Pharmazeutische Betreuung

Beratung und Hilfe für Fibromyalgiepatienten

Therapie der Fibromyalgie nach den Leitlinien der European League Against Rheumatism
Von Kirsten Lennecke und Jörg Wittig

Sicher gibt es auch in Ihrer Apotheke Patienten, die dadurch auffallen, dass sie häufig im Rahmen der Selbstmedikation zu verschiedenen Analgetika greifen. Dahinter könnte eine chronische Erkrankung wie das Fibromyalgiesyndrom stecken. Oft haben die Betroffenen einen langen Leidensweg hinter sich, die Diagnose Fibromyalgie gleicht einer Herausforderung. Um die Therapie zu optimieren, sollten in der pharmazeutischen Betreuung Apotheker, Patient und behandelnder Arzt eng zusammenarbeiten. Durch eine systematische Beobachtung und Analyse des Therapieverlaufs kann der Apotheker arzneimittelbezogene Probleme aufdecken. Manche können direkt im Gespräch zwischen Apotheker und Patient durch gezielte Information gelöst werden; andere Probleme erfordern Rücksprache mit dem Arzt, der die Therapie nach Vorschlägen des Apothekers anpassen oder umstellen kann – nicht selten werden dadurch auch Therapiekosten gesenkt.

Eine Patientin möchte von Ihnen zweimal zwanzig Thomapyrin® Tabletten und dreißig Paracetamol. Sie stutzen natürlich über die Menge der gewünschten Analgetika. Während Sie sich umdrehen und die Arzneimittelpackungen aus der Sichtwahl nehmen, haben Sie einen kleinen Moment Zeit zu überlegen, wie Sie mit der Patientin ins Gespräch kommen. "Mir ist aufgefallen, dass Sie häufiger Schmerzmittel kaufen. Wie kommen Sie eigentlich damit zurecht? Helfen die Tabletten Ihnen ausreichend gegen Ihre Schmerzen?" "Na ja, ein bisschen helfen sie schon, aber so richtig hilft mir wohl nichts." "Darf ich fragen, gegen welche Art von Schmerzen Sie es einnehmen?", fragen Sie weiter. "Gegen Fibromyalgie. Da hilft wohl nichts – oder haben Sie noch eine Idee, was ich dagegen machen könnte?"

Gute Frage, denken Sie. Es muss doch etwas Besseres geben, als sich unkontrolliert mit Analgetika in der Selbstmedikation zu behandeln. Ein solches Gespräch kann zum Beginn einer pharmazeutischen Betreuung führen. Was ist Fibromyalgie? Wie wird diese Krankheit leitliniengerecht behandelt? Und welche Möglichkeiten stehen uns in der Apotheke zur Betreuung der Patienten zur Verfügung?

Fibromyalgie – eine wenig greifbare Krankheit

Das Fibromyalgiesyndrom wird als generalisierte Tendomyopathie beschrieben. Es handelt sich um einen Symptomenkomplex aus chronischen, ausgedehnten Schmerzen des Bewegungsapparats und der Weichteile mit oft wechselnder Lokalisation und Intensität, vielfältigen vegetativen Begleiterscheinungen und psychischen Begleiterscheinungen in Form einer depressiven Stimmungslage (s. Kasten Definition).


Das Fibromyalgiesyndrom (FMS, generalisierte Tendomyopathie) ist Symptomenkomplex bestehend aus
  • chronischen, nicht entzündlich bedingten Schmerzen des Bewegungsapparats und der Weichteile, auslösbar durch Drücken von Schmerzpunkten an Muskeln und Sehnenansätzen,

  • multiplen vegetativen Funktionsstörungen, z. B. Müdigkeit (Fatigue), Schlafstörungen, Reizdarm, Reizblase, sexuelle und menstruelle Störungen und

  • psychischen Auffälligkeiten, z. B. Depressionen, Kontaktstörungen.


Die Patienten verspüren Schmerzen in wechselnden Muskelgruppen, an Sehnen und Bändern, häufig im Bereich der Wirbelsäule, aber auch in anderen Bereichen des Bewegungsapparats. Sie klagen über eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit, über dumpfe Schmerzen und Steifigkeit der Gelenke und Muskulatur. Ein typischer Ausspruch eines Betroffenen lautet: "Mir tut alles weh!" Sucht ein Arzt nach eindeutigen Diagnosekriterien, so wird er uncharakteristische schmerzhafte Druckpunkte im Bereich von Muskeln und Sehnenansätzen der Nackenmuskulatur, der Knie, der Ellenbogen und der Wirbelsäule finden (Abb. 1 Druckpunkte).


Abb. 1: Tenderpoints Zur Diagnosestellung werden die bei einer Fibromyalgie besonders schmerzhaften Muskel-Sehnen-Übergänge herangezogen, die an 18 Stellen des Körpers auftreten. Für die Diagnose Fibromyalgie müssen mindestens elf dieser als Schmerzpunkte oder Tenderpoints bezeichneten Stellen schmerzhaft auf Fingerdruck reagieren. 1: Hinterkopf, 2: untere Halswirbelsäule, 3: Musculus trapezius, 4: Musculus supraspinatus, 5: 2. Rippe, 6: lateraler Epicondylus, 7: Glutealregion, 8: Trochanter major, 9: Knie

Röntgen- und Laborbefunde sind jedoch unauffällig. Andere entzündliche und degenerative Gelenk- und Wirbelsäulenleiden, z. B. Myositis, chronische Polyarthritis und Kollagenosen sind durch einen Rheumatologen auszuschließen. Endokrine Störungen und Psychosen werden durch Fachärzte für innere Medizin bzw. Psychiatrie und Neurologie ausgeschlossen. 2 bis 8% der erwachsenen Bevölkerung sind betroffen. Zu über 90% sind die Patienten weiblich. Meist haben die Fibromyalgiepatienten über Monate und Jahre eine Odyssee über Hausarzt zu Fachärzten verschiedener Ausrichtungen bis hin zu Heilpraktikern hinter sich. Die Anamnese reicht oft viele Jahre zurück. Oft beginnt sie mit einem Lumbal- oder Zervikalsyndrom. Mit der Zeit verselbstständigen sich die Schmerzen und führen zu chronischen Problemen. Letztlich ist Fibromyalgie eine Ausschlussdiagnose. Während Rheumatologen und Orthopäden sie dem rheumatischen Formenkreis zuordnen, reihen sie Psychiater und Neurologen in die somatoformen Schmerzstörungen ein. Fibromyalgiepatienten fühlen sich häufig nicht ernst genommen, als "eingebildete Kranke" und Hypochonder abgestempelt. In Apotheken werden sie meist negativ auf ihren hohen Schmerzmittelgebrauch angesprochen, ohne dass sie Hilfestellung erhalten.

Ursachen unbekannt

Die Pathogenese der Fibromyalgie ist ungeklärt. Man diskutiert einen Zusammenhang zwischen lokalen organisch bedingten Schmerzen, körperlichen Grunderkrankungen und belastenden Faktoren, wie Lebenskrisen und Stress, die in der Kombination eine Überforderungssituation darstellen und den Patienten in ein chronisches Schmerzerleben führen (s. Abb. 2: Mögliche Pathogenese). Nach einigen Wochen und Monaten des Schmerzerlebens bildet sich ein Schmerzgedächtnis. Aufgrund von Störungen der Schmerzbewertung und -verarbeitung wird die Fibromyalgie zu den neuropathischen Schmerzen gezählt.


Abb. 2: Mögliche Pathogenese der Fibromyalgie Diskutiert wird ein Zusammenhang zwischen lokalen organischen Schmerzen, körperlichen Grunderkrankungen, genetischen Faktoren und belastenden äußeren Einflüssen, wie Lebenskrisen und Stress, die in der Kombination eine Überforderungssituation darstellen und in ein chronisches Schmerzerleben führen können. [Quelle: nach Brückle, 2002]

Vom akuten Warnsignal zur chronischen Krankheit

Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potenzieller Gewebeschädigung verknüpft ist, oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird. Im einfachsten Fall kommt es durch eine Verletzung zu einer Reizung von Schmerzrezeptoren und durch eine Reizweiterleitung und Bewertung zu einer Schmerzempfindung. Schmerz funktioniert meist als Warnsignal, um efferent angemessen zu reagieren, z. B. eine Ausweichbewegung durchzuführen oder eine Schonhaltung anzunehmen. Im besten Fall kann die Verletzung in der Folgezeit ausheilen und die Schmerzen verschwinden wieder. Nicht jede Gewebeschädigung heilt; eine anhaltende Gewebeschädigung kann zu lang anhaltenden Schmerzen führen. Aber auch wenn die eigentliche Gewebeschädigung längst geheilt ist, können weiterhin Schmerzzustände auftreten, obwohl die Ursache längst vergessen ist. Die Schmerzen sind chronifiziert.

Schmerz – auch ein Hilferuf

Schmerzerleben hat auch eine soziale Funktion. Ein von Schmerzen gepeinigter Mensch löst bei seinen Mitmenschen Aufmerksamkeit, Mitleid und Hilfsbereitschaft aus. Der leidende Patient erfährt von den anderen meist angenehme, positive Reaktionen. Bei einer entsprechenden, meist depressiven Persönlichkeitsstruktur des Patienten kann es sich ergeben, dass dieser Patient psychisch von seinen Schmerzen profitiert. Er erhält Aufmerksamkeit und Zuwendung. Er erlebt diesen Zustand als angenehm und versucht ihn unbewusst aufrecht zu erhalten. Dabei steigert er seine Selbstbeobachtung, achtet auf kleinste Zeichen des Schmerzes und findet Methoden, sie zu präsentieren. Auch hierbei entwickelt sich ein sich selbst verstärkender Regelkreis, der zu einer Verstärkung der Schmerzwahrnehmung und schließlich zu einem chronischen Schmerz führt.

Behandlung von chronischen Schmerzzuständen

Alle Schmerzzustände bergen in sich die Gefahr der Chronifizierung. Um dieses zu vermeiden, werden folgende Maßnahmen empfohlen:

  • Zu jedem Zeitpunkt des Auftretens von Schmerzen sollte eine optimale Analgesie erreicht werden. Schmerzmittel sollten rechtzeitig und in ausreichend hoher Dosierung eingesetzt werden. Bei lang anhaltenden Schmerzzuständen nach festem Zeitschema, um eine gleichmäßige Schmerzausschaltung zu erreichen.

  • Bei jedem Patienten mit einem Risikoprofil für die Schmerzchronifizierung sollten bereits frühzeitig multimodale Behandlungsstrategien eingesetzt werden, die bewährte Analgetika, Wirkstoffe zur Beeinflussung der Schmerzwahrnehmung ("nicht-klassische" Analgetika: Antidepressiva, Antikonvulsiva, NMDA-Antagonisten) und physio- und psychotherapeutische Maßnahmen umfassen.

  • Bei bereits bestehenden chronischen Schmerzerkankungen und ausgeprägtem "Schmerzgedächtnis" ist das Behandlungsziel die neuroadaptive Rückentwicklung zu ursprünglichen physiologischen Verhältnissen. Hier stehen in der Behandlung Physio- und Psychotherapie an erster Stelle. Arzneimittel, die gezielt in die intrazelluläre Signalkaskade eingreifen und das Schmerzgedächtnis löschen könnten, sind noch unbekannt.

Eine Schmerzpatientin in der Apotheke …

Auch in Ihrer Apotheke könnten die Patienten hervorstechen, die unter Schmerzsyndromen unbekannter Genese leiden und die Diagnose "Fibromyalgie" erhielten. Bereits diese Diagnosestellung allein kann dem Patienten Erleichterung im Schmerzerleben verschaffen. "Jetzt weiß ich endlich, was ich habe!" Die Gewissheit der Diagnose verknüpft der Patient häufig mit der Hoffnung auf einen Heilungsansatz. Hier müssen die Erwartungen jedoch gedämpft werden. Behandlungsziel ist nicht die Schmerzfreiheit, aber sehr wohl eine Schmerzreduktion und damit auch eine Verbesserung der Lebensqualität. Dabei kann eine medikamentöse Therapie dieser beschriebenen Patientengruppe trotz gleichlautender Diagnose sehr unterschiedlich sein. Die klassischen antirheumatischen DMARD’s (Disease Modifying Anti-Rheumatic Drugs) sind ebenso zu finden wie Analgetika jeder Klassifikation sowie systemisch verabreichte Cortisonpräparate in zum Teil hohen Dosierungen.

So fiel in der Apotheke auch Frau S. schon im Jahre 2005 durch ihre Medikation auf. Hohe Dosen an Opiaten (Palladon® retard 4 mg, 2 x 1 Tablette täglich) in Kombination mit mittleren Cortisondosen (Prednisolon 20 mg, 3 x 1 Tablette täglich) führten zu Gesprächen mit der Patientin. Frau S. berichtete nicht nur über eine unbefriedigende Schmerzstillung, sondern auch über diverse unerwünschte Arzneimittelwirkungen wie Depressionen, Beeinträchtigungen der Libido oder starke Gewichtszunahme. In Zusammenarbeit mit der behandelnden Ärztin wurden vorgenannte Präparate abgesetzt und die Patientin gemäß der seit 2005 existierenden Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie e. V. (DGOOC) auf das Muskelrelaxans Tolperison und retardiertes Tramadol eingestellt. Die vor Umstellung geschilderten unerwünschten Arzneimittelwirkungen verschwanden weitgehend und die Schmerzstillung wurde als effizienter beschrieben.

Nach einigen Monaten im Apothekenalltag, in der die Patientin mehrmals die Apotheke besuchte, fiel auf, dass in der Kunden-Datenbank zusätzliche (Co-)-Analgetika auftauchten, die auf eine Verschlechterung des Schmerzgeschehens der Patientin hinwiesen. Daraufhin bot der betreuende Apotheker im Februar 2006 der Patientin ein weiteres Gespräch an, um die Therapie zu evaluieren. In diesem klagte die Patientin dann auch über eine erneute Verschlechterung der Schmerzen. Nach einer Pause intensiverer Kontakte kam es im Februar 2006 zu einem weiteren Therapie-evaluierenden Gespräch, in welchem die Patientin über eine erneute Verschlechterung der Schmerzen klagte.

Konkrete Betreuungsziele festlegen und umsetzen

Pharmazeutische Betreuung beginnt mit einer ausführlichen Anamnese, z. B. mit einer sogenannten SOAP-Analyse. Dafür werden die s ubjektiven Daten aus Patientenschilderungen den o bjektiven Daten aus Laboranalysen oder Untersuchungsbefunden gegenübergestellt, a nalysiert und bewertet sowie ein P lan für das weitere Vorgehen erstellt. Im Mittelpunkt stehen konkrete Fragen zur medikamentösen Therapie: Sind geeignete Arzneimittel verordnet? Stimmt die Dosierung? Treten Neben- oder Wechselwirkungen auf? Geht es der Patientin gut? Ergibt die Bewertung der subjektiven und objektiven Daten Verbesserungsmöglichkeiten, plant der Apotheker die notwendigen Maßnahmen zur Therapieoptimierung. Im einfachsten Fall können das zusätzliche Informations- oder Schulungsgespräche mit dem Patienten sein, in anderen Fällen Vorschläge an den Arzt zur Dosisanpassung, zum An- oder Absetzen von Medikamenten.

Bei Frau S. (45 Jahre, ledig) wurden neben der Fibromyalgie auch Bluthochdruck, ein Struma diffusa I. Grades, eine Faktor-VIII-Störung und eine Adipositas (BMI 48) diagnostiziert. Sie klagte zu diesem Zeitpunkt über reißende, glucksende und ziehende Muskel-Sehnen-Schmerzen am ganzen Körper mit Schwerpunkt Kiefer, Rücken, Schultern, Beine und Füße. Außerdem berichtete sie über Migräne-artige Kopfschmerzen, während sie keine "Probleme mit der Schilddrüse" habe. Objektiv ergaben sich – typisch für das Krankheitsbild der Fibromyalgie – keinerlei orthopädische oder klinische Hinweise auf ein Schmerz- oder Entzündungsgeschehen. Ab und an wurden erhöhte Blutzuckerwerte gemessen, was im Zusammenhang mit dem erhöhten Blutdruck und der bestehenden Adipositas ein Abdriften in das metabolische Syndrom befürchten ließ. Die aus der SOAP-Analyse resultierenden Betreuungsziele wurden ihrer therapeutischen Bedeutung nach gewichtet und in einem Interventionsplan zusammengefasst (siehe Tab 1. Interventionsplan). Im Fall der Frau S. wurde durch die Apotheke die Verbesserung der Analgesie und das Verhindern des metabolischen Syndroms als vorrangige Interventionsziele vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wurde durch die Hausärztin evaluiert und bestätigt.


Tab. 1: Interventionsplan für Frau S.
Diagnose
Intervention
Fibromyalgie
Betätigung der Diagnose nach aktueller Leitlinie
Schmerztherapie überprüfen! Dafür suchen sich behandelnde Ärztin und Apotheke einen geeigneten Facharzt als Partner.
Adipositas
Gewichtsreduktion durch Umstellung der Ernährung und dadurch Vermeiden des Abdriftens der Patientin in das metabolische Syndrom. Da der Apotheke hier noch die Kompetenz fehlt, soll ein externer Partner gesucht werden.
Faktor-VIII-Störung Bluthochdruck
Messdisziplin verbessern
Dokumentation der Messwerte verbessern
das zur Zeit verwendete Handgelenk-Messgerät
gegen ein Oberarm-Messgerät austauschen
Struma diffusa
1. Grades
Patientin einer Verlaufskontrolle zuführen (Werte erstellen, Diagnose auffrischen)
der Hausärztin Überweisung zu einem
Endokrinologen vorschlagen
generell
Compliance verbessern
Patientin über die Funktion und Wirkweise ihrer Arzneimittel schulen, um eigenmächtige Dosisanpassungen und unkontrollierte Auslassversuche zu verhindern

Pharmakokinetische Zusammenhänge simulieren

Zur Verbesserung der Analgesie wurde im Laufe der anschließenden Betreuungsphase von Seiten der Hausärztin ein auf Anästhesiologie und Schmerztherapie spezialisierter Arzt hinzugezogen. Die bisher applizierten nicht effizienten Arzneimittel wurden zum Teil abgesetzt (Tab. 2 Medikationsplan).


Tab. 2: Medikationsplan der Frau S. bezüglich Analgesie vor und nach Intervention.
Präparat
Dosierung vor
Intervention
Dosierung nach
Intervention
Tramal® long 150 mg Retardtabletten
1-1-1-0
0-1-0-0
Arcoxia® 90 mg Filmtabletten
1-0-0-0
abgesetzt
Mydocalm® Filmtabletten
1-1-1-0
abgesetzt
Fluoxetin® 20 mg Tabletten
0-0-1-0
abgesetzt
Cymbalta® 30 mg Hartkapseln
0-0-0-1
Tramal® long 200 mg Retardtabletten
1-0-0-1

Gemäß der Aussage der Patientin und aktueller Eular-Leitlinie (Carville, 2007; siehe Kasten Therapie des Fibromyalgie-Syndroms) wurde Tramadol beibehalten, die Dosis aber erhöht. Vervollständigt wurde das Leitlinien-konforme Therapiekonzept durch die Verordnung eines SNRI (Duloxetin, Cymbalta® u. a.).



  • medikamentös
– Analgetika: Tramadol, Paracetamol, andere schwache Opioide
– Antidepressiva: Amitriptylin (Saroten®), Fluoxetin (Fluctin®), Duloxetin (Cymbalta®), Moclobemid (Aurorix®)
– Serotonin-Antagonisten: Tropisetron (Navoban®)
– Dopamin-Agonisten: Pramipexol (Sifrol®)
– GABA-Agonisten: Pregabalin (Lyrica®)
unwirksam: Corticoide, starke Opioide

  • nicht-medikamentös:
– Wärme- und Kältetherapie
– Physiotherapie, Ausdauertraining
– kognitive Verhaltenstherapie
– Entspannungsmethoden

[Quelle: nach der Leitlinie der European League Against Rheumatism (Eular)]


Frau S. tolerierte die Therapieumstellung gut, berichtete aber von Durchbruchschmerzen, die häufig um die frühen Mittagsstunden auftraten. Der betreuende Apotheker konnte hier mittels des Pharmakokinetikprogramms Pharkin 3.0 (Copyright: 1998 Dr. Winfried Felis, Apotheke der Kliniken des Landkreises Heidenheim, Deutschland) die theoretische Tramadolkinetik simulieren und Spiegel-Minima gegen 10.00 Uhr beobachten (siehe Abb. 3).


Abb. 3: Simulation der Arzneistoffkinetik Nach Eingabe der relevanten Daten zur Arzneimittel-Kinetik konnte für Frau S. mittels Pharkin® 3.0 eine Blutspiegelkurve von Tramadol retard mit dem Einnahmeschema 9.00 Uhr 150 mg – 14.00 Uhr 150 mg – 22.00 Uhr 150 mg simuliert werden (Graph oben). Die grüne Linie stellt die minimale therapeutische Wirkstoffkonzentration (minimal effektive Konzentration, MEC) dar, die rote Linie die minimale toxische Konzentration des Arzneistoffes. Die schwarze Parabel zeigt den Verlauf des Wirkstoffspiegels im Blut. Dabei zeigen sich nach Einstellung des Steady-state in den Vormittagsstunden gegen 10.00 Uhr Blutspiegelminima an Tramadol, die nahe an die minimale Wirkstoffkonzentration heranreichen. An diesen Zeitpunkten kann eine unzureichende Analgesie vermutet werden, was sich zeitlich mit den Schilderungen der Durchbruchschmerzen von Frau S. deckte. Mithilfe von Simulationen wurde ein neues Therapieregime für Frau S. erstellt. Der Zeitpunkt der 3. Tagesdosis wurde der Lebensweise der Patientin angepasst und auf 23.00 Uhr in die Nachtstunden verschobenen. Gleichzeitig wurde die 1. und 3. Tagesdosis erhöht, um den Arzneistoffspiegel in den Vormittagsstunden anzuheben. Überprüft man das neue Therapieregime 9.00 Uhr 200 mg - 14.00 Uhr 150 mg - 23.00 Uhr 200 mg in der Pharkin®- 3.0-Simulation (Graph unten), so finden sich keine Minima nahe der MEC, was in der Praxis zum Ausbleiben der Durchbruchschmerzen bei Frau S. führte.

Mithilfe dieser Daten erarbeitete die Apotheke softwaregestützt ein optimiertes Therapieregime, welches dann durch die ärztlichen Kollegen umgesetzt werden konnte. Pharkin® , das mittlerweile in der Version 3.0 vorliegt, ist ein Simulationsprogramm zur Darstellung pharmakokinetischer Zusammenhänge. Sind die pharmakokinetischen Eigenschaften eines Arzneistoffes in einer bestimmten Arzneiform bekannt (z. B. Absorptionskonstante, Eliminationskonstante, Bioverfügbarkeit u. a. leicht aus den Fachinformationen beschaffbar), können mit diesem Programm Blutspiegelkurven simuliert werden. In den Rechenprozess fließen ebenfalls individuelle Parameter ein, die die Grunderkrankungen oder Körperzustände des Patienten widerspiegeln und die die Arzneistoffkinetik beeinflussen können. Die so simulierten Kurven geben dann Hinweise auf mögliche Über- und Unterdosierungen, sinnvolle Dosierungsintervalle und die Wahl der geeigneten Arzneiform. Selbstverständlich sollte immer daran gedacht werden, dass es sich bei den erhaltenen Daten um errechnete Verläufe handelt – das heißt die Ergebnisse sind immer nur so gut wie die zur Errechnung eingegebenen Daten.

Das zweite vorrangige Interventionsziel – das Verhindern des metabolischen Syndroms – wurde mithilfe eines externen Partners mit Know-how auf dem Gebiet Ernährungsberatung in Angriff genommen. Dem betreuenden Apotheker und der Hausärztin war es wichtig, dass durch eine umfassende Ernährungsumstellung eine Reduktion des Gewichtes erzielt wird. Nur so kann das Therapieziel "Vermeidung des metabolischen Syndroms" nachhaltig, über einen längeren Zeitraum erreicht werden. Beide Partner überwachten den Verlauf der Gewichtsabnahme und den Therapieerfolg. Die Patientin konnte ihr Gewicht innerhalb von viereinhalb Monaten um 15 kg reduzieren. Die Wirkung, die dieses Erfolgserlebnis auf die Eigen- und Schmerzwahrnehmung hat, ist nicht zu vernachlässigen. Die Erfahrung, dieses Ziel aus eigener Kraft erreicht zu haben, bringt eine positive Bestätigung der eigenen Leistungsfähigkeit. Ein derart positives Feedback bleibt chronischen Schmerzpatienten auch auf Grund der langen Phasen der Krankschreibung und dem daraus resultierenden häuslichen Umfeld leider oft versagt.

Kann hohe Betreuungsqualität Kosten senken?

Die Antwort ist ja. Aber das kann und darf nicht das primäre Ziel sein. Um die Analgesie bei Schmerzpatienten effizient zu gestalten ist auch eine Erhöhung der Kosten in Kauf zu nehmen. Die Zusammenarbeit der Heilberufe ist geeignet, Therapiekonzepte zum Wohle der Patienten zu evaluieren und parallel die Kosten für die Gesellschaft zu senken. Dabei ist der limitierende Aspekt der Faktor Zeit, der in der derzeitigen Leistungsliquidation der Heilberufe nicht bzw. nur unzureichend berücksichtigt wird. Hier muss in weiteren, wissenschaftlich begleiteten Untersuchungen angesetzt werden, um eine gesellschaftliche Akzeptanz der heilberuflichen Beratung, auch im Sinne einer Vergütung dieser Leistung, zu stärken. Der zeitliche Aufwand einer Betreuung muss im Alltag sinnvoll bemessen werden. Zeitdruck ist jedoch zu vermeiden. Die Qualität und nicht die Länge des Gesprächs ist die Voraussetzung dafür, dass sich zwischen den Gesprächspartnern ein Vertrauensverhältnis entwickeln kann. Oft genug ist es diese Atmosphäre des Vertrauens, die das Aufdecken versteckter Arzneimittel- und Complianceprobleme beim Patienten erst möglich macht.

Auch im konkreten Fall der Patientin Frau S. gelang es, die medikamentösen Tages-Therapiekosten (MTTK) über die verschiedenen Phasen der pharmazeutischen Betreuung der Patientin zu senken. In der Abbildung 4 wird deutlich, wie sich die verschiedenen medikamentösen Interventionen auf die Kosten auswirken. Die erzielte Senkung der medikamentösen Tages-Therapiekosten um 46,20 Euro/Monat resultiert ausschließlich aus der Änderung des analgetischen Therapiekonzeptes. Im Gegensatz zu den Kosten lassen sich das Ausmaß an Zufriedenheit und der Zugewinn an Lebensqualität bei der Patientin leider nicht so einfach in Zahlen und Graphen darstellen.


Abb. 4: Entwicklung der Therapiekosten Zu Beginn der Betreuung lagen die medikamentösen Tages-Therapiekosten (MTTK) bei 7,85 Euro. Durch die Startintervention konnten mit der Umstellung der Analgesie auf hoch dosiertes Tramadol und Duloxetin erhebliche Kosten eingespart werden, da hierdurch das Absetzen anderer Medikamente (Etoricoxib, Tolperison, Betamethason, Fluoxetin) möglich wurde. Da Frau S. sehr gut auf das Co-Analgetikum Duloxetin ansprach, wurde in einem Therapieversuch die Dosis von 30 mg Duloxetin auf 1 x 60 mg erhöht, um später eventuell die Dosierung von Tramadol zu reduzieren. Allerdings wurde zunächst die vorhandene 30-mg-Packung der Patientin aufgebraucht, so dass infolge der Einnahme von 2 x 30 mg Duloxetin ein zeitweiliger Anstieg der MTTK hinzunehmen war. Erst nach Änderung der verordneten Wirkstärke auf 60 mg sanken die MTTK wieder. Da Frau S. eine Nebenwirkung der 60- mg-Dosierung nicht mehr tolerierte, musste die Dosierung angepasst und wieder auf 30 mg herabgesetzt werden. Insgesamt konnten die Tages-Therapiekosten durch das optimierte Therapieregime von 7,85 Euro auf 6,31 Euro gesenkt werden.

Die messbare Kostenreduktion wurde in Teamarbeit der beteiligten Partner erbracht. Im Vergleich zur Standardversorgung investierten die Leistungserbringer auf ärztlicher Seite ca. zwei Stunden und auf Apothekenseite ca. drei Stunden mehr. Wird der während der pharmazeutischen Betreuung erarbeitete ökonomische Nutzen mit dem für die Betreuung investierten zeitlichen Aufwand gegengerechnet, erhält man eine deutlich positive Bilanz. Dieser kostensparende Effekt wird umso größer, je mehr (multimorbide) Patienten von dieser Zusammenarbeit profitieren.

Schmerzpatient = Problempatient?

Die betreuenden Heilberufe mögen in schwachen Stunden den Menschen mit chronischen Schmerzen als Problempatienten sehen, da der schnelle Therapieerfolg oft versagt bleibt. Nicht zu unterschätzen ist die Tatsache, dass ein durch eine Therapie gelinderter Schmerz nach gewisser Zeit wieder als subjektiv maximaler Schmerz empfunden wird. Der weiteren Erforschung einer objektiven "Quantifizierung" des Schmerzgeschehens ist deshalb großes Gewicht einzuräumen. Trotzdem profitieren Patienten mit chronischen Schmerzen uneingeschränkt von einer pharmazeutischen Betreuung. Unabhängig von der Form und dem Erfolg der Intervention erfahren sie eine professionelle Begleitung durch den zum Teil langen und verunsichernden Weg durch die Diagnosen und Therapien. Oft ist den Patienten trotz der Odyssee durch die Arztzimmer nicht klar, woran sie leiden, Hintergrund- und Arzneimittelinformationen fehlen und aktuelle Therapieoptionen und -konzepte sind unbekannt. Hier greift die pharmazeutische Betreuung in der Apotheke. Allerdings ist darauf zu achten, dass sich die Gespräche auf Arzneimittel- und Gesundheitsfragen beschränken. Zu schnell ist man in medizinische Diagnosen, komplexe soziale Zusammenhänge und subjektive Schmerzursachen verstrickt, die in einer Arztpraxis oder bei einer professionellen Psychotherapie besser aufgehoben sind. Schmerzpatienten sind sicher keine Problempatienten, sondern Patienten, die von der Betreuung und der Fachkenntnis des Apothekers profitieren können.

Bonner Kolleg

Dieser Artikel stammt aus einer Zusammenarbeit, die im Rahmen des "Bonner Kolleg" 2007 entstanden ist. Das Bonner Kolleg für Klinische Pharmazie ist ein Zertifikatskurs zur Weiterbildung in Klinischer Pharmazie, der von der Universität Bonn in Kooperation mit der Apothekerkammer Nordrhein durchgeführt wird.

Quelle

www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/033-046.htm:

Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) und des Berufsverbandes der Ärzte für Orthopädie (BVO), "Somatoforme Störungen/Fibromyalgie" (2005).

Brückle, W.; Zeidler, H.: Das Fibromyalgie-Syndrom. JournalMed 1/2006, 12–18 (2006).

Carville, S. F.; et al: Eular evidence based recommendations for the management of fibromyalgia syndrome. Ann. Rheum. Dis., published online 20. Juli 2007.

Harten, P.; et al: Konsensuspapier "Das Fibromyalgie-Syndrom: Befunde, Symptome und Therapie (2005). www.fibromyalgie-forum.de/pontus_harten_2.html

Janhsen, K. et al: Manuale zur Pharmazeutischen Betreuung, Band 7 Kopf- und Rückenschmerzen, Govi-Verlag (2004).

Rebhandl, E. et al.: Evidence based Medicine-Guidelines für Allgemeinmedizin. Deutscher Ärzte-Verlag, Köln (2006).

Vella, E.: Development of protocols for pain management [dissertation]. Msida (Malta): University of Malta (2005).

Zenz, M., Jurna, I.: Lehrbuch der Schmerztherapie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart (2001).

 


Anschriften der Verfasser:

Apothekerin Dr. Kirsten Lennecke

Im Osterhöfgen 8

45549 Sprockhövel

 


Apotheker Dr. Jörg Wittig

Oberland-Apotheke e. K. 

Rudolf-Breitscheid-Str. 6a

07907 Schleiz/Thüringen

 

 

Das könnte Sie auch interessieren

Weltschmerztag am 17. Oktober

Wenn Analgetika, dann nur unterstützend

Das Fibromyalgie-Syndrom besser verstehen

Rätselhafte Schmerzen

Zwei Fallbeispiele aus der Praxis

Eisen und das Restless-Legs-Syndrom

Bei chronischen, nicht tumorbedingten Schmerzen medikamentöse Therapie nur unterstützend

Möglichst ohne Analgetika

Freisetzung körpereigener Endorphine lindert Symptome der Fibromyalgie

Armband gegen Schmerzen

Co-analgetischer Effekt bei Fibromyalgie gezeigt

Coffein verstärkt Opioid-Wirkung

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.