Länderdossier Schweiz

Erfolg mit der Komplementärmedizin

Unabhängige Apotheken, die über eine gewisse Umsatzgröße an exponierten Standorten verfügen, oder Apotheken, die sich frühzeitig in einer Marktnische positioniert haben, agieren häufig noch allein am Markt. Nachfolgend werden zwei Apotheken vorgestellt, die sich in der Marktnische Komplementärmedizin behaupten.

"Der Noyer mit den Kügelchen"

Die Noyer-Apotheken in Bern gehören zur Gruppe der Rotpunkt-Apotheken und beschäftigen sich bereits seit 1933 mit der Alternativmedizin.

"Angefangen hat es mit wunderschönen Milchglasflaschen mit Einzelpotenzen, die mit einer Apotheke übernommen wurden. Nach dem Tod eines Arztes, der Homöopathie nach Hahnemann praktizierte, kamen weitere Substanzen, LM-Potenzen und Aufschriebe von Krankengeschichten dazu. Ich bekam dann die Möglichkeit, in einer Stundenanstellung bei einem wunderbaren anthroposophischen Arzt in Holland sehr gute Erfahrungen zu sammeln und etwas über die anthroposophische Medizin zu erfahren", erinnert sich Dr. Jean Maurice Noyer, der heutige, über 70-jährige, noch berufstätige Apotheken-Inhaber in Bern. Bioforce kam durch Aufkauf aus einem Reformhaus dazu, Phytotherapie wurde aus der Übernahme eines Ladens integriert, jahrelang hatte die Noyer-Apotheke die Wala-Vertretung für die Schweiz. "So kam dann eines zum anderen. Das war wie ein Schneeballeffekt. Ich wurde als ,der Noyer mit den Kügelchen’ in Bern bekannt."

Auch der Markt der Komplementärmedizin erweitert sich ständig. Speziell ausgebildete Fachkräfte beraten heute im Bereich der Spagyrik sowie der Aroma- und Bachblütentherapie. In den letzten Jahren wurde mithilfe der nächsten Noyer-Generation die traditionelle chinesische Medizin (TCM) integriert. "Ich bin froh, dass wir den Vertrieb von TCM von der Apotheke getrennt haben und zu einem eigenen erfolgreichen Profit-Center gemacht haben. Ich bin der einzige Nicht-Apotheker in der Familie. Die apothekertypische Denke und Vorsicht fühle ich immer wieder auch als Bremse. Ich habe in meinem früheren Arbeitsleben anders funktioniert. Direkter, schneller, trotz Risiko. Mein unternehmerisches Denken ist eine gute Ergänzung unserer pharmazeutischen Tradition in gegenseitiger Anerkennung und Akzeptanz", erklärt der älteste Sohn Alain Noyer sein Verhältnis zum Familienunternehmen Noyer.

Sortimentsangebote sind das eine und können leicht kopiert werden, die überzeugte Haltung dahinter ist wohl eher das Erfolgsrezept. "So wie ich meinen Beruf anschaue, ist die Komplementärmedizin eine Erweiterung meiner pharmazeutischen Arbeit. Nur Allopathie, das wäre mir ein bisschen zu einseitig. Wir missionieren allerdings auch nicht. Selbstverständlich balancieren wir die Allopathie gegen die Alternativen und vice versa aus, berücksichtigen den Kundenwunsch und hören genau zu, was für ihn das Wichtigste und Heilsamste sein könnte. Selbstverständlich geben wir auch allopathische Präparate ab".

Zu den Noyer-Apotheken gehören inzwischen vier weitere Apotheken in Bern und eine Apotheke in Biel. Diese Führung erfordert natürlich auch ein neues Management-Denken. Die übrigen Noyer-Apotheken sind nicht alle ausschließlich auf die Komplementärmedizin ausgerichtet, sondern haben jeweils auch noch ihren eigenen USP. "Unsere Basisphilosophie bezieht sich ja nicht nur auf die Komplementärmedizin, sondern vielmehr auf die Haltung, die dahinter steht. Unsere Philosophie beinhaltet neben der Nähe zur Komplementärmedizin auch Achtsamkeit gegenüber Natur und Organismus und die ganzheitliche Betrachtung des Menschen. Wir hören unserem Kunden zu, wir unterstützen ihn, wir haben Zeit und wir finden die beste Lösung für ihn. Dafür kopieren wir, recherchieren im Internet und dicken Lehrbüchern und geben unsere ganze Erfahrung in der Beratung weiter. Das haben wir nicht, das kennen wir nicht, das wissen wir nicht – diese Sätze sollten in einer Noyer-Apotheke nicht ausgesprochen werden. Und daran wird sich auch unter unserer Führung nichts ändern", so die Kinder Ann-Laurence und Mathieu Noyer, die bereits im elterlichen Geschäft arbeiten und dieses nach Umwandlung in eine Holding übernehmen werden.

Der zunehmende Wettbewerb im Apothekenmarkt bringt für diese beratungsintensiven Apotheken eine neue Herausforderung. "Häufig lassen sich die Kunden, auch telefonisch, bei uns beraten und kaufen dann die Produkte woanders preisgünstiger ein. Die Ablösung der Beratung vom Produkt ist eine Gefahr, denn für die Beratung allein werden wir (noch) nicht bezahlt."

Die zunehmende Margenerosion tut da noch ein Übriges dazu. Die Beratung wurde früher über die Marge des Produktes mitbezahlt. Das rechnet sich aber heute kaum mehr, zumal die weniger beratungsintensive Dauermedikationen in Folge häufig doch über das Internet oder über andere billigere Anbieter eingekauft wird. Einen guten Spagat zwischen eigenem Beratungsselbstverständnis und betriebswirtschaftlicher Konsequenz zu finden – diese Aufgabe wird die Nachfolgegeneration zu lösen haben.

Die St. Peter-Apotheke in Zürich – ein pharmazeutisches Kunstwerk

Die St. Peter-Apotheke in Zürich nennt sich selber "die etwas andere Apotheke". "Wir haben einen Traum noch nicht ausgeträumt: Die Apotheke als Gesamtkunstwerk", so steht es zu lesen in der Imagebroschüre. In der Tat wirkt diese Apotheke gestalterisch wirklich wie ein pharmazeutisches Kunstwerk.

Die Inhaberin Frau Briggen möchte mit ihrem Team der wissenschaftlichen Schulmedizin und andererseits der Naturheilmedizin in all ihren Formen gerecht werden. "Nicht hier Wissen, dort Idee, sondern beide vereint als Grundlage einer individuellen Gesundheitsberatung." Neben allen schulmedizinischen Medikamenten führt die St. Peter-Apotheke ein breites Sortiment an alternativen Heilmitteln. Homöopathische Kügelchen, anthroposophische Tropfen und Salben, biologisch-dynamische Tees, chinesische Kräutermischungen, ja sogar Blutegel – alles kann man während 365 Tagen im Jahr erhalten. Die Apotheke hat jeden Tag geöffnet. Und das hat eine Geschichte (siehe Kasten).


GEWINNEN MIT ÖFFNUNGSZEITEN

Wie die Bellevue-Apotheke zur 24-Stunden-Apotheke an 365 Tagen wurde


Als frühere Pächterin der Bellevue-Apotheke hatte Frau Briggen gleichzeitig im Vorstand des Städtischen Apothekervereins Zürich die Aufgabe einer Aktuarin. Unter anderem war sie für die Einteilung des Notdienstes verantwortlich und diese Aufgabe gestaltete sich mehr als schwierig. Nach vielen kurzfristigen Absagen und improvisierten Notlösungen kam ihr die Idee: Wir brauchen eine 24 Stunden-Apotheke in Zürich! Sie brachte diese Idee immer wieder auf die Tagesordnungen der Vorstandssitzungen, ohne Erfolg auf Gehör. In einer außerordentlichen Sitzung schließlich an einem neutralen Ort kam es zu einer Abstimmung, der Antrag brauchte zur Genehmigung eine Zwei-Drittel-Mehrheit. „In dieser Sitzung sah ich Apotheker, hundertjährig, die ich noch nie gesehen hatte und die mobilisiert worden waren. Der Antrag wurde natürlich wieder abgelehnt.“ Es folgten weitere Versuche und schließlich führte ihr Kampf um die 24-Stunden-Apotheke viele Schikanen, Tränen und Schweißausbrüche später dazu, dass sie als „Enfant terrible“ zwar den Verein verließ, aber ihrer Idee treu blieb und sie in der eigenen Apotheke umsetzte. Sie öffnete die Bellevue-Apotheke täglich für 24 Stunden. „Wir strichen die 5-sFr.-Nachttaxe, suchten Apotheker und hatten vom ersten Tag an 200 Kunden pro Nacht. Nie werde ich die Fahrt zu meiner letzten Sitzung vergessen, die in Einsiedeln stattfand. Schon früh saß ich in der dritten Reihe im Bus. Alle später eintreffenden Kollegen besetzten nur die hinteren Reihen und schauten wortlos aus dem Fenster – es war eine schreckliche Anspannung. Diese löste sich erst sehr viel später, als der damalige schweizerische Präsident des Apothekervereins zu mir kam und mich zu meiner Idee beglückwünschte.“Die Bellevue-Apotheke wird heute von Dr. Roman Schmid geführt und ist seit fast drei Jahrzehnten rund um die Uhr an 365 Tagen geöffnet. Sie wurde bereits 1887 gegründet und ist eine der traditionsreichsten Apotheken der Schweiz und mit 55 Mitarbeitern wohl auch eine der Größten. Sie behauptet sich erfolgreich im Markt ohne Anbindung an eine Gruppierung oder Kette. Auch die Bellevue-Apotheke bietet neben anderen Sortimenten ein umfangreiches Angebot an Komplementärmedizin.



In der St. Peter Apotheke gibt es Beratungs- und Verkaufspersonal aller Alterstufen. "Erfahrung ist in unserer Apotheke nicht nur Gold, sondern Platin wert", meint dazu die Chefin. "Wir besetzen nicht einfach nur eine Marktnische, sondern wir leben unsere Philosophie. Unser Engagement geht weit, weit über die Apotheke hinaus. Viele meiner Kollegen meinen, dass unser Konzept einfach zu kopieren sei, da Naturheilmittel im Trend liegen. Davor kann ich nur warnen. Es geht nur mit hundertprozentigem Einsatz und nicht, wenn man möglichst viel Geld mit dem kleinen Finger verdienen will."

Und wie löst diese Apotheke das Problem mit den aufwendigen Beratungen? In der Imagebroschüre ist zu lesen: "Für alle schwierigen Fälle, die wir nicht am Ladentisch lösen können, stehen Ihnen drei diplomierte Homöopathinnen (in einer Praxis über der Apotheke) zur Verfügung" – vielleicht ist das eine praktikable Antwort.

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