Gesundheitspolitik

Apotheker: Im Versorgungsmodell der Zukunft unverzichtbar

Apotheken sollen sich in Netzwerken einbringen – und dabei auch Rezepte im Supermarkt sammeln können

Berlin (ks). In seinem aktuellen Gutachten hat sich der Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums mit dem Thema "Generationenspezifische Gesundheitsversorgung in einer Gesellschaft des längeren Lebens" befasst. Auf rund 900 Seiten legen die sieben Wissenschaftler dar, wie man den bevorstehenden Herausforderungen begegnen kann.

Die Arzneimittelversorgung nimmt in dem vergangene Woche vorgestellten Sondergutachten einen breiteren Raum ein als in den bisherigen Expertisen des Rates. Bei Kindern und Jugendlichen sei diese insgesamt gut ausgebaut, konstatieren die Wissenschaftler. Defizite sehen sie allerdings bei der Entwicklung, Zulassung und Anwendung. So seien etwa seltene Kindererkrankungen noch zu wenig erforscht und allzu oft würden Antibiotika und Psychostimulanzien unbegründet eingesetzt.

Problematische Arzneimittelversorgung Älterer

Noch problematischer gestaltet sich aber die Arzneimittelversorgung älterer Menschen, die immer häufiger Mehrfacherkrankungen aufweisen. Rund zwei Drittel der über 65-Jährigen weisen bereits mindestens zwei chronische Erkrankungen auf – dennoch existieren kaum Leitlinien, die sich auf dieses Phänomen beziehen. Um künftig spezielle Leitlinien zu implementieren, sei eine Einbindung in die Aus-, Fort- und Weiterbildung und die Qualitätssicherung ebenso nötig wie finanzielle Anreize. Die Multimorbidität – die, wie die Wissenschaftler betonten, "mehr ist als die Summe einzelner Erkrankungen" – führt auch dazu, dass die Zahl der Arztkontakte mit steigendem Alter zunimmt. Parallel erhöht sich die Zahl der Arzneimittelverordnungen. 35 Prozent der Männer und 40 Prozent der Frauen, die älter als 65 Jahre sind, erhalten neun und mehr Wirkstoffe. Dass dabei unerwünschte Arzneimittelwirkungen auftreten, ist kaum verwunderlich – sie bilden mithin aus Sicht der Experten ein Kernproblem bei der Versorgung älterer Menschen. Eine Möglichkeit, die Arzneimittelsicherheit für diese Menschen zu erhöhen, sehen die Sachverständigen in einer Adaption der "Beers-Liste". Auf dieser Liste hat eine Gruppe amerikanischer Wissenschaftler potenziell unangebrachte Arzneimittel für ältere Menschen zusammengestellt, die sowohl in der ambulanten Versorgung sowie in Pflegeheimen möglichst nicht verwendet werden sollten. Die zuletzt 2003 aktualisierte Liste enthält 48 Wirkstoffe, zum Großteil solche, die das Nervensystem beeinflussen (z. B. Flurazepam, Amitriptylin, Promethazin, Diazepam). Außerdem empfehlen die Sachverständigen, dass Arzneimittel künftig in randomisierten und kontrollierten Studien an solchen Patienten geprüft werden, die diese Medikamente nach ihrer Zulassung auch tatsächlich benötigen.

Angesichts dieser Probleme ist es naheliegend, dass das Gutachten für einen stärkeren und effizienteren Einsatz der Apotheken in die Patientenversorgung plädiert. Das Modell der Zukunft sehen die Sachverständigen in einer sektorübergreifenden populationsbezogenen Versorgung. In einem solchen integrativen Versorgungsnetz mit einer versichertenbezogenen (nicht: krankheitsbezogenen!) pauschalen Honorierung müssten sich Apotheken als Institutionen positionieren, die stärker als heute die Verantwortung für die Qualität und Wirtschaftlichkeit bei der Arzneimittelauswahl mittragen. Sie wären dann mitverantwortlich für die finanziellen und qualitativen Auswirkungen der Arzneimitteltherapie für die jeweilige Population, das heißt für die Menschen, die ihr Netzwerk versorgt. In diesem Rahmen sollten sich auch Preis- und Liefervereinbarungen für ein bestimmtes Arzneimittelsortiment – eine sogenannte "Netz-Positivliste" – treffen, heißt es in dem Teil des Gutachtens, für den der Arzneimittelversorgungsforscher Prof. Gerd Glaeske verantwortlich zeichnet. In Kooperation mit Ärzten müssten die Apotheken die Verantwortung für die Auswahl und Bereitstellung der Arzneimittel übernehmen und sich an einer patientenorientierten pharmazeutischen Betreuung und Begleitung aktiv beteiligen. Die Honorierung der Apotheken wird in diesem Fall – wie die der weiteren in das Netzwerk Eingebundenen – im Rahmen eines sogenannten "Capitation-Modells" nach intern abgestimmten Verteilungsmustern geregelt. Wie Glaeske betont, besteht hier die Chance, die Beratungsleistung zu honorieren. Dies soll Anreize setzen, die Patienten gesund zu halten. Schließlich bleibt die versichertenbezogene Pauschale für die Versorgungseinheit gleich – und je gesünder die Population ist, desto mehr Geld steht zur Verfügung.

Platz für Pick-up-Stationen

In der Zukunftsvision des Rates haben auch Pick-up-Stationen ihre Berechtigung. Wenn Netzapotheken für sich genommen keine ausreichende finanzielle Basis in dünner besiedelten Gegenden haben, sei zwar zunächst an Filialapotheken zu denken, die dort die Versorgung übernehmen. Andere Möglichkeiten, die Arzneimittelversorgung aufrecht zu erhalten, sehen die Wissenschaftler aber im Versandhandel oder in Rezeptsammelstellen der Netzapotheken "vor Ort". Die beispielsweise in Supermärkten gesammelten Rezepte sollen von Mitarbeitern der Netzapotheke abgeholt und die verordneten Arzneimittel dann am nächsten Tag in der Rezeptsammelstelle ausgegeben werden. In solchen Fällen sei allerdings sicherzustellen, dass eine telefonische Beratung jederzeit möglich ist, so das Gutachten.

Insgesamt, so die Experten, werde sich so die Rolle der Apotheken von einer "derzeit eher passiven Institution für die Arzneimitteldistribution" zu einer Institution wandeln, die – gemeinsam mit den weiteren Beteiligten – "aktiv in den erfolgreichen Einkauf, in die richtige Auswahl, in die effektive Anwendung, in die Vermittlung industrieunabhängiger und auf den Ergebnissen der evidenzbasierten Medizin beruhender Informationen sowie in das Monitoring der Arzneimitteltherapie eingebunden ist".

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