Medizin

Was steckt eigentlich hinter … plötzlicher Schwerhörigkeit?

Schall gelangt durch den Gehörgang zum Trommelfell. Von dort werden die Schallwellen im Mittelohr über die Gehörknöchelchen auf das Innenohr übertragen. Im Innenohr wandeln Sinneszellen die Wellen in elektrische Impulse um, die von den Hörnerven ins Gehirn geleitet werden. Dieses interpretiert daraus z. B. ein Wort. Wird die Informationsleitung irgendwo unterbrochen, kommt es zur Schwerhörigkeit, auch als Hypakusis bezeichnet.

Im Gehörgang verhindern meist mechanische Hindernisse die Schallweiterleitung, z. B. ein Ohrenschmalzpfropf. Ist das Hindernis beseitigt, hört der Betroffene wieder normal.

 

Ist das Trommelfell verletzt oder durch einen Paukenerguss im Mittelohr stark gespannt, können die Schallwellen nicht mehr auf die Gehörknöchelchen geleitet werden. Zudem behindert beim Paukenerguss die Flüssigkeit im Mittelohr die Beweglichkeit der Gehörknöchelchen. In diesen Fällen spricht man von einer Schallleitungs- oder Mittelohr-Schwerhörigkeit.

 

Eine Störung im Innenohr oder am Hörnerv führt dagegen zur Schallempfindungs-Schwerhörigkeit, auch Innenohr- oder Nerven-Schwerhörigkeit genannt. Häufig ist dem Betroffenen zusätzlich schwindelig, denn im Vorhof (Vestibulum) und den drei Bogengängen des Innenohrs sitzt auch das Gleichgewichtsorgan (Vestibularorgan). Bekannte Beispiele dafür sind der Hörsturz und Morbus Menière.

 

Hörsturz

Einen Hörsturz erleiden oft Menschen, die sehr aktiv sind und sich überfordern. Vermutlich verursacht chronischer Stress eine Durchblutungsstörung im Innenohr.

 

In Deutschland erkranken etwa eine Viertelmillion Menschen pro Jahr, die meisten im Alter zwischen 40 und 60 Jahren. Dem eigentlichen Hörverlust geht oft ein "Wattegefühl" im Ohr voraus. Dann verschlechtert sich innerhalb von Sekunden bis Stunden das Hörvermögen.

 

Zusätzlich leidet der Betroffene fast immer unter Tinnitus (Ohrgeräuschen) und Schwindel. Ein Hörsturz ist kein Notfall, der Betroffene sollte aber innerhalb von 24 bis 48 Stunden einen Arzt aufsuchen.

 

Welche Maßnahmen wirklich helfen, ist wegen der hohen Spontanheilungsrate schwer zu sagen. Die Deutsche Gesellschaft für HNO-Heilkunde empfiehlt zur Zeit, bei informierten Patienten und geringen Hörverlusten einige Tage abzuwarten und ansonsten eine Behandlung mit Cortison und durchblutungsfördernden Medikamenten, z. B.

 

Pentoxifyllin.

 

Trotz Behandlung bleibt bei einem Viertel der Betroffenen ein Hörschaden zurück, die Hälfte leidet hinterher an einem Tinnitus, und fast ein Drittel erleidet einen Rückfall. Daher sollte der Betroffene das Risiko für Folgeschäden verringern. Er sollte Lärmquellen meiden, z. B. indem er Lärmstöpsel trägt und zum Telefonieren das gesunde Ohr nutzt. Aber auch Stille hat negative Auswirkungen: Sie kann einen Tinnitus fördern. Präventiv wirken Stressabbau und Senkung der Risikofaktoren für Durchblutungsstörungen.

 

Morbus Menière

Die Diagnose Morbus Menière beruht hauptsächlich auf den Symptomen des Patienten. Die genauen Ursachen sind nicht geklärt.

 

Vermutlich erhöht sich der Druck im Innenohr, weil im häutigen Labyrinth zu viel Endolymphe vorhanden ist. Dadurch reißt möglicherweise die Membran zwischen dem häutigen und knöchernen Labyrinth, so dass sich die Endolymphe aus dem häutigen Labyrinth mit der Perilymphe aus dem Raum zwischen häutigem und knöchernem Labyrinth mischt. Bei einem Anfall hört der Erkrankte nicht nur schlecht, sondern oft auch doppelt (Diplakusis), da der Ton im kranken Ohr höher klingt als im gesunden. Außerdem hat der Patient Anfälle von Drehschwindel, die über Stunden anhalten und mit Übelkeit und Erbrechen einhergehen können. Dazu kommt ein Tinnitus, der unterschiedlich intensiv, aber ständig vorhanden ist. Manche Patienten haben nur wenige Anfälle. Bei anderen dagegen verstärken sich die Anfälle immer mehr, und die Schwerhörigkeit nimmt zu, manchmal bis zur völligen Taubheit.

 

Es gibt keine gezielte Therapie für die Menière-Krankheit. Bei akuten Beschwerden hilft Bettruhe. Gegen Übelkeit, Erbrechen oder den Schwindel kommen Antihistaminika wie Dimenhydrinat zum Einsatz. Zur Anfallsprophylaxe wird versucht, den Druck der Endolymphe zu reduzieren, indem der Patient über mehrere Monate Betahistin einnimmt. Bei schweren und häufigen Attacken wird auch manchmal ein niedrig dosiertes Diuretikum verordnet. Der gewünschte Erfolg bleibt jedoch bei beiden Methoden häufig aus. In schweren Fällen wird eine Sakkotomie durchgeführt: Dabei entfernt man etwas Knochen um das häutige Labyrinth, das die Endolymphe enthält. In seltenen Fällen durchtrennt man den Gleichgewichtsnerv oder zerstört ihn absichtlich mit ototoxischen Medikamenten wie Gentamicin. Recht neu ist die Betäubung des Gleichgewichtssinns mit einer Labyrinthanästhesie.

 

Die Beschwerden führen oft zum sozialen Rückzug der Patienten. Eine psychologische Betreuung und Entspannungsverfahren helfen, die seelische Belastung zu bewältigen. Ausfälle des Gleichgewichtssystems lassen sich teilweise durch Körpertraining, z. B. Feldenkrais, ausgleichen.

 

Es gibt noch mehr Ursachen für eine Schallempfindungsschwerhörigkeit. Eine davon ist das Knalltrauma, das zu einer traumatischen Innenohrschwerhörigkeit führt. Auch ein starkes Barotrauma kann zusätzlich zum Trommelfell das Innenohr schädigen.

 

Die Erreger z. B. von Borreliose, Mumps, Masern und Mittelohrentzündungen können über die Blutbahn zum Innenohr gelangen und dort eine Labyrinthitis (Innenohrentzündung) auslösen. Eine weniger häufige Entzündungsursache ist das Cholesteatom (Perlgeschwulst), das zudem Gehörknöchelchen zerstören kann.

 

Auch Medikamente können zur Innenohrschwerhörigkeit führen: Aminoglykosid-Antibiotika wie Gentamicin und Streptomycin zerstören die Sinneszellen des Hör- und Gleichgewichtsorgans. Seltene Ursachen für eine Innenohrschwerhörigkeit sind das Akustikneurinom (Kleinhirnbrückenwinkeltumor) oder ein Labyrinth-Apoplex.

 

Zentrale Hörstörung

Wenn das Hörzentrum oder zum Verständnis wichtige Verknüpfungen im Gehirn geschädigt werden, spricht man von einer zentralen Hörstörung (auditiven Agnosie). Man spricht dann auch von Seelentaubheit. Das Gehirn kann das Gehörte nicht mehr verarbeiten: Der Betroffene hört zwar Geräusche, kann aber die Richtung und Entfernung nicht bestimmen und versteht ihre Bedeutung nicht mehr.

 

Quellen

R. Probst et al (Hrsg.): Hals-NasenOhren-Heilkunde, 3. Aufl.

A. Schäffler (Hrsg.): Gesundheit heute, Knaur, München. 2. Aufl.

 Leitlinien der Dt. Ges. f. Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde: Hörsturz. http://web4health.info/de/aux/017-010.htm

 

 Autor

 Schäffler & Kollegen,

 Augsburg

www.schaeffler.cc

 

 

Beschwerdebild
Was steckt dahinter?
Zunehmende ein- oder beidseitige Schwerhörigkeit bei – oft – jüngeren Menschen

Oft Ausfluss von eitrigem Sekret

Evtl. Schmerzen
Chronische Mittelohrentzündung

Akute Mittelohrentzündung

Cholesteatom (Perlgeschwulst)
Plötzliche, einseitige Schwerhörigkeit oder Taubheit

Vorausgehend oft Druck oder Wattegefühl im Ohr, taube Haut in der Umgebung des Ohrs

Ohrgeräusche (Tinnitus)

Evtl. Schwindel
Hörsturz, oft bei beruflicher oder privater Überlastung

Labyrinthitis (entzündlich bedingte Innenohrschwerhörigkeit) z. B. bei akuter oder chronischer Mittelohrentzündung, Cholesteatom

Labyrinth-Apoplex
Anfälle mit plötzlicher einseitiger
Schwerhörigkeit, tiefen Ohrgeräuschen und Schwindel
Menière-Krankheit

Durchblutungsstörung des
Innenohrs bei HWS-Syndrom

Akustikusneurinom

Migräne im Hirnstamm
Beidseitige Schwerhörigkeit mit hohen Ohrgeräuschen sofort nach massiver
Lärmeinwirkung
Lärmschaden:
Vorübergehend, z. B. nach Diskothek

Auf Dauer bei schwerer Lärmbelastung, z. B. Knalltrauma
Sofortige einseitige Taubheit mit
Schwindel nach Kopfverletzung
Schädelbruch, z. B. im Felsenbein
Plötzliche Schwerhörigkeit mit einschießendem Ohrschmerz

Taubes oder hohles Gefühl im Ohr

Oft Ohrgeräusche, Schwindel

Evtl. tritt Blut aus dem Gehörgang
Trommelfellverletzung durch
Direkte Verletzung, z. B. Wattestäbchen

Starke Druckschwankungen (Barotrauma), Explosionstrauma, Tauchen
Rasch zunehmender, ein- oder beid-
seitiger Hörverlust, meist mit gleichseitiger Gesichtslähmung

Meist Ohrgeräusche

Oft schubweiser Verlauf
Borreliose: Infektion durch Borrelien nach – oft unbemerktem – Zeckenbiss
Ein- oder beidseitige Schwerhörigkeit
bis Taubheit bei oder nach schwerer
Infektionskrankheit
Innenohr- oder Hörnervschädigung:
Mumps, Masern, Grippe

Meningitis
Dauerhafte oder vorübergehende beidseitige Schwerhörigkeit bei Medikamenteneinnahme

Evtl. neu auftretende oder verstärkte
Ohrgeräusche (Tinnitus)

Evtl. Schwindel
Nebenwirkung, z. B. von
Diuretika

Antidepressiva

Antibiotika, z. B. Gentamicin

Zytostatika

Schmerzbetäubende Ohrentropfen
Beidseitige Schwerhörigkeit nur in bestimmten Situationen (z. B. Untersuchung)

Sonst keine Hörprobleme

Oft bei Kindern und Jugendlichen
Psychische Ursache, meist dissoziative Störung, bei hysterischer Persönlichkeitsstörung
Unfähigkeit, Gehörtes zu verstehen und adäquat zu antworten
Seelentaubheit (zentrale Hörstörung) bei Hirnschäden, z. B. bei oder nach
Apoplex

Demenz

Schädel-Hirn-Trauma

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