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Die "neuen Alten" – eine Chance für die Apotheken
Der Präsident des Statistischen Landesamts Sachsen-Anhalt, Manfred Scherschinski, lieferte zunächst die statistischen Fakten zur Bevölkerungsentwicklung in Sachsen-Anhalt. Diese sind kaum überraschend: Der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung ist von 13,3 Prozent im Jahr 1991 bereits auf 23,1 Prozent in 2007 gestiegen. Die Prognose für das Jahr 2025 geht von einem Anteil von rund 30 Prozent aus, das durchschnittliche Alter wird dann bei 50,1 Jahren liegen – heute sind es 45,5 Jahre. Zudem wird vor allem in den ländlichen Gebieten die Bevölkerungsdichte abnehmen. In einzelnen Landkreisen rechnet man damit, dass sie bis 2025 ein Viertel ihrer heutigen Bevölkerung verlieren werden. Für Scherschinski ist dies nicht zwangsläufig schlimm – man müsse sich nur richtig auf die Situation einstellen.
Neue Versorgungskonzepte
Die Ärzte in Sachsen-Anhalt machen sich bereits Gedanken, wie man neue Versorgungskonzepte für die alternde Gesellschaft etablieren kann. Dr. Burkhard John, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Sachsen-Anhalt, hält es für besonders wichtig, dass Patienten so lange wie möglich in ihrem bekannten Wohnumfeld bleiben können und dort unterstützt werden. Dabei bedürfe es eines produktiven Zusammenwirkens zwischen Ärzten, Patienten und einem geschulten Versorgungsteam, zu letzterem könnten etwa auch Apotheker gehören. Erste Modellprojekte gibt es in der KV Sachsen-Anhalt bereits: So sind derzeit vier Hausarztpraxen in das Projekt der mobilen Praxisassistentin (VERHA) eingebunden. Acht besonders geschulte Arzthelferinnen und Krankenschwestern entlasten die Ärzte, indem sie zu den Patienten fahren und vom Hausarzt delegierbare Tätigkeiten übernehmen. "Das Modell hat sich bisher bewährt, die Patienten sind zufrieden", berichtete John. Die Zukunft sieht er allerdings in noch größer angelegten Versorgungskonzepten, die auch in die Fläche strahlen. Ausgangspunkt kann dabei eine Arbeitsgemeinschaft oder ein Medizinisches Versorgungszentrum in einer Kleinstadt oder einem größeren Dorf sein. Hieran angegliedert sollten Nebenbetriebsstätten sein, sowie Filialpraxen, in die auch Fachärzte eingebunden sind. Ein weiteres Projekt der KV Sachsen-Anhalt ist der Ambulante Geriatrische Rehakomplex (AGR) in Schönebeck/Elbe. Hier werden bereits vorhandene Strukturen genutzt: Vier geriatrisch fortgebildete Hausärzte kooperieren mit einem Physiotherapeuten, einem Logopäden, einem Ergotherapeuten, einer Sozialpädagogin und einem Pflegedienst. Gemeinsam sorgt man dafür, dass die Patienten nicht stationär versorgt werden müssen. Sie werden morgens zu Hause abgeholt, erhalten zwei bis drei Therapieeinheiten und werden am Nachmittag wieder nach Hause gebracht. Schon jetzt zeige sich, dass Patienten, die in den AGR eingebunden sind, Aktivitäten des täglichen Lebens besser bewältigen können. Eine derartige Komplexbehandlung wünscht sich John auch bundesweit, das Modell hat die GKV bereits in die Vertragswerkstatt der Kassenärztlichen Bundesvereinigung eingebracht. Das derzeit im AGR vorgesehe Kernteam könne dann noch ergänzt werden – etwa um Diätassistenten, Psychotherapeuten oder auch Apotheker.
Das Personal entscheidet
Dr. Andreas Kaapke vom Institut für Handelsforschung an der Universität zu Köln machte deutlich, dass der demografische Wandel nicht nur bedeutet, dass es künftig weniger und ältere Menschen geben wird. Auch die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund sowie der Singlehaushalte wird zunehmen. Alle drei Bereiche bedeuten für die Apotheke veränderte Anforderungen. Er betonte, dass das Patent der Apotheken auf Gesundheit noch nicht abgelaufen sei – entscheidend sei, dass sie dies auch kommunizieren und sich bewegen, ehe es die anderen tun. Dabei müsse man sich stets vor Augen halten, dass dort, wo Menschen Bedürfnisse haben, Geschäfte gemacht werden können. Und die Bedürfnisse sind vielfältig. Die Menschen haben ein großes Interesse, möglichst lange gesund und aktiv zu bleiben; zugleich nimmt die Zahl der chronisch Erkrankten beständig zu. Die Konkurrenz der Apotheken wächst jedoch. Nahrungsergänzungsmittel und freiverkäufliche Arzneien sind bereits im Angebot der Drogeriemärkte und Discounter, der Handel über das Internet gewinnt ebenfalls an Bedeutung. Die Instrumente, die dem Handel für seine Absatzpolitik zur Verfügung stehen, sind breit gefächert: Sie können ansetzen beim Sortiment, dem Standort, dem Preis, der Ladengestaltung, der Werbung und dem Personal. Aus Kaapkes Sicht ist insbesondere das Personal "das absatzpolitische Instrument der Zukunft" für die Apotheke. Es gelte, die Probleme gerade der älteren Kunden ernst und sich für die direkte Ansprache Zeit zu nehmen. Nicht selten sei das Gespräch in der Apotheke der einzige persönliche Kontakt des Tages für einen Patienten. Der Preis ist dagegen nicht das richtige Instrument, um Kunden langfristig an eine Apotheke zu binden, betonte Kaapke.
Die Perspektive der Älteren einnehmen
Dr. Hanne Meyer-Hentschel vom Meyer-Hentschel-Institut in Saarbrücken, hielt eine Reihe praktischer Tipps zum Senioren-Marketing in Apotheken parat. Die Ausgangsposition stimme bereits und sollte genutzt werden: Nach einer Umfrage des Meyer-Hentschel-Instituts unter knapp 500 über 55-Jährigen fühlen sich 79 Prozent in Apotheken besonders freundlich behandelt. Da kann kein anderes Einzelhandelsgeschäft mithalten. In Zeiten, da sich neue Wettbewerber warmlaufen und Kunden immer anspruchsvoller werden, sind vor allem Details gefragt – denn auch die in Apotheken angebotenen Produkte sind bereits bestens. Nun kommt es insbesondere darauf an, das Wohlgefühl weiter zu steigern. Dabei merkt es der Kunde möglicherweise nicht einmal, warum es ihm in der einen Apotheke besser gefällt als in einer anderen. Schon eine Ablagemöglichkeit am HV-Tisch sorgt bei älteren Kunden für ein gutes Gefühl. Meyer-Hentschel rät, bereits bei der Apothekeneinrichtung, aber auch bei der Warenpräsentation und der Beratung zu berücksichtigen, dass das Alter einige Veränderungen in der Wahrnehmung mit sich bringt. So lässt das Sehvermögen nach: Farben werden anders und Tiefen weniger stark wahrgenommen und die Blendempfindlichkeit steigt. Ein spiegelnder oder mit optischen Absätzen versehener Fußboden kann hier bereits verunsichern. Hinzu kommen Höreinbußen, eine eingeschränkte Beweglichkeit, Kraftverlust und eine verminderte Fingerfertigkeit. Um zu überprüfen, ob die eigene Apotheke tatsächlich den Bedürfnissen älterer Kunden entspricht gibt es verschiedene Möglichkeiten. Eine direkte Kundenbefragung hält Meyer-Hentschel für weniger sinnvoll. Denn Ältere räumen nur ungerne selbst ein, dass sie sich eingeschränkt fühlen und könnten daher zurückhaltende Antworten geben. Eine andere Variante ist es, Senioren-Scouts einzusetzen; Kontakt findet man etwa über das Internetportal für Senioren www.feierabend.de. Die Scouts testen Dienstleistungen und Produkte – auch Apotheken, Arzneimittelverpackungen oder medizinisch-technische Produkte – auf ihre Tauglichkeit für ältere Menschen und vergeben auch Empfehlungen. Eine weitere Möglichkeit, um die Einschränkungen des Alters auch sinnlich erfahrbar zu machen, ist der vom Meyer-Hentschel-Institut entwickelte "Age Explorer". Dies ist ein speziell präparierter Anzug mitsamt Gesichtsmaske, der bislang uneingeschränkt lebenden Menschen simuliert, welche Beeinträchtigungen ältere Menschen hinnehmen müssen. Hier zeigt sich schnell, wenn die Ausleuchtung nicht stimmt oder zu welchen Missverständnissen es führen kann, wenn sich das Personal im Gespräch nicht direkt dem Kunden zuwendet.
Seniorengerechte Apotheken
Dr. Barbara Keck von der BAGSO Service GmbH, einer Tochtergesellschaft der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, berichtete von der Verbraucherempfehlung "Seniorengerechte Apotheke", die ihre Organisation vergibt (www.bagso.de). Rund 900 Apotheken bundesweit haben sich bereits auszeichnen lassen, weitere 1500 befinden sich laut Keck im Prüfverfahren. Für rund 800 Euro kann sich eine Apotheke die ein Jahr lang gültige Auszeichnung verleihen lassen – vorausgesetzt sie erfüllt den Kriterienkatalog der BAGSO und bewährt sich im verdeckt durchgeführten Beratungsgespräch. "Die Qualität Ihrer Beratung ist entscheidend, ob Sie Kunden für sich gewinnen können", betonte Keck. In einer Befragung der BAGSO zu den Erwartungen älterer Menschen an Apotheken zeigte sich, dass die "gute Beratung" für knapp 73 Prozent der entscheidende Grund ist, eine bestimmte Apotheke aufzusuchen. An zweiter Stelle folgt mit 53 Prozent die räumliche Nähe zum Wohnort. Dies sollten sich Apotheken nicht zuletzt deshalb vor Augen führen, da das Internet auch für die ältere Generation zunehmend an Bedeutung gewinnt und Organisationen wie die BAGSO dies auch mit speziellen Internet-Wegweisern befördern. Keck betonte, dass die Befragung aber auch zeigte, dass die Beratung noch verbesserungswürdig ist – insbesondere im Hinblick auf die Problemanalyse und etwaige Neben- und Wechselwirkungen von Arzneimitteln. Überdies sei die Erläuterung des Beipackzettels eine große Chance für den Apotheker – jedenfalls so lange die Packungsbeilagen noch so verbraucherunfreundlich gestaltet sind, wie es derzeit der Fall ist. Bei Senioren gefragt sind zudem Infos über Selbsthilfegruppen, ein diskreter Beratungsbereich und die Beratung über Alternativmedikamente – hier besteht aus Sicht der Betroffenen noch ein Angebotsmangel. Dagegen sind die Bedürfnisse Älterer im Hinblick auf Wellness- und Kosmetik-Produkte, Zugaben, und Serviceleistungen bereits im Überfluss gedeckt.
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