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Arzneimittel und Therapie
Situationseinschätzung zur Neuen Influenza
In Deutschland sind dem Robert Koch-Institut mit Datenstand vom 10. August 2009 insgesamt 10.155 Fälle der Neuen Grippe (Influenza H1N1/2009) übermittelt worden. Gegenüber der letzten Aktualisierung (7. August 2009) wurden 385 Fälle neu übermittelt. Der Anstieg wird nach wie vor hauptsächlich durch Reisende verursacht, die nach Rückkehr aus dem Urlaub mit neuer Influenza gemeldet werden (294 Fälle), 91 Fälle wurden in Deutschland erworben (autochthon). Dabei werden als "Fälle" sowohl Personen mit einer Labordiagnose ausgewiesen, als auch Erkrankte, bei denen selbst keine Labordiagnose durchgeführt wurde, die aber Kontakt zu anderen laborbestätigten Erkrankten hatten. In der Regel verlaufen die Erkrankungen in Deutschland nach wie vor mild. Allerdings wird sehr aufmerksam registriert, dass sich die Neue Grippe in den Monaten Juli und August auf der Nordhalbkugel ausbreitet, denn in diesen Monaten gibt es normalerweise keine Grippeaktivität. Es wird daher befürchtet, dass sich die Ausbreitung dieses Virus in den Monaten, in denen die Bedingungen für Grippeviren günstiger werden, ganz erheblich beschleunigen wird. Und auch wenn der Verlauf so moderat wie bisher bleibt, so muss davon ausgegangen werden, dass dann eine erhebliche Zahl von zusätzlichen Todesfällen auftreten werden. Wichtig ist es, eine Infektion schnell zu erkennen, damit sie adäquat behandelt werden und die Ausbreitung des Virus möglichst unterbunden werden kann.
Schnelltest führt oft falschen Ergebnissen
Vorraussetzung dafür ist aber die rechtzeitige und korrekte Diagnosestellung der Infektion. Bei den dazu verfügbaren Schnelltesten muss zwischen der patientennahen Diagnostik mittels Antigennachweis und dem Antigentest im virologischen Labor unterschieden werden. Bei erstem wird der Grippeschnelltest bei einem niedergelassenen Arzt mittels eines Abstrichs aus Nase oder Rachen durchgeführt. Diese Tests haben bei der saisonalen Influenza eine Sensitivität von etwa 60% im Vergleich zur Polymerasekettenreaktion (PCR). Bei der Neuen Influenza A/H1N1 zeigte sich eine deutlich niedrigere Sensitivität (< 50%), so dass die patientennahe Schnelltestdiagnostik sich nicht zur Fallbestätigung oder zum Fallausschluss eignet. Die Kosten dieser Grippeschnelltests liegen – je nach Hersteller – zwischen ca. 7 Euro und ca. 30 Euro. Das Ergebnis liegt nach 20 bis 40 Minuten vor. Die Tests sind alle nur eine Saison verwendbar und damit nur bedingt zu bevorraten.
Ein positiver Nachweis von Influenzaviren erfordert aber für eine zielgerichtete Therapieentscheidung zwingend nachfolgend die Differenzierung zwischen den bisher saisonal zirkulierenden humanen Influenzaviren und der Neuen Influenza A/H1N1. Für diese Unterscheidung mittels PCR schickt der Arzt Abstrichproben an ein Labor, das den Test durchführt und bestätigte Infektionen dem Arzt und dem Gesundheitsamt meldet. Das Ergebnis liegt nach vier bis sechs Stunden vor. Wer die Kosten für diese Labortest trägt (ein PCR-Nachweis kostet ca. 150 Euro), wird heftig diskutiert: Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) haben sich jetzt darauf geeinigt, dass ein Schnelltest nur noch in Ausnahmefällen angewendet werden soll. Stattdessen sollen Risikopatienten PCR-Tests von den Kassen bezahlt bekommen, wenn bei ihnen ein konkreter Verdacht auf die Neue Grippe besteht.
Impfstoffentwicklung läuft auf Hochtouren
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat ihre Einschätzung bekräftigt, dass die weltweite Ausbreitung des Virus nicht zu stoppen ist. Eine weitere Ausbreitung der neuen Grippe auch in Deutschland sei nicht zu vermeiden. Denn obwohl die WHO die Pandemie bislang als moderat eingestuft hat, könnte auch ein Virus, das bei gesunden Menschen vorwiegend moderate Symptome verursacht, bei einer großen Verbreitung große Auswirkungen auf eine Gesellschaft haben. Zumal das Virus gut von Mensch zu Mensch übertragbar ist. Daher wird an der Entwicklung eines Impfstoffes mit Hochdruck gearbeitet. Für die Herstellung von Pandemieimpfstoffen wird dabei das sogenannte Mock-up-Verfahren angewendet. Dazu wird ein Muster- oder Mock-up-Impfstoff entwickelt, der mit dem zukünftigen Impfstoff gegen eine Pandemie hinsichtlich Zusammensetzung und Herstellung identisch ist. Da der tatsächliche Pandemie-auslösende Virusstamm jedoch nicht bekannt ist, enthält der Impfstoff einen anderen Influenzastamm, dem die allgemeine Bevölkerung bisher nicht ausgesetzt war. Kommt es zur Pandemie, dann erlaubt es das Lizenzverfahren, den Impfstoff mit dem tatsächlichen, dann für die Pandemie verantwortlichen Stamm, in einem beschleunigten Verfahren zuzulassen. Zurzeit sind in Europa vier solcher Musterimpfstoffe zugelassen: Focetria® (Novartis), Celvapan® (Baxter) sowie Daronrix® und Pandemrix® (GlaxoSmithKline). Diese vier wurden gegen das Vogelgrippevirus H5N1 entwickelt und dafür klinisch getestet. Damit sie gegen die Neue Grippe eingesetzt werden können, müssen die abgetöteten H5N1-Viren durch die Neuen Viren ersetzt werden. Die restlichen Bestandteile bleiben gleich. Damit kann in den Zulassungsbehörden eine Zulassung wesentlich schneller erteilt werden: Man geht davon aus, dass die Impfstoffe bereits zwei bis vier Wochen nach dem offiziellen Antrag der Hersteller zugelassen werden.
Impfstoff auf Basis von Verozellen
Novartis hat seinen Pandemieimpfstoff auf der Basis von Zellkulturen bereits mit dem aktuellen Virusstamm produziert. Am Zentrum für Klinische Studien der Universitätsmedizin Mainz und am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München wird seit Anfang August eine Impfstudie gegen das Grippevirus H1N1 mit dem neuen Impfstoff durchgeführt. Im Rahmen der multizentrischen Phase-III-Studie soll neben der Verträglichkeit des noch nicht zugelassenen Impfstoffs insbesondere geprüft werden, in welchem Ausmaß der Impfstoff die körpereigenen Abwehrkräfte stimuliert und somit gegen eine Ansteckung schützt. Die Teilnehmer werden zweimal im Abstand von zwei Wochen geimpft. Erste Ergebnisse werden im Spätherbst erwartet, da erst nach 43 Tagen die Antikörpertiter bestimmt werden. Über eine genauen Termin, wann der Impfstoff zur Verfügung stehen wird, kann nur spekuliert werden. Meldungen über eine mögliche krebserregende Wirkung der Impfstoffe, die auf der Basis von Tumorzellkulturen hergestellt werden, hat der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts Prof. Dr. Johannes Löwer entkräftet: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat für Impfstoffe, die auf Tumorzellkulturen produziert werden, bereits vor zwei Jahrzehnten hinreichende Regeln zur Sicherheit aufgestellt. So müssen diese Vakzine frei von Zellen sein und dürfen kein Erbmaterial enthalten.
Anfang 2009 hatte Baxter für seinen pandemischen Impfstoff Celvapan® eine Mock-up-Zulassung der EMEA als Pandemie-Impfstoff unter Verwendung des Vogelgrippestamms H5N1 erhalten. Ende Juli konnte die Produktion erster kommerzieller Chargen mit dem A/H1N1-Virusimpfstoff abgeschlossen werden, Baxter produziert voraussichtlich 80 Millionen Dosen. Der Mock-up-Impfstoff wurde in fünf klinischen Studien weltweit an über 1300 Personen getestet. Darüber hinaus wurden über 3500 Personen während einer fortlaufenden Phase-III-Studie geimpft. Celvapan® löste hier eine Immunantwort aus, die mit der körpereigenen Abwehrreaktion bei einer natürlichen Influenzainfektion vergleichbar ist. Im Rahmen der Studie wurde auch die Fähigkeit des neuen Impfstoffs untersucht, eine Kreuzimmunität gegen unterschiedliche H5N1-Stämme zu induzieren. Insgesamt wurde der Impfstoff sowohl nach der ersten und zweiten Impfung als auch nach der Auffrischungsimpfung gut vertragen. Baxter schätzt die Immunantwort als gut ein und das Sicherheitsprofil des Impfstoffs als vergleichbar mit bereits zugelassener Impfstoffe gegen die saisonale Influenza ein. Durch diese Verozell-Technologie kann schneller produziert werden. Der neue Impfstoff wurde innerhalb von zwölf Wochen mit dem erhaltenen Virusstamm kommerziell hergestellt. Daten über Impfungen von Schwangeren mit interpandemischen, trivalenten Impfstoffen weisen nicht darauf hin, dass unerwünschte Ergebnisse bei Föten und Müttern auf den Impfstoff zurückzuführen sind.
Impfstoffe auf Basis von Hühnereiern
Der Herstellungsprozess von Grippeimpfstoffen aus embryonierten Hühnereiern ist im Vergleich zur Produktion auf Zelllinien sehr zeitintensiv und störungsanfällig. Dabei wird ein durch biotechnologische Verfahren abgeschwächtes Virus in Hühnereier eingespritzt. Dort vermehrt es sich bei 36 Grad, so dass nach einigen Tagen eine Vielzahl von neu entstandenen Viren geerntet werden können. Diese werden abgetötet und die Virushüllen dienen dem menschlichen Immunsystem dann das Erkennen der "echten" Erreger trainieren kann. Um mit möglichst wenig Material zur Herstellung des Impfstoffes auszukommen werden diesen Impfstoffen Adjuvanzien hinzugesetzt, die das Immunsystem besonders aktivieren. Allerdings werden auch unerwünschte Wirkungen wie Schmerzen an der Einstichstelle oder Fieber auf das Adjuvans zurückgeführt. Zwar wurden die verwendeten Adjuvanzien schon in den bisherigen saisonalen Grippeimpfstoffen eingesetzt und es liegen viele Erfahrungen damit vor. In Kombination mit dem Virus der Neuen Grippe wurden sie aber noch nicht in größerem Maßstab getestet. Auch GlaxoSmithKline plant, seinen Impfstoff gegen die Neue Grippe Ende August an mehreren hundert Probanden zu testen, geimpft wird zweimal im Abstand von vier Wochen. Auch wenn es vorgesehen ist, die Studie ein halbes Jahr laufen zu lassen, so rechnet GlaxoSmithKline damit, dass die Europäische Arzneimittelagentur die Zulassung schon im Oktober erteilt. Von diesem Impfstoff hat die Bundesregierung bereits 50 Millionen Impfdosen bestellt.
Problem sind sehr seltene Nebenwirkungen
In den Studien zu den Musterimpfstoffen, wurden eindeutig mehr Lokalreaktionen beobachtet, als bei den saisonalen Impfstoffen, die als Folge des Adjuvans gewertet werden. Darüber hinaus konnten die Behörden aber keine Probleme feststellen. Natürlich kann es sein, dass seltene Nebenwirkungen in den Studien nicht auffallen. Aber das gilt für alle Impfstoffe. Dafür werden Postmarketingstudie durchgeführt. Auch bei der H1N1-Impfung werden die Hersteller diese Daten liefern. Mit welchen Nebenwirkungen dabei häufig zu rechnen ist, geht aus den öffentlichen Beurteilungsberichten der vier Impfstoffe bei der europäischen Arzneimittelagentur EMEA hervor. Dort werden Schmerzen und Rötung an der Injektionsstelle, Kopfschmerzen, Schwitzen, Gelenkschmerzen, Muskelschmerzen genannt. Diese unerwünschten Wirkungen werden als ganz normale Reaktionen des Immunsystems auf den simulierten Angriff durch Krankheitserreger angesehen und könnten bei jedem zehnten Geimpften auftreten.
Beachten Sie die Hygieneregeln!Nicht nur aus dem Ausland werden Infektionen eingeschleppt. Die zunehmende Zahl der in Deutschland autochthon erworbenen Infektionen mahnt die Einhaltung persönlicher Hygienemaßnahmen an. Influenzaviren werden vor allem durch Tröpfcheninfektion übertragen. Insbesondere beim Niesen oder Husten können die Erreger auch auf die Hände gelangen und dann durch direkten Kontakt weiterverbreitet werden. Daher wird häufiges, regelmäßiges Händewaschen empfohlen, besonders vor dem Zubereiten von Speisen, vor dem Essen, nach dem Besuch der Toilette. Dabei sollte man die Hände unter fließendes Wasser halten und anschließend Seife 20 bis 30 Sekunden auch zwischen den Fingern verreiben, dann sorgfältig abspülen und abtrocknen. Beim Husten ist der Rat „Hand vor den Mund“ zwar gut gemeint, aber zumindest für die Menschen in der Umgebung ungesund. Denn dabei wird eine große Anzahl von Viren aus dem Körper katapultiert, die dann an den Händen kleben bleiben und schnell auf Gegenstände oder Mitmenschen gelangen. Daher wird empfohlen, statt in die Hand z.B. in den Ärmel zu Husten. So bleiben die Hände sauber. In geschlossenen Räumen bei der Arbeit oder zu Hause kann die Anzahl der Viren in der Luft stark ansteigen. Regelmäßiges Lüften wirkt dem entgegen und senkt so das Ansteckungsrisiko. Außerdem wird durch Lüften das Raumklima verbessert und so ein Austrocknen der Mund- und Nasenschleimhäute verhindert, die zur Abwehr von Viren sehr wichtig sind. Es sollte die Räume mindestens drei- bis viermal am Tag für jeweils zehn Minuten gelüftet werden. |
Quelle
Robert Koch-Institut, Stand 11. August 2009. www.rki.de
Informationen der Firmen Baxter, Novartis Behring und GlaxoSmithKline.
ck
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