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Visionen aus der Neuen Welt

Peter Ditzel

Pharmazie in den USA – mal Hand aufs Herz: Welche Assoziationen verbinden Sie damit? Vielleicht Kettenapotheken, Drugstores und Versandapotheken? Ein bisschen Klischee, ja, aber stimmt natürlich. Die kleine inhabergeführte Apotheke vor Ort gibt es zwar noch, man muss sie aber suchen. Schon eher findet man inhabergeführte Miniketten, starke Individualapotheken in Apothekerhand mit einigen angeschlossenen Filialen. Aber was weiß man schon darüber, wie das Berufsbild des Apothekers jenseits des großen Teichs aussieht? Welche Ausbildung bekommt er, wie sieht seine Arbeit aus und welche Ideale und Ziele hat er? Was erwartet die Bevölkerung von ihm, welchen Platz nimmt er im Gesundheitswesen ein? Gründe genug, mich auf den Weg zu machen und mich vor Ort umzusehen.

Eine Einladung des deutschen Pharmakologen Professor Henning Schröder, der seit einem Jahr an der Universität des Bundesstaates Minnesota in Minneapolis arbeitet, kam mir dabei zu Hilfe und vermittelte mir die Kontakte zu den Hochschullehrern des pharmazeutischen Instituts, des College of Pharmacy von Minnesota. Ich konnte zahlreiche Gespräche und Interviews führen, hatte Einblick in eine Kettenapotheke – und erfuhr, welche Visionen unsere amerikanischen Kolleginnen und Kollegen zur Pharmazie und zur Arbeit des Apothekers haben, Visionen, die zum Teil schon Realität geworden sind.

Gleich vorweg, die Ausbildung der angehenden Pharmazeuten ist hervorragend. Um es auf den Punkt zu bringen: sie dauert zwar bis zu vier Jahre länger als bei uns, der angehende Apotheker schließt dann allerdings mit dem Doktor der Pharmazie, dem PharmD, ab. In Vorkursen von bis zu vier Jahren bekommt er eine umfassende Ausbildung in Chemie, Physik, Biologie und anderen naturwissenschaftlichen Fächern vermittelt. Drei bis vier weitere Jahre konzentriert er sich dann auf rein pharmazeutische Fächer wie Pharmakologie, Pharmakotherapie, Pharmakoökonomie und Klinische Pharmazie, wobei immer der Patient im Mittelpunkt steht. Die Ausbildung ist stark patientenorientiert. Sie richtet sich mehr und mehr auf die neue Tätigkeit des Apothekers aus, die unter dem Schlagwort MTM (Medication Therapy Management) das neue Berufsbild des Apothekers beschreibt. Auf den Punkt gebracht: Während unsere Studenten noch Ionen fischen, arbeiten die amerikanischen Studenten mit dem Patienten.

Freilich, noch übt der Apotheker in den Chain- (Ketten-) und den wenigen Independent-Pharmacies (unabhängige Apotheken) die klassischen Tätigkeiten aus wie Distribution der Arzneimittel, Belieferung der Rezepte, Abzählen von loser Bulkware in Tütchen und Etikettierung sowie Beratung und Information, doch schon seit mehreren Jahren ist es deutlich geworden, dass hierin nicht die Zukunft des Apothekers, des modernen Apothekerberufs liegen kann. Das Wissen des Apothekers ist besser und sinnvoller eingesetzt beim Management der Arzneitherapie für den Patienten. Das hilft dem Patienten und das hilft den Kostenträgern. Zum MTM gehört beispielsweise eine ausführliche Anamnese der vom Patienten eingenommenen Arzneimittel, das Abklären möglicher Risiken, die Einstellung der Arzneitherapie anhand klinischer Parameter, die Aufstellung eines Medikationplans, Schulung des Patienten und Kommunikation mit allen an der Therapie Beteiligten. MTM hat in einigen Staaten der USA, so auch in Minnesota, mittlerweile eine Eigendynamik bekommen. Es laufen bereits Projekte, in denen Patienten oder Kostenträger für diese Leistung des Apothekers bezahlen. Alle Hochschullehrer und Apotheker, mit denen ich sprach, zeigten sich voller Optimismus, dass sich MTM durchsetzen und das zukünftige Berufsbild des Apothekers bestimmen wird. MTM – schon keine Vision mehr, sondern Realität.

Bereits nicht mehr zeitgemäß wirken dagegen die Kettenapotheken mit ihren Regalstraßen, in denen der Kunde frei und ohne Kontrolle alles einkaufen kann von ASS und Paracetamol über Cimetidin bis hin zu Melatonin und DHEA, zusätzlich ein paar Meter weiter im Regal Waren des täglichen Bedarfs von Cola bis PC-Zubehör findet. Aber: selbst Kettenapotheken setzen auf eigene MTM-Programme und bieten den Patienten eine intensivierte Betreuung der Arzneitherapie an. Dennoch, mit dem Bild des Drugstores werden die Amerikaner wohl noch lange leben müssen – die Margen, die eine Apotheke mit der Abgabe von Arzneimitteln erzielt, reichen nicht mehr, um einen Apothekenbetrieb aufrecht zu erhalten. Der Verkauf von nicht-pharmazeutischen Waren aller Art muss zur Unterstützung beitragen. Die Amerikaner haben sich an die Diskrepanz gewöhnt: einerseits intensive Beratung und Betreuung, andererseits OTC-Arzneimittel in der Freiwahl. Aber wie gesagt, das Berufsbild zeigt in eine andere Richtung: Vorstellbar ist der Apotheker mit Praxis im Ärztehaus, der Apotheker ohne Apotheke, der von den Kostenträgern für seine Arbeit honoriert wird. Die MTM Clinic in Duluth, Minnesota, die zur Universität gehört, zeigt, wo‘s lang geht. Werfen Sie mit mir einen Blick in die Neue Welt.


Peter Ditzel

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