Aus Kammern und Verbänden

Arzneimittelfälschungen – was kommt noch auf uns zu?

Deutscher Ärztinnenbund und Deutscher Pharmazeutinnen Verband (dpv) veranstalteten am 23. September in Hannover einen Vortragsabend mit Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe, Universität Würzburg. Die Altpräsidentin der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) sprach über "Arzneimittelfälschungen – Tryptophan, Gentamycin, Heparin – und was kommt noch?"

Holzgrabe, die den Arbeitskreis "Arzneimittelsicherheit und Arzneimittelfälschungen" im Beirat des Instituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und eine entsprechende Arbeitsgruppe bei der DPhG leitet (siehe DAZ 43, S. 32), gab einen fesselnden Bericht, der die meisten Zuhörer aufhorchen und erschrecken ließ.

Der Verlust durch Produktpiraterie an Verbrauchsgütern wird mit 30 Mrd. Euro oder 7% des Welthandelsvolumens angesetzt. Der finanzielle Schaden durch Patentverletzungen und Fälschungen im Arzneimittelmarkt ist schwierig zu quantifizieren, gravierender dürften jedoch die gesundheitlichen Folgen für die Patienten durch körperliche Verletzungen oder auch nur Vertrauensverlust sein. Die Vortragende unterschied vier Kategorien von Fälschungen:

  • Präparate mit falschen Umverpackungen und Beipackzetteln (7%),
  • Präparate mit falscher Wirkstoffmenge (17%),
  • Präparate mit falschem Wirkstoff (16%),
  • Präparate ohne Wirkstoff (60%).

(Angaben für 2006, n = 335; Quelle: German Pharma Health Fund e.V.)

Hinzu kommen die negativen Auswirkungen durch unsachgemäße Fertigungsmethoden oder auch nur andere Synthesen, die unterschiedliche Biotransformationen u. ä. verursachen oder zu bedenklichen, teilweise hierzulande noch unbekanten Verunreinigungen führen können.

Regional variiert die Häufigkeit der Arzneimittelfälschungen: In den USA sind es 5 bis 7%, in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion bis zu 20%, in Lateinamerika und Südostasien ca. 30%. In Afrika nehmen die AM-Betrügereien einen Höchstwert von 50 bis 60% ein.

Besonders häufig betroffen sind die Wirkstoffgruppen der Antibiotika und der Hormone, was durch die "lohnenden" hohen Preise erklärlich ist. Es folgen Antiallergika/Antiasthmatika, Malariamittel, Schmerzmittel und viele andere Gruppen. Die Fälschungen sollen in China im Jahr 2001 etwa 200.000 Todesfälle verursacht haben.

Die zunehmende Vielfalt an Vertriebswegen erleichtert das Einschleusen von gefälschten Medikamenten. Die US Food and Drug Administration (FDA) und das BfArM warnen davor, Arzneimittel von Versandhändlern zu beziehen. Laut WHO sind 10% aller versendeten Arzneimittel gefälscht, im illegalen Internethandel sogar 50%! Einen hohen Prozentsatz von Betrugsfällen gibt es bei den Lifestyle-Mitteln wie Viagra und Anabolika, deren Abgrenzung zu "richtigen" Arzneimitteln immer fließender wird.

Die Globalisierung verursacht einen Großteil der Schwierigkeiten. Für 80% der in der Bundesrepublik und in den USA konsumierten Arzneimittel werden die Wirkstoffe oder deren verarbeitete Fertigprodukte in China und Indien produziert. Um die oben skizzierten Risiken zu minimieren, fordern die Experten eine durchgängige Transparenz, die es möglich macht, die Gewinnung der Ausgangsstoffe, die Verarbeitungswege und den Handel bis zum Verbraucher nachzuvollziehen. Frau Professor Holzgrabe nannte einige Ansätze dazu. Weiterhin zeigte sie an Formelbildern, wie bei der Synthese manipuliert werden kann, sie legte aber auch dar, dass moderne, breiter angelegte Analysenmethoden in der Lage sind, auch bisher unübliche Verunreinigungen aufzuspüren. Dem Vortrag folgte eine längere Diskussion.


Dr. Gisela Wurm, dpv

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