Deutscher Apothekertag 2009

Bewährtes System weiter stärken

Der Geschäftsbericht der ABDA ist naturgemäß eine Rückschau auf die berufspolitischen Ereignisse seit dem vorherigen Apothekertag. Spannend sind daher weniger die dargestellten Fakten, sondern ihre Auswahl und Gewichtung, die nachträgliche Wertung und der Ausblick auf neue Entwicklungen. Im diesjährigen Geschäftsbericht betonte ABDA-Hauptgeschäftsführer Dr. Hans-Jürgen Seitz die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Pharmazie und Qualitätssicherung sowie das wirtschaftliche Umfeld.
Dr. Hans-Jürgen Seitz Der schleichenden Trivialisierung des Arzneimittels vorbeugen.

Seitz bezeichnete das deutsche Gesundheitssystem als unbestreitbar erstklassig. Es biete eine sehr gute Gesundheitsversorgung für die gesamte Bevölkerung. Dennoch setze sich die hohe Taktfrequenz der "Baumaßnahmen" im Gesundheitswesen fort, wobei die zunehmenden Unschärfen der Ausgestaltung und die daraus folgenden juristischen Auseinandersetzungen das bewährte System gefährden könnten. Daher setze die ABDA bei ihrer gemeinsamen Arbeit mit den Landesverbänden schwerpunktmäßig auf:

  • die Stärkung der Apotheker als Arzneimittelfachleute in der öffentlichen Wahrnehmung,
  • die Betonung heilberuflicher und verbraucherschützender Aspekte und
  • die Positionierung der Apotheker als Teil einer zukunftsorientierten Gesundheitsversorgung.
"Die Apotheken brauchen endlich Umsetzungssicherheit. "


Dr. Hans-Jürgen Seitz zu Rabattverträgen

Rechtliche Rahmenbedingungen

Die wichtigsten rechtlichen Entwicklungen im Berichtszeitraum lägen auf der europäischen Ebene. Der Europäische Gerichtshof bestätigte die Arzneimittelversorgung von Krankenhäusern "aus einer Hand" und entschied am 19. Mai 2009, dass das deutsche Fremdbesitzverbot mit dem geltenden Europarecht vereinbar und das deutsche Apothekenwesen in sich konsistent geregelt ist. "Das Urteil betont eindrucksvoll den Ermessensspielraum der nationalen Gesetzgeber, auch im Sinne des präventiven Verbraucherschutzes", folgerte Seitz. Vor diesem Hintergrund würden viele Experten erwarten, dass die EU-Kommission die laufenden Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen des Mehrbesitzverbots sowie gegen Italien, Österreich, Spanien, Frankreich und Portugal vorerst nicht weiter verfolgen wird. Es werde besonders auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zu den Bedarfsprüfungen in etlichen Ländern zu achten sein – diese sei innerhalb des nächsten halben Jahres zu erwarten.

Die EU-Dienstleistungsrichtlinie muss bis Ende 2009 umgesetzt werden, sie werde aber nicht auf Gesundheitsdienstleistungen ausgedehnt. Bei der Regelung grenzüberschreitender Gesundheitsdienstleistungen wolle das EU-Parlament den Anwendungsbereich auf die reine Patientenmobilität beschränken. Ein weiteres europarechtliches Thema ist das sogenannte Pharmapaket. Dabei geht es um verfahrenstechnische Regelungen zur Pharmakovigilanz, um erweiterte Möglichkeiten der Information und Werbung der Pharmaindustrie für verschreibungspflichtige Arzneimittel und um verstärkte Maßnahmen gegen Arzneimittelfälschungen, auch durch ein Authentifizierungssystem für Arzneimittelpackungen. Die ABDA stehe den Vorschlägen zur Information und Werbung kritisch gegenüber, zu den Maßnahmen gegen Fälschungen habe sie bereits klare Vorstellungen eingebracht. Dazu verwies Seitz auf den dritten Arbeitskreis des Deutschen Apothekertages.

Unter den nationalen Aspekten hob Seitz die vielfältigen Begleiterscheinungen des Arzneimittelversandhandels hervor. Nach den gescheiterten Versuchen eines Pick-up-Stellen-Verbots verwies er auf erneute Möglichkeiten nach der Bundestagswahl und betonte: "Die ABDA ist strikt gegen Versuche, der Apotheke die gesellschaftlich sinnvollen und notwendigen Gemeinpflichten aufzuerlegen, anderen aber die Annehmlichkeiten des ‚Rosinenpickens‘ zu sichern."

Pharmazie und Qualitätssicherung

Außerdem forderte der ABDA-Hauptgeschäftsführer: "Einer schleichenden Trivialisierung des Arzneimittels, dem Einsickern von Arzneimittelfälschungen und einer möglichen Ausweitung des Arzneimittelfehl- und -mehrgebrauchs muss weiter entgegengewirkt werden." Daher habe die ABDA ihre Maßnahmen zur Stärkung der Pharmazie und zur Qualitätssicherung konsequent ausgebaut. Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker sei als Anwalt der Verbraucher und Sprachorgan der Apothekerschaft zur Sicherung der Arzneimitteltherapiesicherheit weiterentwickelt worden. Die Leistungen der Apotheker bei der Erfassung arzneimittelbezogener Probleme sei in diversen Projekten bestätigt worden, Medikationsdatenbanken würden dabei einen wichtigen Beitrag leisten.

Auch die Entwicklung des bundeseinheitlichen apothekenspezifischen Qualitätsmanagementsystems sei deutlich vorangekommen, die vollständige Umsetzung werde für das nächste Jahr erwartet. Die Leitlinien der Bundesapothekerkammer zur Qualitätssicherung würden kontinuierlich weiterentwickelt und die Unterstützungsmaßnahmen zur Beratungsqualität fortgeführt. Die verschiedenen Formen der Beratungstests würden gut akzeptiert. Für Rezepturarzneimittel sei ein interdisziplinäres Projekt mit dem Berufsverband der Deutschen Dermatologen initiiert worden, Dermatologen könnten Rezepturen in Qualitätszirkeln optimieren. Dies sei eine Win-win-Situation für Dermatologen und Apotheker.

Als sehr erfreulich beschrieb Seitz die anhaltend hohe Fortbildungsbereitschaft. Die Apothekerkammern hätten 2008 bei über 2000 Fortbildungsveranstaltungen 111.000 Teilnehmer verzeichnen können. Mit der aktuellen Influenzapandemie habe sich die ABDA frühzeitig und intensiv beschäftigt, als Hilfestellung für die Apotheken bietet sie ein Themenheft und weitere Materialien an (siehe Kasten).

Tipp: Praktische Hilfe zur Influenzapandemie

Das Themenheft "Influenzapandemie – Risikomanagement in Apotheken" der Bundesapothekerkammer und der Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtpflege unterstützt Apotheken bei der Erstellung eines apothekeninternen Notfallplans. Das Heft und weitere Handlungshilfen zur Influenzapandemie können von der Homepage der ABDA heruntergeladen werden, siehe www.abda.de, Rubrik "Themen", Unterrubrik "Influenzapandemie".

Elektronische Gesundheitskarte

Vergleichsweise ausführlich ging Seitz auf die elektronische Gesundheitskarte (eGK) ein und konstatierte dazu: "Hier bewegt sich viel, aber leider nicht alles in die richtige Richtung." Die Apotheker hätten ihre Aufgaben erfüllt, aber die wissenschaftliche Evaluation der bisherigen Feldtests habe erhebliches Optimierungspotenzial aufgezeigt. "Eher simple Alltagsfunktionen machen die Nutzung der eGK in den Arztpraxen scheinbar zum Geduldsspiel", so Seitz. "Die Bilanz in den sieben Testregionen ist ernüchternd", erklärte Seitz, "Fallzahlen von durchschnittlich zwei eRezepten pro Monat pro Testapotheke lassen eine adäquate Bewertung der Tauglichkeit für den alltäglichen Einsatz kaum zu."

Doch werden Ärzte und Krankenhäuser in Nordrhein mit Lesegeräten ausgestattet, die neuen Karten sollen bundesweit bis 2011 die bisherigen Krankenversicherungskarten ersetzen, aber zunächst nur einfache elektronische Anwendungen bieten. Apotheken würden außerhalb der Testregionen erst durch das elektronische Rezept einbezogen, womit frühestens 2012 zu rechnen sei. So könne sich niemand über die Frage wundern, wann die Notbremse gezogen werde, folgerte Seitz, vermutlich im Hinblick auf diesbezügliche Beiträge in der AZ, der Montagsausgabe der DAZ, im Juli. Zum weiteren Vorgehen bei der eGK erklärte Seitz, die ABDA werde die Entwicklung konstruktiv, aber kritisch begleiten. Maßstäbe seien die Datensicherheit, die freie Wahl der Leistungserbringer, die nachgewiesene Praxistauglichkeit und die ausreichende Refinanzierung. Außerdem müsse der Patient "Herr seiner Daten" sein.

" Allerdings scheint diesen Berichten zufolge die ‚Tankfüllung‘ nicht sehr weit zu reichen, vielleicht ist aber auch bereits ein ‚Motorschaden‘ eingetreten. "


Dr. Hans-Jürgen Seitz zu Berichten über die kürzlich aufgegebenen Pick-up-Stellen in Tankstellen

15. AMG-Novelle

Unter den Neuregelungen der 15. AMG-Novelle betonte Seitz den Belieferungsanspruch des pharmazeutischen Großhandels gegenüber dem Hersteller. Dies werde dazu beitragen, die Vielfalt des vollversorgenden Großhandels zu stärken und seine für die Apotheken wichtige Unterstützungsfunktion zu erhalten. Die nicht umgesetzte Umstellung des Großhandelsentgelts werde vermutlich in der nächsten Legislaturperiode wieder aufgegriffen. Hinsichtlich der neuen Regelung zur Honorierung onkologischer Rezepturen begrüßte Seitz den Vorrang von Verhandlungslösungen. "Die ABDA hat sich intensiv dafür eingesetzt, Einsparziele nicht isoliert zu verfolgen", so Seitz.

Wirtschaftliches Umfeld

Die Rabattverträge haben nach Einschätzung von Seitz eine massive Marktwirkung auf alle Beteiligten. Sie hätten ihre Janusköpfigkeit noch immer nicht verloren. "Kassen profitieren von den Einsparungen, die Apothekenteams tragen dagegen die Hauptlast der Umsetzungen", so Seitz. Vertrauen und Compliance würden über den Therapieerfolg mitentscheiden, dies hätten aber noch immer nicht alle Kassen verstanden. Doch Vorwürfe gegen die Apotheker und Befürchtungen, sie könnten ihren pharmazeutischen Spielraum sachwidrig ausnutzen, seien verklungen. Sogar der "Chefunterhändler" der AOK lobe mittlerweile die gute Umsetzung durch die Apotheken. Geblieben seien der hohe bürokratische Aufwand, die Mehrkosten, die Betreuung verärgerter und verunsicherter Patienten und die Retaxationen auf Null, zu denen ein Musterprozess eingeleitet worden sei. Neu hinzugekommen sei der Streit über die Bedeutung der Indikationen für das Austauschen. "Die Apotheken tragen hieran keine Schuld, sind aber Leidtragende", folgerte Seitz. Die Apotheken hätten hier viel Verantwortung übernommen, "sie können nun mit Fug und Recht die Verantwortung der Politik und der Krankenkassen einfordern: bessere Verfahren bei der Umsetzung der Verträge oder Alternativen", erklärte Seitz und nannte Zielpreisvereinbarungen als möglichen Ausweg.

Zur anhaltenden Diskussion über die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung erklärte Seitz, die Entwicklung bleibe eher unauffällig. Von 2002 bis Mitte 2009 seien die Ausgaben durchschnittlich um 3 Prozent pro Jahr gestiegen. Der Anteil der öffentlichen Apotheken nehme tendenziell ab, ihre Wertschöpfung habe 2008 nur 2,6 Prozent der GKV-Leistungsausgaben betragen. Nun solle der Kassenabschlag erstmalig angepasst werden. Darüber werde die Schiedsstelle zu entscheiden haben. Angesichts des Aufwandes der Apotheken bestehe Nachbesserungsbedarf. "Gute Pharmazie muss auch angemessen bezahlt werden", forderte Seitz.

" Die Technik dient dem Menschen, nicht umgekehrt! Nur wenn dies berücksichtigt wird, kann man eine hohe Akzeptanz der eGK erwarten."


Dr. Hans-Jürgen Seitz zur elektronischen Gesundheitskarte (eGK)

Ausblick

Aufgrund vielfältiger Herausforderungen für Staat und Gesellschaft seien weitere Gesundheitsreformen, möglicherweise auch ein Vorschaltgesetz, zu erwarten. Doch müsse immer wieder betont werden, dass Deutschland ein erstklassiges Gesundheitssystem hat. Es lohne sich, die vielfältigen Stärken dieses Systems zu nutzen und zukunftsfähig weiterzuentwickeln. Als Herausforderungen betonte Seitz die Alterung, die zunehmende Multimorbidität, den wissenschaftlichen Fortschritt und die Entwicklung bevölkerungsarmer Regionen. Dadurch würden der Stellenwert der Arzneimitteltherapie und der Bedarf an Apothekern zunehmen. So werde die pharmazeutische Beratungsqualität aber auch zum Gegenstand externen Interesses. Dies müsse Warnsignal, Ansporn und Herausforderung zugleich für die Apothekenteams bleiben. Sie könnten sich aber auch mehrfacher Rückendeckung sicher sein. Denn es zeige sich immer wieder die konstant hohe Wertschätzung durch Patienten und Kunden. Außerdem habe sowohl die europäische Rechtsprechung als auch die nationale Politik das deutsche Apothekensystem anerkannt. "Dieses Apothekensystem hat sich bewährt und maßgeblich zu einer hervorragenden Arzneimittel- und Versorgungssicherheit beigetragen", erklärte Seitz.

Die ABDA werde mit deutlichen Positionen für eine starke Pharmazie und für eine zukunftsorientierte, qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung eintreten. Als wesentliche Aspekte dazu nannte Seitz

  • den Ausbau einer patientenorientierten Arzneimittelversorgung,
  • die Weiterentwicklung kollektivvertraglicher Regelungen, ergänzt durch Vertragsoptionen für weiterführende pharmazeutische Dienstleistungen,
  • die Glaubwürdigkeit einer vom Arzneimittelpreis entkoppelten Vergütung,
  • die noch intensivere Zusammenarbeit mit Ärzten und Patienten,
  • die Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit und
  • die Reduzierung des Arzneimittelmehr- und -fehlgebrauchs. tmb

Neu bei uns: Impressionen vom Apothekertag


(diz). Im neuen Online-Auftritt der DAZ finden Sie in dieser Woche neu: Impressionen vom Apothekertag. Damit sich alle, die nicht vom 24. bis 26. September in Düsseldorf dabei sein konnten, ein Bild von der Hauptversammlung der Deutschen Apothekerinnen und Apotheker machen können, haben wir Fotos auf unsere Seite gestellt, die einen Eindruck vom Apothekerparlament vermitteln.

Surfen Sie bei DAZ.online vorbei und entdecken Sie unsere neuen Seiten! Sie finden uns unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de

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