Arzneimittel und Therapie

Polypill zur Prophylaxe von Herzinfarkt und Schlaganfall?

Das Konzept einer Polypill, die niedrig dosierte generisch verfügbare Wirkstoffe als fixe Fünferkombination gegen die wesentlichen Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in fester Kombination enthält, ist ein pragmatischer Ansatz zur Reduktion kardiovaskulärer Sterblichkeit. Eine indische Phase-II-Studie untersuchte Wirksamkeit und Verträglichkeit der Multimedikation und wird mit ihren Ergebnissen kontrovers diskutiert.
Polypill Gleich fünf Arzneistoffe in einer Tablette vereinigt, soll die Polypill gegen Herz- und Schlaganfälle schützen und bei Menschen über 55 Jahren die Anzahl der Herzerkrankungen um bis zu 80 Prozent senken.
Foto: Hexal

Das in der klinischen Entwicklung befindliche Produkt Polycap des indischen Studiensponsors Cadila enthält ein Diuretikum, drei blutdrucksenkende Arzneistoffe, ein cholesterinsenkendes Statin sowie Acetylsalicylsäure (siehe Kasten Zusammensetzung). Die Studienteilnehmer mit je einem Risikofaktor (Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, Übergewicht, Rauchen) aber ohne manifeste Erkrankung wurden in einen von neun Therapiearmen randomisiert und erhielten die Studienmedikation über zwölf Wochen doppelt verblindet.

Zusammensetzung der Polypill

In der Polypill (Polycap) sind folgende generisch verfügbaren Arzneistoffe enthalten:

Hydrochlorothiazid (HCT)12,5 mg

Atenolol50 mg

Ramipril 5 mg

Simvastatin20 mg

Acetylsalicylsäure (ASS)100 mg

Die Einnahme erfolgt einmal täglich.

Vergleich mit Monotherapien und Kombinationen

Der Effekt von Polycap wurde mit Monotherapien mit Acetylsalicylsäure (ASS), Hydrochlorothiazid (HCT) und Simvastatin oder Kombinationen von zwei bzw. drei blutdrucksenkenden Arzneistoffen mit und ohne ASS verglichen, um die Gleichwertigkeit gegenüber der Gabe von Einzelkomponenten nachzuweisen. Für die Parameter systolische Blutdrucksenkung (7,4 mmHg), Herzfrequenzsenkung (7 Schläge/Minute) und Reduktion von 11-Dehydrothromboxan-B2 -Werten im Urin, als Maß für die thrombozytenaggregationshemmende Wirkung von Acetylsalicylsäure, wurde dieses Ziel erfüllt. Die Senkung des Plasma-LDL-Spiegels fiel geringer aus als unter Simvastatin allein (0,7 mmol/l vs. 0,83 mmol/l).

Die Zahl der Studienabbrecher war in den verschiedenen Gruppen etwa gleich groß und korrelierte nicht mit der Anzahl der verabreichten Arzneistoffe, was die Studienautoren als Beleg für Sicherheit und Verträglichkeit der Polypill ansehen. Aus historischen Daten von Wald and Law (siehe Kasten Pioniere der Polypill) ermittelten sie anhand der erreichten Laborwerte eine theoretische Risikoreduktion für ischämische Herzerkrankungen von 62%, für einen Schlaganfall von 48%.

Pioniere der Polypill

N. J. Wald und M. R. Law entwickelten 1993 an der University of London die provokante These, dass mit einer einzelnen Tablette, die verschiedene Arzneistoffe zur Behandlung der vier wichtigsten Risikofaktoren kardiovaskulärer Sterblichkeit in niedriger, fester Dosierung enthält, mehr Leben gerettet werden könnten als durch individuelle Therapien. Sie fassten dabei Daten verschiedener Metaanalysen und klinischer Studien zusammen und errechneten, dass jeder dritte Patient über 55 durch die Polypill elf Jahre Lebenszeit gewinnen könnte, ein Effekt, größer als der jeder Einzelintervention. Diskussionen über Fluch und Segen dieser faszinierend einfachen One-size-fits all-Formulierung haben nie nachgelassen und werden durch die vorliegende Studie und nachfolgende Untersuchungen die Gemüter weiter beschäftigen.

Chancen und Risiken

Ein Kommentar in derselben Ausgabe des Lancet wirft verschiedene Fragen zur geprüften Therapie auf: Wer kommt zukünftig für die Therapie mit einer Vielzahl von Arzneistoffen in Frage? Wie kann man Nebenwirkungen eindeutig den Arzneistoffen zuordnen? Und wie lassen sich Dosisoptimierungen vornehmen? Fragen, die sich nur mit anschließenden Phase-III-Endpunktstudien beantworten lassen. Angesichts der scheinbar guten Verträglichkeit wird die Hoffnung geäußert, mit der einfach einzunehmenden, preiswerten Multimedikation Patienten in Entwicklungsländern Zugang zu einer Therapie zu ermöglichen. Zu den im Kommentar genannten Chancen gehört ferner, in der industrialisierten Welt Patienten mit Risikofaktoren zu erreichen, die bisher aufgrund mangelnder Compliance keiner Therapie zugänglich waren. Die neue Therapieoption könnte aber diesen Patienten jede Motivation nehmen, durch Änderung des Lebensstils, die wahren Ursachen ihrer Erkrankung zu beheben.

 

Quelle

The Indian Polycap Study (TIPS): Effects of a polypill (Polycap) on risk factors in middle-aged individuals without cardiovascular disease: a phase II, double-blind, randomised trial. Lancet 2009, 373, 1341–1351.

Cannon, CP.: Can the polypill save the world from heart disease? Lancet 2009, 373, 1313–1314.

 Wald, NJ.; Law, MR.: A strategy to reduce cardiovascular disease by more than 80%. BMJ 2003; 326: 1419–1424.

 

Apotheker Peter Tschiersch

 

 

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