Gesundheitspolitik

Kasse muss für nicht zugelassenes Arzneimittel zahlen

LSG: Ausnahme bei notstandsähnlicher Situation

Berlin (ks). Eine gesetzliche Krankenkasse muss ihre Versicherten unter bestimmten Voraussetzungen auch mit einem nicht zugelassenen Arzneimittel versorgen. Dies entschied das Hessische Landessozialgericht in einem am 12. März veröffentlichten Urteil (Urteil vom 15. Januar, Az.: L 1 KR 51/05).

Voraussetzung für den Anspruch ist danach, dass der gesetzlich Krankenversicherte an einer lebensbedrohlichen Erkrankung, für die eine anerkannte medizinische Behandlung nicht zur Verfügung steht, leidet, sich mithin in einer notstandsähnlichen Situation befindet. Zudem muss eine Abwägung von Nutzen und Risiken für die Versorgung sprechen.

Krankenkassen: Wirkung nicht ausreichend belegt

Im gegebenen Fall leidet der Kläger an einer HIV-Infektion im fortgeschrittenen Stadium. Gegen mehrere Kombinationstherapien entwickelte er Resistenzen. Auch kam es zu Verträglichkeitsproblemen. Im Rahmen der letztmöglichen Kombinationstherapie verbesserte sich sein immunologischer Zustand. Als Nebenwirkung trat jedoch eine massive Fettverteilungsstörung mit einer Gewichtszunahme von 13 kg auf. Diese wiederum verursachte erhebliche organische Gesundheitsstörungen. Der Versicherte beantragte daher im Juli 2002 bei seiner Krankenkasse die Versorgung mit Serostim. Dieses weder bundes- noch europaweit zugelassene Medikament verringere nach einer auf der Internationalen Aids-Konferenz im Jahre 2002 vorgestellten Studie deutlich das Fett im Bauchraum. Nach Auffassung der Krankenkasse ist die Wirksamkeit von Serostim allerdings nicht ausreichend belegt. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren wurde die Krankenkasse zur vorläufigen Versorgung des Aidskranken verpflichtet. In der Folgezeit bildete sich beim Kläger der Fettgehalt fast vollständig auf den Ausgangszustand zurück.

Verweigerung wäre Verstoß gegen Grundgesetz

Auch im Hauptsacheverfahren verurteilte das Hessische Landessozialgericht die Krankenkasse zur Versorgung des HIV-Erkrankten mit Serostim. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstoße die Verweigerung einer neuen medizinischen Behandlungsmethode gegen das Grundgesetz, wenn eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliege, für welche eine anerkannte Behandlung nicht zur Verfügung stehe. Bei einer notstandsähnlichen Situation sei dies auf Arzneimittel übertragbar. Eine Weiterbehandlung des Klägers mit der für ihn lebensnotwendigen antiretroviralen Therapie sei nur mittels Serostim möglich gewesen. Eine Behandlungsalternative habe nicht bestanden. Auch sei es im Hinblick auf das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen aus medizinischer Sicht nicht vertretbar gewesen, die Fettverteilungsstörung nicht zu behandeln. Deshalb sei – obgleich das Medikament nicht unmittelbar auf die lebensbedrohliche HIV-Erkrankung einwirke – von einer notstandsähnlichen Situation auszugehen. Ein Anspruch des Versicherten auf Versorgung mit dem nicht zugelassenen Medikament liege daher ausnahmsweise vor.

Die Revision gegen das Urteil wurde zugelassen.

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