Führen mit Charisma oder mit Handwerkszeug?

Die Suche nach dem "richtigen" Zugang zum Mitarbeiter

Immer wieder wird der Ruf laut nach der Führungspersönlichkeit, die mit Charisma und Ausstrahlung überzeugt und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend motiviert. Das wirft Fragen auf: Hat man Charisma nicht einfach – oder kann die Führungskraft es lernen? Und: Welche Vorteile hat das charismatische Führen überhaupt? Ist es nicht besser, auf solides Führungswerkzeug zurückzugreifen?

So mancher Apotheker wird jetzt vielleicht die Frage stellen, ob es für ihn nicht müßig sei, darüber nachzudenken, ob er über Charisma verfüge und was das denn überhaupt sei. Schließlich ist man ja eine pharmazeutische Fachkraft. Wer aber die Herausforderung ernst nimmt, als Apotheker eben auch Führungskraft zu sein, die die Mitarbeiter überzeugen und zu Höchstleistungen anstacheln will, sollte selbstkritisch seinen Führungsstil reflektieren. Denn der Führungsstil ist nun einmal ein wichtiges Instrument, um Mitarbeiter dazu zu bewegen, die Apothekenziele zu den eigenen zu machen und zu erreichen.

Charisma – Versuch einer Annäherung

Es muss was dran sein am Charisma. Denn immer wieder taucht dieser schillernde Begriff in der Managementliteratur auf und schlägt sich nieder in Buchtiteln wie "Der Kennedy-Effekt. Mit Charisma zu Macht und Einfluss", "Charismatische Unternehmensführung" und "Charisma. Mehr Erfolg durch persönliche Ausstrahlung". Zumeist stellen die Autoren den Paradiesvogel "Charisma" in einen Zusammenhang mit der Ausstrahlung eines Menschen, die ihm "wie von selbst" den Erfolg einbringt, den andere sich hart erarbeiten müssen. Und nun gibt es ja zweifelsohne jene Menschen, die aufgrund ihres überzeugenden Auftretens zu motivieren, zu überzeugen und mitzureißen verstehen. Oft sind es Sympathieträger, die sofort und überall eine positive und optimistische Stimmung verbreiten, die wir als charismatische Menschen bezeichnen. "Dieser Mann hat das gewisse Etwas, diese Frau hat jene Ausstrahlung, die überzeugt", heißt es dann.

Aber ist Charisma nicht mehr als "Ausstrahlung"? Immerhin bedeutet das griechische Wort Charisma "Gnadengabe" oder auch "göttliche Begnadung" – der eine hat "es" verliehen bekommen, der andere nicht. Und wenn wir charismatische Persönlichkeiten nennen sollen, denken wir an so unterschiedliche Menschen wie Alexander der Große, an Julius Caesar und Napoleon, an Kofi Annan, an Willy Brandt, John F. Kennedy und Nelson Mandela – und in jüngster Zeit an Barack Obama. Uns fallen aber auch Namen ein, mit denen negative Entwicklungen in Geschichte, Sport, Politik und Business verbunden sind.

Charisma, so scheint es, entzieht sich der eindeutigen Bestimmung, bleibt rätselhaft und unergründlich. Trotzdem lässt sich als "gemeinsamer Nenner" festhalten: Was den Charismatiker als Führungskraft auszeichnet, ist nicht die Ansammlung von Wissen und Kompetenzen, über die er in entsprechend verantwortlicher Position natürlich verfügen muss. Vielmehr ist es seine Art, Wissen und Kompetenz zu repräsentieren und sie auf unverwechselbare und individuelle Art und Weise zu vermitteln.

Das heißt aber auch: Charisma ist keine persönliche Eigenschaft, sondern wird einem Menschen oft aufgrund seiner Wirkung, die er auf andere ausübt, zugeschrieben. Erlernbar also ist das charismatische Führen wohl eher nicht.

Kurzfristige Motivationsstrohfeuer

Charismatiker müssen sich oft den Vorwurf gefallen lassen, sie entfachten Motivation und Enthusiasmus lediglich für kurze Momente des Glücks: Wenn das Strohfeuer erlischt, sind sie ihrer Aura entkleidet, ihre Glaubwürdigkeit liegt am Boden – und damit auch ihre Vision, ihre Überzeugungen, ihr gesamtes Tun und Handeln. Mit diesem Vorwurf hat selbst der moderne Charismatiker Barack Obama zu kämpfen. Zuerst als charismatische Führungspersönlichkeit enthusiastisch begrüßt, will man nun konkrete Taten und Erfolge von ihm sehen. Er soll beweisen, dass er nicht nur begeistern, sondern auch führen kann.

Darum bleibt als Fazit: Wer Charisma hat, wem es mitgegeben wurde, darf sich glücklich schätzen. Den Führungsprozess jedoch allein auf charismatische Ausstrahlung zu gründen, genügt allerdings nicht. In Schönwetterperioden mag der charismatische Apotheker, der sein Apothekenteam siegesgewiss und selbstbewusst auf der Woge des Erfolgs zu neuen Höchstleistungen motiviert, seine Berechtigung haben. In Zeiten, in denen der Ball nicht rund läuft, ist auch das handwerkliche Können gefragt. Und damit der Apotheker, der Führungsinstrumente wie zielorientierte Mitarbeitergespräche und Konfliktlösungsstrategien wohl dosiert einsetzt, seine Vorbildfunktion wahrnimmt und in der Lage ist, sein eigenes Handeln kritisch zu reflektieren.

Der goldene Mittelweg

Was nun also? Wer ist die "bessere" Führungskraft? Der charismatische Apotheker oder der nüchtern führende Apotheker, der durch Sachlichkeit und Kompetenz besticht? Wie so oft liegt die Lösung auf dem goldenen Mittelweg. Der Apotheker sollte versuchen, die Eigenschaften des Charismatikers und der "handwerklich" starken Führungskraft so weit wie möglich zu vereinigen:

  • Die Persönlichkeit und Individualität des Apothekers bilden den Rahmen – innerhalb dieses Rahmens ist er zur kritischen Selbstbefragung und Weiterentwicklung fähig. Und er ist bereit, auch schmerzhafte Lernprozesse zu vollziehen. Fehler werden eingestanden, akzeptiert und revidiert – und verschwinden nicht unter dem Deckmantel der charismatischen Ausstrahlung.
  • Ausstrahlung ist gut – der situations- und personenangemessene Führungsstil besser: Der Apotheker verlässt sich nicht auf seine vielleicht vorhandene Begeisterungsfähigkeit allein, sondern ist in der Lage, Gespräche gezielt vorzubereiten, ein positives Gesprächsklima zu schaffen, Fragetechniken gekonnt einzusetzen und aktiv zuzuhören.
  • Visionen haben und umsetzen: Der Apotheker muss in der Lage sein, vorauszudenken und kreativ und visionär zu handeln. Aber er beherrscht zugleich die Methoden und Techniken, diese Kreativität und die Visionen in praktische Maßnahmen zu gießen.
  • Die richtige Einstellung zählt: Der Apotheker nimmt Mitarbeiter ernst, baut so Vertrauen auf und reagiert in verschiedenen Gesprächssituationen mit entsprechenden Führungstechniken.

Sich selbst treu bleiben

Wichtig ist: Der Apotheker darf sich nicht verbiegen, sondern muss sich selbst treu bleiben. Wenn der Charismatiker Führungs-Know-how aufbaut, wenn der "Handwerker" an seiner Ausstrahlung arbeitet, darf dies nie so weit führen, dass sich der Apotheker beim Blick in den Spiegel nicht mehr selbst wiedererkennt. Letztendlich geht es um Authentizität.

Der Apotheker passt sich mithin nicht chamäleonartig wechselnden Umständen an, sondern bleibt stets er selbst. Dabei ist er aber durchaus in der Lage, auf verschiedene Situationen verschiedenartig zu reagieren, also diejenigen Führungstechniken einzusetzen, die der jeweiligen Situation angemessen sind.


Dr. Michael Madel, freier Autor und Kommunikationsberater

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