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Wenn eine Mücke zum Elefanten wird
AZ: Herr Dr. Hermann, seit 1. Juni laufen die neuen AOK-Rabattverträge für 63 Wirkstoffe. Wenn Sie auf den Start der ersten Rabattverträge im April 2007 zurückblicken und beide Starts vergleichen – welches Fazit ziehen Sie?
Hermann: Mit dem Start der Rabattverträge in diesem Jahr können wir sehr zufrieden sein. Wir haben im Vorfeld insbesondere mit der Apothekerschaft ein hohes Einvernehmen erzielen können, wie wir mit den neuen Rabattverträgen umgehen. Die Zusammenarbeit hat sich bewährt, die Umsetzung in den Apotheken läuft bis auf ganz wenige Ausnahmen sehr gut und reibungsfrei. Dazu kommt, dass wir keine Lieferprobleme haben – ganz im Gegensatz zur Situation von vor zwei Jahren, als diese damals für alle ein großes Ärgernis waren.
AZ: Die Apotheken mussten seit Einführung der Rabattverträge ihre Betriebsabläufe umstellen. Das Handling bei der Abgabe hat sich vollkommen verändert, die Beratung der Patienten ist aufwendiger geworden. Erkennen Sie die Leistung der Apotheken an?
Hermann: Aber natürlich. Wir sind auf die Apotheker – und dies sage ich ganz ehrlich und mit Überzeugung – angewiesen. Wir sind auf ihre Kompetenz, ihre Beratung, ihre aktive Mithilfe bei der Umsetzung und dem Erreichen von Wirtschaftlichkeitsreserven im GKV-Arzneimittelmarkt angewiesen. Die Apotheker haben sich hier immer kooperativ und verantwortungsbewusst gezeigt. Das erkennen wir vielfältig an.
AZ: Einige AOKs honorieren bereits die Leistungen des Apothekers im Zusammenhang mit den Rabattverträgen, insbesondere die Aufklärung und Complianceförderung des Patienten. Beispielsweise die AOK Bayern, die einen Kooperationsvertrag mit dem Bayerischen Apothekerverband abschloss und bis zu einem Euro Compliance-Bonus vergütet. Andere Beispiele sind die AOK plus oder die AOK Rheinland, die die Mehrleistung des Apothekers finanziell honorieren. Können Sie solche Modelle unterstützen?
Hermann: Dies ist Angelegenheit der einzelnen AOKs vor Ort. Wir haben uns bundesweit darum bemüht, die Umsetzung für die Apotheker – soweit das in unserer Macht stand und steht – zu vereinfachen und damit ihre Arbeit zu erleichtern, etwa im Hinblick auf die Lieferproblematik, aber auch im Hinblick auf die Problematik, wenn es zu pharmakologischen Bedenken kommt. Hier war uns daran gelegen, eine Regelung zu finden. Diese Regelung wurde maßgeblich auf unsere Initiative und unseren Druck hin von den anderen Krankenkassen übernommen. So konnten wir dies auch in den Rahmenvertrag einbringen. Hinzu kommt die Regelung zu den Lieferdefekten. Hier konnte Sicherheit für den Apotheker geschaffen werden, dass er nicht in schwierige Situationen kommt. Diese Fragen haben wir im Zentrum unserer Bemühungen gesehen. Sollte es neue Problemfelder geben, sind wir jederzeit gerne gesprächsbereit.
AZ: Nachgefragt: Von den Honorierungsmodellen, die andere AOKs fahren, halten Sie nichts?
Hermann: Diese Modelle sind alle sehr unterschiedlich und hängen mit den jeweiligen Situationen in den Ländern zusammen. Sie hängen auch damit zusammen, wie einzelne AOKs die Situation eingeschätzt haben. In der Tat, wenn wir die Frage der Lieferprobleme nicht beseitigt hätten, dann wären solche Unterstützungen sehr notwendig gewesen. Aber wir waren hier als die bundesweit für die Vorgänge Verantwortlichen sehr sicher, dass wir alles getan haben, dass es nicht dazu kommt. Insofern hatten wir hier trotz aller Kommunikation im AOK-System einen gewissen Informationsvorsprung.
AZ: Nach wie vor gibt es viel Aufklärungsbedarf in den Apotheken, vor allem dann, wenn ein neuer Rabattvertrag in Kraft tritt wie beispielsweise im Juni dieses Jahres. Die Versicherten müssen in der Regel auf das Präparat eines neuen Anbieters eingestellt werden. Die Compliance ist gefährdet. Was tut die AOK, um ihre Versicherten hierauf vorzubereiten? Was erwarten Sie von den Apotheken?
Hermann: Wir haben uns gerade in dieser Rabattrunde so intensiv wie noch nie darum bemüht, Informationen über die Rabattverträge, über ihre Sinnhaftigkeit, über die absolute Vergleichbarkeit der Präparate an unsere Versicherten zu vermitteln. Nicht zuletzt ja auch gemeinsam mit dem DAV. Aber nicht nur über die allgemeinen Medien, sondern breit gestreut in einer Art und Weise, wie wir das in der Vergangenheit nie gemacht haben. Wir haben herausgestellt, dass nunmehr die gesicherte Möglichkeit besteht, in den nächsten zwei Jahren immer das gleiche Präparat zu bekommen. Wir haben versucht, den unmittelbaren Vorteil für den Versicherten begreifbar zu machen. Und wir werden dies weiter kommunizieren. Andererseits zeigen unsere Marktbeobachtungen, dass mittlerweile eine hohe Akzeptanz insgesamt für Rabattverträge besteht. Die Versichertenbefragungen zeigen: Für den Versicherten kommt es zentral darauf an, davon ausgehen zu können, dass das Präparat, das er bekommt, sicher ist und genau so wirkt wie sein bisheriges Medikament. Bei ihm steht überhaupt nicht im Vordergrund, von welcher Firma das Produkt kommt.
AZ: Retaxierung – ein Begriff, der immer wieder zu Verärgerungen mit einigen Apothekern geführt hat und führt. Hat sich die Lage entspannt?
Hermann: Das ist heute nicht mehr das Thema. Aber: wenn ein Apotheker tatsächlich systematisch die Rabattverträge nicht beachten sollte, dann wird er natürlich retaxiert. Ab und an teilen uns Apotheker mit, dass sich ihr Mitbewerber einen Wettbewerbsvorteil dadurch verschafft, indem er Rabattverträge nicht einhält. Auch in diesen Fällen müssen wir eingreifen.
AZ: Alles in allem, die Rabattverträge haben sich eingespielt, die überwiegende Mehrheit der Apotheker sind bereit, diese Verträge zu unterstützen. Jetzt zeichnet sich allerdings ein Streit ab, der auf den Rücken der Apotheker ausgetragen wird: Stichwort Austauschbarkeit wirkstoffgleicher, aber nicht indikationsgleicher Arzneimittel. Pharmahersteller gehen massiv dagegen vor und drohen mit Haftungsverlagerung auf Apotheker und Ärzte, wenn ausgetauscht wird. Die AOK sieht hier mit Unterstützung vom BMG keine Probleme. Der Ton zwischen Generikaherstellern und AOK scheint rauer geworden zu sein. Sie drohen mit Retaxierungen, die Hersteller mit Haftungsausschluss – und der Apotheker steht dazwischen.
Hermann: Hier sollte man die Dimension des Problems beleuchten. Wir können und dürfen davon ausgehen, dass in der weit überwiegenden Zahl der Fälle überhaupt keine Probleme auftreten können, weil die Indikationen nicht auseinander laufen. Es dürfte in den Fachkreisen unbestritten sein, dass es sich hier allenfalls um Nischenindikationen handeln kann, die nach Auffassung einiger Unternehmen zu einem Alleinvertretungsmerkmal führen sollen. In Übereinstimmung mit dem Bundesgesundheitsministerium und jetzt auch mit der Stellungnahme der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft ist festzustellen: bei der Abgabe eines Generikums, das eine bezugnehmende Zulassung hat, ist die Bioäquivalenz zum Referenzarzneimittel auf jeden Fall gegeben. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Insofern liegt hier ein bestimmungsgemäßer Gebrauch vor. Im Einzelfall kann hier beim Patienten ein höherer Beratungsbedarf notwendig werden, aber: es kann sich nur um ganz seltene Einzelfälle handeln.
AZ: Dennoch, formaljuristisch wird argumentiert, die Indikation ist in den Fällen, um die es hier geht, nicht Bestandteil der Zulassung. Wie gehe ich als Apotheker damit um? Die Industrie droht mir damit, in diesen Fällen keine Haftung mehr zu übernehmen.
Hermann: In der Regel werden Sie als Apotheker das Problem der Indikationszuordnung gar nicht erfahren, nämlich in den Fällen, in denen Sie mit einer Wirkstoffverordnung konfrontiert sind. Hier geben Sie ein Präparat ab, ohne dass Sie Indikationen kennen. Das ist immer schon so gewesen. Hier muss auch keine Indikation abgefragt werden. In den anderen Fällen stellt sich die Frage, ob es tatsächlich durchschlagend sein kann, dass eine Zulassung, die einen formalen Rechtsstatus hat, im Bereich der Abgabe von völlig identischen Arzneimitteln zum Tragen kommen kann. Es sind Fragen, die möglicherweise für den Patentschutz, für den Unterlagenschutz eine Rolle spielen, aber für die Versorgungssicherheit – weil es sich um gleiche Präparate handelt und die Bioäquivalenz nachgewiesen ist – keine Bewandtnis haben. Wir reden hier über zwei Felder, die absichtsvoll miteinander vermischt werden. Die Frage der Zulassung wird hier dann zum alleinigen Bezugspunkt gemacht.
AZ: Zwischen Deutschem Apothekerverband und dem Spitzenverband der Krankenkassen haben schon Gespräche stattgefunden – eine Lösung wurde noch nicht gefunden. Gleichwohl muss eine Lösung auf den Tisch – das Problem darf nicht auf dem Rücken der Apotheker ausgetragen werden. Wo sehen Sie einen Lösungsansatz?
Hermann: Ich plädiere für eine Regelung, die das BMG wiederholt vertreten hat und für die viel spricht, da sie die Praxis und die Wirkung der Arzneimittel in den Vordergrund rückt. Ich kann mir nicht vorstellen. dass eine Regelung, die sich daran orientieren würde, tatsächlich rechtlich von wem auch immer angegangen würde. Insofern sehe ich hier eine Lösung der Problematik. Auf der anderen Seite denke ich auch, dass die Praxisrelevanz der Vorgänge bei allen so deutlich im Vordergrund steht, dass sie sagen, hier wird eine Mücke zum Elefanten gemacht. Insofern werden sich die Aufgeregtheiten, die wir derzeit erleben, bald wieder zurückbilden.
AZ: Wenn ich Sie richtig verstanden habe: Man sollte das Problem nicht so hoch aufhängen und vielleicht über eine Vereinbarung im Rahmenvertrag eine Lösung finden?
Hermann: Natürlich ist der Rahmenvertrag das Mittel der Wahl. Da sollte man versuchen, zu einer Lösung zu kommen, die in die eben angedachte Richtung gehen soll.
AZ: Herr Dr. Hermann, vielen Dank für das Gespräch.
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