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DAZ aktuell
EuGH-Entscheidung ist kein Ruhekissen
Hoffmann: Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller BAH begrüßt diese Entscheidung. Allerdings ist dies weder für die Industrie noch für die Apotheker ein Ruhekissen. Der EuGH hat nur entschieden, dass die Vertriebswege in Deutschland eingeschränkt werden dürfen aufgrund der besonderen Ware Arzneimittel. Diese Einschränkung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt gut begründet. Das kann sich aber ändern. Wenn sich andere Vertriebsmodalitäten als genauso effektiv und sicher erweisen würden wie die inhabergeführte Apotheke, dann könnte ein Gericht auch zu einem anderen Ergebnis kommen. Insofern ist das eine Momentaufnahme, die über einen gewissen Zeitraum Bestand haben wird, aber im Hinblick auf die Möglichkeiten ist dies keine Entwarnung. Die Apotheker werden sich um eine Erhaltung dieses Status stetig bemühen müssen.
DAZ: Die Apotheker müssen das Urteil jetzt leben und zeigen, dass sie diesen Vertriebsweg sicher haltenHoffmann: Das Gericht hat mit dem Urteil gesagt, dass der Vertriebsweg über die inhabergeführte Apotheke sicher ist. Die Alternativen dazu werden im Moment als nicht gleich sicher bewertet. Es gibt also zwei Entwicklungsmöglichkeiten: die Apotheker müssen nicht nur daran arbeiten, dass es so sicher bleibt, sondern sogar noch die Bedeutung unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit und Beratung verstärken. Die andere Möglichkeit ist: Interessenten an Kettenorganisationsformen werden den Aspekt entkräften wollen, dass es für das Personal Sichtweisen geben kann, die mit der Einstellung eines Inhabers einer Apotheke nicht übereinstimmen. Solange es die Kette nicht geben darf, können sie diesen Beweis nur sehr schwer antreten. Sie könnten hier auf Erfahrungen zurückgreifen von Ländern, in denen es Ketten gibt. Sie müssten über den derzeitigen Vortrag im Verfahren vor dem EuGH hinaus zu zeigen versuchen, dass es dort keine erkennbaren Defizite gibt. Oder es müssten per Gesetz arbeitsrechtliche Maßnahmen für einen Angestellten in Kettenapotheken eingeführt werden, damit seine inhaltliche Entscheidungsfreiheit, zu der er aufgerufen ist, nicht beeinträchtigt ist.
DAZ: Was aber jetzt nicht heißt, dass die Hersteller dies gerne hätten ?Hoffmann: Nein, die Hersteller können das gar nicht wollen. Selbst diejenigen, die Mass-market-Erfahrung haben, würden zwar zunächst einen Wettbewerbsvorteil aus dieser Erfahrung heraus haben im Verhältnis anderer Anbieter gegenüber der Kette. Aber der Konditionsdruck wäre für alle sehr viel größer. Wenn für eine Apothekenkette Einkaufsentscheidungen zentral getroffen werden, heißt dies für den Hersteller im positiven Fall, dass er in allen Filialen präsent ist. Fällt die Entscheidung negativ aus, dann ist er allerdings in keiner Filiale vertreten. Heute überlebt der kleinere Hersteller die Absage einer einzelnen Apotheke, in der er nicht vertreten ist. Ob er aber die Absage einer Apothekenkette überlebt, ist fraglich.
DAZ: Mehr und mehr schielen heute Drogeriemärkte auf den milliardenschweren Arzneimittelmarkt und möchten daran partizipieren. Wie ist hier die Position des BAH, der die deutsche OTC-Industrie vertritt? Gibt es da nicht einige Firmen, denen es nicht unlieb wäre, wenn sie auch im Drogeriemarktgeschäft mitmischen könnten? Wie sieht es da mit der Apothekentreue aus?Hoffmann: Ich glaube, dass man dies differenziert angehen muss. Es gibt zunächst die vom deutschen Gesetzgeber zugelassene Versandapotheke – auch wenn die Entscheidung, den Versandmarkt für verschreibungspflichtige Arzneimittel zuzulassen, über das europäisch erforderliche Maß hinausging. An dieser Situation kann nur der Gesetzgeber etwas ändern, gleich ob wir sie gut finden oder nicht. Daneben gibt es eine Rechtsprechung, die Pick-up-Stellen zwar nicht legalisiert, aber für zulässig erklärt hat. Ich teile nicht die Auffassung mancher Juristen, dass Pick-up-Stellen im Prinzip nur "Botendienste" erledigen. Für mich geht die Tätigkeit einer Pick-up-Stelle über solche Botendienste hinaus.
Derzeit sehe ich allerdings keine rechtliche Möglichkeit, die Organisation solcher Pick-up-Stellen zu verbieten. Man könnte sie aber erschweren, indem man bestimmte Kriterien vorschreibt. Man darf aber nicht übersehen, dass eine Beschreibung solcher Regelungen ein Schritt hin zu einer ausdrücklichen gesetzlichen Zulässigkeit dieser Stellen wäre.
DAZ: Und wie sieht die Verbandsmeinung hierzu aus? Gibt es nicht auch Hersteller, die gerne mit großen Versandapotheken, die Pick-up-Stellen beliefern, zusammenarbeiten wollen?Hoffmann: Hier ist die Haltung der Hersteller sicher heterogen. Wenn es überall große Aversionen gegen jede Form des Versandhandels gäbe, dann wären die Kanäle nicht so offen und die Versorgung von Versandapotheken nicht so problemlos, wie sie heute ist. Unser Verband selbst ist über diese Entwicklung nicht glücklich. Der Verband hat sich für eine Herausnahme der verschreibungspflichtigen Arzneimittel aus dem Versandhandel ausgesprochen. Aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass es eine Rechtsprechung gibt, die solche Pick-up-Stellen als ordnungsgemäße Organisation beschreiben.
Man sollte allerdings auch nicht meinen, dass Drogeriemärkte Pick-up-Stellen in erster Linie mit dem Ziel betreiben, damit Geld zu verdienen. Ein wegen erhöhter Anforderungen reduzierter Ertrag aus Pick-up-Stellen wird nicht dazu führen, dass das Interesse daran erlischt, wenn man unter eine bestimmte Marge kommt. Die Pick-up-Stellen sind vielmehr ein Element zum Anlocken von Kunden. Wenn Kunden ihr Rezept im Drogeriemarkt abgeben, dann werden sie auch den einen oder anderen Bedarf dort befriedigen. Das ist das eigentliche Interesse.
DAZ: Kommen wir zur Frage nach den Trends in der Selbstmedikation. Gibt das Grüne Rezept der Selbstmedikation Aufschwung?Hoffmann: Mit dem heutigen Trend in der Selbstmedikation können wir nicht zufrieden sein. Wir haben hier in den letzten Jahren über alles gesehen eine negative Entwicklung. Ein wesentlicher Grund liegt in der grundsätzlichen Beschränkung der Erstattungsfähigkeit der nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel. Der Selbstmedikationsmarkt hat sich von dieser Beeinträchtigung nicht wieder erholt.
Mit der aktuellen Aktion zum Grünen Rezept soll die arztgestützte Selbstmedikation gefördert werden. Wir wollen die Idee des Grünen Rezeptes beleben, da wir der Überzeugung sind, dass dies im Grundsatz eine richtige Maßnahme ist. Es ist kein Anreiz für einen zusätzlichen Verbrauch, sondern lediglich eine Hilfestellung zur Dokumentation der ärztlichen Empfehlung für den Patienten. Solche Empfehlungen hat der Arzt auch früher schon ausgesprochen. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient dieser Arzt-Empfehlung folgt, ist mit dem Grünen Rezept wesentlich größer, als wenn er die Empfehlung nur mündlich bekommen hätte. Wir hoffen, dass die daraus mit den OTC-Arzneimitteln gewonnenen Erfahrungen wieder zu einer anderen Bewertung von OTC-Arzneimitteln führen.
DAZ: Gibt es bereits erste Ergebnisse aus der aktuellen Aktion mit dem Grünen Rezept?Hoffmann: Ja, die ersten Ergebnisse liegen vor, sie sind sehr ermutigend. Wir wissen, dass die Aktion bei Ärzten hervorragend angekommen ist und bei den Apothekern große Unterstützung erhalten hat. Im Verhältnis zu früher sind in den letzten Wochen mehr Grüne Rezepte eingelöst worden. Ob und in welchen Bereichen diese Einlösungen der Grünen Rezepte zu Veränderungen im Markt führen – dafür ist es noch zu früh. Die Aktion läuft seit März. Da benötigen wir mindestens den Erfahrungszeitraum eines halben Jahres.
DAZ: Können Sie sich vorstellen, dass man diese Aktion über das geplante halbe Jahr hinaus fortsetzt?Hoffmann: Ja, ich kann es mir vorstellen. Meine persönliche Meinung dazu ist, dass man es machen sollte. Der Vorstand des BAH wird dazu in Kürze beraten.
DAZ: Herr Hoffmann, vielen Dank für das Gespräch.
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