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- DAZ 21/2009
- Die Zukunft fest im Blick
Thüringer Apothekertag
Die Zukunft fest im Blick
Stefan Fink, Vorsitzender des Thüringer Apothekerverbandes e.V. betonte in seiner Begrüßung die Wichtigkeit solcher Apothekertage. Ein Reden miteinander ist die Basis einer erfolgreichen Arbeit: "Am Anfang war das Wort". Und Worte sind oft die "erste Medizin", mit denen Patienten, die in einer Apotheke Rat und Hilfe suchen, in Berührung kommen. Und das sind in Thüringen 46 Millionen Menschen pro Jahr! Sie schätzen dort die gute Betreuung, die Zuwendung, die ihnen entgegengebracht wird. Aber auch die Ärzteschaft schätzte eine vertauensvolle Zusammenarbeit, einen Umgang auf Augenhöhe zum Wohle der Patienten. Es hat sich gezeigt, dass die Apotheken die neuen Anforderungen, die ihnen mit den Rabattverträgen gestellt wurden, anpacken. Und die Apotheker werden die Rabattverträge auch weiterhin verantwortungsvoll erfüllen. Doch es kann nicht sein, so Fink, dass andere Beteiligte im Gesundheitswesen Einsparungen im dreistellligen Millionenbereich einstreichen: gute Partnerschaft sehe anders aus. Fink forderte aber auch klare Rahmenbedingungen und stabilisierende Faktoren. Klar auch seine Forderung an die Marktpartner: bleiben Sie der Apotheke treu, unterstützen Sie diese in Reden und auch im Handeln.
Versandhandelsverbot für Rx-Arzneimittel gefordert
Thüringens Gesundheitsministerin Christine Lieberknecht (CDU) betonte in ihrem Grußwort, dass die Landesregierung eine bestmögliche Gesundheitsversorgung für die Menschen in Thüringen sicherstellen wolle. Sie setze sich deshalb dafür ein, dass der Bundesgesetzgeber deutschlandweit den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln untersagen soll. Eine Trennung der Abgabe eines Arzneimittels von der Beratung, wie es beim Versandhandel der Fall ist, hält sie für außerordentlich bedenklich. Die Abgabe von Arzneimitteln in einer Apotheke muss Pflicht sein! Thüringen hat die Bundesratsinitiativen von Bayern und Sachsen zum Versandhandelsverbot mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln stets unterstützt, so die Ministerin. Ziel muss es sein, die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit hochwertigen Medikamenten zu sichern und damit auch zum Erhalt der mittelständisch geprägten Apothekenlandschaft beizutragen. Auch in der Zukunft ist die fachlich fundierte, persönliche Beratung in der Apotheke unabdingbar.
Sie dankte den Apothekern herzlich für ihre zuverlässige Arbeit und vertraue darauf, dass es in Zukunft auch so sein wird. Die Menschen nehmen die Apotheken gern in Anspruch, hier erhalten sie Ansprache und Zuwendung – auch Worte können heilen. Derzeit ermöglichen in Thüringen 570 Apotheken und 20 Krankenhausapotheken eine Versorgung an allen Tagen im Jahr. Das große Ziel aller sei es, gesund alt zu werden, und zwar von Anfang an. Es gelte, diese Botschaft in die Bevölkerung zu tragen. Hierbei schätze die Ministerin sehr die engagierte Arbeit in den Apotheken bezüglich Angeboten wie Ernährungsberatung, Impfberatung und Präventionsberatung. Eine qualitativ hochwertige Versorgung der Patienten ist ein großer Beitrag zur Patientensicherheit.
Reform ja, aber zum Wohle der Menschen
Ronald Schreiber, Präsident der Landesapothekerkammer Thüringen, betonte, dass sich die gesamte Gruppe der Freien Berufe heute in einer Zeit der Reformation befindet, der Reformation des Gesundheitswesens, der Arzneimittelversorgung, der ärztlichen Versorgung, sogar einer kompletten Reformation und Umwandlung der sozialen Sicherungssysteme. Vielleicht, so Schreiber, sollte Martin Luther ein Stück weit ein Vorbild sein? Er erkannte in seiner Zeit die Reformbedürftigkeit der Kirche und verfolgte diese Aufgabe mit all seiner Kraft. Doch Martin Luther tat das nicht der Reform Willen sondern um dem Wohl der Menschen zu dienen. Es ist Aufgabe der Apotheker, den Rahmen der Freiberuflichkeit mit Leben zu erfüllen. Eine hochwertige, fachlich unabhängige geistig-ideelle Leistung muss von den Apothekern erbracht werden und dies gehe nur auf der Basis einer fundierten wissenschaftlichen universitären Ausbildung. Schreiber: "Wir brauchen keine Bachelor bzw. Master." Es darf nicht sein, so Schreiber, dass sich eine Apotheke von einer Drogerie oder einem Supermarkt nur noch durch das rote Apotheken-A unterscheidet, da das Sortiment in der Freiwahl weitestgehend gleich ist. Dieser Vergewerblichung sollte entgegengewirkt werden. Denn nicht ganz zu unrecht stellt manch einer sich immer mal wieder mit einem kritischen Blick auf das sogenannte Randsortiment die Frage, ob sich der Apotheker als Freiberufler noch zentral auf seine hauptsächliche Aufgabe konzentriert. Auch Schreiber forderte von der Politik als Basis für eine gute Arbeit feste Rahmenbedingungen: Apotheker benötigen endlich wieder mehr Planbarkeit und Verlässlichkeit!
Sich vom negativen Trend abkoppeln
Dr. Frank Diener von der Treuhand Hannover zeigte "Zukunftsvisionen für die inhabergeführte Apotheke in Deutschland". Er führte deutlich auf, welche Veränderungen mit der 15. AMG-Novelle für die Apothekerschaft einhergehen. Egal welche Entscheidungen noch fallen: Klar ist auch für die Zukunft, dass gespart werden wird.
Doch was soll der Inhaber einer Apotheke tun? Abwarten und Mitschwimmen nach dem Motto "Ich kann ja doch nichts tun?" Oder zuschauen, welche Entscheidungen getroffen werden und dann reagieren? Oder ist es besser zu agieren? Es mache keinen Sinn, die Rabattverträge zu verteufeln und dies dann die Kunden und die Mitarbeiter spüren zu lassen. Die Apotheker müssen lernen, mit den Rabattverträgen umzugehen. Der Branche stehen in der Zukunft noch weitere große Probleme ins Haus: Die Arzneimittelrahmenvereinbarungen zwischen KBV und GKV, der Markttrend geht in Richtung sinkender OTC-Umsatz, schlechtere Einkaufskonditionen. Ziel muss es sein, die individuellen Gegebenheiten, Stärken und Schwächen der Apotheke zu analysieren und dann mittels professioneller betriebswirtschaftlicher Diagnostik zielorientiert zu Navigieren. Und zwar so, dass man sich von den vorherrschenden negativen Branchentrends abkoppeln kann.
Je kritischer das Umfeld und die Bedingungen werden, umso wichtiger wird die Kundenorientierung. Dazu rät Diener, sich einen neutralen Beobachter einzuladen und die Apotheke aus Kundensicht zu analysieren. Wer die Ausrichtung auf den Kunden beherrscht und diese Aspekte in sein Geschäftsmodell integriert, hat schon eine zentrale Erfolgsbedingung erfüllt.
Doch wie mache man das in seiner eigenen Apotheke? Dazu gibt es eine Fülle von Methoden, die kritisch bewertet werden müssen: nicht jede passt zu jedem – es gilt, die passende zu finden. Als ein Modell stellte Diener die "magic moments" vor. Dabei wird eine Dienstleistung als ein Prozess betrachtet, wobei es egal ist, ob ein Kunde in einem Restaurant essen gehen oder in einer Apotheke etwas erwerben möchte. Der "Prozess" beginnt schon bei der Parkplatzsuche bzw. dem Parkplatzangebot. Wie einladend ist das Schaufenster? Wie einladend ist der Eingangsbereich? Wie freundlich wird der Kunde in der Apotheke begrüßt? Über das Bestellen der Ware, das Servieren bis zum Bezahlen und Verabschieden – aus diesen Prozessschritten besteht jede Dienstleistung. Und an jeden dieser Schritte kann etwas nettes, ein kleiner aufregender Moment angeknüpft werden, den man nicht so schnell vergisst, weil er so schön war. Ein magic moment eben. "Ihre Apotheke kann und muss anders sein als die anderen!" Dabei sollte darauf geachtet werden, dass es wenig Sinn macht, eine tolle Aktion mit selbst hergestellten Flyern oder einer auffälligen Zeitungsanzeige anzukündigen, wenn das Schaufenster nicht passend dekoriert ist oder womöglich das Team für das eigentliche Beratungsgespräch nicht geschult und motiviert ist. Es kann auch hilfreich sein, sich vorzustellen, wie die eigene Apotheke in fünf Jahren aussehen soll: Es sollte ausführlich und konkret – am besten schriftlich – formuliert werden, wie ich mir die eigene Apotheke in fünf Jahren vorstelle: den Standort, mein Team, meine Einrichtung, meine Offizin, meine Produkte und meine Dienstleistungen, meine finanzielle Lage. Hat man ein Ziel vor den Augen, so kann ganz konkret geschaut werden, was zu tun ist, um dorthin zu gelangen. Nur wer eine eigene Zukunftsvision für den eigenen Betrieb entwickelt und diese systematisch verfolgt, ist auf dem richtigen Weg, eine lokale Marke zu werden. Es ist harte Arbeit, sich als inhabergeführte Apotheke von negativen Branchentrends abzukoppeln, so Diener, doch es ist möglich.
Die demografische Entwicklung in Thüringen
Prof. Dr. Peter Sedlacek von der Friedrich Schiller-Universität Jena beschäftigte sich mit der demografischen Entwicklung in Deutschland im Allgemeinen und mit der in Thüringen im speziellen. Wir werden weniger, wir werden älter, wir leben einsamer, vermehrt in Singlehaushalten, die Internationalisierung wird durch immer mehr Zuwanderungen größer – das sind alles Fakten, die nicht neu sind. Der Geburtenrückgang hat schon Anfang des 20. Jahrhunderts begonnen! Seit 1970 wird das Phänomen beobachtet, dass weniger Menschen geboren werden und mehr Sterbefälle auftreten. Würde jede Frau 2,1 Kinder bekommen, dann wäre eine stabile Bevölkerung gewährleistet, aber heute bekommt jede deutsche Frau im Schnitt nur 1,36 Kinder. Ein Drittel weniger Mütter heißt aber auch in der Folge, dass ein Drittel weniger Kinder in der nächsten Generation geboren werden. Doch das Problem wurde bisher nicht in seiner Tragweite wahrgenommen, da trotz der sinkenden Geburtenraten bis 2003/2004 die Gesamtbevölkerung anwuchs. Gründe dafür sind darin zu sehen, dass die Menschen immer älter werden und dass viele Zuwanderer nach Deutschland kamen. Aber seit 2003/2004 schrumpfen wir effektiv und zunehmend. Doch dieser Prozess ist kein überraschend hereinbrechender Schicksalsschlag, sondern ein Prozess, der seit Jahrzehnten hätte entdeckt werden können!
Leibrock zeigte Besonderheiten in der ganzen Republik auf. So bestehen große Unterschiede in der Fertilität: im Nord-Westen Deutschlands ist sie am höchsten, während sie im Süden am geringsten ist. Im Osten bekommen die unter 30-jährigen Frauen mehr Kinder als im Westen, hier sind die über 30-Jährigen stärker vertreten – vor allem im Raum München. Die Bevölkerung im Osten sinke deutlich. Die Ausnahme: der Speckgürtel um Berlin. Auch die Ballungsräume Dresden, Halle/Leipzig verzeichnen Zuwächse. Sedlacek sprach auch konkret Trends für Thüringen an: Hier werden seit 2007 schwankende, aber steigende Verluste durch Abwanderungen verzeichnet. Vor allem die Altersgruppe 20 bis 33 wandert ab: Und diese jungen Leute nehmen ihre Kinder mit, sodass auch die potenziellen Mütter fehlen, was starke Auswirkungen auf die kommenden Generationen haben wird. Fasst man die Trends zusammen, dass wir älter werden und die Jüngeren abwandern, so zeigt sich, dass immer mehr deutlich ältere Arbeitnehmer zur Verfügung stehen. Somit sollte man dringend über Qualifizierungsmaßnahmen dieser Altergruppe nachdenken, die sind gefragt!
Dramatisch sind auch die Auswirkungen auf die Altersversorgung: Jedem Erwerbsfähigen stehen 1,1 Personen gegenüber, die finanziell von ihm abhängig sind. Da nicht jeder Erwerbsfähige auch erwerbstätig ist, verschiebt dieses Verhältnis dramatisch: jeder Erwerbstätige hat rein rechnerisch 1,8 bis 2 Personen mit zu versorgen. Auf apothekenrelevante Auswirkungen angesprochen führte Sedlacek aus, dass es "nicht-Demografie-bedingte" Faktoren gibt, die das Einkommen der Apotheken beeinflussen. Dazu zählt vor allem die Politik. Demografie-bedingte Einflüsse sind vor allem die Schrumpfung der Bevölkerung. Die sinkende Anzahl wird aber teilweise kompensiert durch die Alterung und den damit einhergehenden Mehrverbrauch an Arzneimitteln. Ein 65-Jähriger benötigt ca. dreimal so viele Arzneimittel wie Jüngere. Die Anzahl der Rentner wird zunehmen, aber, so Sedlacek, man muss davon ausgehen, dass die nächste Rentengeneration deutlich einkommensschwächer sein wird. Der demografische Wandel wird auch bei den Apotheken Spuren hinterlassen. Seine Auswirkungen schätzt Sedlacek aber eher als begrenzt ein. Stärker auswirken dürften sich politische Einflüsse und ein Strukturwandel bei den Apotheken.
Literatur als Seismograph
20 Jahre sind seit der Wende vergangen – doch sind wir ein einheitliches Deutschland? Nach wie vor gibt es deutliche Unterschiede im Konsumverhalten zwischen Ost und West, wie Dr. Felix Leibrock auf unterhaltsame Weise zeigte: am Beispiel des Sektverbrauchs. Die Ostdeutschen gelten fast als die Weltmeister unter den Sekttrinkern. Absolut an der Spitze liegt hier der Rotkäppchensekt mit über 70% Marktanteil. Der Marktführer im Westen, Freixenet versuchte mit einer großen Werbekampagne auch den Osten zu erobern. Der Versuch, intensiv mit visuellen Reizen zu werben, Frauen, die lasziv bei Kerzenschein an einem Glas Freixenet nippen, kam bei den Ostdeutschen überhaupt nicht an. Die "Menschen im Neubaublock, die mal eben auf der Treppe mit einem Glas Rotkäppchen anstoßen" fühlten sich in keinster Art und Weise angesprochen. Die Konsequenz: Der Marktanteil von Freixenet liegt im Osten bei 1,7%.
Auch zwischenmenschlich scheint noch nicht alles zusammengewachsen zu sein: der Prozentsatz an Ehen, die zwischen Partnern aus Ost und West geschlossen werden, liegt bei marginalen 1,4%. Vielleicht scheitert es ja schon an der Begrüßung? Im Osten schüttelt man sich fast immer die Hand, als ein Zeichen der Nähe, im Westen eher weniger, und bei förmlichen Anlässen. Vielleicht birgt ja die bevorzugte Zimmertemperatur ein zu großes Konfliktpotenzial: im Osten werden 24°C bevorzugt, im Westen dagegen 20°C.
Wahrscheinlich liegt es aber eher daran, dass die Emanzipation der Frauen im Osten einen wesentlich größeren Stellenwert hatte, als im Westen: In der Altersgruppe 49 bis 60 konnte man in der DDR von nahezu Vollbeschäftigung sprechen, im Westen waren nur 30% der Frauen berufstätig. Aufgefallen sei Leibrock auch, wie selbstverständlich Frauen im Osten mit männlichen Berufsbezeichnungen umgehen: Frauen sprechen von sich als Architekt oder Lehrer oder Apotheker, während im Westen großen Wert darauf gelegt wird, dass die Frauen eben Architektin oder Apothekerin sind. Sein Fazit: wir Deutschen haben zwei ganz unterschiedliche Herkunftskulturen, die nur ganz langsam zusammenwachsen. Wie dieses Zusammenwachsen in der Vergangenheit aussah, versuchte Dr. Felix Leibrock in einer anthropologisch-literarischen Annäherung an zwölf Büchern aufzuzeigen. Denn die Welt der Bücher kann ein Seismograph solcher Entwicklung sein. So zeigt Günter Grass in seinem 1995 erschienen Roman "Ein weites Feld" die deutsche kulturelle Identität über einen sehr langen Zeitraum von 150 Jahren deutscher Geschichte hinweg auf. Die Deutschen haben eine sehr, sehr lange kulturelle Tradition, auf die sie stolz zurückblicken können. Was sind da schon 20 Jahre, die seit der Wende vergangen sind? Nach einer anfänglichen Euphorie in der unmittelbaren Nachwendezeit ist eine lange Zeit der Entfremdung eingetreten, die allmählich einer Normalität und einem Verschmelzen zweier unterschiedlicher Herkunftskulturen zu weichen scheint.
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