Arzneimittel und Therapie

Eculizumab: Antikörper gegen ein Komplementprotein

Eculizumab (Soliris®) ist ein neuer monoklonaler Antikörper. Er richtet sich gegen eine Komponente des Komplementsystems und wird zur Behandlung der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie (PNH) eingesetzt. Bei dieser sehr seltenen Blutkrankheit werden die Erythrozyten vom Immunsystem zerstört. Durch die chronische Hämolyse wird Hämoglobin mit dem Urin ausgeschieden, der Morgenurin der Patienten ist typischerweise dunkel gefärbt.

PNH-Patienten benötigen regelmäßige Bluttransfusionen. Eculizumab kann die Lyse der Erythrozyten verhindern und befreit die Mehrzahl der Patienten mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie von regelmäßigen Bluttransfusionen. Die paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH), die auch als Marchiafava-Micheli-Syndrom bezeichnet wird, ist eine sehr seltene hämatologische Erkrankung, bei der die roten Blutkörperchen zerstört werden. Die Inzidenz beträgt etwa 1:100.000 bis 1:500.000 pro Jahr. Der Erkrankungsgipfel liegt zwischen dem 25. bis 45. Lebensjahr mit ausgeglichenem Geschlechterverhältnis. Bisher wurde keine familiäre Häufung beobachtet. Die mittlere Überlebenszeit der Patienten beträgt circa zehn bis 15 Jahre. Im Langzeitverlauf treten bei etwa 15% der Patienten aber auch spontane klinische Remissionen ein.

Ein Schutzprotein fehlt

Patienten mit PNH fehlt ein spezifisches Protein, das die roten Blutkörperchen normalerweise vor der Zerstörung durch eine Komponente des Immunsystems schützt, des terminalen Komplementsystems.

Die Erkrankung wird im Laufe des Lebens erworben, und zwar durch die somatische Mutation des Phosphatidyl-Inositol-Glykan(PIG)-A-Gens einer pluripotenten hämatopoetischen Stammzelle. Das Produkt dieses Gens, die N-Acetylglucosaminyltransferase, ist verantwortlich für die Biosynthese des GPI-Ankerproteins. Der GPI-Anker ist für die Insertion von Oberflächenproteinen in der Zellmembran notwendig, welche normalerweise die Erythrozyten vor der Anlagerung von aktivierten autologen Komplementkomponenten und damit der komplementvermittelten Zelllyse schützen. Je nach Art der Mutation des betroffenen Zellklons sind die GPI-Anker teilweise oder vollständig defekt. Dadurch können die Membranfaktoren CD 55 (DAF, decay accelerating factor) und CD 59 (MIRL, membran inhibitor of reactive hemolysis) auf den Erythrozyten nicht mehr gebunden werden. Diese Proteine verhindern normalerweise, dass die roten Blutkörperchen vom Komplementsystem angegriffen und zerstört werden.

Zu wenig Erythrozyten, zu viel Thrombozyten

Die Erkrankung äußert sich mit einer hämolytischen Anämie, Thrombophilie und Zytopenie. Die Ausprägung der einzelnen Symptome ist sehr variabel, und die Erkrankung kann auch symptomarm verlaufen. Unbehandelt verläuft die Hämolyse in der Regel chronisch mit Episoden von hämolytischen Krisen oder Paroxysmen mit dem typischen dunkel gefärbten Morgenurin. Etwa die Hälfte aller Patienten entwickelt im Krankheitsverlauf eine Thrombose, ein Drittel stirbt daran. Viele Patienten haben eine Zytopenie, die von einer isolierten subklinischen Verringerung einer Zelllinie bis hin zu einer schweren aplastischen Anämie reichen kann.


Steckbrief: Eculizumab

Handelsname: Soliris
Hersteller: Alexion Pharma GmbH, München
Einführungsdatum: 1. Dezember 2007

Zusammensetzung: Jede Durchstechflasche mit 30 ml enthält 300 mg Eculizumab (10 mg/ml). Nach Verdünnung beträgt die endgültige Konzentration der zu infundierenden Lösung 5 mg/ml. Sonstige Bestandteile: Natrium (5,00 mmol pro Dosis), Natriumphosphat monobasisch, Natriumphosphat dibasisch, NaCl, Polysorbat 80, Wasser für Injektionszwecke.

Packungsgrößen, Preise und PZN: 30 ml, 5736,11 Euro, PZN 4617364.
Stoffklasse: Immunmodulatoren; monoklonaler Antikörper. ATC-Code: L04AA25.
Indikation: Zur Behandlung von Patienten mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie (PNH).

Dosierung: Fünfwöchige Initialphase mit 600 mg Eculizumab als intravenöse Infusion über 25 bis 45 Minuten einmal wöchentlich in den ersten vier Wochen, gefolgt von 900 mg Eculizumab in der fünften Woche; in der Erhaltungsphase 900 mg Eculizumab als intravenöse Infusion über 25 bis 45 Minuten alle 14 Tage.

Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen Eculizumab, murine Proteine oder einen der sonstigen Bestandteile; nicht ausgeheilte Infektion mit Neisseria meningitidis, fehlender Impfschutz gegen Neisseria meningitidis sowie bekannte erbliche Komplementdefekte oder Verdacht darauf.

Nebenwirkungen: Kopfschmerzen, Nasopharyngitis, Übelkeit, Pyrexie, Myalgie, Müdigkeit, Herpes simplex.

Wechselwirkungen: Wechselwirkungsstudien wurden nicht durchgeführt.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Eculizumab erhöht die Anfälligkeit des Patienten für eine Meningokokkeninfektion (Neisseria meningitidis), zur Verringerung des Infektionsrisikos müssen alle Patienten mindestens zwei Wochen vor der Verabreichung von Eculizumab geimpft werden. PNH-Patienten sollten alle gemäß den geltenden Impfrichtlinien empfohlenen Impfungen erhalten. Bei Patienten mit aktiven systemischen Infektionen sollte die Therapie mit Eculizumab mit Vorsicht durchgeführt werden. Bei allen Patienten, bei denen schwere Infusionsreaktionen auftreten, muss die Verabreichung von Eculizumab unterbrochen und eine geeignete medizinische Therapie durchgeführt werden. PNH-Patienten, die mit Eculizumab behandelt werden, sollten auf Anzeichen und Symptome einer intravaskulären Hämolyse überwacht werden, ebenso Patienten, welche die Behandlung mit Eculizumab absetzen.

Transfusion von Erythrozytenkonzentrat und Cortison

Im Vordergrund der symptomatischen Behandlung steht die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten. Wenn ein absoluter oder relativer Erythropoetinmangel besteht, kann die Gabe von rekombinantem Erythropoetin erwogen werden. Weil die Patienten durch die Hämoglobinurie und Hämosiderinurie Eisen verlieren und oft niedrige Ferritinwerte haben, sollte Eisen oral substituiert werden. Wegen des gesteigerten Zellumsatzes im Knochenmark wird außerdem die Gabe von Folsäure (5 mg/Tag) empfohlen. Infektionen sollten frühzeitig antibiotisch therapiert werden, weil sie durch die Aktivierung des Komplementsystems hämolytische Krisen auslösen können.

Abdominale Schmerzattacken werden symptomatisch mit ausreichender Zufuhr von Flüssigkeit und einer suffizienten Analgesie bis zur Gabe von Morphinen behandelt.

Kurzfristig kann die PNH auch mit niedrig dosierten Glucocorticoiden behandelt werden. Bei einem schweren Verlauf kann eine allogene Knochenmarktransplantation erwogen werden.

Eculizumab bindet an Komplementprotein

Der Antikörper Eculizumab bietet einen neuen Therapieansatz. Er hemmt die terminale Komplementstrecke, wodurch die komplementvermittelte intravasale Hämolyse gehemmt wird.

Eculizumab ist ein rekombinanter humanisierter monoklonaler IgG-Antikörper. Er enthält humane konstante Regionen und murine die Komplementarität bestimmende Regionen (CDR), die auf die variablen Regionen der leichten und schweren Ketten des menschlichen Gerüsts (Framework) aufgesetzt sind. Eculizumab besteht aus zwei schweren Ketten mit 448 Aminosäuren und zwei leichten Ketten mit 214 Aminosäuren und hat ein Molekulargewicht von etwa 148 kDa.

Eculizumab bindet spezifisch und mit hoher Affinität an das Komplementprotein C5, blockiert dadurch dessen Spaltung in die Fragmente C5a und C5b und verhindert die Bildung des terminalen Komplementkomplexes C5b-9. Auf diese Weise hemmt Eculizumab die terminale komplementvermittelte intravaskuläre Hämolyse.

Einmal wöchentliche Infusion

Das Dosierungsschema besteht aus einer fünfwöchigen Initialphase, an die sich eine Erhaltungsphase anschließt. In der Initialphase wird 600 mg Eculizumab als intravenöse Infusion über 25 bis 45 Minuten einmal wöchentlich in den ersten vier Wochen, gefolgt von 900 mg Eculizumab in der fünften Woche als intravenöse Infusion gegeben, in der Erhaltungsphase 900 mg Eculizumab alle 14 Tage.

Gut wirksam und sicher

Die Sicherheit und Wirksamkeit von Eculizumab wurden in mehreren klinischen Studien bei über 180 PNH-Patienten klinisch untersucht. Die Patienten wurden zwischen 26 Wochen und 54 Monaten behandelt. Zu den Begleittherapien gehörten Antithrombotika bei 63% der Patienten und systemische Glucocorticoide bei 40% der Patienten. Eculizumab konnte in diesen Studien die Hämolyse bei den behandelten Patienten signifikant verringern. Dadurch besserte sich die Anämie, das Hämoglobin stabilisierte sich und der Bedarf an Erythrozyten-Transfusionen im Vergleich zu den mit Placebo behandelten Patienten sank. Nach drei Wochen Behandlung berichteten die mit Eculizumab behandelten Patienten über weniger Müdigkeit und eine verbesserte gesundheitsbezogene Lebensqualität. Bei allen Patienten wurde die intravaskuläre Hämolyse während der gesamten Dauer der Behandlung mit Eculizumab (10 bis 54 Monate) vermindert. Außerdem traten unter der Behandlung weniger thrombotische Ereignisse auf als während desselben Zeitraums vor der Behandlung.

Zu den häufigsten unerwünschten Reaktionen gehören Kopfschmerzen, Nasopharyngitis, Übelkeit, Pyrexie, Myalgie, Müdigkeit und Herpes simplex, wobei jede dieser Reaktionen bei fünf oder mehr von 100 Patienten auftrat.

Aufgrund seines Wirkungsmechanismus erhöht Eculizumab die Anfälligkeit für eine Meningokokkeninfektion (Neisseria meningitidis). Zur Verringerung des Infektionsrisikos müssen alle Patienten ausreichend gegen Meningokokken geimpft werden. Bei Patienten mit nicht ausgeheilter Infektion mit Neisseria meningitidis, ohne aktuellen Impfschutz gegen Neisseria meningitidis sowie mit bekannten erblichen Komplementdefekten oder Verdacht darauf darf die Therapie nicht eingeleitet werden.

Da Immunglobuline plazentagängig sind, sollten Schwangere Eculizumab nur dann erhalten, wenn dies zwingend erforderlich ist. Gebärfähige Frauen müssen während der Behandlung und bis zu fünf Monate danach angemessene Empfängnisverhütungsmethoden anwenden. Da Immunglobuline in die Muttermilch ausgeschieden werden und schwerwiegende unerwünschte Reaktionen bei gestillten Säuglingen auftreten können, sollte während der Behandlung und bis zu fünf Monate danach nicht gestillt werden.


Quelle

Fachinformation zu Eculizumab, Stand Juni 2007.

Hillmen P, Hall C, Marsh JC et al.: Effect of eculizumab on hemolysis and transfusion requirements in patients with paroxysmal nocturnal hemoglobinuria. N Engl J Med 2004; 350: 552-9.

Hill A, Hillmen P, Richards SJ et al.: Sustained response and longterm safety of eculizumab in paroxysmal nocturnal hemoglobinuria. Blood 2005; 106: 2559-65.

Hillmen P, Young NS, Schubert J et al.: The complement inhibitor eculizumab in paroxysmal nocturnal hemoglobinuria.N Engl J Med 2006; 355: 1233-43.


hel

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