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Feuilleton
Vom "weißen Gold" zur Hightech-Keramik
Die Kunde, Johann Friedrich Böttger sei die Umwandlung silberner Münzen in goldene Moneten gelungen, ließ alle Welt aufhorchen. Der Berliner Apothekerlehrling hatte zum Unmut seines Ausbilders Friedrich Zorn dessen Laboratorium heimlich für alchimistische Experimente missbraucht. In einer Demonstration 1701 wollte er endlich den Lehrherrn von seinem Können überzeugen. Stets auf die Vermehrung ihres Wohlstands bedacht, begannen nun etliche Landesherren um den vermeintlichen Goldmacher zu rivalisieren.
Drei Experten am Werk
So auch August der Starke, der Böttger, als er nach einem Streit von Berlin nach Sachsen geflohen war, kurzerhand gefangen nehmen und am Dresdner Hof die Experimente vorführen ließ. Für das hehre Ziel, in beliebigen Mengen selbst Gold herstellen zu können, war dem sächsischen Kurfürst kein Aufwand zu hoch. Weil aber der Alchimist offenbar zu viel versprochen hatte, wurden ihm 1704 der kursächsische Rat und Naturforscher Ehrenfried Walther von Tschirnhaus sowie der Gelehrte Gottfried Pabst von Ohain zur Seite gestellt.
Doch auch zu dritt gelang es nicht, den Auftrag des Monarchen zu erfüllen. Nach eingehenden Untersuchungen teilte Pabst von Ohain dem Landesherrn mit, dass weitere Experimente aussichtslos seien. Deshalb konzentrierten sich die Experimentierer nun darauf, das in China sorgsam gehütete Geheimnis der Porzellanherstellung zu lüften. Aufgrund kriegerischer Ereignisse wurde das Laboratorium 1705 auf die Albrechtsburg in Meißen verlegt.
Nach ersten Erfolgen mit keramischen Experimenten gelang es ein Jahr später, Jaspisporzellan herzustellen. Das ziegelrote Steinzeug ging als "Böttgerporzellan" in die Geschichte ein.
Noch zwei weitere Jahre sollten indessen vergehen, bis in Europa erstmals "weißes Gold", wie es bereits Marco Polo um 1300 aus dem Reich der Mitte mitgebracht hatte, gebrannt werden konnte. Pabst von Ohain hatte die Verwendung von "weißer Erde" vom Heidelsberg bei Aue und Alabaster angeregt. Nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen war es dann nicht Böttger, sondern von Tschirnhaus, der endlich die richtige Rezeptur für das weiße Hartporzellan fand. Als Beleg dafür gilt ein Brief Böttgers vom 14. Oktober 1708, der im Hauptstaatsarchiv Dresden (Loc. 976) aufbewahrt wird. Darin teilt der Alchimist dem sächsischen Hof mit, dass von Tschirnhaus unmittelbar vor seinem Tod am 11. Oktober 1708 noch einen Becher aus weißem Scherben gebrannt habe.
Böttger wurde beauftragt, das Erbe von Tschirnhaus’ zu bewahren und weiterzuentwickeln; so nahm im Juni 1710 die Porzellanmanufaktur in der Albrechtsburg ihre Produktion auf. Im April 1714 wurde Böttger unter der Auflage, als Geheimnisträger Sachsen nicht zu verlassen, endlich auf freien Fuß gesetzt. Nun versuchte er aufs Neue, Gold herzustellen. August der Starke soll ihn dabei tatkräftig unterstützt haben. Der Monarch hatte die Hoffnung, er könne das Staatssäckel mithilfe eines Alchimisten füllen, trotz der Misserfolge offenbar nicht aufgegeben.
Böttger wurde die "Goldmacherei" schließlich zum Verhängnis: Am 13. März 1719 starb er an den Folgen seiner Experimente mit giftigen Substanzen.
Golddekore auf "weißem Gold"
Das "weiße Gold" aus Meißen hatte indessen längst Eingang in höfische Sammlerkabinette und Tafeln gefunden. Allerdings gab es in der Frühzeit kaum Möglichkeiten, den aus Kaolin, Feldspat und Quarz gebrannten Scherben farbig zu dekorieren. Deshalb wurden auf frühe Meißener Porzellane häufig plastische Blüten und Blätter aufgelegt. In der Goldschmiedekunst und der Glasveredelung war indessen bereits das Dekorieren mit farbigen Glasflüssen üblich. Dieses Know-how war die Basis für die Goldmalerei auf Porzellan.
Unter dem Motto "Gold für Meissener Porzellan®" zeigt eine Kabinettausstellung der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Meissen GmbH bis zum 2. November ausgewählte Exponate vergoldeten Porzellans vom Barock über den Jugendstil bis zu modernen Kollektionen und erläutert dabei die Techniken im Wandel der Zeit. In Augsburg hatten Gold- und Silberschmiede schon frühzeitig begonnen, Porzellan mit Golddekor zu montieren. Den entscheidenden Anstoß, das Porzellan selbst zu bemalen, hatte Johann Georg Funke gegeben, ein Goldschmiedemeister und erfahrener Maler für Gold-, Silber- und Emaildekore in Meißen.
Im frühen 18. Jahrhundert wurde die Goldmalerei auf Porzellan in Poliergold ausgeführt. Das Porzellan kam mit matten Dekoren aus dem Brand. Um dem Gold Glanz zu verleihen, musste es poliert werden. Die "hohe Schule" der Goldmalerei waren Dekore mit Gravuren. In die matten Goldflächen der sogenannten "Goldchinesen" wurden mit einem Stift aus Halbedelstein feine Linienzeichnungen graviert, die sich nach dem Brand glänzend vom matten Goldgrund abhoben. Diese Technik wird bis heute in der Meißener Manufaktur gepflegt.
Glanzvergoldung auf Meißener Art
Auch Purpurfarbe gewinnen die Meißener Porzellanmaler aus Gold. Dafür wird reines Gold in Königswasser gelöst. Nach dem Verdünnen mit Wasser und Hinzufügen von Zinnchloridlösung schlägt sich das Edelmetall auf der Zinnsäure nieder. Der abgesetzte purpurfarbene Niederschlag wird neutralisiert und herausgefiltert. Danach werden die Pigmente mit speziellen, beim späteren Farbbrand schmelzenden Flüssen verrieben, getrocknet und fein gemahlen.
1827 entwickelte Heinrich Gottlob Kühn, Technischer Leiter und später Direktor der Manufaktur, die Glanzvergoldung unter Verwendung von kolloidalem Gold in Öl. Durch den Brand verwandelt sich die dünn aufgetragene, dunkelbraune Schicht zu Glanzgold. Den eigentlichen Glanzeffekt bewirkt allerdings die durchschimmernde Glasurschicht darunter.
Jährlich verarbeiten in Meißen siebzehn spezialisierte Manufakturisten vier Kilogramm Gold. In der Regel gelangt das Porzellan erst nach dem Aufmalen der farbigen Hauptmotive in die Abteilung für Goldmalerei. Nach dem Dekorieren werden die Objekte bei 900 °C gebrannt. Service und Geschenkporzellane werden meistens in gesonderten Arbeitsgängen dekoriert. Für das Bemalen von Figurenstaffagen gibt es eine separate Abteilung. Hier wird das Dekorieren mit Gold nicht von den anderen Arbeitsgängen getrennt.
Vom Zahnersatz bis zum keramischen Hitzeschild
In der Albrechtsburg in Meißen werden bis zum 8. Juni 300 Jahre Porzellangeschichte "Vom ersten europäischen Porzellan bis zum keramischen Hightech-Produkt" dokumentiert. Die Schau veranschaulicht nicht nur die Unterschiede zwischen dem ostasiatischen Hartporzellan und dem europäischen Porzellan. Sie geht auch auf die Entwicklungsgeschichte vom Böttgersteinzeug über das Kalkporzellan bis zu modernen Keramikwerkstoffen in Technik und Medizin ein.
Von Tschirnhaus und Böttger hätten sich wohl kaum träumen lassen, dass ihre Entdeckung einmal der Schlüssel zur Herstellung von Objekten sein sollte, die in der Energie- und Umwelttechnik, der Maschinen- und Anlagentechnik, aber auch im Fahrzeugbau sowie in der Mikroelektronik und der Medizin unverzichtbar sind. Zu den Highlights dieser umfangreichen und sehr informativen Ausstellung gehört eine Keramik-Bremse der Porsche AG. Der Stuttgarter Automobilbauer setzte als erstes Unternehmen der Branche Keramik in Serienfahrzeugen ein.
Laufend neue Anwendungen
Ganz so neu, wie es zunächst scheint, ist die Verwendung von keramischem Material für technische Zwecke allerdings nicht. Bereits um 1810 wurde aus Porzellan erstmals ein künstlicher Zahnersatz hergestellt. Seit 1840 ist Porzellan das Material der Wahl für Isolatoren. 1913 wurde aus keramischem Material erstmals eine Brennstoffzelle hergestellt, und 1936 kam die keramische Radioröhre auf den Markt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann man, hochfeste Keramiken als Struktur- oder Ingenieurkeramiken einzustufen. Zu den jüngeren keramischen Hochleistungswerkstoffen zählen z. B. Piezo- und Feuerfestkeramiken mit Erweichungspunkten oberhalb von 1500 °C.
In Abgrenzung zu Metallen und Kunststoffen versteht man heute unter dem Begriff "Keramik" im weitesten Sinn sämtliche nichtmetallischen anorganischen Werkstoffe. Diese Materialien besitzen besondere Eigenschaften, die sie unter anderem für die Medizin und die Sporttechnik, aber ebenso für Haushaltsgeräte, die elektronische und die Fahrzeugindustrie, für den Maschinenbau und die Weltraumtechnik interessant machen. So wurde 1965 erstmals ein keramischer Hitzeschild für Weltraumfahrzeuge entwickelt.
In Medizin und Pharmazie unentbehrlich
In Medizin und Pharmazie haben keramische Werkstoffe aufgrund ihrer Festigkeit, Oberflächenglätte und Körperverträglichkeit ihren festen Platz. Wenn auch Schaugefäße aus "weißem Gold" einst die besseren Offizinen schmückten, so waren Keramiken als Utensilien wie Arzneigefäße und Reibschalen aus pharmazeutischer Sicht noch wertvoller. Neueren Datums sind z. B. keramische Dosierreservoire. Auch als "Ersatzteile" des menschlichen Körpers haben sich Keramiken bestens bewährt. Bereits 1969 wurden erstmals keramische Endoprothesen hergestellt und erfolgreich implantiert.
Reinhard Wylegalla
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