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"Ich brauche Apotheker"

Peter Ditzel

Tchibo kennen Sie. Der hanseatische Kaffeeröster baute in den 60er und 70er Jahren sehr erfolgreich ein Kaffeeimperium auf. Nahezu in allen größeren Städten richtete er Filialen ein, in denen er seine Kaffeebohnen verkaufte, verbunden mit einem Stehausschank. Doch nach einiger Zeit war ihm der Kaffeeverkauf nicht genug. Noch mehr Wachstum musste her, noch mehr Umsatz. Da der Umsatz mit Kaffee ausgereizt war und die Deutschen nicht noch mehr Kaffee trinken konnten, stieg der Kaffeeröster in den Verkauf von Haushaltswaren aller Art ein. In den Filialen konnten sich die Kunden mit Küchenmessern, Blumentöpfen, Windlichtern, Stereoanlagen und Reisekoffern eindecken. Zwar mussten die Verkäuferinnen anfangs noch fragen, ob es nicht noch ein Pfund Kaffee sein darf. Doch Tchibo legte sein Augenmerk mehr und mehr auf die Vermarktung anderer Waren, das Kaffeegeschäft schien in den Hintergrund zu treten.

Von den USA kommend breitete sich derweil eine neue Kaffeetrinkkultur aus. Starbucks und andere Kaffeeverkäufer fügten dem einfachen Kaffee einen Mehrwert bei, indem sie in zeitgemäß gestalteten Kaffeehäusern feine Kaffeesorten und Zubereitungen offerierten und sich als Fachkompetenz in Sachen Kaffeegenuss profilierten. Tchibo geriet ins Hintertreffen.

Auch für die häusliche Kaffeezubereitung genügt schon lange nicht mehr der Kaffeefilter – ebenso wenig wie die einfache Kaffeemaschine, die nur heißes Wasser über das Kaffeemehl tröpfeln lässt. Die Kaffeezubereitung, die heißes Wasser mit Druck durch das feingemahlene Kaffeepulver presst und den Kaffee mit einer Crema versieht, ist mittlerweile gefragt. Die Firma Nestlé erkannte diesen Trend. Sie packte den Kaffee in Kapseln, entwickelte die passenden Kaffeemaschinen dazu und hatte damit das System Nespresso erfunden – mit rasant steigendem Erfolg, während Tchibos Ertragskurve nach unten zeigt. Tchibo hat sich sein ureigenes Geschäft aus der Hand nehmen lassen. Für Marktexperten ist dieses Szenario ein klassischer Fall: Ein Handelsriese diversifiziert zu stark und verliert seine Kernkompetenz aus den Augen, während Mitbewerber mit Ideen das Geschäft machen.

Auf dieses Lehrstück aus der Marktwirtschaft sollten wir Apotheker schauen, um nicht ähnliche Fehler zu machen, nämlich den Fehler, unsere eigene Kernkompetenz aus den Augen zu verlieren. Als Apotheker sind wir die Fachleute für das Arzneimittel und seine richtige und sichere Anwendung, und sollten es bleiben. Wir sollten nicht glauben, dass es unsere Profession ist, Arzneimittel wie Waren im Drogeriemarkt zu vermarkten und unser Randsortiment beliebig zu erweitern. Besinnen wir uns auf unsere Kernkompetenz. Bringen wir uns in die Gesellschaft ein als der Arzneimittelexperte. Bauen wir unser Fachwissen in klinischer Pharmazie aus, werden wir zu Beratern der Ärzte in Klinik und Praxis. Wenn wir diese Kompetenz aus der Hand geben, dann geben wir unseren Beruf auf. Dann könnte es sogar sein, dass sich in Zukunft zwei Arten von Apothekern entwickeln: der Heilberufler und Pharmazeut, der sich zusammen mit dem Arzt um die Therapie der Patienten kümmert, und den "einfachen Apotheker", der Pillenschachteln in einem Supermarkt-ähnlichen Laden wie andere Waren des täglichen Bedarfs verkauft – ohne große Beratung und Information. Ob dies die richtige Entwicklung ist, darf man bezweifeln. Denn beim Arzneimittel gehören Hard- und Software, die Ware und die dazu notwendige Information, eng zusammen. Arbeiten wir daran, dass hier nichts in die falsche Richtung läuft. Wissen, Beratung und die Ware müssen aus einer Hand kommen, aus der des Heilberuflers Apotheker.

Vielleicht sollten wir gerade jetzt – wo die Bundesgesundheitsministerin uns, die Apotheker, als unverzichtbare Größe im Gesundheitssystem wieder entdeckt hat ("Ich brauche Apotheker") – unsere Kompetenz, unser Können und unser Wissen deutlich herausstellen. Natürlich hätten wir uns diese Einsicht der Ministerin, dass die Pharmazie eine unverzichtbare Größe im Gesundheitssystem ist und deren Bedeutung in Zukunft weiter zunehmen wird, ein paar Jahre früher gewünscht. Vielleicht hätte sie sich dann nicht zur Einführung des Versandhandels hinreißen lassen (dm & Co. im Arzneimittelgeschäft wären uns erspart geblieben) und hätte den unverzichtbaren Nutzen einer Beratung "face to face" höher eingeschätzt. Und damit auch den Nutzen unserer Tätigkeit für das Gesundheitssystem. Vielleicht hatten wir es früher aber auch versäumt, unser Tun noch viel deutlicher herauszustellen. Nehmen wir die Einsicht der Ministerin zum Anlass, voll unsere Heilberufskarte auszuspielen. Das haben wir gelernt, das können wir. Sonst könnte es uns wie Tchibo im Kaffeemarkt gehen: da machen jetzt andere die Trends und das Geschäft.


Peter Ditzel

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