Apotek1 abgegebenen Generika von Ratiopharm. Das Unternehmen machte in diesem Jahr 73 Prozent seines norwegischen Umsatzes in Apotek1-Apotheken. Apotek1 gehört zur Phoenix-Gruppe.
Qualitätsanforderungen sichern
Die dritte entscheidende Schlacht wird, so Tisch, zurzeit im Vorfeld der Novelle zur Apothekenbetriebsordnung geschlagen. Tisch warnte davor, die räumlichen, personellen und sächlichen Mindestanforderungen an öffentliche Apotheken, z. B. im Hinblick auf Grundfläche, Labor oder Warenlager, in Frage zu stellen. Minimalistische Vorgaben gefährdeten die Arzneimittelversorgung und den Verbraucherschutz und beförderten gleichzeitig die Ansiedlung bloßer Arzneimittelabgabestellen. Sein Appell an den Gesetzgeber: Das Qualitätsniveau bei der Ausstattung einer Apotheke muss bestehen bleiben.
DocMorris-Prozessvertreter: Der Sieg ist unser
Im Gegensatz zu Tisch, der zum Ausgang der Fremd- und Mehrbesitzverfahren vor dem EuGH keine Prognosen stellen wollte, gab sich DocMorris-Vertreter Koenig in Wiesbaden – geradezu provozierend – siegessicher: Im Hinblick auf die Optiker-Entscheidung des EuGH sei klar, wohin gemeinschaftsrechtlich auch bei Apotheken die Reise gehe. Die dortige Argumentation des Gerichts sei, so Koenig, 1:1 auch auf die anhängigen Fremd- und Mehrbesitzverfahren bei Apotheken zu übertragen. Im Übrigen merke, wer die Stellungnahmen der Bundesregierung zu den Verfahren vor dem EuGH "zwischen den Zeilen" lese, dass selbst dort kein Wille mehr bestehe, das "deutsche System nachdrücklich zu verteidigen". Unter Berufung auf allerlei EuGH-Rechtsprechung zum Glücksspiel und unter Hinweis auf das Streinz-Herrmann-Auftraggutachten, das dem berühmt-berüchtigten Genehmigungsverfahren bei der Eröffnung der DocMorrisFremdbesitzapotheke in Saarbrücken zugrunde gelegen hatte, behauptete auch Koenig, dass das in Deutschland – und in den meisten anderen EU-Mitgliedstaaten – geltende Fremd- und Mehrbesitzverbot bei Apotheken gemeinschaftsrechtlich gegen die Niederlassungsfreiheit von Kapitalgesellschaften verstoße. Rechtfertigungsgründe für diese "offene Diskriminierung" seien nicht ersichtlich. Im Gegenteil: Nach Auffassung des umtriebigen DocMorris-Anwalts sind Apothekenketten sehr viel besser in der Lage, eine flächendeckende Arzneimittelversorgung samt verbraucherfreundlichem Service zu gewährleisten als inhabergeführte Einzelapotheken – eine These, die nicht nur bei seinem Kontrahenten Kopfschütteln hervorrief, sondern auch in der anschließenden Diskussion auf Verwunderung stieß: "Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal in die Verlegenheit komme, Positionen der ABDA zu verteidigen. Aber heute muss ich es tun", fasste ein Jurist seinen Eindruck zum Wiesbadener Streitgespräch zusammen.
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