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Warum gibt es heute noch Apotheken?

Für den einen ist diese Frage eine Banalität, für den anderen eine Provokation: Warum gibt es heute noch Apotheken? Klar, werden die einen sagen, weil es in unserem Land eine Stelle geben muss, wo Arzneimittel vertrieben werden. Nachgefragt: Warum eigentlich? Eine Zumutung ist diese Frage, werden die anderen sagen, denn: wo sonst außer in der Apotheke darf es Arzneimittel geben! Aber warum ist das eigentlich so wie es ist und warum kann es nicht anders sein? Nur weil es früher Apotheken und Apotheker gab? Nur weil früher eine bestimmte Berufsgruppe solche Präparate zubereitet hat? Heute kommen Arzneimittel von der Industrie. Außerdem: Ein Arzneimittel könnte auch ein Arzt aushändigen. Oder robotergesteuerte Maschinen und Ausgabeautomaten könnten dies in bestimmten Kiosken erledigen. Oder man könnte seine verschreibungspflichtigen Arzneimittel von einer Versandstelle beziehen und die OTC-Arzneimittel im Drogerie- oder Supermarkt kaufen. Warum also gibt es heute noch Apotheken? Haben Sie sich das jemals gefragt? Die Antwort muss lauten: weil wir Sicherheit wollen. Unsere Gesellschaft leistet sich mit der Apotheke heute eine Institution, von der sie sich an erster Stelle Sicherheit erwartet. Wie gesagt: die Herstellung liegt in den Händen der Industrie, die Aushändigung, die Abgabe und den Verkauf könnten auch andere erledigen. Aber: die Sicherheit bei der Arzneimittelanwendung mit allem, was im weitesten Sinn dazu gehört – dafür ist nur der Apotheker in seiner Apotheke zuständig, dafür haben wir heute diese Einrichtung als festen Bestandteil in unserem Gesundheitssystem installiert. Solange unsere Gesellschaft dies als notwendig erachtet, solange darüber Konsens besteht, dass Arzneimittel eine besondere Ware sind, die einer fachmännischen Betreuung von der Abgabe bis zur Anwendung bedürfen, solange wird es Apotheken geben.

Halten wir also fest: Unsere Aufgabe besteht in erster Linie darin, das Arzneimittel mit Sicherheitsattributen zu versehen. Dies leisten wir durch unsere Apotheke mit allen rechtlichen Anforderungen, von der Kühlkette bis zum Betäubungsmittelbuch, von der geregelten Abgabe bis hin zur Beratung. Gäbe es in unserer Gesellschaft nicht mehr das Bedürfnis, dass Arzneimittel zwingend einen sicheren Umgang verlangen, könnten wir unsere Apotheken dicht machen oder in Drogerie- und Supermärkte umwandeln.

Vor diesem Hintergrund müsste es uns eigentlich um unsere Zukunft nicht bange sein. Denn ich gehe davon aus, dass unsere Gesellschaft auch weiterhin die Sicherheit im Umgang mit Arzneimitteln will. Die Gefahren, die sich aus dem falschen Umgang mit Arzneimitteln ergeben, sind immens: Nebenwirkungen, Wechselwirkungen, keine Wirkungen bis hin zu tödlichen Wirkungen. Die Apotheke als besondere Institution trägt dazu bei, dass diese negativen Auswirkungen der Arzneimittelanwendung extrem minimiert werden. Diese Sicherheitsaspekte werden im weitesten Sinn erfüllt durch Kontrolle und Beratung: Überprüfung des Patientenwunsches und Empfehlung eines geeigneten Präparates im Selbstmedikationsbereich, und im verschreibungspflichtigen Bereich Kontrolle der ärztlichen Verordnung und Beratung des Patienten zur richtigen Einnahme und Anwendung. Ich gehe davon aus, dass dies gesellschaftlicher Konsens ist, dass alle Volksvertreter in Deutschland, in Europa dies unterschreiben würden.

Aber ist dies wirklich noch so? In den letzten Jahren kommen hier berechtigte Zweifel. Nur schwer oder gar nicht passt die Erlaubnis des Versandhandels dazu, zu der sich unsere Gesundheitsministerin hat hinreißen lassen: die Sicherheit leidet, eine Beratung findet so gut wie nicht statt. Nur schwer oder gar nicht passen die europäischen Absichten dazu, das Mehr- und Fremdbesitzverbot abschaffen zu wollen, wie es die europäische Kommission derzeit heftig vorantreibt. Auch hier heißt es: Die Sicherheit leidet, wenn Arzneimittel in großen von Konzerninteressen gesteuerten Kettenunternehmen vertrieben werden. Der Mehrverbrauch wird extrem angeheizt, die Beratung schrumpft auf standardisierte Floskeln, die Individualität bleibt auf der Strecke. Die Sicherheit leidet extrem, wenn Arzneimittel über Drogerieausgabestellen, ohne physisch anwesenden Apotheker, ausgegeben werden. Gibt der Staat die Sicherheit im Arzneimittelumgang jetzt auf?

Wir müssen der Gesellschaft mehr denn je zeigen, dass es angesichts der komplexen und bei falscher Anwendung gefährlichen Ware Arzneimittel ohne Apotheke nicht geht. Ja noch mehr: die Potenziale und Ressourcen, die in einer modernen Apotheke, in einem modern ausgebildeten Apotheker heute schlummern, erlauben eine noch intensivere Nutzung des Fachwissens: in der Prävention, in der Zusammenarbeit mit dem Arzt, in der klinischen Pharmazie oder in der Pharmakogenetik. Gäbe es keine Apotheken, man müsste sie heute erfinden!


Peter Ditzel

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