- DAZ.online
- DAZ / AZ
- AZ 50/2009
- Pharma-Aktien im Visier
Pharma-Aktien im Visier
Nach Angaben des Investmenthauses JP Morgan soll sich das Auftragsvolumen für die europäischen Hersteller von Grippeimpfstoffen auf 5,2 Milliarden Dollar belaufen. Mit einem detaillierten Überblick erfahren Sie, wer sich wie viel von dem Impfstoff-Kuchen abschneiden dürfte.
GlaxoSmithKline (GB)
WKN 940561, Börse Frankfurt
Fakten & News
Nach der jüngsten Umsatzstatistik 2009 ist GlaxoSmithKline (GSK) mit 43 Milliarden Dollar Umsatz die Nummer 2 im weltweiten Pharmageschäft, wobei sich hier auch Wechselkurseffekte – GSK bilanziert in britischen Pfund – begünstigend ausgewirkt haben. Eine herausragende Rolle spielte zuletzt der H1N1 Impfstoff "Pandemrix" im Umsatzgeschehen des Konzerns.
Das Management von GSK habe geschickt verhandelt, so ist aus Fachkreisen zu hören. Der mit der Bundesregierung ausgehandelte Preis für die Impfstoffdosis gilt als "ordentlich" und die vereinbarte Abnahmeverpflichtung und eine weitgehende Haftungsfreistellung befreien GSK von der Sorge, dass sich der Impfstoff im Falle einer Virusmutation als wirkungslos erweisen sollte und reduziert die Haftung auf die in der Produktbeschreibung enthaltenen Nebenwirkungen. 20 Millionen der von der Bundesregierung bestellten 50 Millionen Impfdosen "Pandemrix" sollen bis Jahresende ausgeliefert werden. JP Morgan schätzt, dass GSK Aufträge über insgesamt 440 Millionen Dosen aus 22 Staaten vorliegen, die einen Wert von geschätzten 3,5 Milliarden Dollar repräsentieren – und das Ende von täglich 380.000 Hühnerembryos bedeuten. Am Produktionsstandort Dresden arbeiten 850 Mitarbeiter im Schichtbetrieb, 24 Stunden am Tag. Insgesamt dürften die europäischen Hersteller laut JP Morgan Aufträge im Wert von 5,2 Milliarden Euro erhalten haben – der Löwenanteil bliebe demnach bei GSK hängen. GSK wuchs im 3. Quartal bei Umsatz und Gewinn zweistellig. Experten brechen dennoch nicht in Euphorie aus, weil der Anstieg vor allem dem schwachen Pfund zu verdanken war, während die Einnahmen am US-Markt infolge einiger Patentabläufe um 12 Prozent sanken. Allerdings wird sich der durch die Schweinegrippe bedingte Umsatzschub erst richtig im kommenden Jahr entfalten. Die Royal Bank of Scotland (RBS) spricht in diesem Zusammenhang von nachhaltigen Wachstumsaussichten und setzt das Kursziel von GKS auf 1760 Pence, also rund 40 Prozent höher als die derzeitige Notierung. Letzter Kurs im Xetra-Handel: 13,90 Euro.
Am Rande notiert: Trotz der hohen Kosten, die durch die Massenimpfung entstehen, profitieren manche Länder sogar unter dem Strich von GSK. So z. B. Norwegen, das mit einem staatlichen Fonds an GSK beteiligt ist. Börsenexperten schätzen die Einnahmen Norwegens aus dem Kursanstieg auf rund 3,5 Milliarden Kronen. Die Gesamtkosten der Epidemie sollen sich dagegen nur auf 3 Milliarden Kronen belaufen.
Baxter International (USA)
WKN 853815, Börse Frankfurt
Fakten & News
Das 1931 gegründete Unternehmen ist in den Bereichen Pharma- und Medizintechnik tätig und beschäftigt weltweit 47.000 Mitarbeiter. Große Bedeutung hat das Produkt "ADVATE", ein gentechnisch hergestelltes Medikament zur Behandlung der Bluterkrankheit. Baxter erzielt damit einen Umsatz von rund 1,4 Milliarden Dollar. Insgesamt wies der Konzern 2008 einen Umsatz in Höhe von 12,3 Milliarden Dollar aus.
Die Zulassung von "Celvapan" folgte mit Verspätung auf die Wirkstoffe von Novartis und GlaxoSmithKlein (GSK), weil zunächst noch offene Fragen zur Herstellungsqualität zu klären waren. Der Impfstoff kommt ohne Verstärkersubstanz (Adjuvans) aus und wird nicht auf Basis embryonierter Hühnereier, sondern in Zellkultur-Fermentern hergestellt. Produktionsstandorte sind Tschechien (Vorproduktion) und Österreich in der Endproduktion. Aber auch sonst ist der Baxter-Impfstoff in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Da ist einmal der exklusive Vorvertrag mit der Alpenrepublik über die Lieferung von 16 Millionen Einheiten des Impfstoffes, was der Regierung nach Angaben des österreichischen Gesundheitsministeriums eine deutliche Ersparnis gegenüber den Weltmarktpreisen einbringt. Baxter betreibt in Österreich die größte europäische Niederlassung des Konzerns mit über 3000 Beschäftigten. Die Vorgehensweise der Österreicher fand indes nicht überall Beifall, am wenigsten beim Konkurrenten GSK.
Besonders freute man sich in der Alpenrepublik aber über die höchst wirksame Werbekampagne, die die deutsche Bundesregierung für "Celvapan" – wenn auch unfreiwillig – geleistet hat. Für die deutschen Behörden wurden bekanntlich 200.000 Baxter-Impfdosen bestellt, während die große Masse in Deutschland mit 50 Millionen Dosen des GSK-Impfstoffes versorgt wird. Viele schlossen daraus, dass es sich bei Baxter wohl um den "besseren" Impfstoff handeln müsse. Daneben zählen Großbritannien, Neuseeland und Irland zu den Baxter-Kunden mit insgesamt 80 Millionen bestellten Dosen. Gerüchten aus österreichischen Regierungskreisen zufolge wird die Dosis mit 6,5 Euro bezahlt, so dass Baxter insgesamt ca. 520 Millionen Euro zufließen sollten.
Trotz des Erfolges von "Celvapan" kommt Baxter bei den Analysten über ein "Halten" nicht hinaus. Der Aktie wird nur ein durchschnittliches Entwicklungspotenzial attestiert. Aktuell notiert der Wert in Frankfurt bei 36,34 Euro.
Novartis und ein Blick über den Tellerrand
Novartis (WKN 904278, Kurs: 37,20 Euro) hüllt sich über seine Auftragszahlen bei den Impfstoffen Focetria und Celtura in Schweigen. Bekannt ist, dass die Schweizer 90 Millionen Dosen allein an die USA verkauft haben. Mit der Bundesregierung besteht eine Kaufoption über 18 Millionen zusätzliche Dosen. Nach Expertenansicht dürfte sich jedoch der von GSK zu liefernde Impfstoff als ausreichend erweisen. Im Wettrennen um neue Absatzmärkte setzt Novartis auf ein neues Verfahren in Zellkulturen, was den Herstellungsprozess erheblich verkürzt. Die Investmentbank UBS schätzt hier das Umsatzplus durch die Impfwelle auf 1,6 Milliarden Dollar.
Bei der französischen Sanofi-Pasteur – eine Tochter der Sanofi-Aventis (WKN 920657, Kurs: 52,25 Euro) – sind laut JP Morgan bislang Bestellungen im Wert von knapp über 700 Millionen Dollar für den H1N1-Impfstoff "Panenza" eingegangen. Sanofi-Pasteur besitzt für "Panenza" eine Zulassung in den USA, auf die EU-Zulassung wartet das Unternehmen noch.
Jenseits des Geschäftes mit Impfstoffen profitiert auch der Medizingerätehersteller Drägerwerke (WKN 555063, Kurs: 28,70 Euro) von der Schweinegrippe. Die Nachfrage nach Atemschutzmasken und Beatmungsgeräten ließen den Umsatz hier im 3. Quartal sprunghaft ansteigen.
Das gilt auch für die niederländische Qiagen (WKN 901626, Kurs: 14,84 Euro). Das Unternehmen liefert Testsysteme, mit denen der Erreger schnell und zuverlässig identifiziert werden kann. Hier rechnet man im zweiten Halbjahr mit einem spürbaren Anziehen der Nachfrage.
Eines der entscheidenden Symptome, an dem sich die Schweinegrippe erkennen lässt, ist Fieber. Die deutsche Geratherm Medical AG (WKN 549562, Kurs: 6,69 Euro), Hersteller von Fieberthermometern, verzeichnet eine entsprechend hohe Nachfrage.
Schweinegrippe-Impfstoff: Der holprige Weg zum Blockbuster-MedikamentWer als Pharmahersteller die Zulassung für sein Medikament von der Europäischen Arzneimittelagentur EMEA (European Medicines Agency) erhält, hat es geschafft. So wurden im Herbst dieses Jahres im Eilverfahren mehrere H1N1-Impfstoffe zugelassen, namentlich Pandemrix von GSK, Focetria und Celtura von Novartis und Celvapan von der Firma Baxter. Die EMEA finanziert sich zu zwei Dritteln aus Gebühren der Hersteller und ist dem Wirtschaftsressort der Europäischen Kommission – und nicht etwa dem Gesundheitsressort – zugeordnet. So stellt auch die Direktive 65/66 der Europäischen Kommission klar, dass zwar als oberstes Ziel der Behörde die öffentliche Gesundheit sicherzustellen sei, dabei aber nicht die Entwicklung der pharmazeutischen Industrie behindert werden dürfe. Der Status der EMEA ist indes nur einer von vielen Punkten, die in der hitzigen Impfstoff-Diskussion von den Kritikern gegen die Pharmahersteller ins Feld geführt werden. Der H1N1–Impfstoff – für die Hersteller eine problemlose Lizenz zum Gelddrucken? Wie risikoreich das Geschäft mit Grippemitteln tatsächlich ist, zeigt das Beispiel Tamiflu des Schweizer Pharmagiganten Roche. Das Grippepräparat wurde im Jahr 2000 in den USA und Japan sowie 2002 in Europa zugelassen. Zunächst dümpelten die Verkaufszahlen vor sich hin, mitunter wegen der seinerzeit milde verlaufenden Grippewellen. 2005 grassierte dann die tödlich verlaufende Vogelgrippe H5N1. Nur einem Zufall war es zu verdanken, dass die Forscher die Wirksamkeit von Tamiflu gegen das Vogelgrippevirus entdeckten. Die Umsätze stiegen daraufhin sprunghaft an. Doch die Vogelgrippe verlor wieder an Bedeutung und die japanische Roche-Tochter Chugai musste 2008 mit Tamiflu einen Gewinneinbruch von rund 80 Prozent hinnehmen. Das änderte sich schlagartig, als man entdeckte, dass sich das Vogelgrippe- und Schweinegrippevirus ähneln. Tamiflu erlebte einen neuen Aufschwung und brachte Chugai nun ein Umsatzplus von über 500 Prozent gegenüber dem Vorjahr ein. Dennoch herrscht bei den Analysten Zurückhaltung: In Asien, der für Tamiflu wichtigste Markt, nimmt die Zahl der Resistenzen zu. Und mit Regierungen als Großabnehmer kommt man häufig nur noch durch Rabatte ins Geschäft. Erhellend auch das Zahlenwerk von Roche: Die Schweizer erzielten im ersten Halbjahr 2009 einen Umsatz von 24 Milliarden Dollar. Auf Tamiflu entfiel dabei nur 1 Milliarde. Analysten sprechen daher von einem "Sondereffekt", mehr nicht. Dazu fehlt es bei Impfstoffen an der Nachhaltigkeit von Einnahmen und Gewinnen. Und dass Grippeimpfstoffe ein Risikogeschäft sind, diese Erfahrung machte vor zwei Wochen GSK mit dem Impfstoff Arepanix. Arepanix wird in Kanada vertrieben. Nachdem es zu überdurchschnittlich vielen Anaphylaxien kam und diese allergischen Überreaktionen bis zu tödlichem Kreislaufversagen führen können, musste GSK die komplette Charge von 172.000 Einheiten vom Markt nehmen. Haftungsfreistellung hin oder her – der Imageschaden dürfte beträchtlich sein. Nun werden von den Kritikern immer wieder gern die hohen Börsennotierungen der Impfstoffhersteller als Beleg für ihre "risikolose" Milliardengeschäfte angeführt. Ein Blick auf den Kursverlauf zeigt: Die GSK-Aktie lag seit März in der Spitze rund 30 Prozent im Plus, Baxter kommt auf 25 Prozent und Novartis auf ca. 35 Prozent. Zum Vergleich: Der DAX hat seit März um 50 Prozent zugelegt. Oder anders ausgedrückt: Hätte sich ein Anleger eine Siemens- oder MAN-Aktie ins Depot gelegt, wären unter dem Strich deutlich höhere Erträge zu erzielen gewesen. Mag die Öffentlichkeit die E-Mails des Pharmaherstellers Roche an Gesundheitsministerien, in denen auf eventuelle Lieferengpässe hingewiesen wurde, noch so als "Erpressungsversuch" schelten – die Börse scheint jedenfalls kein Problem damit zu haben, selbst Schmiergeldaffären, wie sie sich nachgewiesenermaßen bei MAN und Siemens ereignet hatten, als Mittel der Absatzförderung durchzuwinken. hps |
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.