Arzneimittel und Therapie

Studie mit Vitamin E und Selen abgebrochen

Vieles sprach dafür, dass eine Supplementation von Vitamin E und Selen vor einem Prostatakarzinom schützen kann. In der Selenium and Vitamin E Cancer Study (Select-Studie) sollte ein entsprechender Nachweis geführt werden. Jetzt wurde die Studie vorzeitig gestoppt. In einer Zwischenanalyse waren nicht nur keine Anzeichen für eine Risikoreduktion zu erkennen. Es ist auch nicht auszuschließen, dass Vitamin E das Prostatakarzinomrisiko erhöht. Unter Selen wurden geringfügig vermehrt Diabeteserkrankungen registriert.

Die Select-Studie ist eine vom National Cancer Institute (NCI) in den USA in Auftrag gegebene Präventionsstudie, mit der geklärt werden sollte, ob sich mit einer täglichen Substitution von 400 mg Vitamin E und 200 µg Selen das Prostatakarzinomrisiko senken lässt. Hintergrund waren Subgruppenbefunde aus anderen Studien, nach denen sowohl unter Vitamin E (Alpha-Tocopherol, Beta-Caroten Cancer Prevention Trial, ATBC-Studie) als auch Selen (Nutritional Prevention of Cancer Trial, NPC-Studie) seltener Prostatakrebs aufgetreten war.

An der Select-Studie nahmen über 35.000 Männer über 50 Jahren teil. Sie hatten randomisiert entweder Vitamin E, Selen, Vitamin E plus Selen oder Placebo erhalten. Vitamin E wurde als Alpha-Tocopherol gegeben, Selen in Form von mit Selenomethionin angereicherter Hefe. Im September 2008 wurde eine Zwischenauswertung vorgenommen. Eine Risikoreduktion war nach einer Substitution von im Schnitt fünf Jahren nicht zu erkennen. Dagegen wurden eine leichte Erhöhung der Prostatakarzinomfälle unter Vitamin E und eine geringfügig erhöhte Zahl von Diabetes-Neuerkrankungen unter Selen-Substitution registriert. Details der Auswertung wurden bislang nicht publiziert.

Auch wenn die Ergebnisse der Zwischenauswertung nicht statistisch signifikant waren und ein Zufallsergebnis gewesen sein könnten, wurde die SelectStudie gestoppt. Den Teilnehmern wurde empfohlen, die Vitamin- und Spurenelement-Tabletten abzusetzen.

Erhöht Selen das Diabetesrisiko?

Dass eine Selen-Supplementation über Jahre hinweg die Manifestation eines Typ-2-Diabetes nicht verhindern kann, sondern eher begünstigt, hatte schon eine im Jahr 2007 publizierte placebokontrollierte Doppelblindstudie gezeigt. Sie beruhte auf Daten von 1202 Patienten, die im Rahmen der NPC-Studie zur Sekundärprävention von Hautkrebserkrankungen mit Selen rekrutiert worden waren. Nach einer täglichen Selen-Supplementation über einen Zeitraum von durchschnittlich 7,7 Jahren hatten 58 Patienten der Selengruppe einen Typ-2-Diabetes entwickelt, in der Placebogruppe waren es 39 Patienten. Danach erhöhte Selen das Diabetesrisiko um 50%. Noch gefährdeter waren Patienten, die schon vor der Selen-Supplementation einen hohen Selen-Plasmaspiegel hatten. Je höher der Ausgangswert war, um so mehr stieg das Diabetesrisiko unter der Selen-Gabe. Patienten mit den höchsten Spiegeln hatten ein signifikant um den Faktor 2,7 erhöhtes Risiko.

Über die Gründe kann nur spekuliert werden. Selen ist ein Spurenelement mit einer geringen therapeutischen Breite. Seine Wirkungen auf den Stoffwechsel unterliegen großen interindividuellen Schwankungen. Möglicherweise unterdrückt es die Bildung des Insulin-like-growth-Factors, der wiederum an der Regulation der Glucosehomöostase beteiligt ist. In Tierversuchen konnte durch hohe Selen-Supplementation die Glucagon-Freisetzung gesteigert werden. Hohe Glucagon-Spiegel führen ihrerseits zur Hyperglykämie.

Ist Methionin Schuld?

Schon damals regten diese Studienergebnisse die Diskussion an. Die Firma Biosyn kritisierte die voreiligen Schlüsse, die aus dieser Studie gezogen worden seien. Nur ein paar Diabetesfälle mehr in der Placebogruppe hätten zu einem Nullergebnis geführt. Zudem sei die Studie mit angereicherter Selenhefe durchgeführt worden, in der Selen als Selenomethionin vorgelegen habe. Selenomethionin habe aber den Nachteil, dass es unter erheblichem Energieaufwand in die Zellen transportiert werden müsse. Intrazellulär würde es mit Schwefelmethionin verwechselt und unspezifisch in alle Methionin-haltigen Substanzen wie Proteine eingebaut. Das berge die Gefahr, dass sich Selen bis zur Toxizität anreichern könne. Positive Ergebnisse im Hinblick auf die Diabetesprävention hätte man in präklinischen Studien mit Natriumselenit erzielen können, das schneller von den Zellen aufgenommen und problemlos ausgeschieden werde.

Auch Uwe Gröber, Leiter der Akademie für Mikronährstoffmedizin, Essen, und Autor des in der Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft Stuttgart erschienenen Buches "Arzneimittel und Mikronährstoffe", sieht in der Verwendung von Selenomethionin das eigentliche Problem. Es sei schlecht steuerbar und damit dem anorganischen Natriumselenit eindeutig unterlegen. Zudem sei vor einer Selen-Substitution zur individuellen Bedarfsermittlung eine Bestimmung des Selen-Spiegels im Vollblut notwendig. Angestrebt werde ein Wert von 120 bis 140 µg Selen pro Liter Vollblut. Eine Tagesdosis von 200 µg Selen in Form von Selenomethionin ist seiner Ansicht nach viel zu hoch.

Auch die enttäuschenden Ergebnisse der Vitamin-E-Substitution kamen für Gröber nicht überraschend. Er kritisierte die alleinige Verwendung von Alpha-Tocopherol ohne Vitamin C. Zudem seien positive Ergebnisse in erster Line von Gamma-Tocopherol, Lycopin und Vitamin D zu erwarten.

Prof. Dr. Manfred Wirth, Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie der Universitätsklinik Dresden wird jedoch aufgrund der Select-Studienergebnisse Vitamin E und Selen, egal in welcher Form, nicht mehr zur Prostatakarzinom-Prävention empfehlen. Dazu fehle die wissenschaftliche Basis. Die Select-Studie sei die bislang größte Studie gewesen, die gezielt den Nutzen von Vitamin E und Selen in der Prostatakarzinom-Prävention untersucht habe. Befürworter einer wie auch immer gearteten Selen- und Vitamin-E-Prävention müssten in entsprechend prospektiv kontrollierten Studien den Nutzen erst beweisen.


Quelle

Mitteilung des National Cancer Instituts vom 27. Oktober 2008.

Leserbrief der Firma Biosyn; Dtsch. Apoth. Ztg. 2007; 147 (30) 55 – 56.


du

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