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Umfrage
Arzneimittel und Senioren in Deutschland
Für den Alterungsprozess sind sowohl intrinsische als auch extrinsische Faktoren verantwortlich [1]. Die intrinsischen Faktoren liegen im Menschen selbst, in seinem Erbgut und seinem Verhalten. Die extrinsischen Faktoren wirken von außen auf den Menschen ein. Dies können giftige Substanzen, ionisierende Strahlung, Erreger von Infektionskrankheiten sowie physischer und psychischer Stress sein [2].
Im Alter steigt die Belastung mit freien Radikalen durch oxidative Prozesse bei gleichzeitiger Abnahme der antioxidativen Enzyme Superoxiddismutase und Glutathionperoxidase. Viele Senioren sind multimorbid. Ihre Krankheiten sind meist chronisch und progredient. Weitere Probleme älterer Menschen sind Exsikkose, Malnutrition, Immobilität, Inkontinenz, Obstipation, Schlafstörungen, Schmerzen, Schwerhörigkeit, Schwindel und kognitive Beeinträchtigungen.
Probleme der Pharmakotherapie im Alter
Die Pharmakotherapie gewinnt in der Geriatrie – nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Kosten-Nutzen-Abwägung – zunehmend an Bedeutung. Dabei müssen typische Veränderungen wie die Abnahme der Feinmotorik und der Sehstärke berücksichtigt werden, weil sie Schwierigkeiten bei der Medikamenteneinnahme bereiten. Zudem ändern sich mit zunehmendem Alter die Pharmakokinetik und die Pharmakodynamik der Arzneistoffe.
Mit der Anzahl der Medikamente wächst auch das Risiko von Neben- und Wechselwirkungen. Als besonders kritische Gruppe erweisen sich hier die Psychopharmaka. Wegen dieser Probleme lautet die allgemeine Richtlinie für die Pharmakotherapie im Alter: So viele Arzneimittel wie nötig und so wenige Arzneimittel wie möglich!
Befragung von Senioren
Im Oktober und November 2005 sind 300 Senioren über 65 Jahren, die nicht in Alten- oder Pflegeheimen wohnen, in drei Apotheken sowie an öffentlichen Plätzen in München mit einem Fragebogen zu ihren Lebensumständen, ihren Krankheiten und ihrer Pharmakotherapie befragt worden. Im Kollektiv waren die Frauen und Männer sowie die Altersgruppen der 65- bis 74-Jährigen und der über 75-Jährigen jeweils etwa gleich stark vertreten. Bezüglich des Bildungsgrades ergab sich folgende Differenzierung:
- Volksschulabschluss: 61 Prozent,
- Realschulabschluss: 22 Prozent,
- Abitur: 17 Prozent (Frauen 8%, Männer 30%).
70 Prozent der Befragten beziehen eine normale Altersrente, und 26 Prozent haben ein zusätzliches Einkommen. Die Personen mit Abitur haben dreimal so häufig ein zusätzliches Einkommen wie die übrigen, die Männer fast doppelt so häufig wie die Frauen. 53 Prozent der Befragten beziehen eine höhere Rente als die Durchschnittsrente von 1150 Euro, davon nahezu 80 Prozent der Männer und knapp ein Drittel der Frauen.
60 Prozent der Senioren leben mit einem Partner zusammen, 32 Prozent sind alleinstehend (38% der Frauen, 24% der Männer), acht Prozent leben mit ihren Kindern zusammen. Nur 30 der 300 Senioren waren auf Sozialpflege angewiesen (5% der 65- bis 74-Jährigen, 19% der über 75-Jährigen).
15 Prozent der Befragten waren privat versichert (19% der Männer, 12% der Frauen), 85 Prozent gesetzlich versichert.
Beipackzettel und Arztbesuch
58 Prozent der Befragten (51% der Männer, 63% der Frauen) gaben an, den Beipackzettel zumindest teilweise zu verstehen. Durch den Inhalt fühlen sich 34 Prozent verunsichert, 39 Prozent teilweise verunsichert und nur 27 Prozent nicht verunsichert. Geschlecht und Altersgruppe spielen dabei keine Rolle, wohl aber der Bildungsgrad: Die 34 Prozent Verunsicherten verteilten sich so:
- Volksschulabschluss: 38 Prozent,
- Realschulabschluss: 32 Prozent,
- Abitur: 23 Prozent.
38 Prozent der Befragten gaben an, ihre Beschwerden selbst zu behandeln, ehe sie zum Arzt gehen. 39 Prozent versuchen es zumindest teilweise, nur 23 Prozent gehen gleich zum Arzt. Je niedriger der Bildungsgrad ist, umso höher ist der Anteil der Personen, die gleich zum Arzt gehen:
- Volksschulabschluss: 27 Prozent.
- Realschulabschluss: 21 Prozent,
- Abitur: 11 Prozent.
Typische Altersbeschwerden
In einer Liste von typischen Altersbeschwerden konnten die Senioren diejenigen Beschwerden ankreuzen, die in den letzten drei bis vier Monaten aufgetreten sind. Am häufigsten nannten sie:
- Gelenk- und Rückenschmerzen: 47 Prozent,
- Erkältungsbeschwerden: 42 Prozent,
- Schlaflosigkeit (Schlafprobleme): 39 Prozent,
- Müdigkeit und Schwindel: 33 Prozent.
Von Kopfschmerzen sind vor allem die 65- bis 74-Jährigen betroffen (24%), aber nur acht Prozent der über 75-Jährigen. Dafür leiden die älteren Senioren öfter unter Verstopfung, Durchfall und Bauchschmerzen. Ferner treten geschlechtsspezifische Unterschiede auf: Frauen leiden häufiger als Männer unter Kopfschmerzen (21% vs. 14%) und Venenproblemen (21% vs. 6%), haben aber seltener Beschwerden im Magen-Darm-Bereich.
Lediglich 31 Prozent der Befragten gehen zur Behandlung der Beschwerden in die Apotheke (34% der Männer). 46 Prozent behandeln ihre Leiden selbst (42% der Männer), 49 Prozent gehen zum Arzt (50% der Männer). Was die Analyse nach dem Bildungsgrad betrifft, so suchen am ehesten die Senioren mit Abitur zur Behandlung ihrer Beschwerden eine Apotheke auf.
Großes Vertrauen in Apotheker und Arzt
Insgesamt vertrauen 92 Prozent der Befragten dem Apotheker. Lediglich drei Prozent vertrauen dem Apotheker eher nicht, und nur ein Prozent vertraut dem Apotheker gar nicht.
Die Ärzte haben sogar noch etwas besser abgeschnitten: 96 Prozent der Befragten vertrauen dem Arzt, nur zwei Prozent vertrauen ihm eher nicht. Ein absolutes Vertrauen zu den Ärzten haben mehr Frauen als Männer (66% vs. 60%).
Schlechte Compliance
92 Prozent der Befragten hatten im letzten Monat Medikamente eingenommen. Lediglich 56 Prozent gaben an, alle vom Arzt verschriebenen Medikamente einzunehmen. Das stellt eine sehr schlechte Compliance dar. Bei den älteren Senioren war die Compliance geringer als bei den jüngeren.
Mehr als zwei Drittel der Befragten holen ihre Medikamente immer in derselben Apotheke. Sie haben neben ihrem Hausarzt praktisch auch noch ihren eigenen Apotheker, was aus Sicht der Compliance und Arzneimittelsicherheit nur wünschenswert sein kann. Erstaunlicherweise ist die jüngere Altersgruppe häufiger auf eine bestimmte Apotheke fixiert (72% vs. 61%). 21 Prozent holen ihre Medikamente in verschiedenen Apotheken, und in sieben Prozent der Fälle sind Familienangehörige für die Medikamentenbeschaffung zuständig (14% der über 75-Jährigen vs. 3% der jüngeren Senioren). Drei Prozent erhalten die Medikamente vom Arzt und ein Prozent vom Pfleger.
Meinung zu Medikamentenwerbung
Rund ein Drittel (34%) der Befragten interessiert sich nicht für die Medikamentenwerbung. 23 Prozent verfolgen definitiv die Werbung für Medikamente, und 43 Prozent sind nur teilweise daran interessiert. Das Interesse an der Medikamentenwerbung steigt parallel zum Bildungsgrad. Frauen interessieren sich mehr dafür als Männer (27% vs. 19%).
Die Befragten stehen der Werbung überwiegend skeptisch gegenüber, und zwar die jüngeren Senioren mehr als die älteren. Die Personen mit Abitur haben das geringste Vertrauen in die Werbung. Bei den Geschlechtern gibt es diesbezüglich faktisch keine Unterschiede.
Häufig verordnete Arzneimittelgruppen
Die den Senioren mit Abstand am häufigsten verordnete Arzneimittelgruppe sind die Antihypertensiva mit 23 Prozent aller Verordnungen. Es folgen die Analgetika / Antirheumatika mit einem Anteil von neun Prozent. Überraschenderweise stehen die Schilddrüsentherapeutika mit sieben Prozent an dritter Stelle, noch vor den Lipidsenkern, Magen-Darm-Mitteln und Antikoagulanzien mit je sechs Prozent. Die Psychopharmaka und die Hypnotika / Sedativa kommen jeweils auf fünf Prozent, die Antidementiva und Antiepileptika auf je ein Prozent, was für die Antidementiva überraschend gering ist. Die Antiparkinsonmittel liegen unter ein Prozent. Immerhin 18 Prozent der 300 Befragten wurden keine Medikamente verordnet (davon 63% Frauen vs. 37% Männer).
Die Antihypertonika wurden Männern und Frauen gleich häufig verschrieben, aber bei anderen Medikamentengruppen gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. Frauen erhielten häufiger Analgetika / Antirheumatika (fast ein Drittel mehr), Broncholytika / Antiasthmatika / Antiallergika (etwa doppelt so viel), Psychopharmaka (61% vs. 39%), Osteoporosemittel (81% vs. 19%) und Hormone oder Hemmstoffe von Hormonen (94% vs. 6%). Männer erhielten häufiger Gichtmittel (74% vs. 26%) und Urologika (83% vs. 17%).
Präparategruppen der Selbstmedikation
Bei den selbst gekauften Medikamenten und Pflegemitteln führt mit Abstand die Gruppe der Vitamine / Mineralstoffe / Spurenelemente mit 24 Prozent. Es folgen Gelenkmittel / Rheumamittel und Mittel gegen Erkältungskrankheiten mit jeweils zehn Prozent, Schmerzmittel mit neun Prozent, Kosmetika / Zahnpflegemittel mit acht Prozent und Ophthalmika mit sechs Prozent. 19 Prozent der Befragten (20% der Männer, 18% der Frauen) haben keine Medikamente / Pflegemittel selbst gekauft.
Die geschlechtsspezifische Betrachtung ergab: Von allen selbst gekauften Medikamenten entfallen 64 Prozent auf die Frauen und nur 36 Prozent auf die Männer. So hatten die Frauen einen höheren Arzneimittelverbrauch in der Gruppe der Vitamine / Mineralstoffe / Spurenelemente (65% vs. 35%), bei den Ophthalmika (83% vs. 17%), Antiallergika (87% vs. 13%), hirndurchblutungsfördernden Mitteln und Immunmodulatoren / Stärkungsmitteln (64% vs. 36%), Nerven- und Schlafmitteln (88% vs. 12%), Schmerzmitteln (69% vs. 31%) und Venenmitteln (87% vs. 13%).
Arzneimittelausgaben pro Kopf
Die wohl wichtigste Frage in der Umfrage galt den Arzneimittelausgaben. Der durchschnittliche Senior gibt im Monat 53 Euro oder knapp fünf Prozent seiner Rente (im Schnitt ca. 1150 Euro) für Medikamente aus, davon 32 Euro für vom Arzt verschriebene und 21 Euro für selbstgekaufte Medikamente.
Für verschriebene Medikamente zahlen die Männer im Durchschnitt 39 Euro monatlich, die Frauen nur 25 Euro. Im OTC-Bereich ergibt sich ein konträres Bild. Hier geben die Männer nur 17 Euro aus, die Frauen hingegen 24 Euro.
Literatur
[1] Harman, D.: Free radical theory of aging: a hypothesis on pathogenesis of senile dementia of the Alzheimer`s type. Age 16 , 23-30 (1993).
[2] Estler, C.-J.: Arzneimittel im Alter. 2. Aufl. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1997.
Anschrift des Verfassers:
Dr. Florian Eibl
Max-Lebsche-Platz 39, 81377 München
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