Interpharm 2009

Was taugen und wem nutzen Kosten-Nutzen-Analysen?

Nach den Rabattverträgen dürften die Höchstbeträge für die Erstattung innovativer Arzneimittel zum nächsten Problemfeld für den Arzneimittelmarkt werden. Dies erwartet Dr. Thomas Müller-Bohn, Süsel, der bei der Interpharm das Konzept des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) für die Kosten-Nutzen-Bewertung vorstellte. Dabei ging er auch auf den jüngsten Methodenentwurf des IQWiG vom 18. März ein.
Höchstbeträge für die Erstattung innovativer Arzneimittel – das nächste Problem, so Müller-Bohn.

Die meisten Arzneimittelpackungen, die zulasten der GKV geliefert werden, sind Generika, aber für patentgeschützte Arzneimittel wird deutlich mehr Geld ausgegeben. Die meisten Sparmaßnahmen in der Arzneimittelversorgung sind hingegen auf Generika ausgerichtet. Doch die Gegenbewegung wird bereits vorbereitet. Mit dem GKV-WSG wurde 2007 die Grundlage geschaffen, Erstattungsgrenzen für patentgeschützte Arzneimittel festzulegen. Diese Höchstbeträge soll künftig der Gemeinsame Bundesausschuss auf der Grundlage von Kosten-Nutzen-Bewertungen des IQWiG bestimmen. Das Verfahren betrifft neue Arzneimittel, deren Zusatznutzen gegenüber der bisherigen Therapie ausreichend belegt werden kann. Wenn sie bei geringeren Kosten zu einem höheren Nutzen führen, also eine "dominante Strategie" darstellen, soll der geforderte Preis weiterhin akzeptiert werden. Doch anderenfalls wird künftig eine Abwägung zwischen dem zusätzlichen Nutzen und dem zusätzlichen Preis gegenüber der etablierten Therapie zu treffen sein.

Nutzen-Bewertung

Die Kosten-Nutzen-Bewertung setzt eine Nutzen-Bewertung voraus. Doch bereits dieser erste Schritt ist umstritten. Denn das IQWiG untersucht patientenrelevante Endpunkte, fordert aber von den zu betrachtenden Studien einen hohen Evidenzgrad. Damit werden anwendungsbezogene Aspekte teilweise aus der Betrachtung ausgeschlossen, weil die diesbezüglichen Studien vielfach nicht die formalen Anforderungen an den Evidenzgrad erfüllen. Dies hat bereits zu Streitigkeiten über die Anerkennung eines Zusatznutzens geführt, beispielsweise bei Insulinanaloga und Kombinationspräparaten gegen Asthma.

Kosten-Nutzen-Bewertung

Dennoch wird die Kosten-Nutzen-Bewertung als zweiter Schritt auf dieser Nutzen-Bewertung aufbauen. Der Kern der Methode besteht in der Herleitung einer indikationsspezifischen Effizienzgrenze. Dabei wird aus den Kosten-Outcome-Relationen der bereits etablierten Produkte für diese Indikation eine Effizienzgrenze hergeleitet. Im ersten Methodenentwurf sollte die Kosten-Outcome-Relation zwischen der heutigen Standardmedikation und dem früheren Referenzprodukt fortgeschrieben werden. Im jüngsten Methodenentwurf wird eine solche Extrapolation nicht mehr beschrieben, sondern das IQWiG erklärt: "… werden bei gegebenem Nutzen einer zu beurteilenden Maßnahme solche Preise als angemessen angesehen, die gemessen an der Effizienzgrenze nicht zu einer Verschlechterung der Effizienz in einem gegebenen Indikationsgebiet führen." Falls mehrere Endpunkte betrachtet werden, soll dies auch für den Endpunkt mit der geringsten Effizienz gelten. Auf dieser Grundlage will das IQWiG einen Höchstbetrag empfehlen. Die Entscheidung trifft jedoch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der weitere Aspekte berücksichtigen kann. Die Höchstbeträge könnten in Apotheken erneut zu vielfältigen Diskussionen über Aufzahlungen führen, fürchtet Müller-Bohn.

Alle Betrachtungen erfolgen jeweils getrennt für einzelne Indikationen. Denn das deutsche Gesetz fordert Erstattungshöchstbeträge und keine Erstattungsprioritäten. Außerdem soll für jede zu bearbeitende Indikation ein neuer Berichtsplan mit den methodischen Details erstellt werden. Für den Vergleich mit früher etablierten Arzneimitteln dürften umfangreiche pharmakoökonomische Daten erforderlich sein. Da diese Daten aus dem deutschen Gesundheitssystem stammen sollten, in Deutschland aber keine pharmakoökonomische Tradition besteht, dürften neue Studien zur Einstufung der alten Arzneimittel nötig werden.

Die indikationsbezogene Methode unterscheidet sich deutlich von der Vorgehensweise in vielen anderen Ländern. Damit umgeht das deutsche Konzept jegliche Diskussion über Erstattungsprioritäten zwischen Arzneimitteln für verschiedene Indikationen, was Müller-Bohn als Vorteil hervorhob. Auch die international intensiv geführte Debatte über einen Schwellenwert, also über einen maximalen Preis für einen bestimmten Gewinn an Lebensdauer oder Lebensqualität, erübrigt sich damit. Alle anderen Unwägbarkeiten pharmakoökonomischer Studien bleiben jedoch erhalten. So ist jeweils zu fragen, inwieweit Surrogatparameter als Zielgrößen und Modelle als Studienkonzepte akzeptiert werden. Auch auf der Seite der Kosten bestehen große Bewertungsspielräume. Denn Kosten sind keineswegs eine eindeutige Größe, sondern es hängt von der jeweiligen Fragestellung ab, welche Kosten überhaupt in eine Betrachtung einbezogen werden. Zudem sind die Kosten sehr von institutionellen Faktoren geprägt und können daher kaum aus internationalen Studien übernommen werden. Auch die Perspektive der Studie entscheidet über Auswahl der relevanten Kosten. Dabei verfolgt das IQWiG die Perspektive der "GKV-Versichertengemeinschaft", die andere Sozialversicherungszweige nur bei bestimmten Fragestellungen einbezieht. So folgerte Müller-Bohn: "Aufgrund der vielen Bewertungsspielräume liefern pharmakoökonomische Studien keine justiziablen Endergebnisse, sondern wissenschaftliche Standpunkte. Diese können als Grundlage für Verhandlungen dienen, aber kaum ein rechtssicherer Maßstab für Höchstbeträge sein."

Alternativen

Als Konsequenz seien mit der neuen Methode ebenso viele rechtliche Streitigkeiten wie durch die Rabattverträge für Generika zu erwarten. Praktikabler als die Festlegung eines Höchstbetrages "von oben" erschienen dagegen Verträge, die zwischen den Krankenkassen und der Industrie ausgehandelt werden. Dafür können pharmakoökonomische Studien wertvolle Argumentationshilfen liefern. Die bereits bestehenden Cost- oder Risk-Sharing-Verträge könnten den Weg aufzeigen.

Möglicherweise wird die Vorgehensweise des IQWiG und die Festlegung von Höchstbeträgen aber von der Europäischen Kommission konterkariert. Denn diese strebt einheitliche Preis- und Erstattungssysteme und eine vergleichende Nutzenbewertung an, um ähnliche Preise und die schnelle Markteinführung neuer Arzneimittel in der ganzen EU sicherzustellen. Damit würde die EU den international verbreiteten Ansatz verfolgen, doch liefe dies der in Deutschland angestrebten indikationsbezogenen Betrachtung zuwider. Manche Beobachter erwarten, dass schon ab 2011 eine europäische Arzneimittelbewertungsagentur etabliert werden könnte. Doch bleibt ähnlich wie beim Rechtsstreit um den Apothekenfremdbesitz zu fragen, ob die Europäische Union für solche Eingriffe in die nationalen Gesundheitssysteme überhaupt legitimiert wäre. tmb

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