Wen beraten Sie – Kunden oder Patienten?

Welche emotionalen und assoziativen Reaktionen Personenbezeichnungen auslösen

Wie fühlt sich jemand, der eine Apotheke als Kunde betritt und dort als Patient behandelt wird? Im Rahmen einer Thüringer ZeTA-Akademie beobachtete ich eine inspirierende Diskussion zwischen einem "Normalverbraucher" (Elektrotechnik-Ingenieur) und einem niedergelassenen Apotheker über "Kunden" und "Patienten" in der Apotheke. Anlässlich dieses privaten Meinungsaustausches habe ich in der DAZ Belege für verschiedene Personenbezeichnungen gesammelt. Für den Beratungserfolg spielt es durchaus eine Rolle, mit welcher Vorstellung von ihrem Gegenüber die Apotheken ihre Beratung ausüben.

Kunde oder Patient? Für den Beratungserfolg spielt es durchaus eine Rolle, mit welcher Vorstellung von ihrem Gegenüber die Apotheken ihre Beratung ausüben.

Foto: Barmer

Der Patient wird behandelt, der Kunde wird bedient, so lässt sich eine erste saloppe Unterscheidung treffen. Aber welche Gefühle und Schlussfolgerungen löst ein Begriff bei den Adressaten aus? Beide Wörter transportieren gefühlsmäßige Bedeutungen und Komponenten, die sich aus dem Zusammenhang (Kontext) mit der Situation ergeben, also durch die Verwendung in einer Apotheke und nicht z. B. in einem Roman.

Kennen Sie sprachliche Nebenwirkungen?

Betrachten wir die Ausgangssituation: Wer aufgrund einer Erkrankung einen starken Leidensdruck empfindet und hilfsbedürftig in die Apotheke kommt, wird mit der Bezeichnung Patient eher einverstanden sein. Er nimmt hin, dass die emotionale Nebenbedeutung (die Konnotation) des Begriffes Patient, nämlich leidend und der Hilfe eines anderen bedürftig zu sein, ein misslicher Umstand für die eigene Autonomie ist, und wird es akzeptieren, wenn Arzt oder Apotheker ihm eine bestimmte Behandlung empfehlen (dieser Sinnzusammenhang heißt Denotation). Nicht umsonst sagt der Heilberufler "mein Patient" – damit ist auch klar, wer wen behandelt.

Wer jedoch Unterstützung für die Vorbereitung einer Fernreise sucht und sich in der Apotheke beraten lassen will, ist gewöhnlich voller Vorfreude und will etwaige Sorgen um Durchfall oder Probleme mit Höhenkrankheit von vorn herein vermindern. Wer diesen Reisenden schon als Patienten sieht, läuft Gefahr, dessen Selbstkonzept anzugreifen, weil er in seine Autonomie eingreift – das wirkt sich auf den Kundenkontakt fatal aus. Hier prallen das heilberufliche Selbstverständnis (das Prävention ja durchaus einschließt) und die Selbstwahrnehmung des "Versorgten" frontal aufeinander. Der Reisende will sich nicht einmal präventiv krank fühlen.

Wird der Reiselustige jedoch als Kunde gesehen, der gesund und munter eine Reihe außergewöhnlicher Aktivitäten vorbereitet und dazu die Mittel der Pharmazie und einige Medizinprodukte nutzen will, dann tritt der Apotheker den potenziellen Gefahren der Reise gemeinsam mit dem Kunden gegenüber. Der Kunde ist nach wie vor Inhaber seiner Gesundheit, auch wenn er bereits ein Rezept mitbringt. Krankheiten und Beschwerden lauern vielleicht "da draußen", aber der Kunde wird selbst entscheiden, welchen Risiken er sich aussetzt. Er ist kein Hepatitis-Patient und will es auch nicht werden, auch nicht durch den Impfvorgang, der an ihm vorgenommen wird, oder die mitgenommene Standby-Malariamedikation. Meinem Kunden kann ich viel mitgeben – ob er sich damit selbst schützen oder selbst heilen wird, zeigt der Verlauf der Reise. Seine Autonomie bleibt unangetastet.

Wie empfindlich Menschen reagieren, wenn sie sich in ihrem Selbstkonzept angegriffen fühlen, zeigte sich in der o. g. Diskussion mit einem engagierten Apotheker – für ihn würde es eine Art (heil)beruflichen Identitätsverlust bedeuten, wenn er seine Patienten künftig "nur noch als Kunden" sehen sollte.

Was sagen die Apotheker?

Apotheker und Apothekeninhaber zeigen unterschiedliche Auffassungen, für wen sie ihre Dienste anbieten: "Bei uns gibt es keine Kunden, sondern Patienten, denn meine Mitarbeiter und ich sind Heilberufler, und für uns ist derjenige, der ein Schmerzmittel verlangt, ein patiens, ein Leidender, der Heilung von seinen Schmerzen sucht." So klar drückt der erfahrene Apotheker Bernd Nürnberger seine Berufsauffassung aus (DAZ 2008 Nr. 31, S. 72). In einer Reportage über die Borkumer Insel-Apotheke dagegen ist von Kunden die Rede; der Inhaber, Friedhelm Brendel, nimmt sie – vor allem im Sommer – als Gäste der Insel wahr, betrachtet sie also in ihrer aktuellen Lebenssituation. Ulrich Ströh, Apotheker und MVDA-Vizepräsident spricht sowohl Patienten als auch Kunden an – letztere als Payback-Nutzer (DAZ 2008, Nr. 27, S. 37/38). Noch individueller orientiert sich Hans Kühnle, Apotheker und Vizepräsident der Apothekerkammer Nordrhein: "Die Apotheke muss lernen, dass vor allem der Mensch, nicht nur das Arzneimittel im Vordergrund steht." (DAZ 2008, Nr. 29, S. 21)

Die DAZ spricht meistens von Patienten

Der Begriff Patient überwiegt deutlich in den DAZ-Texten (Hefte 27 – 32 von 2008), das ist auch ohne eine statistisch repräsentative Untersuchung zu erkennen. Im Textumfeld der Patienten sind häufig Begriffe wie Therapie, Erkrankung oder Beschwerden zu finden, ebenso Arzneimittel, Wirkstoffe, Behandlungen, Verfahren (DAZ 32, S. 30).

Von Kunden ist interessanter Weise am häufigsten in Stellenanzeigen die Rede, z. B. Kundenkontakt (nicht: Patientenkontakt), Zeit für Beratung von Kunden, Spaß am Umgang mit Kunden (nicht: Spaß am Umgang mit Patienten). Geht es um Marktforschung, werden auch eher Kunden oder Verbraucher genannt als Patienten, vor allem wenn es um Kundenbindung geht, jedoch nicht beim Thema Rabattverträge – hier teilen sich Patienten, Versicherte, Menschen und Bürger und gleich die ganze Gesellschaft den Markt.

Der häufig kritisierte Versandhandel adressiert eher Kunden als Patienten), auch Bonussysteme zielen eher auf Kunden. Bei den Themenfeldern Kontrolle, Qualität und Pharmakovigilanz geht es sowohl um Verbraucher als auch um Patienten.

Angesprochen werden:
Patienten
Kunden
Verbraucher, Endverbraucher
Kranke, chronisch Kranke
Anwender/innen
Reisende
Gäste
Menschen
Leute
Bevölkerung
Gesellschaft

Das Selbstkonzept nutzen

Für eine optimale Compliance in Behandlung und Prävention hilft es sehr, sich am Selbstkonzept der beratenen Person zu orientieren. Wenn jemand ausdrücklich nach Behandlung oder Hilfe fragt, empfindet er es möglicherweise als wohltuend, sich der Fürsorge der Apotheke anzuvertrauen. Der Verlust an Autonomie, wenn man Patient/in ist, wird nicht als Einschränkung empfunden, sondern als Erleichterung, weil die Verantwortung in berufenen Händen liegt oder weil von kompetenter Seite eine Medikationsentscheidung getroffen wurde, die der Patient "nur" noch umsetzen muss. Die ist allerdings ebenso möglich, wenn die Beratenen als beratungs- oder medikationsbedürftige Kunden gesehen werden, denn ein Patient kann außerdem auch Kunde sein; bei weitem nicht jeder Apothekenkunde ist jedoch ein Patient.

Dieses Selbstkonzept des Apothekenbesuchers ist unabhängig von seiner inhaltlichen Anfrage. Auch – oder gerade! – ein chronisch erkrankter, leidender Mensch kann in hohem Maße an der Erhaltung seiner Autonomie interessiert sein. Sieht er sich als Kunde bezeichnet oder behandelt, dann stärkt das sein Selbstkonzept, weil der Begriff Kunde beinhaltet, gemäß den eigenen Interessen Ansprüche zu stellen, die jemand – gegen Bezahlung oder aufgrund einer gesetzlichen Pflicht – erfüllen soll. Je mehr der Kunde (auch im Verhältnis zu seinen sonstigen Ausgaben) tatsächlich selbst bezahlt, umso anspruchsvoller wird er auch sein. Der Versuch, einen anspruchsvollen, um Autonomie bestrebten Menschen wie einen bedürftigen Patienten zu behandeln, birgt das Risiko, dass sich dieser bevormundet fühlt.

Die Bevormundung minimieren

Durch ihren gesundheitspolitischen Auftrag sind die Apotheken allerdings zu einer Art der Bevormundung der Verbraucher gezwungen, zu allererst was die Einhaltung der Rezeptpflicht anbelangt, aber auch im Umgang mit Aut-idem-Regelungen und Zuzahlungsbestimmungen. Hier kennen die geltenden Gesetze und Regelungen keine Kunden mehr, sondern nur noch unmündige Patienten und Versicherte. Zu merken ist das vor allem bei privat Versicherten, welche die Rezeptpflicht für ihr Wunschpräparat vielleicht noch einsehen, den vorgeschriebenen Weg über die Arztpraxis aber umgehen möchten – mit dem Hinweis darauf, das sie das Medikament doch sowieso selbst bezahlen.

Ich habe diese Rechtslage nicht zu bewerten – aus sprachwissenschaftlicher Sicht und als Kommunikationstrainerin rate ich aber dazu, den Schaden hier so gering wie möglich zu halten, und zwar durch gezielte Ansprache der Betroffenen als Kunden und gerade nicht oder nicht nur als Patienten.

Die Antwort für den unwirschen Privatversicherten könnte so gestaltet werden:

PV: "In anderen Apotheken bekomme ich das auch ohne Rezept, ich bezahle es doch sowieso selbst!"

Apo.: "Ja, es gibt Kollegen, die das so machen. Mir liegt am Herzen, dass Sie mit einem Arzt Ihres Vertrauens sicher stellen, dass dieses Medikament jetzt immer noch das Richtige für Sie ist. Ihr Körper verändert sich – und vielleicht gibt es ja in der Zwischenzeit noch bessere Möglichkeiten, Ihre Beschwerden zu behandeln! In diesem Fall ist der ärztliche Rat wirklich ein Vorteil für Sie."

Der Kunde soll die Chance haben zu erkennen, dass Sie auf seinen Vorteil bedacht sind. Dass Sie dem Kunden hohe Autonomie zusprechen, liegt in der Formulierung "dass Sie mit einem Arzt…", nicht etwa "nur ein Arzt kann entscheiden…", was hier auch falsch ist: Der Kunde hat sich ja bereits für den Alleingang entschieden, sonst würden Sie jetzt nicht mit ihm diskutieren. Der Verzicht auf den Gang zum Arzt ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass dieser Gesprächspartner sich nicht in der Patientenrolle sieht. Hinweise auf die Ihre gesetzliche Pflicht als Apotheker würden eher zu einer Eskalation des Gespräches führen, und wer sich jetzt zurückzieht auf die Apothekenbetriebsordnung, hat seinen Anspruch auf Gesundheitsberatung seines Gesprächspartners bereits aufgegeben – womit dann fraglich wird, warum seitens der Apotheke noch von Patienten die Rede sein soll.

Auch wenn solche Auseinandersetzungen ungemütlich sind: Gerade jetzt kann die Apotheke intensive Zuwendung und echte Sorgsamkeit beweisen. Selbst wenn der Kunde wütend davonstapft, wird er über den Rat noch nachdenken, insbesondere wenn sich das Apothekenpersonal nicht hat provozieren lassen, sondern den unerschütterlichen Glauben ausstrahlt, dass es richtig ist, dem Kunden einen Gang zum Arzt zu empfehlen. Ganz sicher gibt es Menschen, die von diesem Rat bereits profitiert haben, und wenn das Gespräch seitens der Apotheke professionell geführt wurde, mag der eine oder andere Kunde auch mal zurückkommen und zugeben: "Es war gut, dass Sie mich zum Arzt geschickt haben."

Der Elektroingenieur assoziierte mit dem Begriff Patientenkontakt übrigens folgende Aktivitäten: "Duschen, desinfizieren, impfen"!

Vera Naumann, Kommunikation & Organisation, www.vera-naumann.de

Literaturtipps

Manfred Prior: Beratung und Therapie optimal vorbereiten. Carl Auer Verlag 2006
Manfred Prior: MiniMax-Interventionen. 15 minimale Interventionen mit maximaler Wirkung. Carl Auer Systeme Verlag 2003
Jürgen Hargens: Bitte nicht helfen! Es ist auch so schon schwer genug. (K)ein Selbsthilfebuch. Carl Auer Systeme Verlag 2003
Kirsten Lennecke: Das Kundengespräch in Apotheken. DAV 3. Aufl.
Kirsten Lennecke: Zusatzempfehlung – Zusatzverkauf. DAV 2. Aufl.
Christian Rainer Weisbach: Professionelle Gesprächsführung. dtv 7. Aufl.
Wolf Schneider: Deutsch! Das Handbuch für attraktive Texte. Rowohlt 2005

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