Arzneimittel und Therapie

Wirksamkeit bei Kindern nicht überschätzen

Eine Metaanalyse zeigte, dass die Neuraminidasehemmer Oseltamivir (Tamiflu®) oder Zanamivir (Relenza®) bei Kindern im Alter von zwölf Jahren oder jünger mit vermuteter oder bestätigter saisonaler Influenza nur eine geringe Wirkung aufweisen. Die Krankheitsdauer wurde nur 0,5 bis 1,5 Tage reduziert. Auch unerwünschte Wirkungen wie Asthma traten nicht seltener auf. Risiko und Nutzen einer antiviralen Therapie bei Kindern sollten daher genau abgewogen werden. In Deutschland hat die Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie ihre Empfehlung zur Therapie und Prophylaxe der Influenza aktualisiert.
Grippeverdacht Die Behandlung sollte wie bei der saisonalen Influenza in erster Linie symptomatisch erfolgen. Dazu gehören vor allem die Gabe von reichlich Flüssigkeit sowie gegebenenfalls die medikamentöse Fiebersenkung mit Paracetamol oder Ibuprofen. Wegen eines möglichen Reye-Syndroms sind Salicylate bei Kindern kontraindiziert. Nur in Ausnahmefällen ist eine spezifisch antivirale Therapie indiziert.

Foto: NIDDApharm/WWW Woerlen

Eine britische Arbeitsgruppe konnte für eine Metaanalyse vier randomisierte Studien auswerten, in denen die Wirkung von Oseltamivir oder Zanamivir gegen Placebo bei 1766 Kindern im Alter von zwölf Jahren oder jünger mit (vermuteter oder bestätigter) saisonaler Influenza untersucht wurde. Dabei verkürzte die Behandlung mit einem Neuraminidaseinhibitor die Krankheitsdauer um gerade einmal 0,5 bis 1,5 Tage, wobei die Wirkung in diesem Endpunkt nur in zwei Studien statistisch signifikant war. Die Neuraminidasehemmer konnten auch nicht Komplikationen einer Influenza wie Asthmaanfälle reduzieren, auch wenn sich die Lungenfunktion in einer Studie besserte. Auch der Bedarf an Antibiotika zur Behandlung sekundärer bakterieller Infektionen wurde nur unwesentlich gesenkt. Im Rahmen der Untersuchung wurden auch drei randomisierte Studien zur Postexpositionsprophylaxe mit insgesamt 863 Kindern ausgewertet. Die Therapie mit Oseltamivir oder Zanamivir senkte die Zahl der Neuerkrankungen nur um 8% (95%-KI 5 bis 12%). Es müssten also 13 Kinder über zehn Tage behandelt werden, um eine Erkrankung zu vermeiden, die bei kleinen Kindern nur sehr selten tödlich verläuft. Zanamivir, das inhalativ appliziert werden muss und deshalb seltener eingesetzt wurde, erwies sich als sehr gut verträglich. Bei Oseltamivir wurde jedoch gelegentlich über Erbrechen berichtet. Die Autoren der Studie gehen zwar von der Annahme aus, dass die Ergebnisse ihrer Metaanalyse auf die Neue Influenza A/H1N1 übertragbar sind. Da bisher noch keine kontrollierten Studien durchgeführt wurden, gilt der Einsatz von Oseltamivir oder Zanamivir bei der Neuen Grippe derzeit als nicht evidenzbasiert.

Aktualisierte Empfehlungen für Kinder

Die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie e. V. hat aus aktuellem Anlass ihre Empfehlung zur Therapie und Prophylaxe der Infektion mit dem Neuen Influenza A/H1N1-Virus bei Kindern und Jugendlichen aktualisiert. Nach bisherigen Erkenntnissen bewertet sie die Infektion mit dem Neuen Influenza A/H1N1-Virus – soweit dies derzeit aus Fällen in Deutschland (und europäischen Ländern) abzuleiten ist – als eine selbst limitierende Krankheit, die in der Regel nicht schwerer verläuft als die "normale" saisonale Influenza. Die Behandlung erfolgt daher wie bei der saisonalen Influenza in erster Linie symptomatisch. Nur in Ausnahmefällen sieht die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie eine spezifisch antivirale Therapie indiziert.

Schwangerschaft und Stillzeit

Die EMEA hat für Schwangere und stillende Frauen festgehalten, dass in der pandemischen Situation der potenzielle Nutzen des Einsatzes von Oseltamivir und Zanamivir das mögliche Risiko für den Feten bzw. Säugling überwiegt. Aufgrund des erhöhten infektionsbezogenen Risikos in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft wird nach individueller Risikoabwägung durch den behandelnden Arzt die antivirale Behandlung im zweiten und dritten Schwangerschaftstrimenon empfohlen.

Nutzen und Risiken einer antiviralen Therapie

Nach aktuellem Kenntnisstand ist das Virus gegenüber den Neuraminidasehemmern Zanamivir und Oseltamivir empfindlich, aber resistent gegen Amantadin. Bisher sind weltweit nur vier Fälle eines Nicht-ansprechens auf die Neuraminidasehemmer berichtet worden. In Deutschland ist für die Therapie bei Kindern ab fünf Jahren Zanamivir (Relenza®) und ab einem Jahr Oseltamivir (Tamiflu®) zugelassen. Beide Substanzen hemmen selektiv die Neuraminidase von Influenzaviren und verhindern die Virusausbreitung im Organismus. Ihre Wirkung setzt nach den Erfahrungen mit der saisonalen Influenza einen Therapiebeginn innerhalb von 24 bis 48 Stunden nach Beginn der Erkrankung voraus. Die Behandlung dauert in der Regel fünf Tage. Für Kinder unter einem Jahr sind Oseltamivir und Zanamivir nicht zugelassen. Nach den Erfahrungen mit der saisonalen Influenza ist dies jedoch die Altersgruppe mit einem besonders hohen Risiko für Komplikationen. Für die Infektion mit dem Neuen Influenzavirus gibt es dazu noch keine Erkenntnisse. Daten zum Einsatz von Oseltamivir bei Kindern unter einem Jahr stehen nur in beschränktem Umfang zur Verfügung und stammen aus der Behandlung der saisonalen Influenza. Diese Daten legen nahe, dass schwere Nebenwirkungen in dieser Altersgruppe nicht häufiger sind als bei älteren Kindern. Nach Ansicht der EMEA legen die beschränkten Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit bisher keine altersspezifische Toxizität nahe. Da Säuglinge mit Influenza eine besonders hohe Morbidität und Letalität haben, wird für sie im gegenwärtigen Pandemiefall unter besonderer Abwägung von Nutzen und Risiko ebenfalls die antivirale Therapie empfohlen. In schwierigen Fällen sollte ein Pädiatrischer Infektiologe zu Rate gezogen werden. Zumindest für junge Säuglinge wird die Therapie unter stationären Bedingungen empfohlen.

Empfehlung zur antiviralen Therapie

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird für nachfolgende Personengruppen eine antivirale Behandlung empfohlen, sofern sie Symptome aufweisen, die einen Influenzaverdacht begründen. Ein Krankheitsverdacht liegt vor, wenn respiratorische Beschwerden mit oder ohne Fieber im zeitlichen Zusammenhang zu möglichen Kontakten mit erkrankten Personen im engeren privaten oder beruflichen Umfeld (auch im Rahmen einer Reise) auftreten, die zur einer Ansteckung durch die Neue Influenza geführt haben können.

  • Eine antivirale Therapie sollte erwogen werden bei folgender Personengruppe: bei Neugeborenen und Säuglingen (< 6. Lebensmonat) mit relevanten klinischen Symptomen.
  • Eine antivirale Therapie sollte durchgeführt werden bei folgenden Personengruppen:

1. Säuglinge, Kinder sowie Jugendliche mit hospitalisationspflichtiger Erkrankung,

2. Säuglinge, Kinder sowie Jugendliche mit Symptomen einer unteren Atemwegsinfektion

3. Säuglinge, Kinder sowie Jugendliche mit schwerer Erkrankung, die außer dem Respirationstrakt noch andere Organsysteme betrifft

4. Säuglinge, Kinder sowie Jugendliche mit nach Einschätzung des Arztes relevant erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens wie zum Beispiel derzeit behandlungsbedürftige chronische Lungen- (einschließlich Asthma bronchiale) oder Herz-Kreislauf-Krankheiten, etc.,

5. Personen unter nach Einschätzung des Arztes relevanter immunsuppressiver Therapie,

6. Personen, die an einer Immunschwäche leiden (z. B. angeborener Immundefekt, HIV-Infizierte, Stammzelltransplantations-Patienten).

Prophylaxe bei Kindern unter einem Jahr

Oseltamivir ist für die prophylaktische Anwendung bei Jugendlichen und Kindern ab einem Jahr zugelassen. Die Behandlungsdauer ist im Regelfall zehn Tage.

Da Säuglinge mit Influenza eine besonders hohe Morbidität und Letalität haben, ist nur unter besonderer Abwägung von Nutzen und Risiko und dem Vorliegen relevanter klinischer Symptome die antivirale Prophylaxe möglich. Auch hier sollte in schwierigen Fällen ein Pädiatrischer Infektiologe zu Rate gezogen werden. Bei Kindern unter drei Monaten wird Oseltamivir per os nicht empfohlen.

 

Quelle

Shun-Shin, M.; et al.: Neuraminidase inhibitors for treatment and prophylaxis of influenza in children: systematic review and meta-analysis of randomised controlled trials, BMJ 2009; 339: b3172. 

 

Aktualisierte Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) zur Therapie und Prophylaxe der Infektion mit dem Neuen Influenza A/H1N1-Virus bei Kindern und Jugendlichen, Stand 30. Juli 2009.

 


ck

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