- DAZ.online
- DAZ / AZ
- AZ 44/2009
- Wie viel Begeisterung ist...
Wie viel Begeisterung ist gut fürs Geschäft?
Unser emotionaler Erfahrungsspeicher im Kopf sendet – wie eine Art Vorschlag – Signale aus, die uns eine unmittelbar anstehende Entscheidung erleichtern. Insofern spielt es eine wesentliche Rolle, welche emotionale Botschaft den Kunden mitgeliefert wird, wenn ihnen ein Medikament vorgeschlagen oder ausgehändigt wird. Je besser, je vertrauensvoller die Beziehung zwischen Kunden und Apotheke ist, umso stärker wirkt sich eine gewisse Begeisterung für ein bestimmtes Produkt auf die Kaufentscheidung und die Compliance aus, und zwar positiv.
Verliebt ins Produkt?
Welche "Lieblinge" haben Sie unter den Produkten, mit denen Sie sich täglich befassen? Sicherlich kennen auch Sie bestimmte Präparate oder Hilfsmittel, die Sie persönlich sehr gut finden und gerne empfehlen. Dafür kann es ganz verschiedene Gründe geben, z. B.:
- eigene gute Erfahrungen damit
- viele gute Kundenrückmeldungen dazu
- plausibel dargestellter Nutzen
- besonders arm an Nebenwirkungen
- sehr gut anzuwenden, gute Prognose für Compliance
- gutes Preis-Leistungs-Verhältnis aus Kundensicht
- lukrativer Absatz aus Apothekensicht
- persönliche Markenbindung
Die Identifikation mit ausgewählten Produkten, einer Produktgruppe oder einer Marke kann durchaus auch ein Zeichen von positiver Bindung an den eigenen Beruf oder an den Arbeitsplatz sein. Solange die Beratung der Kunden nach bestem Wissen und Gewissen korrekt verläuft, ist gegen die Bevorzugung bestimmter Präparate aus einem der oben genannten Gründe nichts einzuwenden. Auch Kunden haben ja bestimmte Präferenzen, z. B. bei Generika oder in der Entscheidung zwischen (von Laien oft so bezeichneten) "chemischen" oder "natürlichen" Arzneimitteln.
Was sagt Ihnen Ihre Alltagserfahrung, auch im privaten Umfeld? Ich könnte quasi einen grünen Rezeptblock mitführen, so oft notiere ich im Familien- oder Freundeskreis bestimmte Präparate oder Körperpflegeprodukte, immer mit dem Hinweis, "das gibt’s in jeder Apotheke, lass dich dort beraten, ob es auch das Richtige ist". Ich habe letztens in einer Drogerie ein ratloses Pärchen angesprochen, das Sonnenschutz für seine allergiegeplagte Tochter suchte und trotz der freundlichen Beratung der Angestellten nicht fündig wurde. Als ich ihnen die Apotheke im Haus gegenüber empfahl, waren sie völlig erstaunt – eine Apotheke war ihnen als Ressource einfach nicht eingefallen.
Überschwang schürt Misstrauen
Allerdings findet die Begeisterung ihre Grenze dann, wenn die Beziehung zwischen Kunden und Apotheke eben (noch) nicht so gut ist. Dann kann durch eine überschwängliche oder extrem begeisterte Produktempfehlung auch Misstrauen beim Kunden ausgelöst werden. Die emotionale Bindung der beratenden Apothekerin ans Produkt erscheint den Beratenen fragwürdig: "Warum will die, dass ich gerade dieses Medikament nehme?" Unausgesprochene Phantasien oder unbewusste Zuschreibungen an die Apotheke und ihr Personal beeinträchtigen in diesem Fall die Beziehung und verhindern, dass Vertrauen entsteht. "Die wollen das nur verkaufen, weil sie damit so viel verdienen."
Lieber zugeben als verstecken
Gehen Sie davon aus, dass die meisten Menschen merken, wie Sie zu den Produkten stehen, die Sie abgeben – ob es Ihnen egal ist, ob Sie es ungern tun (Hustenlöser an Kettenraucher!), oder ob Sie Ihr Herz für das Produkt erwärmen können. Diese Einstellung müssen Sie nicht verstecken, dadurch wird Ihre Beratung nicht "neutraler". Ihre Körpersprache wird entsprechende Botschaften aussenden. Verräterisch ist z. B. das kurze Zusammenpressen der Lippen – jemand verbietet sich selbst den Mund – wenn dem Kunden das Produkt ausgehändigt wird.
Lassen Sie Ihre Kunden ruhig wissen, was Sie persönlich empfehlen würden. Wie immer kommt es auf die Dosis an, auch in der Kommunikation: Ein Satz als Hinweis genügt, und Ihre Gesprächspartner sollten erkennen, dass Sie ihnen wirklich die Wahl lassen. Mit diesen Sätzen zeigen Sie auf angemessene Weise, was Sie von den zur Verfügung stehenden Produkten halten:
- "Ich persönlich würde Ihnen das … empfehlen, da Sie ja sagten, Sie wollen sich auch gegen Zecken schützen."
- "Was Ihre Ärztin hier ausgewählt hat, kann ich nur befürworten – dieses Medikament ist sehr gut verträglich."
- "Von diesem … rate ich Ihnen ausdrücklich ab. Die Versprechen, mit denen hier geworben wird, sind wissenschaftlich nicht haltbar. Wenn Sie ein Mittel suchen, um kann ich Ihnen etwas viel Besseres empfehlen: …"
Grundsätzlich begeistert?
Als zweifelhaft wird den Kunden auch eine Haltung erscheinen, die eine Medikation in jeder Lebenslage und für jeden Gesundheitszweck propagiert, etwa "das kann man immer wieder mal ein paar Wochen nehmen" oder "das hilft bei allen möglichen Beschwerden". Hilfreicher wären ausgewogenere Botschaften an die Kunden und Patienten; es geht bei den folgenden Beispielen nicht um die wörtliche Übermittlung, sondern um die Botschaften an sich:
- "Sie müssen diese Beschwerden nicht aushalten, man kann etwas dagegen tun – dazu wurden die Medikamente und Hilfsmittel ja entwickelt. Ich unterstütze Sie dabei, genau das Richtige für Sie zu finden."
- "Warten Sie nicht darauf, bis es Ihnen schlecht(er) geht, sondern überlegen Sie, wie Sie Ihren Körper oder Ihre Seele in besonderen Belastungssituationen unterstützen können. Medikamente, Nahrungsergänzungsmittel oder Pflegemittel aus der Apotheke sind dafür eine Möglichkeit."
- "Überlegen Sie immer, was Sie unabhängig von diesen Produkten tun können, damit es Ihnen gut geht. Wenn Sie nicht gerade chronisch krank sind, sollten Medikamente die Ausnahme sein, nicht die Regel."
Das Komplexe an diesen Botschaften ist, dass die Kunden einerseits akzeptieren sollen, dass Medikamente anspruchsvolle Substanzen sind, die nicht achtlos angewendet oder verworfen werden sollten; dass die Kunden andererseits aber auch keine Angst und keinen Widerwillen gegenüber den Präparaten entwickeln.
Wer die Wahl hat, kooperiert eher
Deswegen ist es so wichtig, den Kunden immer wieder Wahlmöglichkeiten anzubieten. Wer wählen kann, fühlt sich weniger bevormundet oder gezwungen, und das verbessert die Compliance. Die Patienten, die zwischen verschiedenen, echten Alternativen wählen können, setzen mit der korrekten Einnahme ihre eigene Entscheidung um, nicht die der "Weißkittel".
Mein Lieblingsbeispiel ist das Thema Schnupfen. Ja, vielleicht dauert ein Schnupfen mit und ohne Medikamente neun Tage. Aus diesem Grund sind manche Menschen bereit, diese Zeit einfach zu durchleiden, ohne Medi-kamente zu nehmen. Ich persönlich ziehe es vor, während dieser Zeit "nur" Schnupfen zu haben, also weder Halsweh noch Bronchitis noch eine Infektion der Nebenhöhlen dazu zu bekommen. Das sind gute Gründe für mich, auch auf einen leichten Schnupfen gleich mit gezielter Medikation zu reagieren – damit es beim Schnupfen bleibt!
Da dieses Thema Sie gerade während der kalten Jahreszeit öfters beschäftigen wird, ist es ein ideales Übungs-feld für Ihre Kommunikation und für die richtige Dosierung Ihrer Begeisterung: Geplagte Kunden sollen erken-nen, dass die Apotheke wirklich Rat und Hilfe weiß, aber sie erleben eine echte Wahlfreiheit für oder gegen eine bestimmte Medikation. Lehnt jemand brüsk ab, was Sie angeboten haben, dann können Sie das Thema liebevoll und fürsorglich mit den Worten beschließen: "Sie haben sich entschieden, tapfer zu sein und das so durchzustehen." Mehr braucht’s nicht! Der Kunde weiß auch so, dass er wiederkommen kann, wenn er es sich anders überlegt – wenn Sie das mit Ihrer Miene ausstrahlen und seine Entscheidung wirklich akzeptieren. Viele Menschen überlegen es sich tatsächlich anders, nachdem der äußere Druck nachgelassen hat.
Beratung eher aufs Produkt oder auf Kunden beziehen?
Beratung zu Medikation oder medizinischen Hilfsmitteln muss exakt auf die behandelte Person ausgerichtet sein, darüber gibt es nicht viel zu diskutieren. Insofern ist die Frage schnell beantwortet: In der Apotheke ist die Beratung von Kunden der Beratung zu bestimmten Produkten vorzuziehen. Aus diesem Grunde gelten auch so enge Werbebeschränkungen für Medikamente.
Was aber das Bild der Apothekenkompetenz in der Öffentlichkeit anbelangt, so hat eine stark aufs Produkt bezogene Kommunikation auch gewisse Vorteile, die den Apothekenkunden trotzdem keine Nachteile bringt. Produktbezogene Beratung passt z. B. in diesen Fällen:
- Wenn der Kunde gezielt nach einem bestimmten Produkt fragt: "Sie haben nach … gefragt, das habe ich hier. Je nachdem, welche Art von Schmerzen Sie haben, könnte auch x oder y infrage kommen, bei manchen Verspannungen hilft z. B. x besser." 20% der von Kunden zur Selbstmedikation gewünschten Präparate sind ungeeignet, siehe die aktuelle AMK-Studie zu arzneimittelbezogenen Problemen. Wenn sich die Gesprächseröffnung des Kunden jedoch so konkret auf ein Produkt bezieht, sollte die Beratung in der Apotheke zunächst an diesen Produkt-Fokus anknüpfen. Wozu das Präparat denn geeignet sein soll, wird der Kunde dann eher preisgeben, als wenn er auf seinen Pro-duktwunsch gleich die Gegenfrage erhielte, "wogegen möchten Sie das denn einsetzen?"
- Wenn der Kunde nicht versteht, was ihm der Arzt verordnet hat: "Ihr Arzt hat Ihnen ein Mittel verordnet, das Ihre Beschwerden sehr schnell lindern wird. Manche Leute kommen dann in Versuchung, das Medikament nicht mehr wie vorgeschrieben weiter zu nehmen. Ich möchte Ihnen kurz erklären, wie das Mittel funktioniert, damit Sie ganz bestimmt richtig gesund werden: …" Die Wahl des Arzneimittels oder des Wirkstoffs hat ja bereits der Arzt vorgenommen, und da es hier nicht um eine Beratung zur Selbstmedikation geht – die Diagnose wurde ja vom Arzt gestellt – passt die anfängliche Orientierung auf das Produkt.
- Wenn Missbrauch zu befürchten ist: "Diese Großpackung sollte mindestens für sechs Monate reichen, sie ist ja auch lange genug haltbar. Falls Sie dieses Präparat aber sehr häufig nehmen wollen, kann ich Ihnen eine Alternative empfehlen, die wesentlich weniger Nebenwirkungen hat." 17% der arzneimittelbezogenen Probleme haben mit unangemessen langer Anwendungsdauer zu tun. Auch hier ist der Ausgangspunkt der Beratung ein konkretes Produkt. Ihre Begeisterung kommt ins Spiel, wenn Sie tatsächlich eine sinnvolle Alternative empfehlen, mit der die Patientinnen und Patienten eine wie auch immer geartete Behandlung durchführen können, die Ihnen aber weit weniger bedenklich erscheint als die bisherige Medikation.
Datenbank-Recherche – im Baumarkt ganz normal!
Noch ein paar Worte zum Thema Recherche. Begeisterung bei der Beratung kann sich auch darauf beziehen, mit großem Elan das Richtige für die Kunden zu suchen und die Kunden in diese Suche mit einzubeziehen. Ganz falsch wäre dafür der Einstieg, "oh, da muss ich erst im Computer nachschauen". Wieso "oh", und wieso "muss ich"? Leider höre ich diesen Satz in Apotheken sehr oft. Bedenken Sie, dass viele Kunden bereits selbst im Internet recherchiert haben, und dass die Suche in einer Datenbank eigentlich nichts Neues für sie ist. Viel attraktiver ist doch diese Einladung: "Da haben wir eine gute Auswahl zwischen verschiedenen Präparaten. Ich sehe mal in der Datenbank nach, was ich Ihnen anbieten kann." Lesen Sie dann die Stichworte vor, zu denen sich der Kunde bereits geäußert hat; das kann auch die Darreichungsform sein.
Wer im Baumarkt nach einem bestimmten Gegenstand fragt, z. B. Fliesenkleber oder ein Sonnensegel, erhält die gewünschte Antwort oft erst, nachdem der Mitarbeiter "im Computer" nachgeschaut hat. Baumarkt-Kunden erwarten nicht, dass die Mitarbeiter alles auswendig wissen; im Gegenteil, sie bitten ihre Ansprechpartner oft sogar gezielt darum, ob man gemeinsam in einen Prospekt schauen könne. Von einem solchen Schulterschluss zwischen Anbieter und Kunde bei der Produktauswahl können Apotheken nur träumen.
Ganz so schlicht sind die Produkte im Baumarkt übrigens nicht; der Unterschied zwischen einer Acrylfuge und einer Silikonfuge ist für Laien durchaus erklärungsbedürftig, und auch dort gibt es Wechselwirkungen zwischen Materialien. Geht es erst um Befestigungen und Aufhängungen, stehen plötzlich Sicherheitsaspekte im Vordergrund – schließlich soll das Gartenhäuschen nicht zum Grab für spielende Kinder werden.
Was brauchen die Apotheken, um ihre hervorragende Produktauswahl und ihre im gesamten Einzelhandel einzigartig schnelle Logistik endlich gemeinsam mit den Kundinnen und Kunden zu nutzen? Mit dem Selbstvertrauen, dass die Pharmazie fantastische Möglichkeiten für die Erhaltung oder Wiederherstellung unserer Gesundheit bietet, und mit dem Zutrauen an die Kunden, dass sie durchaus wissen wollen, was es alles gibt, kommen die Apotheken wieder ein paar Schritte weg vom verstaubten Image der "Schubladenzieher", hin zu fachlich hoch anspruchsvoller Kundenberatung. Persönliche Begeisterung kann dabei viele erwünschte Nebenwirkungen entfalten.
Vera Naumann, Rohrdorf bei Eutingen, E-Mail info@vera-naumann.de
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.