Medizin

Was ist eigentlich ...ein Wachkoma?

Das Wachkoma, auch als Coma vigile oder apallisches Syndrom bezeichnet, wird von vielen Medizinern als Widerspruch in sich empfunden. Denn Koma bedeutet tiefe Ohnmacht. Doch Patienten im Wachkoma liegen entweder nahezu regungslos mit offenen Augen da oder schlafen. Sie nehmen von sich aus keinen Kontakt zu ihrer Umwelt auf. Auch auf angebotene Nahrung reagieren sie nicht und müssen daher künstlich ernährt werden.

Das Wachkoma schließt sich oftmals an ein Koma an. Während die Patienten im Koma beatmet werden müssen, sind sie im Wachkoma in der Lage, selber zu atmen. Aus eigener Kraft sind sie jedoch zu keinerlei Kontaktaufnahme mit der Umwelt fähig, obwohl manchmal bereits vegetative und emotionale Reaktionen erfolgen (Schmatzen, Grunzen, Grimassen schneiden). Die Beweglichkeit ist infolge einer allgemeinen Spastik weitgehend eingeschränkt. Zusätzlich besteht eine Harn- und Stuhlinkontinenz. Die Betroffenen sind nicht in der Lage zu essen oder zu trinken und müssen künstlich ernährt werden.

Das Großhirn fällt aus

Das Wachkoma wurde erstmals von dem deutschen Psychiater Ernst Kretschmer beschrieben.Mögliche Ursachen sind ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, ein Schlaganfall, eine Enzephalitis, eine Meningitis oder es ist Folge eines Hirntumors. Weiterhin kann es nach einer schweren Hirnischämie, zum Beispiel durch einen Narkosezwischenfall oder nach einer Wiederbelebung, nach einem langen oder einer massiven anhaltenden Hypoglykämie (zum Beispiel nach einem Suizidversuch mit Insulin) zu einem Wachkoma kommen. Bei dem Wachkoma ist die Funktion des Großhirns erloschen, die des Hirnstamms, des Zwischenhirns und des Rückenmarks bleiben jedoch erhalten.

Weitgehend unbeeinträchtigt bleiben vor allem die vom Hirnstamm gesteuerten vegetativen Funktionen wie Atmung, Temperatur- und Herzkreislaufregulation. Wird das Großhirn geschädigt, das Stammhirn bleibt aber funktionstüchtig, liegt das apallische Syndrom vor.

Glücklicherweise ist das apallische Syndrom selten. In den USA wird die Zahl der betroffenen Erwachsenen auf 10.000 bis 25.000 geschätzt, die der betroffenen Kinder auf 4000 bis 10.000. Erhebungen für Deutschland gibt es nicht, man rechnet mit mindestens 3000 Menschen im Wachkoma.

Schwierige Prognose

In der ersten Zeit benötigen die Patienten eine intensivmedizinische Überwachung. Zudem müssen sie trotz erhaltener Atemfunktion oft beatmet werden. In den folgenden Wochen werden die Vitalfunktionen stabilisiert, damit die Erkrankten die Intensivstation verlassen und in entsprechenden Pflegeeinrichtungen oder zu Hause betreut werden können. Je früher ein Patient mit der Rehabilitation beginnen kann, desto größer sind die Chancen auf eine Heilung oder zumindest auf eine Besserung des Zustands. Je umfassender die Betreuung, desto besser. Die Ernährung erfolgt über eine perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) – damit wird der Patient am Leben erhalten.

Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger hat festgestellt, dass bei Patienten im Wachkoma oder in Remissionsstadien durchaus zustandserhaltende und rehabilitative Maßnahmen durchgeführt werden sollen. Neben einer Ergotherapie, Krankengymnastik und Logopädie wird zunehmend auch die Musiktherapie eingesetzt.

Klare Parameter zur Abschätzung der Prognose gibt es nicht. Je länger die Störung dauert, umso geringer sind die Chancen einer vollständigen Restitution. Sie ist etwas besser bei Kindern und jungen Erwachsenen gegenüber älteren Menschen und bei traumatischen Ursachen gegenüber einer nicht traumatischen ZNS-Läsion.

Wach oder nicht?

Wie viel nimmt ein Mensch wahr, der im Koma liegt und sich nicht mitteilen kann? Das herauszufinden ist eine große Schwierigkeit. Jede Diagnose bei Wachkoma-Patienten ist eine Gratwanderung. Ob und wie sehr ein Mensch im Wachkoma bei Bewusstsein ist, versuchte Neurowissenschaftler Steven Laureys an der belgischen Universität Lüttich herauszufinden – mit einem dramatischen Ergebnis: Ein Drittel aller Wachkoma-Diagnosen ist vermutlich falsch!

Mithilfe der modernen Untersuchungsmethode "Positronen-Emmissions-Tomografie (PET)" können Strukturen und Stoffwechselvorgänge im Gehirn sichtbar gemacht werden. Damit kann dargestellt werden, welche Hirnareale aktiv sind und welche miteinander kommunizieren. Das heißt, die PET liefert genaue Ergebnisse über den Zustand eines Koma-Patienten.

So können die Scanner-Aufnahmen beispielsweise zeigen, dass die eine Hirnhälfte fast völlig funktionsfähig ist, während die andere stark geschädigt sein kann. Je nachdem, welche Hirnhälfte betroffen ist, kann das Sprachzentrum beispielsweise in der rechten Hirnhälfte betroffen sein. Dann hat der Patient natürlich keine Möglichkeit mehr, sich mitzuteilen. Auch kann er beispielsweise Schmerzen fühlen, auch wenn er keine Möglichkeit hat, dies mitzuteilen. Dies bedeutet, dass bestimmte Areale schwer geschädigt sein können, andere Hirnareale jedoch eine fast normale Hirnaktivität zeigen. Für diesen Zustand wurde ein neuer Begriff geprägt – "Minimal Conscious State (MCS)", der "minimale Bewusstseinszustand".

MCS-Patienten sind dem Wachzustand näher als dem Koma. Sie reagieren gelegentlich klar auf die Umwelt, können teilweise hören und sehen und reagieren auf Erzählungen und Anweisungen. Sprechen können sie aber nicht.

Dr. Ingo Blank, Gärtringen

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