Wirtschaft

DAX scheitert an der 5000er Marke

US-Notenbank stellt Erholung in Frage – Großbritannien droht Bonitätsabstufung

(hps). US-Notenbankchef Ben Bernanke sieht die Zukunft nicht mehr ganz so rosig – trotz massiver staatlicher Unterstützung. Während indes der Erfolg der Hilfspakete noch unsicher ist, zeichnet sich immer mehr der Preis für das staatliche Eingreifen ab. Nachdem Großbritannien nun konkret die Herabstufung der Bonität droht, fürchten nun auch die USA um ihre Kreditwürdigkeit auf den Kapitalmärkten. Da hat die Börse inzwischen ein wesentlich optimistischeres Szenario eingepreist.

Die aktuelle Marktlage

Zwei Ereignisse kennzeichnen die derzeitige Marktentwicklung: Erstens der Kampf um die 5000er Marke beim DAX – hieran knüpft vor allem die Gilde der Charttechniker ihre Hoffnung auf Anschlusskäufe und weiter steigende Kurse. Zweitens der Glaubenskrieg um die Aussagekraft der nach wie vor niedrigen Börsenumsätze.

5000 Punkte überwinden – dann sei der Weg frei, hieß es letzte Woche am Parkett. Drei Tage hintereinander wurde diese psychologisch bedeutsame Marke belagert. Und sie schien schon fast zu fallen, als die Optimisten mit Rückenwind von Goldman Sachs einmal mehr auf die Bankwerte setzten. Doch die Kursgewinne erwiesen sich nicht als nachhaltig. Nun ist zu vermuten, dass sich die Anleger beim DAX wieder nach unten orientieren.

Damit verbunden ist das Thema über die Aussagekraft der beklagenswert niedrigen Börsenumsätze. Einige Marktteilnehmer bezweifeln, dass sich auf diesem Weg überhaupt ein nachhaltiger Kursaufschwung etablieren lässt. Experten der Commerzbank sehen darin dagegen einen "verkaufsleeren Raum", es mangele an Verkäufern. Jeder, der verkaufen wollte, hätte sich bereits im März von seinen Anteil getrennt. Die Analysten folgern daraus, dass es mit dem DAX nochmals 10 Prozent nach oben gehen könne und sich dabei auch höhere Umsätze einstellen würden. Ein inzwischen akademischer Streit, wie es scheint. Denn gegen Ende der letzten Woche erlitten DAX und Dow Jones einen deutlichen Rücksetzer. Ein verhaltener Wirtschaftsausblick der US-Notenbank, eine Rückstufung der Bonität Großbritanniens und schlechte Nachrichten vom US-Arbeitsmarkt sorgten für Ernüchterung am Parkett.

Aus der Perspektive der Analysten

Mit verpassten Chancen und dem Anlagedruck der Großanleger begründen immer mehr Profis ihre Überzeugung, dass der DAX weiter steigen werde. Jeder Rücksetzer sei nur temporär und werde für Nachkäufe genutzt. Auf der Seite der Optimisten sind u. a. die Analysten der Commerzbank zu finden, die jetzt Kurse jenseits der 5000er Marke sehen. Auch Goldman Sachs erwartet einen Kampf um die 5000er Linie und sieht weitere Gewinne vor allem im Bankensektor. Die Unicredit zeigt sich sogar davon überzeugt, dass dies eine Aufwärtsbewegung mit Stärke sei und erwartet Kurse bis zu 6400 Punkten im DAX. Charttechniker sehen das Kursgeschehen in einem Kanal zwischen 4750 und 5150 Punkten pendeln.

Dagegen hält die Schweizer UBS das aktuelle Kursniveau für überzogen und stufte letzte Woche Aktien generell zurück. Auch der BHF Bank ist bei dem an der Börse durchgespielten Erholungsszenario nicht wohl: Der Kursanstieg ginge eindeutig auf das Konto der Positionierung von bislang unterinvestierten Großanlegern. Die Aufwärtsbewegung sei aber fundamental nicht untermauert. Ähnlich sieht es die Landesbank Berlin: Dies sei immer noch ein Bärenmarkt, der jederzeit wieder seine alten Tiefstände bei 3600 Punkten ins Visier nehmen könne, zumal die Probleme im Finanzsektor nach wie vor nicht gelöst seien.

Banken: Heute Hoffnungsträger, morgen Sorgenkinder

Amerikanische und europäische Großbanken schreiben wieder Gewinne. Unter Führung der Finanzwerte trieb diese Nachricht die Aktienindices weltweit in Schwindel erregende Höhen – wobei man "Schwindel erregend" durchaus wörtlich nehmen darf.

Die guten Ergebnisse von JP Morgan, Goldman Sachs oder der Deutsche Bank sind einerseits dem Investmentbanking zuzuschreiben. Darunter versteht man das Platzieren von festverzinslichen Wertpapieren an der Börse – ein hochprofitables Geschäft in einer Zeit der permanenten Kapitalnot von Staaten und Unternehmen. Diejenigen Institute, die sich – wie etwa die Commerzbank – dem Privatkundengeschäft verschrieben haben, können von solchen Zahlen nur träumen.

Andererseits ermöglichen es jetzt neue Bilanzierungsregeln, dass aus Verlusten Gewinne werden. Ob Deutsche Bank oder HSBC – da die Schulden nicht mehr zum Marktwert, sondern zum Buchwert bewertet werden, vermeiden die Institute hohe Abschreibungen und erzielen so plötzlich Milliardengewinne. Die Wirtschaftskrise, die letztlich in der Bankenkrise wurzelte, sei Geschichte, so das Credo der Finanzmärkte.

Doch die Probleme sind damit nicht gelöst. Die Märchenpreise in den Bilanzen werden sich nicht mehr realisieren lassen, weitere Abschreibungen sind vorprogrammiert. Und es dürfte noch schlimmer kommen: Die zunehmende Arbeitslosigkeit führt zu einer steigenden Kreditausfallquote. Eindrucksvoll nachzuvollziehen bei American Express: 8,6 – 8,8 – 10,1 Prozent, so entwickelte sich die Kreditausfallrate von Februar bis April. Die Krise bei den Konsumkrediten rollt erst an und trifft die ohnehin schon geschwächten Finanzinstitute hart. Ein Teufelskreis, denn wie American Express reagieren auch andere Unternehmen auf den Abschwung: Das Kreditkarteninstitut baut 4000 Stellen ab, das entspricht 6 Prozent aller Mitarbeiter. Die Vermutung liegt nahe, dass aus der Bankenszene schon bald wieder schlechte Nachrichten zu vernehmen sein werden.

Musterdepot und Strategie

Die Hoffnung auf die Wirtschaftswende hat auch die Konsumwerte erfasst, obwohl sich die Auswirkungen der Arbeitslosigkeit in diesem Sektor erst noch bemerkbar machen dürften. Daher empfiehlt sich der Put-Optionsschein der Commerzbank auf Henkel – der Konsumwert schlechthin – mit Laufzeit Juli und einer Basis von 20 Euro (aktuell: 22 Euro). WKN:CM3PRW.

DAX am 21. Mai: 4900 Punkte.

Aus der Sicht des Querdenkers


Am 30. April hieß es noch in der Presse: "Amerikanische Notenbank (FED) schlägt optimistische Töne an". Nur drei Wochen später war zu lesen: "FED-Chef Bernanke warnt vor Konjunktureinbruch". Die US-Notenbank befürchtet nun, dass das Bruttoinlandsprodukt der USA in 2009 um bis zu 2 Prozent schrumpfen könnte (bisher prognostizierte Bernanke nur 1,3 Prozent) und auch der Aufschwung im nächsten Jahr schwächer ausfallen könnte als bislang erhofft. Ob erleichterte Bilanzierungsvorschriften oder manipulierte Zahlen zum Kapitalbedarf der US-Großbanken – was hier Regierung und Notenbank der USA fabrizieren, ist nur heiße Luft und Propaganda. Man ist in dieser prekären Wirtschaftslage spürbar um Stimmungsverbesserung an den Finanzmärkten bemüht – und dazu ist scheinbar jedes Mittel recht. Nach dem Motto: Wenn Sie schon mit überhöhter Geschwindigkeit in die Radarfalle fahren, dann lächeln Sie wenigstens auf dem Foto. Unterdessen wächst mit dem Kampf um die 5000er Marke im DAX auch die Erwartungshaltung der Anleger. Ein derartiges Kursniveau fordert fundamental schon mehr ein als nur die Vermutung eines abgebremsten Wirtschaftsabschwungs. Und hier liegt auch der Hund begraben: Die Marktteilnehmer folgern aus dem nachlassenden Abschwung bereits die Trendwende. Die Weltwirtschaft sollte dann wieder auf "Normalbetrieb" umstellen. Danach sieht es indes ganz und gar nicht aus. "Erholung auf niedrigem Niveau" wäre wohl der passendere Ausdruck für das, was die Wirtschaft tatsächlich zu leisten im Stande ist. Und es ist vor allem viel weniger als das, was die Aktienmärkte bereits eingepreist haben. Nüchtern betrachtet scheint der jüngste Börsenaufschwung einfach nur auf technischen Faktoren zu basieren. Die Kurse am Anleihenmarkt waren ganz oben und die Renditen entsprechend tief, und so kam es zu Umschichtungsaktionen zugunsten der Aktienmärkte. Eine Verschiebung in der Vermögensstruktur, die jederzeit wieder einer verstärkten Risikoversion weichen kann. Denn Anlagedruck hin oder her: Der Euphorie über die vermeintliche Wende folgt nun doch allmählich die Ernüchterung an den Börsen. Für ein wirtschaftliches Dahingedümpel sind 5000 Punkte jedenfalls eindeutig zu viel.


Peter Spermann


Peter Spermann ist Dozent für Wirtschaftslehre und beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit der Börse. In der AZ-Rubrik "Querdenker" vertritt er konsequent den Standpunkt des Antizyklikers.

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