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- DAZ 23/2009
- 150 Jahre Magenta
Feuilleton
150 Jahre Magenta*
Bereits 1834 hatte der Apothe-ker Friedlieb Ferdinand Runge (1794 – 1867) im Teer das Anilin entdeckt und beobachtet, dass es bei der Reaktion mit Chlorsalzen einen blauen Farbton hervorbringt. Die Bedeutung "blau" steckt sowohl in der aus dem Arabischen stammenden Bezeichnung "Anilin" als auch in dem von Runge gewählten Namen "Kyanol" (aus griech. kyaneos). Alle Farben, die mithilfe von Anilin synthetisiert werden, nennt man seither Teerfarbstoffe.
Im Jahr 1856 synthetisierte der 18-jährige Engländer William Henry Perkin (1838 – 1907) beim Experimentieren mit Anilin und Toluidin den ersten technisch verwendbaren Teerfarbstoff, den er "aniline purple" (Anilinpurpur) oder "Perkin‘s mauve" (franz. "mauve" = Malve) nannte, woraus der Trivialname Mauvein entstand. Perkin begann kurz darauf, das Mauvein industriell herzustellen, doch wenige Jahre später wurde das innovative Produkt durch den zweiten synthetischen Teerfarbstoff, das Rosanilin, Rosein, Magenta oder Fuchsin, bei Weitem überflügelt. Erst mit ihm begann der weltweite Siegeszug der Teerfarben.
Schon der Pole Jacob Nathanson (1832 – 1884) und der damals in London lehrende August Wilhelm Hofmann (1818 –1892) hatten 1856 bzw. 1858 den Aminotriphenylmethanfarbstoff Fuchsin dargestellt, ohne jedoch sein technisches und folglich auch kommerzielles Potenzial zu erkennen. Ebenfalls 1858 entdeckte der Chemieprofessor François Emmanuel Verguin (1806 – 1865) in Lyon dieselbe Substanz. In der Metropole der französischen Seidenindustrie fand er sogleich einen Interessenten dafür, die Färberei Renard frères & Franc, die die Produktion aufnahm. Ihre Werkstatt wurde schnell zu klein für die enorme Nachfrage, und so wurde 1863 in Lyon die Fabrik "La Fuchsine" errichtet. Noch bedeutend größere Geschäfte mit dem Farbstoff machten andere Firmen, die inzwischen auf den Plan getreten waren.
Magenta-BlütenDer Farbton Magenta stand auch Pate bei der Benennung einiger jüngerer Pflanzensorten. So gibt es eine Kordes-Rose und eine Verbene ’Magenta’, aber auch eine Zuckermelone – wegen der Farbe ihres Fruchtfleisches. |
Weder licht- noch waschecht, aber preiswert
Der englische Arzt Henry Medlock hatte 1860 das Herstellungsverfahren für Fuchsin wesentlich verbessert, indem er statt Chloriden Arsensäure zur Oxidation des Anilins verwendete; so steigerte er – bei katastrophalen Folgen für die Umwelt – die Ausbeute von 2% auf 20%. Die Firma Simpson, Nicholson & Maule bei London produzierte ihr "Roseine" oder "Magenta" seit 1860 mit diesem patentierten Verfahren. Auch auf dem Kontinent entstanden Fuchsinfabriken, so in der Schweiz – Clavel in Basel und Guigon in Genf – und in Deutschland; am bekanntesten sind hier die späteren Konzerne der IG Farben: Meister Lucius & Brüning in Höchst (1862), Friedrich Bayer & Co. in Elberfeld (1863) und die BASF in Ludwigshafen (1865), deren Gründer Friedrich Engelhorn bereits seit 1861 in Mannheim Fuchsin hergestellt hatte.
Ständige Optimierungen des Produktionsprozesses und der Auslauf von Patenten sorgten dafür, dass Fuchsin immer billiger wurde, so sank in England der Preis von 1860 bis 1870 auf etwa sechs Prozent, nämlich von 6 Pfund pro Gallone (~ 4,5 Liter) auf 7 Shilling. Es wuchs aber nicht nur die Produktionsmenge, sondern auch die Anzahl der produzierten Anilinfarben. 1861 kamen Anilinblau und Anilinviolett, 1867 Kristallviolett und ab 1864 die ersten Azofarbstoffe Chrysoidin und Anilingelb auf den Markt. 1869 gelang die Synthese des in der Krappwurzel enthaltenen Anthrachinonfarbstoffs Alizarin; damit begann die Ära der – im Gegensatz zu den Aminotriphenylmethanverbindungen – licht- und waschechten und gesundheitlich unbedenklichen Teerfarbstoffe.
Vier-Farben-Druck mit Magenta
Um 1880 erreichte die Jahresproduktion von Fuchsin mit 750 Tonnen ihren Höhepunkt. 1930 produzierten die IG Farben noch 450 t jährlich, heute dürfte sich die Produktionsmenge auf einige Kilogramm belaufen. Allmählich kam das Fuchsin in der Textilindustrie und in der Lebensmittelbranche, wo es wegen seiner Giftigkeit ohnehin nichts zu suchen hatte, außer Gebrauch. Von Bedeutung blieb es als Anfärbemittel in der Biologie und als Schiffsches Reagenz in der Analytik. Wie viele andere Teerfarbstoffe weckte es auch das Interesse der Pharmakologen, wurde aber nach der Entdeckung, dass es kanzerogen ist, nicht weiter erforscht.
Auch als Druckfarbe ist Fuchsin längst nicht mehr erlaubt. Der Farbton, der heute mit Rhodamin B erzeugt wird, ist jedoch jedem Drucker bestens bekannt, wenn auch nur unter seinem englischen Namen "Magenta". Er stellt eine der drei Grundfarben dar, neben Cyan (dieses hat dieselbe Etymologie wie "Kyanol", s. o.) und Gelb, zu denen sich im Vier-Farben-Druck noch das Schwarz gesellt.
Für eine Popularisierung dieser fachsprachlichen Farbbezeichnungen sorgten ab 1990 amerikanische Firmen, die Produkte zum Selbstfärben von Textilien herstellten. Auch die 1995 gegründete Deutsche Telekom AG folgte dem Trend und wählte Magenta als registrierte "Farbmarke" für Waren und Dienstleistungen aus dem Bereich der Telekommunikation; anderen Unternehmen in der Branche, die ebenfalls Gefallen an Magenta fanden, hat der Bundesgerichtshof 2003 die Verwendung von Magenta beim öffentlichen Auftritt und in der Werbung untersagt.
Historische FarbstoffsammlungDie TU Dresden besitzt eine der ältesten und umfangreichsten Farbstoffsammlungen mit
Die Sammlung ist nach Voranmeldung zu besichtigen. Kontakt: Prof. Dr. Horst Hartmann 01062 Dresden, Bergstr. 66 c, Königbau, Raum 212 Tel. (03 51) 46 33 43 92, Fax 46 33 94 85 |
Eine versteckte Reverenz an Messieurs Renard?
Kommen wir noch einmal auf die Namengebung zurück. Nachdem Perkin "seine" Farbe nach der Malve benannt hatte, lag es nahe, das Folgeprodukt ebenfalls nach einer Blume zu benennen, wobei die Engländer sich an der Rose orientierten (bevor sie sich für "Magenta" entschieden) und die Franzosen an der bei ihnen so populären Fuchsie. Wegen des geläufigen Pflanzennamens "fuchsia", den übrigens ein Franzose, Charles Plumier (1646 – 1704) der auf Haiti entdeckten Pflanze gegeben hatte und für den zwei französische Aussprachen akzeptiert sind, ist auch "fuchsine" für Franzosen keineswegs so zungenbrecherisch, wie es den Anschein erweckt; allerdings scheint die Orthographie manchem Franzosen Probleme zu bereiten (s. Kasten "En français").
Es ist übrigens gemutmaßt worden, dass Verguin mit der Namengebung "fuchsine" (auch) seine Geschäftsfreunde, die Brüder Renard, ehren wollte, denn "renard" heißt auf Deutsch "Fuchs". Das ist sehr gut nachvollziehbar, aber nicht zu beweisen.
Die meisten Missverständnisse ruft der Name "Fuchsin" wohl im deutschen Sprachraum hervor, weil man hier eher "Fuchs" und "fuchsrot" als "Fuchsie" und "fuchsienrot" assoziiert. Warten wir ab, ob die Chemiker dem Beispiel der Drucker folgen und sich auch für "Magenta" entscheiden. Doch damit ergäbe sich gleich das nächste Problem: Spricht man das Wort italienisch oder englisch (mit "dsch") oder – wie im deutschen Druckgewerbe üblich – mit gutturalem "g" aus?
En françaisFuschia, fuchia ou fuchsia? Plante originaire d‘Amérique latine et de Nouvelle-Zélande, elle est introduite en France en 1703 par le botaniste de Louis XIV, le révérend Charles Plumier, qui lui choisit le nom de fuchsia en hommage au botaniste allemand Leonhart FUCHS. Que ce soit la plante ou la couleur qui en est dérivée, il faut donc bien écrire FUCHSIA (les prononciations fuXia ou fuCHia sont correctes) et non pas fuschia, fushia ou fuchia. Quelle: valbonnescrabble.canalblog.com/archives/2007/02/27/4147537.html
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Oder lieber Solferino?
1859 und danach war in England kurzzeitig auch eine andere Bezeichnung für Fuchsin üblich: "Solferino", nach dem Städtchen beim Gardasee, wo Napoleon III. drei Wochen nach der Schlacht von Magenta die Österreicher zum zweiten Mal besiegt hat. "Magenta" setzte sich wohl deshalb durch, weil es eine Silbe kürzer ist. Doch Solferino ist deshalb nicht aus dem Gedächtnis der Menschheit verschwunden. Ein Schweizer Zivilist namens Henri Dunant schilderte in seinem Buch "Eine Erinnerung an Solferino" die katastrophale Lage der verwundeten Soldaten und machte Vorschläge, wie man das menschliche Leid in Kriegen vermindern könne. Daraufhin wurde 1864 die Genfer Konvention beschlossen und das Internationale Rote Kreuz gegründet.
Literatur
[1] Andersen A, Spelsberg G (Hrsg). Das blaue Wunder – Zur Geschichte der synthetischen Farben. Köln 1990.
[2] Metternich W. Teerfarbstoffe – Die Anfänge der Farbwerke vormals Meister Lucius & Brüning in Höchst am Main, in: Gründerzeit 1848 –1878, Katalog. Deutsches Historisches Museum, Berlin 2008, S. 174-185.
Wolfgang Caesar
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